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Pogrom bedrohte Völker Nr. 300, 3/2017
Bozen, Göttingen, July 2017
Index
Editorial, Sandy Naake | UN
feiert 10 Jahre Erklärung für die Rechte indigener
Völker: "Wir brauchen eine Konvention!" | Protestmärsche: "Wir sind immer noch hier!" - Protest
in Washington gegen die DAPL | Delegationsreisen: "Wir haben es satt, dass unsere Rechte
stetig verletzt werden"
Von Sandy Naake
Minderheiten verschaffen sich gehör: Aktiv, kreativ und provokativ, pogrom / bedrohte Völker 300 (3/2017).
Liebe Leserinnen und Leser,
"Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt
sie kräftig an und handelt", wusste der italienische Dichter
Dante Alighieri bereits im 13. Jahrhundert. Und auch heute
handeln viele Menschen nach diesem Credo, weil sie
Missstände nicht hinnehmen, sondern zu beseitigen versuchen.
Dabei lassen sie sich einiges einfallen, um sich Gehör zu
verschaffen.
Juden in Polen nutzen das World Wide Web, um
jüdisch-polnische Geschichte aufzuarbeiten. Indigene
Filmemacher erzählen ihre eigenen Geschichten, weil
nicht-indigene Regisseure eher die "Exotik" indigener Völker
porträtieren, als sich mit ihrer Lebenswirklichkeit
auseinanderzusetzen. In Nordwestafrika zupft die Tuareg-Band
Tinariwen seit mehr als 30 Jahren Gitarrensaiten, um auf die Lage
ihres Volkes aufmerksam zu machen. In den USA greifen die Native
Americans auf altbewährte Protestformen zurück, um dem
Raubbau an Mutter Erde ein Ende zu setzen. Oft bedarf es
großen Mutes, für Menschenrechte einzutreten. So wie
der Radiosender Arta FM im nordsyrischen Amuda, der inmitten des
Bürgerkriegs versucht, die Bevölkerung mit
unabhängigen Informationen zu versorgen. Diese Arbeit hatte
bereits ihren Preis: Ein Videojournalist von Arta FM wurde
entführt und neun Tage lang festgesetzt und
verhört.
In eigener Sache: Und auch wir sind aktiv, kreativ und
provokativ. 300 Ausgaben von bedrohte Völker - pogrom sind
mittlerweile erschienen. Wir prangerten
Menschenrechtsverletzungen an, gaben Opfern eine Stimme und
nannten die Täter beim Namen. Wir zeigten Lösungen
für Konflikte auf, die ein friedliches Zusammenleben und den
Respekt für die Identität und Lebensweise von
ethnischen sowie religiösen Minderheiten einschließen.
Wir scheuten uns nicht vor unbequemen Forderungen. Und wir werden
dies auch unermüdlich weiter tun!
Wir wünschen allen eine angenehme und interessante
Lektüre!
Sandy Naake
[Titelbild] Der brasilianische Künstler Eduardo Kobra gestaltete anlässlich der Olympischen Sommerspiele 2016 am Boulevard Olimpico in Rio de Janeiro fünf Wandgemälde mit fünf indigenen Gesichtern, die fünf Kontinente repräsentieren: die Mursi aus Äthiopien (Titelbild) für Afrika, die Karen aus Thailand für Asien, die Huli aus Papua-Neuguinea für Ozeanien, die Tapajos aus Brasilien für Süd-, Mittel- und Nordamerika und die Tschuktschen aus Russland für Europa. Foto: Stefano Ravalli/Flickr BY-NC-SA 2.0.
Von Claus Biegert
Vom Himalaya bis Honduras: Das Treffen war ein Spiegel der kulturellen Vielfalt; über Facebook wurden die Mitstreiter, die daheim bleiben mussten, it in die internationale Arena geholt. Foto: Claus Biegert.
Sollten wir nicht zufrieden sein? Respekt gilt den
Ureinwohnern und Mutter Erde. Gerechtigkeit hält Einzug in
die indigene Welt. Es gibt sogar eine Deklaration, die das alles
regelt: die "UN-Erklärung für die Rechte indigener
Völker". Vor zehn Jahren trat sie in Kraft. Ein Grund zum
Feiern. Das Ständige Forum für indigene
Angelegenheitendiente als Plattform für die Gratulanten. In
der heiligen, hohen Halle der UN-Vollversammlung traten die
Redner ans Pult. Sie sei geehrt, hier auf dem Land der Lenape zu
sein, sagte Carolyn Bennett, die kanadische Ministerin für
"Indian and Northern Affairs" bei der Eröffnung am 24.
