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Diskriminierung und Ausgrenzung von Roma und Sinti in Deutschland

Open Society Institute-Budapest (OSI) legt umfassende Studie zum Antiziganismus in Deutschland vor

Bozen, Berlin, Budapest, Göttingen, 24. Januar 2003

"Im Dritten Reich galten wir Juden als Untermenschen. Die Zigeuner werden noch heute als Untermenschen zwar nicht offen bezeichnet, aber empfunden und behandelt." - der deutsche jüdische Philosoph Ernst Tugendhat 1979.

Es hat 34 Jahre seit dem Ende des Dritten Reiches gedauert, bis der Holocaust an den Sinti und Roma 1979 durch eine deutsche Menschenrechtsorganisation, die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), bekannt gemacht wurde. Die GfbV war es auch, die 1982 die beiden höchsten Repräsentanten Deutschlands, den Bundeskanzler und den Bundespräsidenten, dazu bewegte, den Völkermord an dieser verfemten Minderheit anzuerkennen. Danach veränderte sich die politische Situation der deutschen Sinti und Roma grundlegend. Medien, Politik und Bevölkerung, die zuvor den als Beschimpfung empfundenen Namen "Zigeuner" benutzten, verwendeten fortan deren Eigenbezeichnung Sinti und Roma. Erstmals wurde die "Zigeunerverfolgung" der Nazis in die Schulbücher aufgenommen.

Meilenweit von diesen Errungenschaften entfernt bleiben jedoch in Deutschland weiterhin diejenigen Roma, die seit den 1980-ziger Jahren aus Südosteuropa zu uns kamen, weil sie Verelendung, Verfolgung und Diskriminierung entkommen wollten, vor dem Genozid in Bosnien Herzegowina fliehen mussten oder aus dem Kosovo vertrieben wurden. Es können eine oder auch mehrere Hunderttausend sein. In Deutschland sind sie rechtlos, werden ein großes Stück weit so behandelt, wie es Ernst Tugendhat oben formuliert hat.

Außenstehende Beobachter haben oftmals einen geschärfteren Blick für Verfolgungssituationen in anderen Ländern. Das Open Society Institute - Budapest hat dies mit einer Fülle ausgezeichneter Reporte bereits bewiesen. Insofern ist dem Open Society Institute - Budapest ganz besonders dafür zu danken, mit dem Report "Die Lage der Sinti und Roma in Deutschland" erstmals einen sorgfältig recherchierten Bericht über die Situation der Sinti und Roma vorgelegt zu haben, den das Institut in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) heute in Berlin der Öffentlichkeit vorstellte. Die GfbV empfiehlt diesen Bericht allen Vertretern von Politik und Öffentlichkeit ganz ausdrücklich.

Kontakt: Alphia Abdikeeva (OSI) +36 302 977 127 aabdikeeva@osi.hu; Report im Wortlaut auf: www.eumap.org

Deutschland muss handeln, um verbreiteten Antiziganismus einzudämmen

In Deutschland, einem der größten und einflussreichsten Mitgliedstaaten der EU, ist Antiziganismus weit verbreitet. Für einen Großteil deutscher Roma und Sinti, die zu einer der ältesten Minderheitengruppe des Landes gehören, sind Diskriminierung und Ausgrenzung an der Tagesordnung. Deutschland hat seine Gesetzgebung außerdem bislang nicht mit der EU- Gleichbehandlungsrichtlinie in Einklang gebracht, und ausreichende Mittel, Minderheitenrechte geltend zu machen und Angehörige von Minderheiten gegen rassistisch motivierte Gewalt zu schützen, existieren ebenso wenig wie ein umfassendes Regierungsprogramm, das sich mit diesen Angelegenheiten beschäftigt. Dies sind die wichtigsten Ergebnisse eines Berichts über die Situation von Sinti und Roma in Deutschland, die heute vom OSI (Open Society Institute) veröffentlicht wurde. Das OSI ermuntert die deutsche Regierung, mit einer Vielzahl von Sinti und Roma-Organisationen in einen Dialog darüber zu treten, wie ein umfassendes Programm entwickelt werden kann, das sich mit den Problemen dieser Gruppen beschäftigt.

Ungeachtet ihrer sechshundertjährigen Geschichte in Deutschland und ihrer Anerkennung als nationale Minderheit werden Sinti und Roma zum überwiegenden Teil als "Ausländer" wahrgenommen. Antiziganismus wird im Alltagsleben durch den Gebrauch von diffamierenden Vorurteilen und Klischees in den Medien spürbar, durch den Mangel an objektiver und umfassender Darstellung von Sinti und Roma in Schulbüchern und durch den systematischen Ausschluss der Sinti und Roma von allgemeiner Bildung und Arbeit, vom Wohnen und allgemein von der Gesellschaft.

Die Kinder von Sinti und Roma sind beim Zugang zu Bildung ernsthaft benachteiligt. Obwohl keine offiziellen Statistiken verfügbar sind, wird weithin berichtet, dass Sinti- und Romakinder in Sonderschulen überrepräsentiert sind, und dass diese Kinder die Schule zu einem unverhältnismäßig hohen Anteil vorzeitig verlassen.

