An designierten Vorsitzenden
der Sozialdemokratischen Partei Österreich SPÖ
Alfred Gusenbauer
Die brauen Flecken, die verdrängte Vergangenheit und die Folgen
GfbV Logo
Minderheitenfeindliches Österreich  |  Unerfüllte Staatsvertrag  |  Strafe für renitentes Volksgruppenzentrum  |  Viele braune Flecken auf SPÖ-Hemden
Bozen, 20.4.2000

Sehr geehrter Herr Gusenbauer,

Die GfbV-Südtirol begrüßt die angekündigte Erneuerung der SPÖ und ihre Wahl zum Vorsitzenden. Begrüßenswert ist auch Ihre Bereitschaft, das ungeklärte Verhältnis der SPÖ zur NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. Viele Sozialdemokraten haben sich kaum mit dieser blutigen Vergangenheit auseinandergesetzt, es war und ist zu einfach, Österreich als erstes Opfer des "Dritten Reichs" darzustellen.
Immerhin waren 1942 mehr als 8 Prozent der Österreicher Mitglieder der NSDAP, ein Prozentsatz, der nirgendwo in Deutschland erzielt wurde. 25 Prozent aller Betriebe, allein 70.000 Wohnungen, wechselten unter dem Titel einer "Arisierung" die Besitzer. In Österreich verlief der Novemberpogrom "vorbildlich", bestimmte antisemitische Maßnahmen wurden in Österreich zuerst praktiziert und erst später in Deutschland angewandt. Das betrifft besonders die Auswanderungs- und Deportationspolitik Eichmanns, die schließlich in die "Endlösung" mündete.

Von den 185.000 österreichischen Juden überlebten nur 10.000 die Shoah. Eine "Wiedergutmachung" für Erlittenes gab es in Österreich keine, egal ob ÖVP oder SPÖ die Regierung stellten. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Befreiung erst ist Österreich bereit (und das auch nicht freiwillig), Schadenersatz zu zahlen. Ein klares Versäumnis auch der Sozialdemokratie.

In Österreich wurden 65.000 Juden ermordet und 11.000 Sinti und Roma - 90 Prozent der alteingessenen österreichischen Sinti- und Romabevölkerung. Es war der sozialdemokratische Bundeskanzler Bruno Kreisky, der sich um den kleinen Rest der Überlebenden und deren Nachkommen kümmerte. Vorher und nachher hat Österreich die Sinti und Roma wieder vergessen. Die gewährte Fürsorge für Nazi-Opfer kann das erlittene Leid und die auch nach der Befreiung weiterhin gängige Diskriminierung kaum lindern. Die SPÖ hat sich auch in dieser Frage nicht engagiert hervorgetan.

Minderheitenfeindliches Österreich

Die jüdische Gemeinden, die Sinti und Roma im Burgenland und in Wien beklagten und beklagen das minderheitenfeindliche Klima, das in Österreich schon lange herrscht. Ein Klima, das sich auch gegen die Sprachminderheiten richtet.

Nicht erst seit Antritt der ÖVP-FPÖ-Regierung beklagen die von der österreichischen Verfassung anerkannten sechs nichtdeutschen Sprachgruppen die von der Bundesregierung und den Kärntner, steirischen und burgenländischen Landesregierungen betriebene Politik der Diskriminierung.

Die langjährige Regierungspartei SPÖ hatte wenig Interesse für Anliegen der Minderheiten gezeigt. Weder für die neuen Minderheiten der Arbeitsimmigranten, noch für die anerkannten sechs autochtonen nichtdeutschen Sprachgruppen. Die SPÖ hat gemeinsam mit der ÖVP und der jetzt bekämpften FPÖ erfolgreich die Initiativen der Liberalen und der Grünen für die Sprachminderheiten verhindert.

