Offener Brief an die Teilnehmer des Eurofestivals und der Sommerschule
"Euromediterranea 2000 - Die Kunst des Zusammenlebens"
Ein neues Europa im Respekt der Diversität im Sinne von Alex Langer
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Bozen, 23.6.2000

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren

Dier Kunst des Zusammenlebens ist Leitmotiv des internationalen Festivals "Euromediterranea". Das Zusammenleben ist eine Kunst, die gelernt werden kann, die gelernt werden muß.

Auch deshalb bietet das Festival und die Sommerschule der Langer-Stiftung Diskussionsschwerpunkte zu den Themen etnische Konflikte in multikulturellen Gesellschaften, internationales Recht und Menschenrechte an.

Wir nutzen deshalb die Chance, sie um Unterstützung für unser Anliegen zu bitten. Derzeit arbeitet der EU-Konvent eine Charta der Grundrechte aus. Im Sinne von Alexander Langer hat unsere Menschenrechtsorganisation (Deutschland, Österreich, Schweiz, Luxenburg, Südtirol-Italien und Bosnien) bei der Konvents-Anhörung am 27. April in Brüssel auch garantierte Minderheitenrechte in der Grundcharta gefordert.

Als Europparlamentarier hat Langer vor neun Jahren die damalige Europäische Gemeinschaft aufgefordert, in den geplanten Unionsverträgen Minderheitenrechte als Bürgerrechte festzuschreiben. Die neue Europäische Union müsse deshalb die Sprachenvielfalt anerkennen.

Wir haben diese Forderung von Langer aufgegriffen und dem Konvent präsentiert. Unterstützen  Sie deshalb unseren Appell an den EU-Konvent, in der Grundrechtecharta ein Diskriminierungsverbot, Sprachenrechte sowie ein Vertreibungsverbot festzuschreiben und zu verankern. Rechte, die helfen sollen, ethnische Konflikte in multikulturellen Gesellschaften im Dialog zu lösen.

Danke für die Bereitschaft.



Appell der GfbV International

Für einen wirksamen Minderheitenschutz in der künftigen Grundrechtecharta der EU

Wir, die unterzeichnenden Institutionen und Persönlichkeiten, begrüßen die Entstehung einer Grundrechtecharta (GRC) der Europäischen Union (EU). Es ist an der Zeit, dass der wachsenden Macht der EU-Institutionen verbindliche, individuell einklagbare Rechte der in Europa lebenden Menschen gegenübergestellt werden. Mit großer Sorge nehmen wir jedoch zur Kenntnis, dass in den bisher bekannt gewordenen Entwürfe des Grundrechte-Konvents kein hinreichender Schutz der sprachlichen, ethnischen und religiösen Minderheiten in Europa vorgesehen ist. Deshalb schließen wir uns hiermit der Initiative der Gesellschaft fur bedrohte Völker (GfbV) International für einen wirksamen Minderheitenschutz in der GRC an.

Minderheiten sind Bestandteil einer jeden Gesellschaft. Sie tragen zu deren innerer Vielfalt bei. Deshalb haben Sie Anspruch auf Anerkennung und Schutz. Doch immer wieder wurden Minderheiten in Europa zu Opfern von Verfolgungen, die in den Völkermord- und Vertreibungsverbrechen totalitärer Diktaturen gipfelten. Bis heute setzen sich diese Verbrechen auf dem Balkan fort. Selbst in den stabilen westeuropäischen Demokratien werden Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Sprache, Kultur oder Religion diskriminiert.

Zu den Opfern von Geringschätzung zählen auch die Angehörigen alteingessener Sprachgemeinschaften und Volksgruppen. Als Bürger ihrer Staaten und der EU Folge werden ihnen die Mittel für ihre Bildungsinstitutionen vorenthalten. Die Folge davon ist fortschreitende kulturelle Verarmung: Wie die 1996 von der EU-Kommission veröffentlichte Studie "euromosaic" belegt, sind die Hälfte von 46 europäischen Minderheitensprachen 23 nur noch "bedingt" oder gar nicht mehr lebensfähig.

