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Afghanistan nach den Taliban

Die "Pax americana" brachte keinen gerechten Frieden und keine Demokratie

Interview von Wolfgang Mayr an Michael Pohly

Strassenszene in Afghanistan. Foto: Michael Pohly.Im Auftrag der Ebert-Stiftung hielt sich Michael Pohly, Dozent am Institut für Iranistik an der FU Berlin und langjähriger "pogrom"-Autor, in den Sommermonaten in Afghanistan auf.

bedrohte Völker: Ein Jahr nach dem 11. September und ein Jahr "pax americana" - Afghanistan auf dem Weg in eine demokratische und laizistische Zukunft?
Michael Pohly: Es gibt auch ein Jahr nach der "pax americana" keine Stabilität oder Sicherheit in dem Land. Statt die Perspektive in dem Land auf eine demokratische Zukunft auszurichten, hat die USA auf ihre Kriegsmaschinerie gesetzt. In den Provinzen agieren die US-Streitkräfte mit den alten Warlords, die mit ein Grund waren für das Aufkommen und die Akzeptanz der Taliban. Dort ist de facto Kriegsrecht und die US-Soldaten führen sich stellenweise auf wie Landsknechte. Sie sind die Exekutive und Gesetz zugleich. Unter dem Namen von Al-Kaida kann und wird denunziert. Der oder die Denunzierten haben keine Rechte.

bedrohte Völker: Welche Rolle spielt Präsident Karzai?
Michael Pohly: Karzai, der Mann der USA, hat sich nicht mit laizistischen oder demokratischen Beratern umgeben, sondern mit ehemaligen Anhängern der hezb-e islami. Die hezb-e islami des Gulbuddin Hekmatyar (ein afghanischer Milosevic) ist inzwischen offiziell mit den Resten von Al-Kaida und den Taliban zusammengegangen und versuchen erneut das Land zu destabilisieren. Von einem demokratischen Aufbruch ist wenig zu spüren. Die wenigen und schwachen Parteien, die Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben haben, finden zu wenig Unterstützung und stehen unter permanter Beobachtung der Interimsregierung. Drohungen, Einschüchterungen und Verfolgung sind an der Tagesordnung.

bedrohte Völker: Haben die Taliban-Befreier kein entsprechendes Zukunfts-Projekt?
Michael Pohly: Die "Befreier" haben kein politisches Konzept vorgelegt. Bereits in Bonn am Petersberg war klar zu erkennen, dass die USA mittels der UN ihre Vorstellungen durchdrücken. Eine tatsächliche Gestaltung für andere Länder gab es nicht, geschweige denn eine Mitsprachemöglichkeit. Dadurch dass die USA einseitig auf die Nordallianz gesetzt hat - zunächst als Hilfstruppe - später nach deren Aufrüstung als Ordnungsfaktor, wurde der Weg für eine demokratische Perspektive verstellt.

Schulen auch wieder für Mädchen in Afghanistan. Die Schultracht wurde von Sima Samar selbst eingeführt, um möglichen Restriktionen religiöser Fanatiker zuvorzukommen. Foto: Michael Pohly.bedrohte Völker: Und die UNO schaute unbeteiligt zu?
Michael Pohly: Mit Brahimi (ehemaliger UN-Beauftrager für Afghanistan) hatten die USA auch auch im Gegensatz zu Vendrell (neuer UN-Beauftragter) einen willigen Vollzieher. Bereits am Petersberg durften die wenigen Vertreter der afghanischen zivilen Gesellschaft nur am "Katzentisch" teilnehmen und nicht an der Verhandlung. Auch die Chance, die es durch die "emergency loya jirga" gab, wurde sträflichst vertan. Die Art und Weise der Regie und die Abservierung des Ex-Königs, verprellten viele Afghanen, nicht nur die Paschtunen, sondern auch andere Ethnien. Durch das ungeschickte Agieren verlor Karzai den letzten Kredit bei den Paschtunen und gilt in deren Augen nur noch mehr als Handlanger der USA und als "Wachs" in den Händen der Warlords. Diese hatte er während der emergency loya jirga systematisch wieder an die Macht zurückgeholt. Diese dankten es ihm nicht, sondern stellten weiter Forderungen, die die Uhren in dem geschundenen Land wieder zurückdrehen wollen.