April. Sie sprach, als sei sie der Kultur der First Nations ganz
nah. Ist sie persönlich vielleicht auch, während die
Gewinnung von Ölsand indianisches Land im Norden
zerfleischt.
INDIGENOUS. Die Wände vibrierten bei diesem Wort. Kein Satz
von Regierungsvertretern ohne "Indigenous". Erst Andrew Gilmour,
Berater des UN-Generalsekretärs und Leiter des Büros
des Hochkommissars für Menschenrechte, rückte das Bild
wieder etwas zurecht. Es sei ja große Ignoranz von
Nöten, um zu leugnen, dass unser Wettrennen um
Bodenschätze die Lebensräume indigener Völker
weltweit schrumpfen lässt. Für Klartext sorgte
endgültig Boliviens Präsident Evo Morales, der mit
seiner flammenden Rede am zweiten Tag den Tenor für die
kommenden zwei Wochen vorgab: Kapitalismus sei das Resultat und
die Fortsetzung des Kolonialismus. Und der Krieg gegen die Natur
sei ein Krieg gegen Naturvölker und Naturschützer. Das
Programm zeigte, dass in der Organisation durchaus progressive
Kräfte mitwirken konnten: Ein halbtägiges Panel galt
der Gewalt an indigenen Frauen. Und erstmals gab es einen
"Indigenen Medienraum", der intensiv genutzt wurde und zugleich
eine Würdigung der kontinuierlichen und sorgfältigen
Arbeit indigener Medien war. Zwischen all den Nachrichten der
Verfolgung von (nicht nur indigenen) Naturschützern gab es
eine Meldung, die als deutliches positives Zeichen eines
Paradigmenwechsels in die Welt strahlen wird: Das Parlament von
Neuseeland erklärte vor wenigen Wochen den heiligen Fluss
der Maori, Whanganui, zur juristischen Person. Von nun an
können Wächter des Whanganui vor Gericht gehen und in
seinem Namen klagen. Die Augen der Maori-Delegierten
glänzten, als sie davon erzählten.
Die Deklaration wird von UN-Seite als das Instrument des 21.
Jahrhunderts gesehen - für die Betroffenen jedoch ist das
rechtlich unverbindliche Dokument eine Zwischenstation auf dem
langen Weg, der vor 40 Jahren mit einem kleinen Büro des
International Indian Treaty Councilim Church Center for the
United Nations* und einer großen Konferenz im Palais des
Nations in Genf begonnen hatte. Phyllis Young, 70, war eine
Mitstreiterin der ersten Stunde. Als Sprecherin von Standing Rock
lud sie zu einem Treffen in das Church Center, um klarzustellen,
dass Präsident Trump den Widerstand gegen die
Dakota-AccessPipeline als auch gegen alle anderen Pipelines nie
brechen können werde. Der Widerstand gegen Pipelines trifft
sich mit dem Widerstand gegen den Abbau von Uran, Ölsand,
Zink, Seltene Erden. Es wird klar: Unsere Industriegesellschaft
lässt sich ohne Verletzung der Menschenrechte kaum
aufrechterhalten. Ein Film macht zeitgleich die Runde durch die
USA: "First Daughter and Black Snake" - ein Manifest gegen
Ölpipelines. Der Film folgt der indianischen Aktivistin
Winona LaDuke auf ihrer Protestroute durch die USA. Ein Roadmovie
des Widerstands.
Die Deklaration: eine Etappe. Das Ziel: eine UN-Konvention
für die Rechte indigener Völker. Was beim Empfang des
Seventh Generation Fund** noch die Gespräche bestimmte,
wurde bald darauf ins UN-Protokoll diktiert: Oren Lyons,
Häuptling der Onondaga-Nation, sprach im Namen aller
indianischen Nationen Nordamerikas. Drei Minuten. Lyons ging am
Stock zum Rednerpult, bald wird er 90, am Mikrofon richtet er
sich auf, wird mit jedem Wort jünger. Zweieinhalb Minuten
über die Lage der erwärmten Erde und die Notwendigkeit
der Kooperation mit indigenen Völkern am Vorabend der
Katastrophe. Dann kommt er zum Punkt: Die Deklaration hat ihre
Schuldigkeit getan, jetzt brauchen wir eine Konvention. Es ist
gesagt!
