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Minderheiten und europäische Verfassung

Benachteiligte Minderheiten besonders fördern!

Bozen, 26. März 2003

Offener Brief an den Außenminister der Republik Italien Franco Frattini

Sehr geehrter Herr Minister,
Sie haben sich letzthin in Interviews mit verschiedenen Tageszeitungen in Südtirol immer wieder für Minderheitenrechte in der neuen EU-Verfassung ausgesprochen. Offen blieb aber bisher, wie weitreichend diese Rechte sein sollen. Der Vertreter der italienischen Regierung im EU-Konvent, der stellvertretende Ministerpräsident Gianfranco Fini, hat Ihre Anregungen bis jetzt nicht aufgegriffen. Offensichtlich ist die Verankerung von Minderheitenrechten in der EU-Verfassung kein wesentliches Anliegen Ihrer Regierung.

Als Menschenrechtsorganisation fordern wir Sie auf, Ihre mediale Ankündigung endlich auch umzusetzen. Beauftragen Sie doch Konvents-Mitglied Fini, einen entsprechenden Text vorzulegen.

Nehmen Sie sich die italienische Verfassung als Vorbild. Die Verfassungsväter, die antifaschistischen Widerstandskämpfer, erhoben mit dem Artikel 6 den Minderheitenschutz in Verfassungsrang. Leider dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis eine Regierung auch ein entsprechendes Rahmengesetz erließ. Inwieweit sorgt Ihre Regierung dafür, daß dieses Minderheitengesetz tatsächlich auch umgesetzt wird?

Sie könnten als Außenminister zumindest den Vizepräsidenten des Konvents, Giuliano Amato, unterstützen. Er schlug vor, die Europäische Menschenrechtskonvention in die EU-Verfassung zu intergrieren. Damit wäre immerhin die Diskriminierung auch aufgrund der "Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit" ausdrücklich verboten (Art. 14 EMRK).

Die Gesellschaft für bedrohte Völker-International verfolgt den Verfassungs-Prozess mit kritischem Wohlwollen: Einerseits begrüßen wir es, dass der wachsenden Macht der EU-Institutionen endlich Rechte ihrer Bewohner gegenübergestellt werden. Andererseits gilt es sicherzustellen, dass die Verfassung vollständig und verbindlich ist.

Wir drängen auch deshalb darauf, dass die EU sich nicht länger an Minderheitenfragen vorbeidrückt:
Immerhin bekennt sich die EU in den Artikeln 149 und 151 des EG-Vertrages zum sprachlichen und kulturellen Pluralismus und bekräftigt dieses Bekenntnis im Artikel 22 der Grundrechtecharta. Außerdem hat ein Großteil der EU-Staaten sowohl die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten und die Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates ratifziert.

Genauso haben vor Jahren die meisten westeuropäischen Länder den "Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte" ratizifiert (Art 27: "In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen").

Es soll daran erinnert werden, dass die UN-Vollversammlung am 18. Dezember 1992 im Konsens die Minderheiten-Resolution 47/135 angenommen hat. Diese Resolution ergänzt Artikel 27 des UN-Menschenrechtspaktes mit der Aufforderung an die Staaten, "günstige Bedingungen zu schaffen, um Minderheiten die Äußerung ihrer Eigenheiten und die Entwicklung ihrer Kultur, Sprache, Religion, Tradition und Bräuche zu ermöglichen".

Wir fordern Sie auf, Taten zu setzen. Sorgen Sie dafür, daß in der EU-Verfassung enthalten sind:
- ein wirksames Diskriminierungsverbot, das auch für Nicht-EU-Bürger gilt, dazu gehört auch die Möglichkeit einer Förderung von faktisch benachteiligten Gruppen ("affirmative action");
- Einen als Indivdualrecht formulierten Artikel zum Schutz von sprachlichen und ethnischen Minderheiten;
- ein Verbot von Vertreibungen, das ein Recht auf Heimat und das Recht auf sichere Rückkehr umfasst;

Wir schlagen folgende Artikel vor:
1) Die Union anerkennt und gewährleistet die unverletzlichen Rechte des Menschen, sei es als Einzelperson, sei es als Angehöriger sozialer, sprachlicher, kultureller oder religiöser Gruppen,
2) Alle Bürger der Union haben die gleiche gesellschaftliche Würde und sind vor dem Gesetz ohne Unterschied des Geschlechts, der Hautfarbe, der Sprache, des Glaubens, der politischen Anschauungen, der persönlichen und sozialen Verhältnisse gleich. Es ist Aufgabe der Union, die Hindernisse wirtschaftlicher, sozialer und sprachlicher Art zu beseitigen, die durch eine tatsächliche Einschränkung der Freiheit und Gleichheit der Unions-Bürger der vollen Entfaltung der menschlichen Person und der wirksamen Teilnahme an der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gestaltung der Union im Wege stehen.
3) Die Union anerkennt und fördert mit besonderen Bestimmungen die Minderheiten. Angehörige von sprachlichen oder ethnischen Minderheiten haben das Recht, gemeinsam und öffentlich ihre eigene Sprache zu gebrauchen und ihre eigene Kultur zu pflegen.

Warum ein Diskriminierungsverbot
Selbst in den westeuropäischen Demokratien werden Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Kultur, Herkunft, Religion usw. diskriminiert. Zwar enthält die leider unverbindliche und nicht einklagbare EU-Grund-Rechte-Charta ein Verbot von Diskriminierung, doch müssen wir unbedingt sicherstellen, dass dieses nicht nur für die Bürger der Union, sondern für Drittstaatenangehörige, d.h. für alle Menschen gilt, die hier leben.

Wie z.B. aus der Diskussion um die Gleichstellung von Mann und Frau bekannt ist, ist die faktische Benachteiligung ganzer Gruppen oft nur schwer auszumerzen. Deshalb fordern wir, dass der Artikel zum Diskriminierungsverbot um folgenden Absatz ergänzt wird, der eine "affirmative action" ermöglichen soll:
"Angehörige von Gruppen, die faktisch benachteiligt werden, sollen besonders gefördert werden."

Die GfbV setzt sich dafür ein, dass z.B. auch die Bildungsinstitutionen von alteingessenen sprachlichen und ethnischen Minderheiten durch Brüssel bzw. unter dem rechtlichen Schirm Brüssels besonders gefördert werden.

Vertreibungsverbot
Angesichts des Völkermordes an den bosnischen Muslimen (1992-95) und der anhaltenden Massenvertreibungen im Kosovo erst der Albaner und heute der Serben sowie der Roma, Aschkali und Kosovo-Ägypter ist von der EU zu fordern, dass sie solche und andere schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern trachtet. Deshalb schlägt die GfbV folgende Formulierung vor:
"Die EU setzt sich für die Verhütung bzw. Beendigung und Strafverfolgung von Angriffskrieg, Völker- und Sozialschichtenmord, Massenvertreibung und anderen schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein."

Was das Verbrechen der Vertreibung angeht, so gibt es im Völkerrecht bereits Vorlagen für eine Formulierung eines Abwehrrechtes, das Individuen und Gruppen gleichermaßen begünstigt.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/1-01/19-2-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/edicolmin/altre.html | www.gfbv.it/3dossier/rai3-99/min-medien-de.html | www.gfbv.it/3dossier/rai3-99/min-medien-eu.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/regenbogen.html
* www: www.eblul.org | www.uoc.edu/euromosaic

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