Frieden durch Menschenrechte
Rede gehalten von Mateo Taibon anläßlich des Friedenskongresses Ende Oktober 1999 in der Philharmonie in München
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Sehr geehrte Damen und Herren,
werte um den Frieden bemühte Anwesende!

Nicht der Wohlstand, nicht der technologische Fortschritt, sondern der Friede ist das höchste Gut, das die Menschheit erreichen kann und erreichen muß. Einen wesentlichen Fortschritt hat ein Teil der Menschheit immerhin schon gemacht, nämlich den, daß heute weit weniger als in der Vergangenheit die Kriegsherren als Helden gefeiert werden. Das allgemeine Bewußtsein um den Wert des Friedens ist gestiegen. Weniger gestiegen ist die Bereitschaft der Staaten bzw. der Regierungen bzw. der Regime, den Frieden als Grund-gut der Menschheit anzusehen.

Viele beschwören den Frieden. Mißtrauen ist angebracht. Man spricht von Frieden. Und meint in Wahrheit den Waffenstillstand. Man spricht von Frieden - und meint die Unterwerfung des Schwächeren durch den Stärkeren. Man beschwört den Frieden - und meint die Freiheit, daß der Stärkere sich über die Rechte des Schwächeren hinwegsetzt, man meint die Gesetzlosigkeit, daß man den Schwächeren zum Stillhalten zwingt. Viele beschwören den Frieden. Doch ist Mißtrauen angebracht. Einen dauerhaften Frieden, wie man ihn so schön nennt, also ganz einfach den Frieden und nicht einen Waffenstillstand, kann es nur dann geben, wenn alle Menschen die gleichen Rechte haben. Der einzige Weg zum Frieden ist die restlose und vollständige Umsetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker engagiert sich seit ihrem Bestehen für die Umsetzung der Menschenrechte. Dabei verfolgt sie ein ganz einfaches, einleuchtendes Prinzip:
Alle Menschenrechte für alle.- Menschenrechte sind nicht teilbar, Menschenrechte sind nicht interpretierbar.

Menschenrechte müssen in jeder Situation und für alle Menschen in gleichem Maße gelten. Doch gerade dieses so simple Prinzip erweist sich als die größte Schwierigkeit. Zuoft wird zuerst gefragt, wer die Menschenrechtsverletzungen begeht, dann erst wird ein Urteil gefällt, dann erst wird interveniert oder agiert oder demonstriert. Die Menschenrechte, dies eine wesentliche Forderung der GfbV, dürfen nicht den Ideologien untergeordnet werden.

Europa hat einen Krieg hinter sich, um den viel diskutiert, demonstriert und debattiert wurde, den sogenannten Kosovo-Konflikt. Dieser Konflikt hat gezeigt, wie unterschiedlich schwere Menschenrechtsverletzungen, ja Völkermord beurteilt wird. Die GfbV hat sich damals für die Kosovaris eingesetzt wie sie sich jetzt für die Serben und Roma einsetzt, die von nationalistischen Kosovaris vertrieben werden. Man kann nicht zu Menschenrechtsverletzungen das eine Mal protestieren und das andere Mal schweigen. Man kann Menschenrechtsverletzungen nicht danach beurteilen, ob sie von rechts oder von links kommen, ob die Opfer Kosovaris, Kroaten, Bosnier oder Serben, ob sie Christen, Moslems, Hinduisten oder Buddhisten sind.

Einem grausamen Krieg sieht Europa in diesen Monaten zu - in Tschetschenien - doch dazu schweigt der größte Teil der Öffentlichkeit. Täglich gibt es neue Meldungen über die verbrecherische Vorgangsweise der russischen Streitkräfte. In diesem Fall wird - anders als im Kosovo-Krieg - nicht auf den Straßen demonstriert, wird nicht in Fernsehen debattiert. Die russischen Streitkräfte begründen ihr Vorgehen mit dem angeblichen, nie nachgewiesenen tschetschenischen Terrorismus. Geht man mit Flächenbombardements und RaketeNbeschuß von Wohnvierteln und Dörfern gegen Terroristen vor? Geht man gegen den Terrorismus damit vor, daß man die Fluchtwege für die Flüchtenden - für jene Menschen, die aus den nochmals zertrümmerten Trümmern ihrer Dörfer und Städte fliehen - versperrt?

Der Westen hat mit der finanziellen Hilfe für Russland zu diesem Krieg beigetragen. Unterstützt wurde der russische Machtapparat, nicht jedoch der Aufbau in Tschetschenien, wo jetzt die Ruinen des letzten Krieges nochmals bombardiert werden. Die GfbV fordert die Verantwortlichen in europäischen Politik dazu auf, den Massakern der russischen Armee in Tschetschenien entschlossen entgegenzutreten. Die Verantwortlichen für diesen Krieg gehören vor das Kriegsverbrechertribunal! Solchen Leuten darf man nicht Währungshilfe gewähren, solchen Leuten darf man und kann man nicht bei Staatsbesuchen Hymnen vorspielen und rote Teppiche ausrollen und erlesen Speisen darbieten!

Daß es zu so einem Schritt so schnell nicht kommt, ist klar. Jene Staaten, in denen die meisten Teilnehmer dieser Konferenz leben, haben ihr Interesse nicht an Menschenrechten, sondern an Geschäften. Dies beweisen die vielen Waffenlieferungen an jene Staaten, die Menschenrechte massiv verletzen. Man liefert Waffen z.B. an die Türkei - und wundert sich daß Kurden fliehen? Auch wer dem Mörder das Messer schleift, ist am Mord schuldig. Die europäischen Staaten stehen Schlange vor dem Völkermörder Türkei, um ihm die Mordinstrumente zu verkaufen. Europa muß diese Beihilfe zum Mord einstellen. Sofort und bedingungslos.

Doch nicht nur wo Bomben fallen, werden Menschenrechte verletzt. Menschenrechte werden auch verletzt, wenn Sprachminderheiten in Europa diskriminiert werden. Es gibt leider keinen Staat, der seine Minderheiten prinzipiell gut behandelt. Die jeweiligen Mehrheiten gehen zumeist mit einer unglaublichen Präpotenz über die Anliegen der Minderheiten hinweg.

Man erlebt derzeit in einem Bundesland nicht in der Türkei, nicht in Chile, sondern in der Bundesrepublik Deutschland eine diesbezüglich tragische Entwicklung. Das kleine Siedlungsgebiet einer Minderheit soll zerstört werden, um Kohle zu gewinnen, Mitglieder der sorbischen Minderheit sollen ihr Gebiet verlassen, damit einige wenige ihr gutes Geschäft machen können. Solche Vorgangsweisen gehören nicht zum Aufbau von Gerechtigkeit, gehören nicht zum Aufbau des Friedens. Der Aufbau des Friedens geht zwangsweise über den Weg der Menschenrechte. Wo für andere Menschen kein Platz ist, wo andere Menschen getreten werden, vertrieben werden, ist kein Frieden möglich.

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