Drei kurdische Bürgermeister vor Gericht:
Fiasko der europäischen Politik?
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Bozen, 26.4.2000

Als „schallende Ohrfeige für die Türkei-freundliche Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer“ hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) den Beginn der Hauptverhandlung gegen die drei kurdischen Bürgermeister der Provinzhauptstädte Diyarbakir, Siirt und Bingöl und 24 weiterer Angeklagter vor einem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir am Ostermontag gewertet. Feridun Celik, Selim Özalp und Feyzullah Karaarslan waren am 19. Februar 2000 nach ihrer Rückkehr aus Deutschland aus ihren Amtsgeschäften heraus festgenommen worden.

Den drei Politikern, die der gemäßigt prokurdischen Partei HADEP angehören, wurde vorgeworfen, mit der radikalen kurdischen Arbeiterpartei PKK zusammenzuarbeiten. Sie hatten ihre demokratischen Rechte wahrgenommen und auf Initiative der GfbV an der Dritten Europäischen Konferenz über Zukunftsbeständige Städte in Hannover teilgenommen. Dort hatten sie für den Wiederaufbau ihrer durch den Krieg gegen die PKK zerstörten Gemeinden Partner gesucht und die türkische Regierung in einer gemeinsamen Erklärung u.a. dazu aufgerufen, die Verbote friedlicher kurdischer Institutionen aufzuheben.
"Joschka Fischer hat sich zwar zusammen mit seinen EU-Amtskollegen für die Bürgermeister eingesetzt, doch hat dies offensichtlich nur für eine bedingte Freilassung, nicht aber für eine Rücknahme der politisch motivierten Anklage gereicht", kritisierte die GfbV am Dienstag. Schon am 24. Februar diesen Jahres seien 18 andere Spitzenfunktionäre der gemäßigt prokurdischen HADEP-Partei wegen angeblicher Unterstützung der PKK kollektiv zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt worden. Jetzt drohe ein weiteres Willkürurteil gegen Spitzenpolitiker dieser Partei, die mit überwältigenden Mehrheiten in ihre Ämter gewählt worden waren.

„Die deutsche Bundesregierung muss weitere Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei davon abhängig machen, dass Ankara die gnadenlose Verfolgung und Demütigung aller demokratisch legitimierten Vertreter der kurdischen Minderheit einstellt. Eine Verbesserung der sozialen und politischen Bedingungen in der Südosttürkei ist die Voraussetzung für die Entwicklung der Städte, den Wiederaufbau von offiziell 3.428 zerstörten kurdischen Dörfern und die Rückehr von mehr als 2,5 Millionen vertriebenen Kurden“, erklärte der stellvertretende Leiter der GfbV-Menschenrechtsarbeit Dr. Andreas Selmeci.
Der Intervention des Bundesaußenministers in Ankara waren dringende Appelle der CDU-Abgeordneten Norbert Blüm und Rita Süssmuth vorausgegangen. Die ehemalige Bundestagspräsidentin hatte die Bürgermeister noch wenige Tage vor ihrer Verhaftung persönlich getroffen. In einem Antwortschreiben an Norbert Blüm, das der GfbV vorliegt, hat der Bundeskanzler am 10. März bestätigt, dass das türkische Vorgehen gegen die drei Bürgermeister „nicht im Einklang mit den Verpflichtungen der Türkei als Beitrittskandidat der Europäischen Union“ steht.

Anläßlich des jüngsten Türkei-Besuches von Bundespräsident Johannes Rau und kurz davor des EU-Erweiterungs-Kommissars Günter Verheugen, der bis 1999 Staatsekretär unter Joschka Fischer war, hatte die GfbV auch diese beiden SPD-Politiker darum gebeten, sich für die drei Bürgermeister einzusetzen.
 

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