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Mehr als sechs Millionen Äthiopier brauchen Hungerhilfe

Schwere Vorwürfe gegen äthiopische Regierung: Plantagen für Biosprit und Blumenexport schüren Hungerkatastrophe

Bozen, Göttingen, 27. Oktober 2009

Hungerkatastrophe in Äthiopie. Foto: subcomandanta @ flickr.com. Hungerkatastrophe in Äthiopie. Foto: subcomandanta @ flickr.com.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat der Regierung Äthiopiens vorgeworfen, mit einer verfehlten Landwirtschaftspolitik die Hungerkatastrophe am Horn von Afrika zu verschärfen. "Statt der Nahrungsproduktion absoluten Vorrang zu geben, setzt Äthiopien auf die Erzeugung von Biosprit und den Anbau von Blumen für den Export", kritisierte der GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius am Dienstag in Göttingen. "So werden Kleinbauern und Nomaden von ihrem Land vertrieben oder zum Verkauf ihrer ohnehin kleinen Parzellen an zumeist ausländische Investoren gedrängt." In Äthiopien seien aufgrund einer langen Dürreperiode und geringen Regenfällen während der beiden letzten Regenzeiten nicht nur die Folgen des Klimawandels zu spüren. Die verheerenden Konsequenzen der Naturkatastrophe würden durch die Exportpolitik der Regierung noch zusätzlich verschärft. Außerdem trügen völkermordartige Übergriffe der äthiopischen Armee auf Somali in der Region Ogaden im Osten des Landes zur Hungersnot bei. Ende vergangene Woche hatte die äthiopische Regierung dringend um Nahrungsmittelhilfe für 6,2 Millionen Not Leidende gebeten.

Äthiopien ist mit seinen 85 Blumenplantagen zweitgrößter Blumenproduzent Afrikas. Seit Beginn der Blumenproduktion im Jahr 2000 hätten hunderte Bauern der Bevölkerungsgruppe der Oromo in der Umgebung der Hauptstadt Addis Abeba ihr Land ohne angemessene Entschädigung für die Plantagen verloren, berichtete Delius. In zahlreichen Fällen seien sie von Regierungsbeamten zum Verkauf ihres Landes gedrängt worden, das bislang die gesamte Großfamilie ernährte. Rund 85 Prozent der Äthiopier bauen ihre Nahrungsmittel selbst an. Die Regierung habe den Bauern Arbeit auf den Plantagen versprochen, doch mit Hungerlöhnen von weniger als einem Euro Tagesverdienst könne eine Familie nicht ernährt werden. Der massive Einsatz von Pestiziden schädige zudem die Gesundheit der Arbeiter, und der hohe Wasserbedarf der Plantagen beeinträchtigt die Nahrungsmittelproduktion in der Region.

"Noch katastrophaler sind die Folgen des Biosprit-Booms", sagte Delius. "Obwohl Millionen Äthiopier hungern, will die Regierung nun 2,7 Millionen Hektar Land an Investoren verpachten, die darauf Energiepflanzen wie Jatropha, Ölpalmen, Rizinus oder Zuckerrohr anbauen wollen." Mehr als 2.000 Unternehmen aus China, Indien, Saudi-Arabien und anderen Staaten hätten bereits investiert. Auch eine Tochterfirma eines Münchener Unternehmens plane Plantagen für Biodiesel auf 200.000 Hektar Land der unterdrückten Bevölkerungsmehrheit der Oromo. Eine Plantage von 15.000 Hektar habe die Firma bereits eingerichtet. Dafür würden Wälder gerodet, die für das Klima und die Bodenerhaltung wertvoll seien.

Äthiopiens Regierung behauptet, der Ausbau der Biosprit-Plantagen gefährde nicht die Nahrungsmittelproduktion, da nur landwirtschaftlich nicht genutztes Land verpachtet werde. "In zahlreichen Fällen konnte jedoch nachgewiesen werden, dass das Land zuvor doch von Kleinbauern und Nomaden genutzt wurde." So verloren Afar-Nomaden 80 Prozent des fruchtbaren Landes im Awash-Tal an eine Zuckerrohr-Plantage. Mindestens 330.000 Hektar wurden im Zentrum, im Süden und im Westen Äthiopiens bereits für Biodiesel-Projekte verpachtet, obwohl diese Nationalitätengebiete besonders von der Hungerkatastrophe betroffen sind.