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Brasilien

Lula's Regierungsprogramm zur Förderung von Entwicklung und was das für die indigenen Völker des São Francisco bedeutet

Sabrina Bussani

Bozen, 6. April 2010

Trukà-Indigener am Rio São Francisco inCadrobó. Foto: Zincler. Trukà-Indigener am Rio São Francisco inCadrobó. Foto: Zincler.

Als Luiz Inácio Lula da Silva am 27. Oktober 2002 die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden konnte, war die Freude im Land groß. "Ich hatte meine gesamte Gemeinde davon überzeugt, für ihn zu stimmen, denn er unterstützte unsere Causa und war, so wie wir, ein Gegner der Großprojekte.", so erzählt Manoel Uilton Dos Santos, Anführer des Volkes der Tuxá und seine Verbitterung ist dabei nicht zu überhören, " Nun, so scheint es, hat Lula seine Meinung geändert und wir stehen mit unseren Anliegen alleine da, wurden betrogen und haben niemanden, der uns auf politischer Ebene vertritt."

Manoel Uilton ist Mitglied der indigenen brasilianischen Organisation APOINME und ist in diesem Winter (16. Januar bis 8. Februar 2010) gemeinsam mit Edilene Bezerra Paileú vom Volk der Trukà und mit Saulo Ferreia Feitosa vom brasilianischen Indianermissionsrat CIMI quer durch Europa gefahren, um Menschen außerhalb Brasiliens für die Kampagne "Opará" zu sensibilisieren. Eine Myriade indigener Völker nutzt diese Kampagne, um sich gegen das Mega - Projekt der Umleitung des Flusses São Francisco auszusprechen und die damit einhergehenden Umweltverschmutzungen und Menschenrechtsverletzungen öffentlich anzuklagen.

Der São Francisco fließt durch sechs brasilianische Bundesstaaten und hat mit seinen3.160 km Länge das drittgrößte Einzugsgebiet des Landes. Opará - der "Meeresfluss", wie er von den Indigenen genannt wird, ist von lebenswichtiger Bedeutung für die die 33 indigenen Völker und die verschiedenen afro - brasilianischen Gemeinschaften (quilombolas), die an dessen Ufern leben. Nur dank des Flusses ist das Überleben der rund 70.000 Flussanreiner gesichert: er ermöglicht ihnen eine landwirtschaftliche Tätigkeit, Bewässerung, Fischfang oder Viehzucht und ist außerdem fester Bestandteil der lokalen Kultur(en), denn Weltbilder, religiöse und spirituelle Praktiken, Rituale usw. sind eng mit der Existenz des Sao Francisco verwoben.

Das brasilianische Heer kontrolliert die Umleitungsarbeiten. Das brasilianische Heer kontrolliert die Umleitungsarbeiten.

Allerdings wird der São Francisco in seiner heutigen Form nicht mehr lange existieren, denn, sollte es wie geplant zur Verwirklichung des Transposição - Projektes kommen, wird der Fluss im wahrsten Sinne des Wortes vom Zement verschluckt werden. Das in Brasilien unter dem Namen Transposição laufende Projekt ist der politische Schachzug des Präsidenten Lula Da Silva, der im Januar 2007 den PAC, also den Plan zur Beschleunigung der Entwicklung Brasiliens initiiert hat. Dieses hydraulische Megaprojekt hat einen Kostenumfang von voraussichtlich 2,5 Milliarden Euro und sieht den Bau von zwei je 600 km langen Kanälen zur Umleitung des Flusses vor, weiters die Installation von zwei hydroelektrischen Dämmen zur Ergänzung der schon bestehenden sieben Dämme, den Bau von neun Pumpstationen, 27 Aquädukten, 8 Tunnels, sowie 35 Staudämmen. Das Ganze soll das Problem der Wasserversorgung in den semi - ariden Zonen im Nordosten Brasiliens ein für allemal lösen.

Protestmarsch Indigener gegen die Transposição. Protestmarsch Indigener gegen die Transposição.

Die Idee zu diesem Projekt ist nicht neu: bereits im 19. Jhdt. hatte der Imperator Pedro II. etwas Derartiges ins Auge gefasst. Im Laufe der Zeit wurde seine Idee immer wieder aufgegriffen, neu überarbeitet und schließlich wurde, nach einer der schlimmsten Dürrekatastrophen der Geschichte im Nordosten Brasiliens im Jahr 1999, mit der konkreten Planung begonnen. Im Jahre 2007 wurde sodann mit dem Bau des ersten Umleitungskanals begonnen und zwar durch das brasilianische Heer. Glaubt man den Informationen der Regierung werden rund 12 Millionen Menschen und 268 Städte vom Transposição - Projekt profitieren.

