OFFENER BRIEF 

Bozen, den 12. April 1999

 An die Unterzeichner des Friedensappells in Südtirol

Liebe Freundinnen und Freunde,
Euer Appell kommt spät, ist einseitig und zudem von entwaffnender politischer Naivität. Dieser Krieg hat nicht mit den NATO-Angriffen begonnen! Im Kosova führen die serbischen Einsatzkommandos auf Befehl von Präsident Milosevic seit 13 Monaten einen brutalen Krieg der ethnischen Säuberung; die Opfer waren die Menschen im Kosova, Albaner, aber auch Serben. 1998 wurden von serbischen Spezialeinheiten 450 Dörfer zerstört und 2000 Kosovaren getötet. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat auf diesen Krieg hingewiesen, stieß jedoch nur auf Gleichgültigkeit. Damals habt Ihr keinen Friedensappell an die serbischen Aggressoren gerichtet, damals habt Ihr geschwiegen.

Slobodan Milosevic hat die ethnische Säuberung Kosovas bereits vor längerer Zeit penibel geplant, und er hat mit der Durchführung begonnen, bevor die NATO mit ihren Angriffen begonnen hat. Das Muster ist bekannt: Im Kosova wiederholt sich die bosnische Tragödie. Glaubt Ihr wirklich, daß Milosevic noch Dialog- und „Friedenspartner" sein kann? Er war es, der gemeinsam mit nationalistischen Intellektuellen und sich kommunistisch gebenden Militärs Jugoslawien in Brand gesetzt hat. Seit 1991 haben Milosevic, sein Regime und die sogenannte Volksarmee ununterbrochen Krieg geführt: Gegen Slowenien, gegen Kroatien (10.000 Tote und 400.000 Vertriebene), gegen Bosnien-Herzegowina (über 250.000 Tote und Millionen Vertriebene) und jetzt gegen Kosova. Seit der Zerschlagung der Autonomie Kosovas durch Milosevic 1989 haben 400.000 Kosovaren ihr Land verlassen müssen, verloren Hunderttausende Kosovaren durch das Apartheidsystem ihren Arbeitsplatz, gingen 600.000 durch Polizeiwillkür oder Gefängnis, wurde das albanische Bildungssystem zerschlagen. Die Friedensbewegung blieb trotz der Hilferufe aus dem Kosova stumm.

Die Demokratische Liga und Ibrahim Rugova haben zehn Jahre lang versucht, sich mit gewaltfreiem Widerstand gegen die Repression zu wehren. Solidarität haben die Kosovaren bisher nur von jüdischen Organisationen in den USA erhalten, die seit Bosnien einen NATO-Einsatz gegen Milosevic fordern. Marek Edelmann, einer der Anführer des jüdischen Ghettoaufstandes von Warschau gegen die Nazis, hat den jetztigen Nato-Einsatz begrüßt. Laut Edelmann kommen die Nato-Bomben spät, um Milosevic zu stoppen. Edelmann fordert sogar Bodentruppen. „Die Nato-Schläge waren unvermeidlich, damit Menschenrechte geschützt, die ethnische Säuberung im Kosova, das Leiden des albanischen Volkes und die Eskalation des Konflikts gestoppt werden kann", erklärte der Serbische Bürgerrat in Sarajewo. Ähnliches hat das serbische Helskini-Komitee schon vor Monaten gefordert. Ein Militärschlag gegen ein Regime, gegen einen Präsidenten, der die Albaner als Ratten bezeichnet, mit denen Serben nicht zusammenleben können, der ständig die „moslemische Gefahr" an seine KZ-Mauern pinselt, der jetzt die 1389 verlorene Schlacht des serbischen Fürsten Lazar auf dem Amselfeld gegen die Türken als Vorwand fürs seine Greueltaten benutzt, kann nicht auf die gleiche Stufe gestellt werden wie die Massaker und Vertreibungen dieses Regimes!

Es ist naiv und realitätsfremd zu glauben, der Kriegsherr Milosevic könne ein Ansprechpartner für den Frieden sein. Bisher hat er jede Verhandlung nur dazu genutzt, um seine Greueltaten fortzuführen. Oder sind die „Verhandlungen" zwischen Milosevic und Rugova, wie das Belgrader Regime über TV vermittelt, für Euch der Ausweg und der Weg zum Frieden? Milosevic hält seine Maschinenpistole an die Brust von Rugova, diese Art von Verhandlungen meint Ihr doch nicht? Glaubt Ihr noch immer nicht den Berichten über die Völkermordverbrechen des Milosevic-Regimes? Die „ethnischen Säuberungen", Exekutionen, Massenvergewaltigungen, Lager? Es ist erschreckend, wenn Mitunterzeichner Peter Langer im Sender Bozen die NATO als Kriegsbündnis bezeichnet, aber kein Wort über Milosevic verliert. Laut Peter Langer ist die UNO als Friedensmacht gefordert. Aber Ihr wißt, die Mörder Tibets und Tschetscheniens, das totalitäre China und das autoritäre Rußland, beide eng mit Serbiens Diktator verbunden, haben den Weltsicherheitsrat gelähmt. Während im Kosova Menschen massakriert und vertrieben wurden, schüttelte ein lächelnder russischer Ministerpräsident einem lächelnden serbischen Staatschef die Hände. Ernsthafte Versuche, die Gewalt einzustellen? Nicht diese UNO ist gefordert, sondern der demokratische Westen.

Der Westen muß dafür sorgen, daß

- der Krieg im Kosova, die Vertreibungen und Massaker beendet werden,

- das Kosova nicht geteilt wird, die Vertriebenen zurückkehren können, die Minderheiten wie Serben, Montenegriner, Bosnier und Roma geschützt werden,

- das Selbstbestimmungsrecht der Kosovaren geachtet wird,

- Albanien, Mazedonien und Montenegro großzügig unterstützt werden, um den Flüchtlingen zu helfen,

- serbische Deserteure Aufnahme in der EU finden,

- die demokratische Opposition sowie unabhängige Medien und Menschenrechtsorganisationen in Serbien gefördert werden,

- Slobodan Milosevic, sein Regime und seine Militärs durch das internationale Kriegsverbrechertribunal angeklagt und nicht als „Friedenspartner" hofiert werden.

Ihr setzt den Krieg von Milosevic-Serbien und die Nato-Bomben gleich. Dazu abschließend ein Zitat von Marek Edelmann, der 1993 den Westen für seine Untätigkeit, für sein Wegschauen und für seine Kumpanei kritisiert hatte: „Europa hat aus dem Holocaust nichts gelernt."


INDEX  * * HOME

Una pubblicazione dell'Associazione per i popoli minacciati. Si prega di citare la fonte / Eine Publikation der Gesellschaft für bedrohte Völker. Weiterverbreitung bei Nennung der Quelle erwünscht  **  WebDesign: M. di Vieste