Nach Auffassung namhafter Völkerrechtler können sprachliche, ethnische, religiöse und ähnliche große Gemeinschaften nur durch die Gewährung von kollektiven Rechten wirksam geschützt werden. Nun ist aber bereits entschieden, dass die GRC in der Tradition der weltweit geltenden Menschenrechtsdokumente, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Verfassungen westlicher Demokratien Individualrechte enthalten wird. Umso dringender scheint es uns, einen Artikel in die GRC einzuführen, der ein minimales Recht für die Angehörigen von sprachlichen, ethnischen und religiösen Minderheiten garantiert. Im Anschluss an Artikel 27 des Internationalen Paktes über Politische und Bürgerliche Rechte von 1966 schlagen wir die folgende Formulierung vor: Artikel X Minderheitenschutz: Angehörige sprachlicher, ethnischer oder religiöser Minderheiten haben das Recht, gemeinsam und öffentlich mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihre eigene Sprache zu gebrauchen, ihre eigene Kultur zu pflegen und ihre eigene Religion auszuüben.

Für den Schutz von Minderheiten unerlässlich ist zudem das Verbot jeglicher Diskriminierung aufgrund von Rasse, Abstammung, Nationalität, Sprache, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Weltanschauung oder politischer Überzeugung. Zwar ist es fast gewiss, dass die GRC einen entsprechenden Artikel enthalten wird, doch muss verlangt werden, dass das Diskriminierungsverbot nicht nur für Unionsbürger, sondern ausdrücklich für alle Menschen im EU-Bereich gilt. Wie etwa aus der Diskussionen um die Gleichstellung von Mann und Frau bekannt ist, lasst sich die faktische Benachteiligung ganzer Gruppen oft nur schwer korrigieren. Um für diese Gruppen die Chancengleichheit zu verwirklichen, bedarf es einer "affirmative action" nach erfolgreichem amerikanischen Vorbild. Wir schlagen vor, dass das Diskriminierungsverbot um folgenden Absatz ergänzt wird: Angehörige von Gruppen, die faktisch benachteiligt werden, haben Anrecht auf besondere Forderung.

Noch wird kontrovers diskutiert, ob neben den Individualrechten auch politische Handlungsaufträge in die GRC aufgenommen werden sollen. Gleichwohl schlagen wir zugunsten der in Europa alteingesessenen sprachlichen und ethnischen Minderheiten den folgenden Text vor:

Die EU fördert die Chancengleichheit der Angehörigen sprachlicher und ethnischer Minderheiten und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Sie fördert europäische Minderheitensprachen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Minderheiten-Regionen.
Des Weiteren rufen wir dazu auf, dass die EU mit der Verabschiedung der GRC auch ein Zeichen zur Verhütung von Völkermord, Massenvertreibung und anderen schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit setzt. Zusätzlich zu einem entsprechenden politischen Handlungsziel, fordern wir einen individuellen Schutz vor Vertreibung:
Artikel Y: Vertreibungsverbot Jede Person hat das Recht, in ihrem Land und in ihrer Heimat zu bleiben oder jederzeit dorthin zurückzukehren.
Jeder willkürliche Entzug dieses Rechtes ist unzulässig. Diese Formulierung enthält nicht nur ein Recht auf sichere Rückkehr als Teil der Bewegungsfreiheit, wie es z.B. in Artikel 12, Absatz 4 des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte anerkannt wurde, sondern auch ein Recht auf Heimat. Letzteres hat u.a. in den Entwurf einer Erklärung über Bevölkerungstransfers und die Sesshaftmachung von Siedlern Eingang gefunden, der von der UN-Menschenrechtskommission am 17. April 1998 einstimmig angenommen wurde.

Abschließend warnen wir vor jedem Versuch, den Geltungsbereich der Grundrechte einzuschränken oder die Charta zu einer unverbindlichen Erklärung zu degradieren. Dadurch wurde nicht nur die Idee einer europäischen "Bill of Rights" zerstört, vielmehr erlitte auch die internationale Entwicklung der Menschenrechte einen schweren Rückschlag. In der Schlußerklärung des Europäischen Rates von Kopenhagen 1993 hatten die damaligen EG-Mitglieder ihre Bereitschaft zur Aufnahme neuer Staaten von der Einführung einer Minderheitenschutzbestimmung in deren Verfassungen abhängig gemacht.

Damit wird die Aufnahme eines solchen Rechtes in die GRC auch zu einer Frage der Glaubwürdigkeit.
 

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