Wieder werden Jahrzehnte vergehen. Wir, so heißt es in
einem indianischen Gedicht der siebziger Jahre, wir haben den
längeren Atem. Die Jüngeren, die jetzt zum ersten Mal
die Gänge der UN durchirren, werden die Arbeit fortsetzen.
Und irgendwann in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts, sofern es
dieses Gebäude einer um Frieden ringenden Weltgemeinschaft
noch gibt, wird der Tadodaho der Haudenosaunee (höchster
Häuptling der Irokesen-Konföderation) am Rednerpult
stehen und die Verabschiedung der "Konvention für die Rechte
indigener Völker" eröffnen.
Während Trump in Harrisburg/Pennsylvania seine 100 ersten
Tage als unvergleichlichen Erfolg feierte, riefen ihn in der
US-Haupstadt 200.000 zur Vernunft. Während Trump vor seiner
Gefolgschaft die Erderwärmung leugnete und ankündigte,
das Pariser Klimaabkommen zu kündigen, herrschten vor dem
Weißen Haus 34 Grad Celsius. Es war der heißeste 29.
April in der Geschichte der Stadt.
* Das Church Center for the United Nations ist
ein Zusammenschluss christlicher Kirchen und wurde 1960
gegründet. Das Gebäude gehört der United Methodist
Church und steht gegenüber dem UNHauptgebäude in New
York.
** Der Seventh Generation Fund (SGF) ist eine Schaltstelle
zwischen Stiftungen und indianischen Stammesprojekten. SFG leitet
Anträge an Stiftungen weiter und tritt gegenüber den
Stiftungen als Bürge für die Antragsteller auf.
Claus Biegert arbeitet für den Bayerischen Rundfunk, die Süddeutsche Zeitungsowie die Magazine Oyaund natur.Er wurde vor allem bekannt durch zahlreiche Publikationen über seine Recherchen bei den Indianern in den USA und in Kanada. 1992 hat er mit anderen die Weltkonferenz "World Uranium Hearing" in Salzburg organisiert. Indigene Völker berichteten dort von den Folgen der Atomindustrie. Biegert ist Gründer des NuclearFree-Future-Award und Beiratsmitglied der Gesellschaft für bedrohte Völker.
Von Anna Brietzke
Auf dem Weg zum Weißen Haus: Der Protestmarsch Tausender Standing-Rock-Aktivisten in Washington DC, vorneweg selbstbewusste Jugendliche mit einer klaren Botschaft. Foto: Vision Planet Media/Flickr BY-NC-ND 2.0.
"Recognize Indigenous Peoples' Rights. We Exist. We Resist. We Rise." - "Erkennt die Rechte indigener Völker an. Wir existieren. Wir leisten Widerstand. Wir erheben uns." Diese Worte sind eine eindeutige Forderung und ein Statement des Widerstands zugleich. Sie stehen auf einem der vielen Banner bei einer Demonstration Tausender Menschen in Washington. Am 10. März 2017 wurde der Protest gegen die Dakota-Access-Pipeline (DAPL) in die US-Hauptstadt Washington gebracht. Etwa 5.000 Menschen zogen zum Weißen Haus, um gegen den Bau der Pipeline zu demonstrieren. Der Standing Rock Sioux Tribe und Native Nations Rise, ein Zusammenschluss US-amerikanischer indigener Organisationen, haben den Protestmarsch initiiert. Gemeinsam riefen sie nicht nur innerhalb der USA, sondern weltweit dazu auf, an dem viertägigen Protest teilzunehmen oder an anderen Orten Solidarität zu bekunden. So sollte der friedliche Widerstand, der seit April 2016 gegen die Pipeline geleistet wird, auch in Washington präsent werden. In North Dakota verläuft die Pipeline nahe der Grenze zum Reservat des Standing Rock Sioux Tribe. Sie durchkreuzt dabei heilige Orte wie Grabstätten, die während des Baus zerstört wurden. Auch unzählige Seen und Flüsse unterquert die Pipeline, wie beispielsweise den Missouri River, der in den Lake Oahe, das einzige Trinkwasserreservoir für die dort ansässigen Native Americans,mündet und direkt an das Reservat der Standing Rock Sioux angrenzt. Ein einziges Leck würde schon das Trinkwasser von etwa 18 Millionen Menschen gefährden.
