An den Bundeskanzler der Republik Österreich
Dr. Wolfgang Schüssel
Die EU-Weisen und die Slowenen in Österreich
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Bozen,  18.9.2000

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Es mag Zufall sein, wenn der Verwaltungsgerichtshof erst nach Vorlage des Berichts der drei EU-Weisen und der damit verbundenen Aufhebung der EU-Sanktionen der kleinen slowenischen Sprachgruppe in der Steiermark die Anerkennung verweigert. Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach dem Verfassungsgerichtshof - eine Beschwerde des Artikel 7-Kulturvereins zur Entsendung von steirischen Slowenen in den Volksgruppenbeirat abgelehnt.

Ist die Entscheidung so ausgefallen, weil der Artikel 7-Kulturverein es gewagt hat, den EU-Weisen-Bericht zur Lage der Sprachminderheiten zu kritisieren? Was ist von den Ankündigung der österreichischen Bundesregierung einer neuen Minderheitenpolitik zu halten, die - so die verschiedensten Kommentatoren - unter dem Druck der EU zustande kam?

Die kleine slowenische Sprachgruppe in der Steiermark ist im Artikel 7 des Staatsvertrages von 1955 ausdrücklich erwähnt. Trotzdem weigern sich die Steiermark und die Republik, die slowenische Sprachgruppe anzuerkennen. Immerhin haben sich bei der Volkszählung 1991 mehr als 1.600 Bürger als slowenischsprachige Steirer erklärt. Der Artikel 7-Kulturverein geht davon aus, daß mehr als 5.000 Steirer der slowenischen Sprachgruppe angehören.

Die österreichische Bundesregierung engagiert sich zurecht für die deutsche Sprachgruppe in Slowenien. Der slowenische Staat, und vorher die jugoslawischen Behörden, haben die Existenz einer deutschen Minderheit nicht anerkannt. Ein Wissenschaftlerteam hat vor zwei Jahren nachgewiesen, daß die deutsche Sprachgruppe in Slowenen 2.000 Angehörige zählt. Viele weitere Staatsbürger Sloweniens altösterreichischer Herkunft zögern bis heute wegen der Verfolgungen in den Vergangenheit (Massaker und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg) und den Anfeindungen heute, ihre Identität zu erklären.

Ziehen Sie mit einer neuen Politik zugunsten der slowenischen Sprachgruppe in der Steiermark - und auch in Kärnten - einen Schlußstrich unter die Vergangenheit. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Deutsche in Slowenien diskriminiert und schikaniert, das Dritte Reich versuchte Kärnten mit "Umsiedlungen" und Massakern "slowenenfrei" zu machen, die Tito-Partisanen massakrierten daraufhin Slowenen-Deutsche.

Erkennen Sie angesichts dieser dramatischen Geschichte die steirischen Slowenen an. 45 Jahre nach dem Staatsvertrag ist es an der Zeit, daß eine österreichische Regierung mit dem Artikel 7 ernst macht. Die Anerkennung der steirischen Slowenen ist nicht die Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofs, sondern die Aufgabe der Regierung und des Parlaments, die dazu verpflichtet sind, Gesetze für die praktische Umsetzung der Anerkennung zu erlassen. Nur mit der Anerkennung ist der Weg geebnet für einen Dialog und die weitere interethnische Entspannung an der österreichisch-slowenischen Grenze sowie zwischen deutschsprachiger Mehrheit und slowenischsprachiger Minderheit in Kärnten und in der Steiermark.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, mit der längst überfälligen Anerkennung der steirischen Slowenen stoppen Sie die bisher forcierte Politik der Assimilierung. Dieses Signal ist eine Absage an eine fragwürdige Politik in der Tradition des ehemaligen Landeshauptmannes Josef Krainer, der seine steirisch-slowenischen Mitbürger als "eine Handvoll" abtat.
 
Siehe auch "Der Report des Österreichischen Volksgruppenzentrums an die drei EU-Weisen"

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