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Oberster Gerichtshof Brasiliens

Wegweisende Entscheidung über indigene Landrechte

Bozen, Göttingen, 25. August 2021

Indigener Frauenmarsch in Brasilien als Widerstand gegen die repressive Politik Bolsonaros. Foto: Eliane Fernandes / GfbV. Indigener Frauenmarsch in Brasilien als Widerstand gegen die repressive Politik Bolsonaros. Foto: Eliane Fernandes / GfbV.

Der Kampf um ihr Land ist für die indigenen Völker Brasiliens essenziell. Eine wegweisende Entscheidung über ihre künftigen Chancen wird der Oberste Gerichtshof des Landes am heutigen Mittwoch fällen. Das Gericht befindet über den sogenannten "Marco Temporal": Danach dürfen indigene Völker ein Gebiet nur beanspruchen, wenn sie beweisen können, dass sie vor Inkrafttreten der brasilianischen Verfassung bereits dort gelebt haben. "Dieses Kriterium war eigentlich nie als Regel gedacht. Es sollte die Demarkierung eines einzelnen indigenen Territoriums erleichtern. Wenn es zur Regel erhoben wird, steht aber die Demarkierung zahlreicher Gebiete auf dem Spiel", erklärt Juliana Miyazaki, Referentin für indigene Völker bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV).

"Im Zusammenhang mit einer Räumungsklage gegen das Volk der Xokleng entscheidet sich heute, ob das Kriterium in Zukunft Anwendung findet. Wenn es dauerhaft bestehen bleibt, ist die Demarkierung von etwa 250 Gebieten gefährdet." Auf diesen Gebieten mit einer Gesamtfläche von 11 Millionen Hektar leben etwa 200.000 Indigene. "Wenn die Gebiete nicht als indigene Territorien demarkiert werden, droht den Menschen dort die Vertreibung aus ihrer traditionellen Heimat, die untrennbar mit ihrer Kultur verwoben ist. Die Zwangsräumung würde zur Auslöschung der Kultur dieser Völker führen", erläutert Miyazaki.

Die Räumungsklage der Regierung von Santa Catarina gegen die Xokleng bezieht sich auf das indigene Gebiet Ibirama-La Klãnõ, in dem auch die Völker der Guarani und Kaingang leben. Im Jahr 2019 gab der Oberste Gerichtshof des Landes dem Prozess den Status einer "allgemeinen Präzedenz": Die Entscheidung wird als Richtlinie für alle künftigen Demarkationsverfahren dienen. Etwa 30 dieser Verfahren warten auf die heutige Entscheidung, weil ihr Ergebnis unmittelbar von der Gültigkeit der Marco Temporal abhängt. Die Massenproteste, die derzeit in Brasilia stattfinden, unterstreichen die Bedeutung der Entscheidung für die indigenen Völker Brasiliens. "Seit Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 1988 waren nicht mehr so viele Indigene auf der Straße", berichtet Miyazaki. Über 6.000 Menschen aus 173 Völkern demonstrieren seit Montag gegen die Marco Temporal. Die Entscheidung des Obersten Gerichtes wird gegen 14 Uhr Ortszeit (19 Uhr MESZ) erwartet.

Zugleich richten sich die Proteste gegen mehrere geplante Gesetze, mit denen die Regierung Bolsonaro die wirtschaftliche Ausbeutung geschützter Gebiete wie des Amazonas-Regenwaldes erleichtern möchte. Neben den Regeln zur Demarkierung neuer Gebiete betrifft das unter anderem das Gesetz über Landraub und die Regeln zu Wasserkraft und Bergbau. "Zudem öffnet sich demnächst das Zeitfenster, in dem Brasilien aus der ILO-Konvention 169 austreten kann. Diese Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation ist das einzige verbindliche internationale Regelwerk zum Schutz indigener Völker", so Miyazaki. "Bolsonaro wird mit Sicherheit versuchen, diese Gelegenheit zu nutzen. Die indigene Bewegung in Brasilien hat also weitere Kämpfe vor sich."