Besonders in den vergangenen Monaten hat Standing Rock globale
Aufmerksamkeit erfahren. Viele Native American Nations wie die
Cherokee und Navajo, andere indigene Gruppen aus der ganzen Welt,
Menschenrechtsorganisationen, Umweltschützer oder
berühmte Musiker und Schauspieler haben sich mit der
Protest-Initiative solidarisiert. Nachdem das Hauptcamp Oceti
Sakowin in North Dakota am 22. Februar 2017 endgültig
geräumt worden war, wählten die Aktivisten den
Protestmarsch als ihre neue Aktionsform. Sie wollten im
politischen Zentrum der USA Präsenz zeigen und deut-lich
machen, dass sie den Widerstand nicht aufgeben. Gleichzeitig
sollte der Marsch die Menschen in ihrem Einsatz gegen das Projekt
vereinen. Dem Protestmarsch gingen drei Aktionstage voraus, an
denen Workshops und Zeremonien stattfanden. Währenddessen
standen mehrere Tipis neben dem Washington Monument - Symbole
für die zahlreichen bereits geräumten und noch
bestehenden Protestcamps im ganzen Land.
Der Marsch in Washington begann vor dem Gebäude des U.S.
Army Corps of Engineers,welches das Pipeline-Projekt genehmigt
hatte. Die Aktivisten trugen unzählige Plakate, musizierten,
sangen, tanzten und riefen immer wieder "You can't drink oil,
keep it in the soil!" - "Öl kann man nicht trinken, lasst es
im Boden!" oder "Mni wiconi"- "Wasser ist Leben". Unterwegs
stoppten sie vor dem Trump International Hotel. Da der
US-Präsident den immensen Widerstand gegen die
Ölpipeline entweder ignoriert oder versucht hat, ihn mit
Polizei- und Militärkräften gewaltsam zu verhindern,
beschlossen die Initiatoren des Marsches, diesen Protest direkt
zu ihm zu bringen: "Diese Bewegung ist zu einem kraftvollen
globalen Phänomen geworden. Es zeigt, wie notwendig es ist,
indigene Völker zu respektieren sowie ihr Recht darauf, ihre
Heimat, die Umwelt und zukünftige Generationen zu
schützen. Es ist Zeit, dies vor die Tür des
Weißen Hauses zu bringen", bekräftigt die Bewegung
Native Nations Risein ihrem Aufruf zum Protestmarsch.
Und deshalb endete der Marsch am Lafayette Square vor dem
Weißen Haus. Bei der Kundgebung berichteten einige Redner
von ähnlichen Protestbewegungen andernorts, denn die
Dakota-Access-Pipeline ist kein Einzelfall. Überall in den
USA gibt es ähnliche Projekte, die bereits realisiert, noch
im Bau oder in Planung sind. So zum Beispiel die
Keystone-XL-Pipeline, die von Alberta in Kanada bis nach Texas
verlaufen soll. Sie würde durch das Land mehrerer indigener
und nicht-indigener Gemeinschaften führen und riesige
Trinkwasserreserven gefährden. Die Jumano, Apachen und
Conchos wehren sich gegen die Trans-Pecos-Pipeline in West Texas.
Und die Navajo, auch Diné genannt, protestieren gegen
Fracking in Chaco Canyon/New Mexico. Die Menschen, die sich
diesen Projekten entgegenstellen, unterstützen sich in ihren
Protesten gegenseitig.
"Es ging eben nicht nur um den Widerstand gegen ein Projekt,
sondern um die Verteidigung von Lebensweise, Weltanschauung und
Würde", sagte Johannes Rohr von der Internationalen
Arbeitsgruppe für indigene Angelegenheiten(IWGIA) in einem
GfbV-Interview im März 2017 über das Protestcamp
Standing Rock. Auch bei dem Protestmarsch in Washington ging es
den Aktivisten nicht allein darum, Widerstand gegen die DAPL zu
leisten. Ihre Botschaft ist weitreichender: Sie erinnerten an die
Verantwortung, die wir gegenüber zukünftigen
Generationen haben. Des Weiteren forderten sie, indigene
Souveränität sowie internationale Verträge, die
Indigenen ihre Rechte zusichern, zu respektieren. Bei der Planung
der DakotaAccess-Pipeline wurde die UN-Deklaration für die
Rechte indigener Völker, die von den USA zwar nicht
ratifiziert wurde, jedoch mittlerweile offiziell unterstützt
wird, nicht eingehalten. Auch hätte das Prinzip des Free,
Prior and Informed Consent angewendet werden müssen. Die
Native Americans, die vom Bau der Pipeline betroffen sind,
hätten vorher zustimmen müssen - und zwar nach
Offenlegung aller Informationen und ohne jede Form von
Druckausübung. Doch dies wurde, wie in vielen anderen
Fällen auch, ignoriert. Zudem hat der
Pipeline-Bauträger Energy Transfer Partners ein staatliches
Gutachten zur Umweltverträglichkeit umgangen, indem er das
Großprojekt in viele Einzelprojekte unterteilt hatte.
