Hoffen auf die UNO
Vor acht Jahren hatte die Generalversammlung einstimmig eine beispielhafte Minderheitendeklaration verabschiedet. Die EU hinkt weiter hinterher
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Bozen, 15.12.2000

Die EU war bisher nicht in der Lage, der UNO zu folgen. Auf dem EU-Gipfel in Nizza wurde zwar die Grundrechtecharta angenommen, doch sie ist ohne Rechtskraft. Das in der Charta vorgesehene Diskriminierungsverbot, das für alle in der EU lebenden Menschen gelten soll, ist damit hinfällig. Die Chancengleichheit für die Einwanderer und deren Integration sind damit wieder aufgeschoben.

In der Charta fehlen zudem Bestimmungen für die Chancengleichheit der alteingesessenen Minderheiten. 14 Prozent der EU-Bürger sprechen nicht amtlich anerkannte Sprachen. Diese werden weiterhin diskriminiert. Wie die 1996 von der EU-Kommission veröffentlichte Studie "euromosaic" belegt, sind fast die Hälfte von 46 Minderheitensprachen in der EU in ihrer Zukunft gefährdet.

Es mutet deshalb seltsam an, wenn die EU 2001 zum Jahr der europäischen Sprachen erklärt. Damit wird nur davon abgelenkt, daß die EU Chancengleichheit für Minderheiten und deren Sprachen nicht akzeptiert. Trotz entsprechender Aufforderungen des Europaparlaments fehlt zur Finanzierung des Minderheitenbüros Bureau for lesser used languages noch immer die rechtliche Grundlage, das Büro wird nur mit dürftigen Mitteln gefördert.

Eine inkonsequente Haltung, haben doch viele EU-Staaten die beiden Minderheitendokumente des Europarates (Rahmenkonvention und Sprachencharta) ratifiziert. So Italien, das auch noch ein Minderheitengesetz laut Verfassungsartikel 6 erlassen hat. Die Umsetzung läßt noch immer auf sich warten. Es kann auch davon ausgegangen werden, daß die EU-Staaten 1992 (18. Dezember) in der UN-Generalversammlung der Minderheitendeklaration zugestimmt haben. Mit dieser Erklärung wurde der Art. 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ("In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich der eigenen Sprache zu gebrauchen") erneuert und bekräftigt.

Die UN-Minderheitendeklaration legt den Staaten eine politische Verpflichtung auf. Sie müssen günstige Bedingungen schaffen, um Minderheiten die Äußerung ihrer Eigenheiten zu ermöglichen - wie das Erlernen der Muttersprache, u.v.m.Die EU-Staaten scheinen ihre eingegangenen Verpflichtungen, mit der Zustimmung zur UN-Minderheitendeklaration auf der Generalversammlung vom 18. Dezember 1992, wissentlich zu übersehen. Die EU-Mitgliedsländer begeben sich auf das Niveau von Personen, denen man im alltäglichen Umgang nicht einmal die Hand reichen würde, von denen erwiesenermaßen nicht zu erwarten ist, daß sie sich wenigstens an eine schriftlich gegebene Vereinbarung halten. Das ist eine Politik des permanenten Wortbruchs.
 
Siehe auch:
Gefährdete Vielfalt - Kleine Sprachen ohne Zukunft
Für eine pluralistische Union: Minderheitenrechte gehören in die EU-Grundrechtecharta

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