Tatbestand des Völkermordes ist erfüllt 

Gesellschaft für bedrohte Völker legt 200 seitige Dokumentation über Genozid im Kosovo vor

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Bozen, den 1. Juni 1999
Zusammenfassung  **  Opfer der Deportationen  **  Strategie serbischer Truppen
 Definition des Völkermordes  **  Bezugsadresse/Links

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Bonn ihre Dokumentation "Genozid im Kosovo" vorgelegt. Auf den rund 200 Seiten wurden Kriegsverbrechen der serbischen Truppen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an kosovarischen Zivilisten zusammengetragen. Die Dokumentation wurde anschließend dem Beauftragten für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes, Gerd Poppe, übergeben.

Der GfbV-Bundesvorsitzende Tilman Zülch begrüßte die Entscheidung des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kosovo anzuklagen. Gleichzeitig bedauerte er, daß die Anklage nicht auch mit dem Tatbestand des Völkermordes im Kosovo und in Bosnien begründet wurde. Zülch appellierte außerdem an die Medien, die Berichte kosovarischer Vertriebener über Greueltaten ernster zu nehmen und auch darüber zu berichten. Befragungen der GfbV unter Überlebenden in Flüchtlingslagern und die vergleichende Auswertung voneinander unabhängiger Zeugen hatten erschütternde Ergebnisse erbracht.

.: oben :. Zusammenfassung der Dokumentation "Genozid im Kosovo"

Drei Teams der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) haben rund 1.000 kosovarische Vertriebene in Bosnien, Albanien und Mazedonien befragt. Gleichzeitig hat die GfbV die Berichte über Menschenrechtsverletzungen an Kosovaren von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, von Journalisten und Regierungsstellen zusammengestellt und ausgewertet.

Die Zahl der getöteten, ermordeten oder durch Vertreibung und Flucht gestorbenen Kosovo-Albaner und Angehöriger nicht-serbischer Minderheiten schätzt die GfbV auf mindestens 30.000. Sie kann aber auch wesentlich höher liegen, denn bisher wurde nur der kleinere Teil der Vertriebenen von Menschenrechtsorganisationen befragt.

Allein die von den GfbV-Untersuchungsteams befragten Überlebenden bezeugen, daß bei Einzel- und Mehrfachtötungen 2.000 bis 3.000 ethnische Albaner umgebracht worden sind. Die Auswertung der Berichte der NGOs, Regierungsinstitutionen und Medien ergibt eine geschätzte Zahl von mindestens 10.000 Toten.

73 Mehrfachtötungen wurden schon nach der Auswertung von 250 der 500 von einem GfbV-Team in albanischen Lagern aufgenommenen Augenzeugenberichte registriert. Andere NGOs und Regierungsstellen haben Hunderte von Mehrfachtötungen dokumentiert. Besonders viele Massenhinrichtungen fanden Befragungen der GfbV-Teams während des islamischen Opferfestes Bajram zwischen dem 27. und 29. März 1999 statt. Häufig wurden die Leichen in Brunnen oder Flüsse geworfen. Auch die Hälfte aller von MSF Befragten haben Hinrichtungen beobachtet. Das amerikanische Außenministerium publizierte schon am 5. April 1999 Informationen über Massaker in 22 Regionen des Kosovo.

.: oben :. Mehrere voneinander unabhängige Augenzeugen berichteten einem der GfbV-Teams über Massengräber, mußten selbst Leichen aus Massengräbern exhumieren und einzeln bestatten. Am 18. April behauptete die Nato, sie verfüge über Luftaufnahmen von 43 mutmaßlichen Massengräbern im Kosovo, von denen zum Teil auch Augenzeugen berichteten.

Vielerorts wurden junge "wehrfähige" Männer selektiert. Während die britische Regierung vor wenigen Tagen noch von 100.000 verschwundenen jungen Männern im wehrfähigen Alter ausging, schätzt die US-Regierung ihre Zahl auf bis zu 225.000. Die Ärzteorganisation Medecin sans Frontieres (MSF) gibt an, daß 13 Prozent aller Männer zwischen 15 und 55 Jahren vermißt seien. Auch wenn davon ausgegangen wird, daß sich ein hoher Anteil der Vermißten innerhalb des Kosovo auf der Flucht befindet, sind viele der Verschwundenen mit hoher Wahrscheinlichkeit ermordet worden.

Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen, darunter die GfbV, und Hilfswerke über Sexualverbrechen serbischer Soldaten an albanischen Frauen sind alarmierend. Allein die OSZE hat 250 Zeugenaussagen über Hinweise auf Vergewaltigungen. Es muß damit gerechnet werden, daß Tausende Frauen entführt worden sind. Auch der UN-Bevölkerungsfonds UNFPA hat auf zahlreiche Entführungen und kollektive Vergewaltigungen hingewiesen. Vielfach kehrten verschleppte junge Frauen nicht zurück oder wurden von den Tätern ermordet. Sowohl Augenzeugen als auch britische und amerikanische Regierungsstellen berichten über die Existenz von Vergewaltigungslagern.

.: oben :. Eine im Augenblick nicht zu beziffernde, aber hohe Anzahl älterer Menschen, Säuglinge, Kleinkinder, Schwangere, Kranke, Verwundete und Behinderte werden die Strapazen der Deportation, eng zusammengepfercht in Güter- und Eisenbahnwagen, Lastwagen oder Bussen, die tagelange Internierung, die Flucht durch Berge und Wälder und das Herumirren innerhalb des Kosovo nicht überlebt haben. Der UNHCR berichtet, daß viele Alte nach der Ankunft in Flüchtlingslager sterben. Dazu kommen alle Patienten der Krankenhäuser, die von serbischen Truppen auf die Straße gesetzt worden sind, und diejenigen Kranken, die nicht mehr versorgt werden können, weil die etwa 90 Mutter Theresa Gesundheitsstationen zerstört worden sind. Diese Toten tauchen meist in keiner Statistik auf. Doch jeder Mensch, dessen Lebenszeit durch ein Vertreibungsverbrechen verkürzt wird, ist Opfer des Genozids geworden. Sicher haben auch Bombardements durch Luftwaffe, Artillerie und Panzer sehr viele Opfer gefordert. Vielfach wurden Menschen in ihren Häusern verbrannt.

Der UNHCR, kosovarische Menschenrechtsorganisationen, Human Rights Watch sowie die US-Regierung berichten über die Existenz von mehreren Internierungslagern, in denen Albaner unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten werden. Ein UNHCR-Mitarbeiter sagt über entkommene Gefangene, sie sähen aus, als "ob sie geradewegs aus dem Konzentrationslager Auschwitz" kämen. Die GfbV hatte bereits im Frühsommer 1992 von serbischen Konzentrationslagern in Bosnien gesprochen. Die Existenz dieser Lager wurde bewiesen. Nach GfbV-Schätzungen sind dort etwa 30.000 Menschen umgekommen. Deshalb befürchtet die GfbV, daß in den Lagern im Kosovo ebenfalls Tötungen stattfinden.

.: oben :. Die GfbV geht davon aus, daß seit März 1998 insgesamt mindestens 650 Dörfer ganz oder teilweise zerstört worden sind und daß amerikanische Angaben ernst zu nehmen sind, nach denen etwa 400 Wohngebiete in Städten niedergebrannt oder zerstört wurden. Britische Presseberichte behaupten, verlassene Gebiete würden mit Antipersonenminen unbewohnbar gemacht. Die historischen Altstädte von Pec und Gjakove/Djakovica wurden weitgehend zerstört. Ebenfalls Moscheen und katholische Kirchen sowie das den Albanern "heilige" Gebäude der Konferenz von Prizren von 1871, das unter dem Schutz der UNESCO stand.

Bis zu 1,5 Millionen Einwohner des Kosovo sind nach Schätzungen der GfbV vertrieben worden oder geflüchtet. 960.000 haben das Land verlassen müssen. Albanien hat 440.600, Mazedonien 252.300, Bosnien 60.000, Montenegro 64.900, Serbien 30.000, Kroatien 5.000, die Türkei 7.600 und andere europäische Staaten, die USA und Israel haben 100.000 aufgenommen. Im Kosovo befinden sich mindestens 500.000 Menschen auf der Flucht.

Schon vor der Nato-Intervention wurden allein 1998 fast 2.000 namentlich identifizierte Kosovaren von serbischen Truppen ermordet, über 1.400 verschwanden spurlos, 450 Dörfer wurden zerstört und etwa 500.000 Menschen zu Flüchtlingen innerhalb und außerhalb des Kosovo gemacht.