Die Standing-Rock-Aktivisten sagen auch nach dem jüngsten
Protestmarsch in Washington: "Wir sind immer noch hier!" Sie
setzen nun auf Divestment, eine Protestform, bei der dem Projekt
die finanzielle Grundlage entzogen wird. Dieser Druck brachte
zumindest einige der 17 Banken, die das Projekt mit insgesamt 2,3
Milliarden Euro finanzieren, dazu, ihre Entscheidung zu
überdenken: Ende Februar verkündete die Bayern LB, dass
sie die bereits vertraglich geregelten Zahlungen zwar noch
erfüllen werde, doch eine Weiterfinanzierung ablehne. Im
März verkaufte auch die niederländische ING ihren
Kredit über 200 Millionen Euro. In den USA kündigen
Privatkunden ihre Konten bei beteiligten Banken und auch die
Stadt Seattle möchte Ende 2018 ihren Vertrag mit der Wells
Fargo nicht verlängern.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die rechtlichen Instanzen zum Bau
der Dakota-Access-Pipeline äußern werden. Einige
US-amerikanischen Gerichte haben die Klagen der Standing Rock
Sioux und anderer Aktivisten abgelehnt. Die Juristen sahen es als
erwiesen an, dass der Bau der Pipeline rechtmäßig
verlief. Ende März befand sich bereits das erste Öl in
der Pipeline, zu dem Zeitpunkt war der Bau noch nicht an allen
Stellen abgeschlossen. Im Mai wurde ein erstes Leck in South
Dakota bekannt, bei dem etwa 300 Liter Öl aus der Pipeline
flossen. Am 1. Juni wurde die Dakota-Access- Pipeline
fertiggestellt. Doch noch stehen mehrere Gerichtsentscheidungen
aus und der Widerstand gegen die Pipeline sowie viele andere
bleibt standhaft.
Standing Rock ist zu einem internationalen Symbol für
indigenen Widerstand geworden. Weltweit kämpfen Indigene,
die durch Rohstoffabbau ihre Rechte verletzt sehen, gegen
Konzerne und Regierungen. Immer wieder werden Land- und
Selbstbestimmungsrechte indigener Völker übergangen und
Verträge gebrochen. Der Protest der Standing Rock Sioux und
ihrer Unterstützer hat viele Menschen inspiriert und
ermutigt, weiter dafür zu kämpfen, dass indigene Rechte
respektiert werden.
Protestmärsche haben
Tradition
Die Tipis vor dem Washington Monument erinnern an das Jahr 1978.
Damals war die US-Hauptstadt das Ziel des fast 5.000 Kilometer
langen "Longest Walk", des "Längsten Marsches". Hunderte
Aktivisten des American Indian Movement(AIM) und
Unterstützer der Bewegung durchquerten in fünf Monaten
das Land, von Alcatraz im Westen nach Washington D.C. im Osten.
Am 15. Juli 1978 erreichten sie ihr Ziel. Mit dem Protestmarsch
wollten sie gegen elf Gesetzesentwürfe protestieren und die
US-amerikanische Bevölkerung darauf aufmerksam machen, dass
sämtliche Verträge, die je mit indigenen Nationen
geschlossen wurden, annulliert werden sollten: Fischerei-, Jagd-
und Landrechte sollten abgeschafft und Reservate aufgelöst
werden. Der "Longest Walk" war einer der größten und
längsten Protestmärsche in der Geschichte der USA. Und
er war erfolgreich: Keiner der Gesetzesentwürfe wurde
durchgesetzt. Stattdessen wurde im gleichen Jahr der "American
Indian Religious Freedom Act" verabschiedet. Dieses Gesetz gibt
den Native Americans das Recht, ihre traditionellen Religionen
auszuüben. 30 Jahre später wurde der "Longest Walk"
wiederholt: "Für einige von uns ging der Längste Marsch
nie zu Ende", sagten die Organisatoren als sie 2008 noch einmal
die Strecke auf sich nahmen, um für Menschenrechte und den
Schutz der Umwelt zu protestieren.