Die Sozialdemokraten haben sich nicht bereit gefunden, das mehr als 25 Jahre alte Volksgruppengesetz (schon 1975 unter Druck des chauvinistischen Kärntner Heimatdienstes von SP, VP und FP in einer großen Kumpanei-Aktion verwässert) zu modernisieren. Österreich hat es außerdem unterlassen, der Verpflichtung aus dem Staatsvertrag zum Schutz der Minderheiten vollinhaltlich nachzukommen. Die von den Bundesregierungen betriebene Assimilierungspolitik hat ein stilles Sterben zur Folge.

Unerfüllte Staatsvertrag

Trotz der im Artikel 7 des Staatsvertrages verbrieften Rechte gibt es enorme Defizite bei zweisprachigen Kindergärten und Schulen, bei den zweisprachigen Ortsnamen, bei der Zulassung der Minderheitensprachen vor Behörden und bei der muttersprachlichen Versorgung in Radio und Fernsehen. Die SP-Landeshauptleute von Kärnten haben die slowenische Sprachgruppe im Stich gelassen.

In keinster Weise erfüllt ist der Schutz der slowenischen Sprachgruppe in der Steiermark, wie dies ausdrücklich im Artikel 7 des Staatsvertrages vorgesehen ist. Die steirische ÖVP hat nicht allein die Anerkennung verweigert, auch in dieser Frage gab es eine stille aber große Koalition von SP, VP und FP.

Es ist bedauerlich, daß fast alle Verbesserungen für die Sprachgruppen in Österreich auf Urteile des Verfassungsgerichts zurückgehen. Erst auf Klagen von Angehörigen der Sprachminderheiten sind restriktive Gesetzesbestimmungen aufgehoben worden.

Mit seiner Minderheitenpolitik verletzten auch die von der SPÖ geführten Bundesregierungen auch die von Österreich ratifizierte Rassendiskriminierungskonvention der UNO. Darin verpflichtet sich die österreichische Regierung, "mit allen geeigneten Mitteln und unverzüglich eine Politik der Beseitigung der rassischen Diskriminierung und Förderung des Verständnisse unter allen Rassen zu verfolgen". Laut Artikel 2 dieser Konvention sind die Vertragsstaaten aufgerufen, Maßnahmen zu ergreifen, "um die angemessene Entwicklung und einen hinreichenden Schutz bestimmter rassischer  und ethnischer Gruppen oder ihnen angehörender Einzelpersonen sicherzustellen".

Tatsache ist, daß in den Bundesländern mit Sprachminderheiten wie Kärnten und Burgenland die Schaffung eines zweisprachigen Bildungssystem boykottiert wird. In Kärnten hat sich Landeshauptmann Jörg Haider massiv in das dürftige zweisprachige Schulsystem der slowenischen Sprachgruppe eingemischt und sich gegen die Ernennung von zweisprachigen Direktoren für die zweisprachigen Grundschulen ausgesprochen. Haider wurde von der damaligen SPÖ-ÖVP Bundesregierung nicht gestoppt.

Das Österreichische Volksgruppenzentrum listet jährlich die Defizite der österreichischen Minderheitenpolitik auf. Laut Volksgruppenzentrum führten die Defizite dann auch zur Diskriminierung von Angehörigen der Sprachgruppen. Obwohl das Verfassungsgericht die Sprachen der Minderheiten als Amtssprachen anerkannt hat, sind die Verwaltungen noch immer säumig bei der Umsetzung der Zweisprachigkeit. Angehörige der Sprachminderheiten erhalten laut Volksgruppenzentrum kaum Auskünfte in ihrer Muttersprache.

