Antifaschismus & Südtirol:
Der Schützenbund soll die eigene faschistische Vergangenheit aufarbeiten!
Antifaschismus darf nicht einäugig sein und darf nicht dazu mißbraucht werden, um Ressentiments gegen unsere Mitbürger zu schüren!
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Bozen, 28.8.2001


Der Major des Südtiroler Schützenbundes Paul Bacher hat der GfbV in Göttingen einen Brief zukommen lassen mit dem Vorschlag, in Sachen Antifaschismus und faschistische Relikte in Südtirol zusammenzuarbeiten. Die GfbV hat folgende Antwort abgeschickt (bereits im April - eine Antwort darauf hat sie bis heute nicht erhalten):

Betreff: Antifaschismus

Sehr geehrter Herr Bacher,

wir danken Ihnen für Ihr Schreiben und für Ihr Interesse an unserer Tätigkeit. Wenn Sie unsere Stellungnahmen, Dossiers und Aktionen ein wenig verfolgt haben, konnten Sie sicher feststellen, dass wir uns ohne jegliche ideologische Einengung für die Menschenrechte einsetzen. Unser bewährter Leitspruch seit mehr als 30 Jahren: Alle Menschenrechte für alle. Menschenrechte sind nicht teilbar.

Zum antifaschistischen Anliegen der Schützen: Die faschistischen Relikte in Südtirol sind zahlreich, und keines davon hat auch nur irgendwie eine Berechtigung. Das faschistische Regime versuchte in diesem Land nicht eine - was die Schützen und die Südtiroler allgemein allzu gerne vergessen - sondern zwei Sprachgruppen zu vernichten. Zum Versuch der Auslöschung der Ladiner schweigt sich der Schützenbund jedoch aus. Zu den Maßnahmen zur Auslöschung Ladiniens gehörte u.a. die Dreiteilung Ladiniens.

Außerdem wurde nach dem Krieg von deutscher Seite wiederholt versucht, den Ladinern den Muttersprachunterricht zu verwehren und in den ladinischen Tälern Südtirols rein deutsche Schulen einzuführen - eine dem Faschismus bedenklich nahe kommende Assimilierungspolitik.

Die Aufarbeitung des Faschismus ist nicht eindimensional zu handhaben. Der Südtiroler Antifaschismus war oft nur ein ideologisch verpackter Anti-Italianismus - stramme Antifaschisten waren oft Nazis. Umgekehrt: Der Anti-Nazismus der Italiener war strikter Deutschenhass - aufrechte italienische Anti-Nazis waren Faschisten.
Bewältigen wir unsere eigene Vergangenheit: Viele traditionsbewusste Südtiroler verdrängen liebend gern die eigene braune Geschichte. Hat sich der Schützenbund jemals mit der von Südtiroler Nazis begeisterten Judenjagd zwischen 1943 und 1945 auseinandergesetzt?

Der Antifaschismus der Schützen hat halt seine Grenzen. Wir erinnern auch daran, dass zu einer großen Schützenveranstaltung Jörg Haider eingeladen wurde - dass er nicht erschien, hat dabei kaum eine Bedeutung, das Nicht-Erscheinen Haiders kann als ”Chronik” abgetan werden. Nicht nur Chronik, sondern zu den Kapiteln eines neu aufkeimenden Faschismus gehören die Haider-Sprüche, der die SS als anständig bezeichnet hat und die Beschäftigungspolitik im Dritten Reich als ordentlich, der auch schon wieder zwischen "gesunder" und "kranker" Kunst unterscheiden will, der in Kärnten eine äußerst minderheitenfeindliche, deutschnationale Politik betreibt. Dieser Mann kommt für die Schützen also als "Verbündeter" in Frage.

Ihr Antifaschismus hat immer wieder einen antiitalienischen Charakter, den wir nie teilen werden. Antifaschismus sollte nicht dazu missbraucht werden, um Ressentiments zu schüren gegen andere Mitbürger unseres Landes. Antifaschimus wäre eigentlich das Gegenteil. Sie haben die falsche Spur gewählt, Herr Bacher, und wir folgen Ihnen darin nicht.

Es gibt in Ihrem Antifaschismus weitere Elemente, die Ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen. So muss man das Verhalten des Schützenbundes selbst unter die Lupe nehmen. Wenn die Schützen heute gegen die Tolomeische Toponomastik aufmarschieren, so ist das gut und recht, keineswegs gut und recht sind aber die Slogans wie ”Tirol - seit 750 Jahren deutsch”. Das ist eine Geschichtslüge. Tirol war immer dreisprachig - oder wollen die Schützen etwa leugnen, dass die Ladiner seit eh und je in diesem Land leben, wollen die Schützen etwa leugnen, dass das Tirol der Monarchie auch italienische Bürger hatte? Auch das heutige Südtirol ist dreisprachig und nicht einsprachig deutsch. Wollen Sie die Ladiner germanisieren oder gar verjagen? Die im Land lebenden Italiener haben im übrigen auch das Heimatrecht, es ist auch ihr Land. Südtirol ist nicht ein Besitz der deutschen Sprachgruppe - solche Hegemoniegedanken sind uns fremd.

Auch die vom Schützenbund verwendete Toponomastik nimmt keine Rücksicht auf die Ladiner - immerhin die älteste Sprachgruppe im Land, die Deutschen sind geschichtlich gesehen ja auch nur Zugewanderte. Der Schützenbund verwendet für die ladinischen Ortschaften nur die deutschen Namen, nicht die ladinischen. Damit legt der Schützenbund jenes Verhalten an den Tag, das es bei den nationalistisch gesinnten Italienern kritisiert.

Wir fordern Minderheitenrechte für alle, nicht für eine einzige ethnische Gruppe.

Mit freundlichen Grüßen

Mateo Taibon, Gesellschaft für bedrohte Völker
 

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