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Darfur, Westsudan

Gri gri, le diable - Darfur, der Kriegswahn

Von Emilio Manfredi

Suleiman, Darfur, West SudanSuleiman sitzt in der Mitte des Zelts. Er lehnt sich an den Pfosten, der die gesamte Struktur aufrecht erhält, über ihm schützen zusammengebundene Tücher vor der Hitze und dem grellen Tageslicht. Neben ihm beobachtet sein Bruder Icham die Gäste und lädt sie zum Eintreten ein. Noch zwei Schritte und unser Fahrer und Dolmetscher Nassour schüttelt den Kopf. Er wartet vor dem Zelt auf uns. "Gri gri", sagt Nassour, "Gri gri, le diable, nicht reingehen, bitte, das ist nicht gut." Er ist sichtbar bedrückt und nur nach langen Überredungsversuchen ist er bereit, sich zu nähern. Suleiman sitzt noch immer dort, an den Pfosten gelehnt. Doch dann merken wir, dass er an diesen Pfosten angekettet ist: eine dicke Kette mit einem schweren Schloss, wie sie bei uns Gittertüren zuhalten, lässt ihm kaum Bewegungsfreiheit. Jetzt verstehe ich, weshalb Nassour nicht hierher wollte. Suleiman schreit, schimpft und spuckt. Er sagt Sachen, die keiner versteht. Keine Worte, sondern Laute, die auch für seine Familie unverständlich bleiben. Er schaut uns fest in die Augen und schreit. Der Bruder, sichtlich verlegen, erklärt, dass Suleiman ungefähr 35 Jahre alt ist. Früher hat er in der Region Karnoi, im Shamal Darfur, im Norden sein Land bestellt und seine Tiere versorgt. Im Dorf haben sie alle zusammengelebt. Eine für dieses Gebiet typische Großfamilie, deren Einkommen gerade fürs Überleben reicht.

Eines Tages, vor einigen Monaten, sind im Himmel die Antonov-Flieger der sudanesischen Armee aufgetaucht, haben das Dorf bombardiert, viele Häuser zerstört und viele Menschen getötet. An diesem Tag haben sie selbstgemachte Bomben abgeschossen: Erdölfässer, höchstwahrscheinlich voller Sprengstoff und Metallstücken, damit sie beim Aufprall in alle Richtungen fliegen und mehr Tote, mehr Verwundete verursachen. Für diese Bomben braucht es keine besondere Technologie: man öffnet ganz einfach die Hecktür und wirft sie hinunter.

Aicha, Darfur, West Sudan"Diese Bomben haben die Frau meines Bruders getötet", erzählt Icham. Gemäß der sich immer wiederholenden Tragödie dieses Krieges sind die Überlebenden aus dem Dorf geflohen und wurden dabei von den Janjaweed-Milizen, den unregelmäßigen von Khartoum bewaffneten Reitern, verfolgt. "Suleiman hatte zwei seiner Kinder mit sich. Sie wurden im Bush von den Janjaweed eingeholt. Er selbst wurde verwundet und musste mit ansehen, wie seine Kinder vor seinen Augen ermordet wurden. Später konnten wir ihn von dort wegholen. Seine Wunden sind mit der Zeit geheilt, aber seitdem ist er so..." Während Icham spricht, bleibt Suleimans Blick fest auf uns gerichtet. Dann ein Schrei, wie von einem verwundeten Tier und genauso plötzlich ist er dann regungslos, wie gelähmt.

"Die Familie schämt sich und hat außerdem etwas Angst vor ihm. Also binden sie ihn an, Tag und Nacht. Hier in den Flüchtlingslagern ist die Situation derart dramatisch, dass man sich nicht besonders um psychisch Kranke wie Suleiman kümmern kann. Man muss sich darum kümmern, Nahrung und Wasser aufzutreiben und alles wird furchtbar schwierig. "Für Menschen wie Suleiman gibt es nur das: an einen Pfahl gebunden, etwas Wasser, etwas Nahrung und sonst nichts." Wer so spricht ist Mariam, auch sie ist Flüchtling und damit beschäftigt, die auf den Krieg zurückzuführenden psychischen Krankheitsfälle zu erheben. "Es ist nicht nur diese Familie", erklärt sie während wir zwischen den Zelten umherfahren, "alle behandeln sie so."