Strafe für renitentes Volksgruppenzentrum

Das Volksgruppenzentrum hat seine Kritik teuer bezahlen müssen. Die damalige SPÖ/ÖVP-Bundesregierung hat dem Zentrum die Förderung gestrichen. 1997 hat außerdem das für Minderheitenfragen zuständige Bundeskanzleramt subventionsempfangende Minderheitenorganisationen ausschnüffeln lassen und schikaniert. Beamte des Kanzleramtes haben sich nach dem Verwandtschaftsgrad von Vorstandsmitgliedern der Vereine erkundigt, haben ohne Wissen der Betroffenen Abonnentenlisten der Minderheitenzeitung mitgenommen. Von weiteren Vereinen sind Listen von Kindern, die an Sprachferien, Bastelabenden und Radwanderungen teilgenommen haben, verlangt worden. Das Bundeskanzleramt zögert zudem die Förderung hinaus und überläßt die Genehmigung von Projekten der Willkür der Beamten. Auch deshalb hat der Rechnungshof die Förderungspolitik des Bundeskanzleramtes für Minderheiten als hemmend und die Auszahlung der Mittel als schleppend kritisiert.

Bundeskanzler Viktor Klima und seine Partei grenzten seit Jahren Vertreter von Minderheitenorganisationen aus, die vehement Minderheitenrechte einfordern. Das verwundert nicht, angesichts der Sprüche des ehemaligen SPÖ-Innenministers Karl Schlögl im Kärntner Bleiburg/Pliberk über die österreichisch-slowenische Grenze. Landeshauptman Haider hatte den Innenminister aufgefordert, die Grenze zu wahren und die Einheit Kärntens vor Ansprüchen aus Slowenien zu schützen. Der sozialdemokratische Innenminister bat um das Vertrauen der Kärnten und kündigte an, hart bleiben zu wollen bei der Verteidigung der Grenze und bei der Ablehnung slowenischer Ansprüche. Ein gefährliches Spiel, weil Haider und Schlögl die legitimen Rechte der slowenischen Minderheit in Kärnten mit Grenzfragen verbanden, die niemand gestellt hat.

Viele braune Flecken auf SPÖ-Hemden

Hier schließt sich der Kreis wieder. Die SPÖ hat sich nach dem 2. Weltkrieg als eine Partei hervorgetan, die besonders in Kärnten Tür und Tor für Nazis öffnete. 1976 hatte die Zeitung "Neues Forum" festgestellt: "Auch in der SPÖ machten Braune rote Karrieren". Aus der SPÖ-Jugendorganisation "Roten Falken" kommt der langjährige Obmann des faschistoiden Kärntner Heimatdienstes, Josef Feldner. In Allianz mit dem Heimatdienst hatte der SP-Bürgermeister von St. Kanzian, Vitus Jesse, im Oktober 1972 seine Bürger zum Ortstafelsturm aufgerufen. Diese Allianz zwischen Heimatdienst und SP hat schlußendlich dazu geführt, daß das Minderheitenschutzgesetz der Bundesregierung so dürftig ausgefallen ist.

Schlußendlich war es Bundeskanzler Bruno Kreisky, der die Freiheitlichen aus der Quarantäne geholt hat. Kreisky ist nach dem Verlust der sozialistischen Mehrheit in den siebziger Jahren eine Koalition mit der FP eingegangen, der damals der SS-Veteran Peter vorstand. Auch Peter war nach 1945 kurzfristig Mitglied der sozialistischen Lehrervereins in Oberösterreich.

Das Nachkriegs-Österreich, allen voran die SP, hat es versäumt, den Sprachminderheiten die Gleichberechtigung zu garantieren. Trotz Staatsvertrag galt und gilt eine - zwar unausgesprochene - Politik der Assimilierung. Österreich hat nicht gelernt, mit den eigenen "Fremden" umzugehen. Eine Folge der nicht aufgearbeiteten "braunen" Vergangenheit.

Sehr geehrter Herr Gusenbauer, distanzieren Sie sich klar und deutlich von antisemitisch-ausländerfeindlichen Stimmungsmache auch in der SPÖ und lösen Sie endlich auch die nationalistische Koalition von SPÖ, ÖVP und FPÖ in Kärnten auf.
 

INDEX
HOME
Eine Publikation der Gesellschaft für bedrohte Völker. Weiterverbreitung bei Nennung der Quelle erwünscht
Una pubblicazione dell'Associazione per i popoli minacciati. Si prega di citare la fonte @@@ WebDesign: M. di Vieste