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Kenia: Großwildjäger contra Rinderhirten

Bejagbare Schutzzone für Wildtiere bedroht traditionelle Weidewirtschaft der Maasai

Von Trinh Nguyen

Bozen, Göttingen, November 2013

Maasai in traditionellen Gewändern. Foto: Peter Prokosch/GRID-Arendal/www.grida.no. Maasai in traditionellen Gewändern. Foto: Peter Prokosch/GRID-Arendal/www.grida.no.

Dösende Löwen in der Mittagssonne, Elefanten, die zu Wasserstellen ziehen, grasende Gnu- und Zebraherden - alles scheint friedlich zu sein. Doch die Idylle im Norden Tansanias trügt. Denn die Tiere sind im Fadenkreuz von adligen und vermögenden Großwildjägern, die sich mit selbst erjagten Trophäen brüsten wollen. Seit den 1990er Jahren ist das Jagdunternehmen Ortello Business Company (OBC) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten in dem ostafrikanischen Land umtriebig. Die Regierung erteilte dem Unternehmen großzügig Jagdlizenzen, um reiche Touristen ins Land zu locken. Nicht nur die Tiere sind in Gefahr, sondern auch die Maasai und ihre Viehherden geraten zunehmend in die Schusslinie.

Seit Jahrhunderten ziehen die Maasai mit ihren Herden über die weiten Ebenen im Norden Tansanias und im Süden Kenias, um ausreichend Nahrung und Wasser für ihre Tiere zu finden. In den vergangenen

Jahrzehnten wurden ihre Wanderwege immer stärker eingeschränkt und die Rinderzüchter in einige Gebiete wie nach Loliondo im Norden Tansanias verdrängt.

Der 4.000 Quadratkilometer große Landstrich Loliondo grenzt an die Serengeti. Der Nationalpark ist berühmt für seine vielfältige Tierwelt und eines der letzten großen Ökosysteme, durch das mehr als zwei Millionen Wildtiere jedes Jahr auf der Suche nach Nahrung und Wasser bis nach Kenia ziehen. 1959 erklärte die britische Kolonialregierung Loliondo zu einem Schutzgebiet, in dem seit 1974 jedoch gejagt werden darf. Gleichzeitig liegen dort auch große und wichtige Weideflächen, die die Maasai während der Trockenzeit nutzen.

Seit 1992 wird um das Land von Loliondo gestritten: Die Regierung verpachtete zu jener Zeit einen Teil des Schutzgebiets an die OBC, die in der Region Großwildjagden organisieren. Sechs betroffene Maasai-Siedlungen liegen im Hauptjagdgebiet des Jagdunternehmens. Die Bewohner von Loliondo wurden beim Abschluss des Pachtvertrags jedoch nicht gefragt, obwohl sie das Land offiziell besitzen. Bereits in den 1980er Jahren war Loliondo Ziel für Einwanderer und ausländische Investoren, weil die Regierung das Wachstum der Landwirtschaft ankurbeln wollte. Die Investoren beanspruchten immer mehr Flächen, am Ende des Jahrzehnts nahmen ihre Landansprüche das gesamte Gebiet Loliondo ein. 1990 stellte das Ministerium für Landwirtschaft den Maasai schließlich Besitzurkunden über die Ländereien aus, um sie vor weiteren Veräußerungen zu schützen. 1992 schlugen die Politiker nach der Veränderung des politischen Systems von einem Einparteien- zu einem Mehrparteienstaat einen anderen Kurs ein.

Einen dramatischen Höhepunkt erreichte der Loliondo-Konflikt im Juni 2009 während einer der schlimmsten Dürre im Land. Der tansanische Präsident Jakaya Kikwete veranlasste Polizisten, die Bewohner von acht Maasai-Dörfern zwangsumzusiedeln, damit die OBC auch dieses Gebiet für ihre hochkarätige Klientel nutzen kann. Die Viehhirten leisteten zwar Widerstand, doch es half nichts. Sie wurden gewaltsam vertrieben und mussten sich im Osten des SerengetiNationalparks eine neue Existenz aufbauen. Mehr als 200 Maasai-Häuser, die sogenannten "bomas", wurden damals niedergebrannt. Schätzungsweise 20.000 Menschen - darunter auch die Maasai - verloren ihr Hab und Gut und beklagten den Verlust vieler Tiere. Es wird angenommen, dass mehr als 50.000 Rinder von Weide- und Wasserstellen weggetrieben wurden und mehr als die Hälfte der Rinder infolgedessen starben. Immer wieder versucht der seit 2005 amtierende Präsident, der OBC noch mehr Land- und Jagdrechte zuzusprechen.

Khamis Kagesheki, Minister für Naturressourcen und Tourismus, erklärte im März 2013, von den 4.000 Quadratkilometern Schutzgebiet Loliondo solle ein 1.500 Quadratkilometer großer Streifen zum Schutz der Wanderwege der Wildtiere, der Brutstätten und eines Wassereinzugsgebiets zur Pufferzone werden. Die Maasai dürften in dieser Zone ihre Tiere an wichtigen Wasser- und Weidestätten nicht grasen lassen. "Großzügig" fügte Kagesheki hinzu, dass die Maasai über die verbliebenen 2.500 Quadratkilometer Land frei verfügen können. "Es ist nicht wahr, dass die Regierung uns 2.500 Quadratkilometer Land gab. Im Gegenteil: Sie hat uns 1.500 Quadratkilometer Land genommen und es der OBC überlassen", klagt Yannick Ndoinyo, ein Maasai-Führer des Olosokwan-Ward-Klans.

Mit der angeblich geplanten Wildschutzzone will die Regierung in Wahrheit dem Jagdunternehmen OBC entgegenkommen und ihm so exklusive Jagdrechte einräumen. Jagdsaison ist von Juli bis Dezember. Diese Zeitspanne überschneidet sich jedoch mit der Trockenzeit von Juni bis November. Die Maasai können mit ihren Rinderherden aufgrund dessen wichtige Weide- und Wasserstellen kaum nutzen, da sie Gefahr laufen, dass ihre Tiere oder sogar sie selbst erschossen werden. Für die Maasai bedeutet das Überleben ihrer Tiere in dieser ländlichen Region jedoch auch das eigene Überleben. Mehr als 90 Prozent der Halbnomaden züchten Rinder, um sie im benachbarten Kenia zu verkaufen und mit dem Erlös Nahrungsmittel, Kleidung, Schulgebühren und andere Dinge für den täglichen Gebrauch zu bezahlen. "Es ist die einzige Lebensführung, die wir haben. Alles erhalten wir von den Rindern", sagt Singa Sandeya, eine alte Maasai, die mehr als 40 Rinder besitzt.

Die geplante Schutzzone für Wildtiere würde etwa 66.000 Maasai und ihre Tiere aus ihrem angestammten Gebiet vertreiben. Darüber hinaus würden die Maasai rund 40 Prozent der wesentlichen Weidestätten verlieren. Ihnen bleiben nur 2.500 Quadratkilometer eingezäunte Landfläche, ihr traditionelles Viehhirtenleben könnten sie nicht weiterführen. Dieses Szenario wäre ein "Todesurteil" für die seit Jahrhunderten halbnomadische traditionelle Lebensweise der Maasai, Sie würden in bitterste Armut stürzen, falls sie auch dieses kleine Fleckchen Land verlieren "zugunsten" des Jagdfiebers von adligen und reichen Touristen .

Aus pogrom-bedrohte Völker 276 (2/2013)