Trotz der Frist vom Juli 2003 hat Deutschland bisher keine umfassende Antidiskriminierungsgesetzgebung geschaffen, die mit der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie konform geht. Die bestehende Gesetzgebung und das politische Rahmenprogramm sind derzeit eindeutig unzureichend, was den Schutz schwacher Minderheiten vor Diskriminierung und Ausgrenzung angeht.

Das Fehlen verlässlicher statistischen Daten stellt eine zusätzliche Herausforderung bei der Festlegung von Art und Umfang ethnischer und rassistischer Diskriminierung im allgemeinen und gegen anerkannte Minderheiten wie Sinti und Roma im besonderen dar. Es gibt keine kompetente Einrichtung gegen Diskriminierung; statt dessen wird Diskriminierung mit Fremdenfeindlichkeit gleichgesetzt und von Ausländerbeauftragten auf ad-hoc-Basis behandelt. Die Regierung muss handeln, um die deutsche Gesetzgebung und Gesetzgebungspraxis mit geltenden EU-Standarten in Einklang zu bringen.

Sinti und Roma sind vielfach zu Objekten offizieller Kriminalitätsprävention oder Sozialpolitik gemacht worden. Viele Vertreter der Sinti und Roma stellen fest, dass ein großer Teil von Projekten und Initiativen nach wie vor eher diesem Ansatz folgt, als dass Sinti und Roma als gleichberechtigte Partner an sie betreffenden Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Darüber hinaus fehlt ein umfassender Ansatz zum Schutz von Minderheiten, der die ganze Bandbreite von Menschen- und Minderheitenrechten berücksichtigen würde. Die deutsche Regierung sollte sich stärker für einen Dialog mit dem gesamten Spektrum der bestehenden Sinti- und Romaorganisationen engagieren, bei dem Sinti und Roma im Zentrum der Bemühungen stehen, um ihre Situation zu verbessern.

Anmerkung für Herausgeber:
Der zweibändige Bericht "Monitoring: Minderheitenschutz," den das OSI heute vorlegt, widmet sich der Situation schwacher Minderheitengruppen in 15 europäischen Ländern. Der erste Band konzentriert sich dabei auf 10 EU- Beitrittskandidaten Zentral- und Osteuropas und nimmt eine Auswertung derjenigen Programme vor, die die Regierungen entwickelt haben, um die Situation der Roma in Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei und Slowenien zu verbessern, sowie die Integration russisch sprechender Menschen in Estland und Lettland zu erleichtern. Dieser Band folgt dem 2001 erschienenen Minderheitenschutz-Report EUMAP, der das gesetzgeberische und institutionelle Rahmenprogramm des Minderheitenschutzes in den 10 EU- Anwärterstaaten Zentral- und Osteuropas untersucht.
Der zweite Band konzentriert sich auf die 5 größten Eu-Mitgliedsstaaten und untersucht die Situation von Muslime in Frankreich, Italien und Großbritannien sowie die der Roma in Deutschland und Spanien. Dieser Band wurde mit der Absicht erarbeitet, deutlich zu machen, dass EU- Standards durchgesetzt und in der gesamten EU gleichermaßen - und nicht nur in den Anwärterstaaten - regelmäßig überprüft werden müssen.
"Monitoring: Mindeheitschutz" wurde vom EU Accession Monitoring Program (EUMAP) des Open Society Institutes (OSI) entwickelt, dessen Aufgabe es ist, die verantwortungsvolle und nachhaltige Erweiterung der EU zu unterstützen. In 10 Staaten Zentral- und Osteuropas sowie in 5 EU-Mitgliedsstaaten überwacht EUMAP Menschenrechtsschutz und dessen Umsetzung, in Zusammenarbeit mit NROs und Bürgergesellschaft.
Die EUMAP-Berichte betonen die Wichtigkeit gesellschaftlicher Überprüfung und rufen zu einem direkten Dialog zwischen Regierungs- und Nichtregierungsorganisatoren über Aspekte im Zusammenhang mit politischen Kriterien für den EU-Beitritt. Über den Minderheitenschutz Bericht hinaus hat EUMAP im November 2002 weitere Monitoringberichte herausgegeben, die sich mit der Funktion der Justiz, mit Korruption und ihre Bekämpfung und - in Zusammenarbeit mit dem OSI Network Women Program/Open Society Foundation Rumänien - mit Fragen der Chancengleichheit von Frauen und Männer beschäftigen. Jeder Report enthält spezifische Empfehlungen an die jeweiligen Regierungen und an die EU.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/sinti-rom/de/rom-de.html | www.gfbv.it/3dossier/rom-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/errc-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/linkgfbv.html#rom
* www: www.eumap.org

Letzte Aktual.: 24.1.2003 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030124de.html | XHTML 1.0 | WEBdesign, Info: M. di Vieste
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