bedrohte Völker: Das soll im Sinne der Anti-Terror-Allianz, der USA sein?
Michael Pohly: Der Bush Sondergesandte unterstützte dieses Vorgehen, zusammen mit Brahimi. Die Rolle der UNO war mehr als zweifelhaft. Inzwischen ist der "Katzenjammer" eingekehrt, die Interimsregierung und deren Vorsitzender Karzai haben realisiert, dass sie keinerlei Unterstützung in der Bevölkerung haben. Noch spricht man von einer Legitimationskrise, deutlicher und besser wäre von einer Diktatur zu reden, die keinerlei Kontrolle außerhalb Kabuls hat.

bedrohte Völker: Die NGO wie die Frauenorganisation "shuhada" von der Ärztin Sima Samar werden offensichtlich auch von der UNO übersehen?
Michael Pohly: Auch bei einigen Vertretern der UNO fängt ein Umdenken an und es stellt sich die Frage, wie die Zivilgesellschaft unterstützt und aufgebaut werden kann. An größere Projekte oder gar an finanzielle Unterstützung ist momentan nicht zu denken.

bedrohte Völker: Gespräche mit demokratischen Organisationen wurden gar nicht gesucht?
Michael Pohly: An demokratische Organisationen haben die USA nicht geglaubt und sie haben auch keine Versuche gestartet, mit denen ins Gespräch zu kommen. In den Provinzen bedienen sie sich der Verbrecher von gestern.

Schulen auch wieder für Mädchen in Afghanistan. Die Schultracht wurde von Sima Samar selbst eingeführt, um möglichen Restriktionen religiöser Fanatiker zuvorzukommen. Foto: Michael Pohly.bedrohte Völker: Wie hat sich das Verhältnis zwischen den Paschtunen und übrigen Nationalitäten entwickelt?
Michael Pohly: Das Verhältnis der Paschtunen zu den anderen Nationalitäten ist im tagtäglichen Umgang normal. Es hängt davon ab, ob sich durch die Zugehörigkeit zu einer Religion oder Nationalität andere Dinge damit instrumentalisieren lassen. Momentan ist es so, dass prinzipiell fast jeder Paschtune gleichgesetzt wird mit Al-Kaida und Taliban. Sie sind weitgehend von einer Machtbeteiligung ausgeschlossen. In den nördlichen Provinzen werden sie z.T. verfolgt und es gab bereits neue Wellen von Flüchtlingen, die aus Ghor und Badghis, aber auch aus anderen Provinzen geflohen sind, weil sie permanent Übergriffen ausgesetzt sind.

bedrohte Völker: Die Taliban-Bewegung wurde großteils von Paschtunen getragen. Finden die Taliban noch Zustimmung unter den Paschtunen?
Michael Pohly: Die Taliban haben ideologisch ausgespielt. Sie waren zum Schluss ja auch unter den Paschtunen ziemlich verhasst. Gleichzeitig hatten sie jedoch ein Element der Stabilität geschaffen. Reisen war zu jener Zeit ungefährlich, im Gegensatz zu heute. Als ein größeres Problem stellt sich dar, dass in den Provinzen noch nichts angekommen ist. Die Hilfsgelder versacken in Kabul und die Provinzen kämpfen ums nackte Überleben. Je länger dieser Zustand andauert, umso stärker können die Taliban u.a. damit rechnen, erneuten Zulauf zu bekommen. Noch sind sie nicht das Auffangbecken der Unzufriedenen. Sollte es jedoch dabei bleiben, dann werden sie zu einer ernsten Gefahr, zumal sie immer noch über große Geldmittel verfügen, die sie zu diesem Zweck auch einsetzen.