Diese Zahlen scheinen vieles zu gerechtfertigen, was die Verabschiedung des Projektes überschattet: Kompetenzkonflikte, Verdunkelungen und Ungenauigkeiten in Bezug auf Studien zur Umweltverträglichkeit, irreguläre Lizenzerwerbungen, mangelnde Entschädigungen der FlussanrainerInnen, Vernachlässigungen des von Seiten der Nationalen Wasseragentur als Alternative vorgebrachten ATLAS Projekts, sogar - und dies ist der gravierendste Punkt - Unterlassung bzw. Verhinderung des Miteinbezugs der vom Projekt betroffenen indigenen Völker durch Konsultation und Mitbestimmung, obwohl dies durch die brasilianische Verfassung und die im Jahre 2002 verabschiedete ILO Konvention 169 gesetzlich vorgeschrieben wäre.

Kinder trinken am São Francisco. Foto: Zincler. Kinder trinken am São Francisco. Foto: Zincler.

In der Tat hat sogar die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in ihrem diesjährigen Jahresbericht die brasilianische Regierung dazu aufgerufen, die begangenen Rechtsverstöße in detaillierter Form aufzuklären. Anfangs wurde die Transposição noch von den Gemeinden im Nordosten unterstützt, da sie sich erhofften, dass dadurch die anhaltenden Probleme des Trinkwassermangels gelöst würden. Dies änderte sich jedoch, nachdem die Gemeinden begriffen hatten, dass sie den Anschluss an die Aquädukte aus eigener Tasche bezahlen mussten, wobei die Preise nicht nur enorm hoch, sondern für den größten Teil der armen Gemeinden schier unbezahlbar sind.

Dies alles ist Grund genug, grobe Zweifel am Nutzen des Projekts für die Lokalbevölkerung zu äußern. Tatsächlich wird aus einer nicht bloß oberflächlichen Lektüre des öffentlichen Projekttexts ersichtlich, dass nur 4% der umgeleiteten Gewässer zu Gunsten der Landbevölkerung genutzt werden sollen, obwohl diese Gruppe von Menschen am Stärksten von den Dürreproblemen betroffen ist. 26% des Wassers sind für den urbanen und industriellen Gebrauch bestimmt und unglaubliche 70% der Gewässer sollen für Projekte zur Intensivbewässerung von Monokulturplantagen multinationeler Konzerne oder für die Krabbenzucht verwendet werden.

Zahllose zivilgesellschaftliche Organisationen, Gemeinden von Flussanrainern, FischerInnen sowie indigene Völker setzen sich nun gegen die Verwirklichung des Projektes ein. Der Bischof Luiz Flavio Cappio sowie der Nobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel sind dabei die wohl berühmtesten Mitstreiter in diesem Kampf. So machte Bischof Cappio schon des öfteren durch Hungerstreiks von sich hören und er drückt seine Meinung zum Großprojekt unmissverständlich aus: "...es (das Projekt) ist ungerecht aus einer sozialen Perspektive, da es nur einer kleinen Gruppe von Mächtigen Vorteile bringt; es ist in Bezug auf die Auswirkungen auf die Umwelt untragbar und wird den Fluss unwiderruflich schädigen; es ist wirtschaftlich unerträglich und basiert auf Verklärung: Alternativprojekte würden nur die Hälfte kosten und könnten den Menschen die vierfache Wassermenge garantieren."

Während also in Brasilien die Bauarbeiten fortgesetzt werden, versuchte sich eine kleine brasilianische Delegation in Europa Gehör zu verschaffen: ihre Mitglieder brachten ihre Anliegen in mehreren italienischen und deutschen Städten vor, trafen sich sogar mit VertreterInnen der UNO und der ILO in Genf, sowie mit EU -ParlamentarierInnen in Brüssel.

"Oh ja, es gibt bereits Menschen, die sich in die neun Meter tiefen Kanäle hinabseilen, um Wasser zu "stehlen", weil sie so durstig sind", erzählt Saulo Ferreira Feitosa vom CIMI, "und sollten nächstes Jahr die Bauarbeiten an den Dämmen von Riacho Seco und Pedra Branca beginnen, werden 22.000 Menschen ihren Grund und Boden verlassen müssen, um dem Stausee Platz zu machen. All diese Menschen wissen weder, wo sie leben werden, noch ob sie ihre Rechte in irgendeiner Form wahrnehmen werden können."

Übersetzung von Ulrike Griesser.