Aicha, Darfur, West Sudan"Ihr Kind wurde nach der Flucht aus dem Dorf geboren. Aicha war nicht verheiratet, sie wurde vergewaltigt, verstehst du? Die Janjaweed sind in ihr Haus eingedrungen, es waren sehr viele. Sie haben Aicha vergewaltigt und dann haben sie alles niedergebrannt. Sie hat mit ihrer Mutter überlebt und dann ist dieses Kind geboren. Sie kümmert sich um das Baby, liebt es, aber den Verstand hat sie nicht wiedergewonnen. Also bindet sie die Mutter an das Zelt fest und lässt das Baby neben ihr." Ein anderes Zelt, ein sehr hübsches Mädchen, dessen Blick sich in der Leere verliert, ein Lächeln, das nur sie selbst versteht. Aicha ist gerade sechzehn Jahre alt. Die Mutter schaut sie an und erklärt uns, dass sie mit ihr nicht weiter weiß, dass sie früher nicht so war, dass sie ihre Tochter und das Baby liebt. Sie möchte, dass ihre Tochter behandelt wird und bittet um Hilfe, aber alles was bleibt ist Stille, die Laute des Babys und Aichas fixes Lächeln.

"Come, please, come inside", mit einem verständlichem Englisch lädt uns Adam in sein Zelt ein. Von draußen kann man nicht hineinschielen: das hier ist ein wahres Zelt, das kommt von der UNO. Nur das Zeltdach ist eingebrochen und man muss auf Knien hineinkriechen. Nach dem grellen Sonnenlicht brauche ich etwas Zeit, um mich an das dunkle Innere zu gewöhnen. Dann endlich kann ich ihn sehen: Adam, jung und sehr dunkelhäutig. Er ist vollkommen nackt und wie die anderen, ist auch er mit Ketten und Schlössern angekettet. Bei Adam sind die Ketten besonders eng: sie schneiden sich in das Fleisch ein, die offenen Wunden sind von Schweiß und Sand entzündet. "Woher kommst du?", will er wissen, "komm näher." In der Hand hält er eine Wasserschüssel, die er plötzlich gegen seine Gäste schleudert. Dann schickt er uns weg. Auch er ist so geworden nachdem sein Dorf überfallen wurde, nach all den Toten und Verwundeten, nach den zerstörten Häusern und den toten Tieren. Auch er wurde angebunden, eingeschlossen in seine Welt.


Hier im Flüchtlingslager von Toulum, an der Grenze zwischen Tschad und Sudan, werden Suleiman, Aicha und Adam keine Hilfe finden. Ihre Verwandten glauben, dass sie die Gri-gri, die bösen Geister, haben. Bei uns würde man sagen, dass sie besessen sind. Wie sie gibt es hier und in allen Flüchtlingslagern noch viel mehr Menschen. Bei diesen Lebensbedingungen hier ist es äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich, sich um sie zu kümmern. Unzählbare Opfer eines unzählbaren afrikanischen Kriegs. Eines der vielen Erscheinungsbilder, vielleicht das Unsichtbarste, der humanitären Krise im Darfur. Wahrscheinlich wäre alles viel einfacher, wenn die Gri-gri tatsächlich für ihre Krankheit verantwortlich wären. Dann gäbe es keine Vergewaltigungen, keine Toten, keine selbstgemachten Bomben, nichts von all dem. Dann gäbe es nicht diese endlose Zeltlandschaft voller leidender Menschen, die ohne irgendeine Zukunftsaussicht reglos an diesen Platz gezwungen sind. Seit Anfang der Katastrophe sind bereits ein Jahr und viele Monate vergangen.

Emilio Manfredi ist Dokumentarfilmmacher und Freelance-Journalist. Im August 2004 war er im Darfur, Westsudan, wo seit eineinhalb Jahren ein Krieg zwischen sudanesischer Regierung und Rebellen wütet, der zu einer erschreckenden humanitären Katastrophe ausgeartet ist. 70.000 Tote, eineinhalb Millionen Vertriebene, 150.000 Flüchtlinge, die im benachbarten Tschad Zuflucht vor den regierungsnahen Janjaweed-Milizen gesucht haben.

Übersetzung von Sabrina Bussani. Auf Italienisch veröffentlicht von Peacereporter www.peacereporter.net/dettaglio_articolo.php?idart=474.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/africa/darfur-de.html | www.gfbv.it/3dossier/africa/darfur-ibra.html | www.gfbv.it/3dossier/africa/darfur-delius.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040928sudan.pdf [PDF, 130 KB] | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040928de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040917de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040909de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040824de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040813de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040715ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040713de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040702de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040611de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040608de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040526de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040525de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040406de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040114de.html

* www: english.daralhayat.com | www.gurtong.com | www.sudan.net

Letzte Aktual.: 18.1.2005 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/africa/darfur-mande.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign, Info: M. di Vieste

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