[Zur Autorin] Anna Brietzke absolvierte im Frühjahr 2017 ein Praktikum in der Redaktion der bedrohte Völker - pogrom. Sie hat Lateinamerika- und Altamerikastudien (Bachelor) in Bonn studiert und ein Auslandssemester in Mexiko gemacht. Für ihre Bachelorarbeit über Mobilität und Zugehörigkeiten junger Menschen im ecuadorianischen Andenhochland recherchierte sie vier Wochen in Ecuador.
Sie kämpfen gegen Umweltverschmutzung und die Verletzung ihrer indigenen Rechte in den USA: die Water Protectors Rachel Heaton, Nataanii Means, Wašté Win Young und Rafael Gonzalez. Bereits bei den Protesten gegen die Dakota-Access-Pipeline (DAPL) in North Dakota waren sie dabei. Vom 20. Mai bis 14. Juni 2017 reisten die Native Americans durch Europa, um über ihren Widerstand zu berichten und Menschen zu motivieren, sich aktiv für Menschenrechte und Umweltschutz einzusetzen. Anfang Juni waren sie auch in Deutschland zu Gast. Bei einem Waldspaziergang durch den vom Kohleabbau bedrohten Hambacher Forst kamen Cécile Lacavalerie und Franziska Rocholl, die zurzeit das GfbV-Referant Indigene Völker unterstützen, mit Rafael Gonzalez ins Gespräch.
Während ihrer Reise in Europa besuchten die Water Protectors auch den Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen. Foto: Cécile Lacavalerie.
Kannst du dich kurz vorstellen?
Mein Name ist Rafael Gonzalez. Ich bin aus Minneapolis,
Minnesota. Ich bin Mdewakanton Dakota und Puerto Rican
Taíno. Ich bin ein Water Protector [Beschützer des
Wassers] und Hip-Hop-Künstler.
Was sind deine Formen des Protests?
Eine lange Zeit war ich in der Jugendsozialarbeit tätig - so
sechseinhalb Jahre. Und das ist für mich auch eine Form von
Aktivismus. Aber ich habe bis zum No-DAPL-Protestcamp nicht
wirklich an vorderster Front bei gewaltfreien Aktionen
mitgemacht. Bevor ich mich aktiv an den Protesten im
Standing-Rock-Camp beteiligt habe, habe ich dort Lebensmittel und
andere Güter verteilt. Das war harte Arbeit.
Wie habt ihr versucht, gegen den Bau der Pipeline zu
protestieren?
Wir sind zum Beispiel zu einer Baustelle gegangen, um den
weiteren Bau der Pipeline zu verhindern. Wir standen auf den
Maschinen, viele Water Protectors haben sich an die Maschinen
gekettet. So haben wir den Bau für Monate anhalten
können. Schließlich wurden wir gezwungen, das Camp zu
verlassen. Das Land ist seit 1851 Vertragsgebiet. Ich bin Dakota.
Das bedeutet, dass ich Recht auf dieses Land habe. Das ist unser
Land. Dass sie uns von unserem Land vertreiben, bedeutet, dass
sie den Vertrag brechen. Die Regierung verletzt die
US-amerikanische Verfassung, sie verletzt unsere Rechte.
Letztlich erließ Donald Trump ein Dekret, um nicht nur die
DAPL, sondern auch die KeystoneXL-Pipeline durchzusetzen. Es war
erschütternd zu hören, aber wir geben unseren Protest
nicht auf.
Wie geht euer Protest weiter?
Momentan sind wir in Europa auf Tour. Reisen in verschiedene
europäische Städte und Länder, um unsere
Divestment-Kampagne zu erklären: Momentan finanzieren
Großbanken Projekte wie die DAPL. Wir wissen, dass viele
dieser Banken europäische sind. Deshalb sind wir auch hier.