bedrohte Völker: Sie haben die zivile Gesellschaft zitiert. Haben die Überreste dieser zivilen Gesellschafen irgendwelche Einfluss-Chancen?
Michael Pohly: Es gibt Spuren einer zivilen Gesellschaft, sie hat durchaus Einfluss in den verschiedensten Bereichen. Offiziell jedoch nicht. Sie werden bei ihrer Arbeit behindert, verfolgt, schlichtweg gibt es keine Regelung oder Vorschriften, Gesetze, die ihnen Rechte garantieren. In den Provinzen sind sie gänzlich von der Willkür der Warlords abhängig.

bedrohte Völker: Warum nimmt die Anti-Terror-Allianz von der zivilen Gesellschaft keine Notiz?
Michael Pohly: Die USA haben ihr eigenes Programm. Sie sprechen mit niemandem darüber, selbst die Isaf erfährt nichts von den Aktionen der USA. Diese wiederum nehmen von der Zivilgesellschaft keine Notiz. Es sind einfach zwei verschieden Bereiche, die nicht miteinander verflochten werden.

bedrohte Völker: Schon in Bosnien und im Kosovo hatte der Westen kein politisches Konzept - wie Rückkehr der Vertriebenen, Garantie des Multi-Ethnischen, usw. Diese Konzeptionslosigkeit gilt wohl auch für Afghanistan?
Michael Pohly: Der Westen existiert in der Form nicht. Wie erwähnt, verfolgen die USA ihr eigenes Konzept und setzen auf Leute, die sie an die Macht bringen. Sie wollen "ihre Neger", mehr nicht. Ihr Interesse ist klar. Präsenz vor Ort, Sicherung der Ressourcen, Bau der Pipeline (Gas evtl. Öl), Eindämmung des russischen Einflusses, des chinesischen und des iranischen. Die Flüchtlingslager werden planlos aufgelöst; es gibt nahezu keine Möglichkeiten, für diese in ihre alten Dörfer zurückzukehren, da dort keine Aufbaumaßnahmen vorgenommen wurden. Dies betrifft nicht nur Paschtunen, sondern auch Panjshiris, Usbeken u.a. Viele Panjshiris, die vor Masud und den Taliban geflohen sind, dürfen nicht zurück, weil die herrschende Clique fürchtet, dass sie in den eigenen Dörfern an Einfluss verliert, wenn diese zurückkehren. Deshalb werden viele in sogenannten Auffanglagern untergebracht. Einige stranden auch in Kabul. Spätestens im Winter werden die erst kürzlich aufgelösten Flüchtlingslager z.B. in Herat sich wieder füllen, da die Menschen jetzt schon keine Möglichkeit haben, sich "zuhause" zu versorgen.

Zur Person: Michael Pohly eröffnete in Kabul ein Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er versuchte die demokratischen Organisationen zusammenzubringen. Das Büro der Ebert-Stiftung nahm unter der Leitung von Pohly Kontakte zu den Stammesvertretungen auf. Ziel war es, die einzelnen Räte zu verbinden. Von den 41 unabhängigen jirgas haben sich 34 zusammengeschlossen, die gemeinsam eine Zeitung publizieren. Die Ebert-Stiftung betreute außerdem die erste unabhängige Frauenkonferenz. Pohly veröffentlichte gemeinsam mit dem Islam-Forscher Khalid Duran das Ullstein-Buch "Nach den Taliban - Afghanistan zwischen internationalen Machtinteressen und demokratischer Erneuerung". Vor einem Jahr publizierten Pohly und Duran die Biografie "Osama bin Laden und der internationale Terrorismus" (Ullstein).

Aus pogrom 215 (5/2002)


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/asia/afghan/afghan-mp1.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/afghan/afghan-maed-de.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/afghan/omid-de.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/afghan/afghan-samar.html
* www: www.ticino-afghanistan.ch | www.shuhada.org
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Letzte aktual.: 2.12.2002 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/asia/afghan/afghan-pohly.html | WEBdesign, Info: M. di Vieste
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