.: oben :. Die Strategie der serbischen Truppen im Kosovo

gleicht in vielem der Politik der "ethnischen Säuberung" in Bosnien-Herzegowina. Auch deshalb ist zu befürchten, daß im Kosovo mit einer sehr hohen Zahl von Toten zu rechnen ist. Systematisch vertreiben serbische Armee und Polizeieinheiten, paramilitärische Truppen und lokale serbische Extremisten Region für Region die albanische Zivilbevölkerung. Von ethnischen Albanern bewohnte Ortschaften oder Stadtteile werden umstellt und die Bewohner entweder zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert. Häufig werden Siedlungen jedoch auch ohne Vorwarnung beschossen. Militärs und/oder Polizisten dringen in die Häuser ein, einzelne Personen werden mißhandelt, vergewaltigt oder ermordet. Wertsachen werden eingefordert, Dokumente vernichtet, die Menschen auf die Straße getrieben. Oft werden wehrfähige junge Männer und junge Frauen selektiert. Der Rest der Bevölkerung wird in Lastwagen, Bussen oder Zügen abtransportiert oder in die Berge vertrieben. Immer wieder werden Deportationszüge kontrolliert, einzelne Zivilisten herausgegriffen, ermordet oder verschleppt. Die verlassenen Gebäude werden systematisch geplündert und dann in Brand gesteckt. Vor allem Alte und Kranke, aber auch Menschen, die sich weigerten zu gehen, wurden in ihren Häusern verbrannt.

Vieles deutet auf eine hohe Bereitschaft serbischer Truppen hin, Zivilisten zu ermorden. So veröffentlichte die OSZE am 20. April 1999, daß 250 befragte Augenzeugen von grausam verstümmelten Toten berichtet hätten. Auch der GfbV liegen Berichte über besondere Grausamkeiten vor, nach denen Menschen mit Messern erstochen, mit Schaufeln erschlagen, auf Eisenstangen augespießt oder bei lebendigem Leibe verbrannt wurden.

.: oben :. Tatbestand des Völkermordes erfüllt

Gleich mehrere Punkte der Konvention gegen die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1949, unter denen dieses Verbrechen definiert und unter Strafe gestellt wird, treffen zu.

Im einzelnen bedeutet Völkermord nach Artikel II der Genozidkonvention eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören:

§a die Tötung von Mitgliedern der Gruppe: Während der Vertreibung der kosovarischen Zivilbevölkerung kommt es immer wieder zu Einzel- und Mehrfachtötungen. Männer werden ausgesondert und durch Massenerschießungen hingerichtet. Frauen werden während und nach Vergewaltigungen getötet. Häuser, Dörfer und Stadtteile, in denen Kosovo-Albaner leben, werden von Panzern und Luftwaffe gezielt beschossen.

§b Verursachung von schweren körperlichen oder seelischen Schäden an Mitgliedern der Gruppe. Viele albanische Überlebende haben durch Mißhandlungen, Folterungen, Vergewaltigungen und Beschießungen sowie während der Flucht schwere körperliche Schäden erlitten. Durch die mutwillige Zerstörung des kosovo-albanischen Gesundheitssystems erhalten die noch im Kosovo herumirrenden Flüchtlinge keine medizinische Versorgung. Sehr viele Flüchtlingskinder sind schwer traumatisiert. Sie mußten Morde, Mißhandlungen und Vergewaltigungen mitansehen, erlebten die Hilfslosigkeit ihrer Eltern, das Niederbrennen ihrer Häuser.

§c Vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen: Den Strapazen der Vertreibung fallen viele der schwächsten Mitglieder der ethnisch-albanischen Gemeinschaft zum Opfer - Alte, Säuglinge, Kleinkinder, Schwangere, Kranke und Behinderte. Viele sterben während der Flucht. Serbische Behörden haben selbst schwerstkranke Kosovo-Albaner aus Krankenhäusern ausgewiesen.

.: oben :. Die Dokumentation enthält detailierte Informationen über die relevanten UNO-Konventionen, Auszüge aus den vorläufigen Ergebnissen der Flüchtlingsbefragungen der beiden GfbV-Teams in Albanien und Mazedonien sowie der bosnischen Sektion der GfbV in Sarajevo, Dokumentationen der Menschenrechtsverbrechen aus dem Jahr 1998 u.v.m. Sie kann gegen DM 20.00 plus Porto beim VERSAND der GfbV angefordert werden.


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