Wir wollen diesen Banken mitteilen, dass sie ökonomischen
Völkermord und Umweltrassismus finanzieren. Sie
unterstützen die Entweihung von unserem heiligen Land. Sie
unterstützen die drohende Verschmutzung von
Trinkwasserreserven in Standing Rock. Dort leben mehr als 8.000
Menschen. Aber diese Pipelines bedrohen auch das Wasser von 18
Millionen Menschen, die von dem Trinkwasser des Missouri River
abhängig sind. Wir sind hier, um den europäischen
Banken zu sagen, dass sie ihre Gelder aus diesen Projekten
zurückziehen müssen. Wir sagen es ihnen nicht nur, wir
fordern es ein.
Sie müssen desinvestieren, anstatt zu investieren. Wir haben
es satt und sind es müde, dass unsere Rechte stetig verletzt
werden. Nicht nur die Rechte der 18 Millionen Menschen, die von
dem Trinkwasser abhängig sind, werden verletzt. Es ist auch
eine Verletzung aller natürlichen Ökosysteme, die sich
in dieser Region befinden. Das ist super wichtig, weil wir uns um
die Tiere sorgen und weil wir uns um Mutter Erde sorgen. Wir
fühlen uns mit Europa aber auch verbunden, weil das Öl,
das die DAPL transportiert, in die ganze Welt exportiert und
verbrannt wird. Die Ölverbrennung erhöht die
CO2-Emission in der Luft, die Atmosphäre erhitzt sich, die
Polarkappen schmelzen und der Meeresspiegel steigt weiter. Das
bedeutet, dass unsere Küstenlinie, nicht nur in Turtle
Island, sondern auch die Küsten in Europa Gefahr laufen,
überflutet zu werden.
Wir sind solidarisch mit allen Aktivisten, die sich gegen den
Klimawandel hier in Europa anken europäische sind. Deshalb
sind wir auch hier. Wir wollen diesen Banken mitteilen, dass sie
ökonomischen Völkermord und Umweltrassismus
finanzieren. Sie unterstützen die Entweihung von unserem
heiligen Land. Sie unterstützen die drohende Verschmutzung
von Trinkwasserreserven in Standing Rock. Dort leben mehr als
8.000 Menschen. Aber diese Pipelines bedrohen auch das Wasser von
18 Millionen Menschen, die von dem Trinkwasser des Missouri River
abhängig sind. Wir sind hier, um den europäischen
Banken zu sagen, dass sie ihre Gelder aus diesen Projekten
zurückziehen müssen. Wir sagen es ihnen nicht nur, wir
fordern es ein. Sie müssen desinvestieren, anstatt zu
investieren. Wir haben es satt und sind es müde, dass unsere
Rechte stetig verletzt werden. Nicht nur die Rechte der 18
Millionen Menschen, die von dem Trinkwasser abhängig sind,
werden verletzt.
Es ist auch eine Verletzung aller natürlichen
Ökosysteme, die sich in dieser Region befinden. Das ist
super wichtig, weil wir uns um die Tiere sorgen und weil wir uns
um Mutter Erde sorgen. Wir fühlen uns mit Europa aber auch
verbunden, weil das Öl, das die DAPL transportiert, in die
ganze Welt exportiert und verbrannt wird. Die Ölverbrennung
erhöht die CO2-Emission in der Luft, die Atmosphäre
erhitzt sich, die Polarkappen schmelzen und der Meeresspiegel
steigt weiter. Das bedeutet, dass unsere Küstenlinie, nicht
nur in Turtle Island, sondern auch die Küsten in Europa
Gefahr laufen, überflutet zu werden. Wir sind solidarisch
mit allen Aktivisten, die sich gegen den Klimawandel hier in
Europa einsetzen und wir sind solidarisch mit allen anderen
Bewegungen, die gegen ökonomischen Völkermord und
Umweltrassismus kämpfen, wir sind solidarisch mit jedem
Menschen, der für Mutter Erde kämpft. Deshalb bin ich
hier.
Pogrom-bedrohte Völker 300 (3/2017)
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/agri2014-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/media2013-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/crescita2012-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/woman2011-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/brasil-belo.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/global-sozial.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/global.html |
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/dekade.html
in www:
http://sitn.hms.harvard.edu/flash/2015/thrills-and-spills-the-keystone-xl-pipeline/
|
www.un.org/development/desa/indigenouspeoples/declaration-on-the-rights-of-indigenous-peoples.html
|
www.globalwitness.org/en/campaigns/environmental-activists/defenders-earth/