Die Grünen und ihr verblasstes Engagement für Menschenrechte
Über Erfahrungen tschetschenischer Menschenrechtlerinnen mit den einst Menschenrechtsbewegten
Bozen, 11.7.2000

Ein offenes Ohr für tschetschenische Menschenrechtlerinnen hat im Europaparlament bei den Grünen die deutsche Elisabeth Schrödter. Sie hat auf Vermittlung der Langer-Stiftung in Bozen und der Südtiroler Grünen die tschetschenischen Menschenrechtlerinnen Sainab Gaschajewa und Libkan Basjaewa in Straßburg empfangen. Schrödter zählt inzwischen zu den immer weniger werdenden grünen Menschenrechtsbewegten, die sich solidarisch engagieren für verfolgte Menschen. Immer mehr Grüne lassen sich wegen ihrer Regierungskoalitionen kaum mehr auf ein uneingeschränktes Engagement für Menschenrechte ein. Die Anteilnahme der Grünen zugunsten der Opfer von Kriegsverbrechen wird immer lauer.
 
Das hat sich schon bei den Diskussionsforen in Bozen abgezeichnet, die die Langer-Stiftung auf ihrem "Euromediterranen Festivals" (vom 26. Juni bis zum 2. Juli in Bozen) angeboten hat. Die tschetschenischen Menschenrechtlerinnen Sainab Gaschajewa und Libkan Basajewa haben versucht, die Festival-Teilnehmer über die von Rußland praktizierte Politik der verbrannten Erde in Tschetschenien zu überzeugen. Berichte über Massaker, Vergewaltigungen, Folter und Vertreibung wurden ungläubig zur Kenntnis genommen. Eine fast schon zur langweiligen Last gewordene Pflicht, Opfern zuhören zu müssen.
Gehi, 1996. Foto Sainab Gashajeva

Enttäuschend auch, wie die Vorsitzende der italienischen Grünen, Grazia Francescato, das Hilfeersuchen der tschetschenischen Frauen als nicht vordringlich abgewiesen hat. Der Grüne Europaparlamentarier Reinhold Messner lehnte ein Gespräch mit der Begründung ab, wegen seiner geplanten Besteigung des Nanga Parbats keine Zeit zu haben.

Seltsam auch die Versuche, die tschetschenischen Menschenrechtlerinnen nur im Gespann mit russischen Regimegegnern auftreten zu lassen. Den Augenzeugen des russischen Staatsterrors in Tschetschenien wurde kräftig mißtraut. Die Augenzeugen wurden erst dann glaubwürdig, als auch die Vertreterin der russischen Soldatenmütter, Ella Polliakova, den Krieg in Tschetschenien als Kolonialkrieg bezeichnete.
 
Warum diese Angst vor ungefilterten Stimmen von Opfern, von Frauen, die sehr eng mit der russischen Menschenrechtsorganisation "memorial" zusammenarbeiten, mit dem "Memorial"-Präsidenten Sergei Kowoaljow, mit den russischen Soldatenmüttern. Warum fürchtet man sich vor Frauen, die sich demokratischen Werten verpflichtet fühlen? Dies ist unverständlich, auch deshalb, weil die Langer-Stiftung in diesem Jahr die Kosovarin Vjosa Dobruna wegen ihres zehnjährigen gewaltfreien Widerstandes gegen das serbische Apartheid-Regime mit dem Langer-Preis ausgezeichnet hat. In der Begründung der Auszeichnung heißt es unmißverständlich, daß die Weltöffentlichkeit diesen Widerstand nicht ernst genommen hat, erst den bewaffneten Kampf der UCK. Das wiederholt sich in Tschetschenien.
Gehi, 1996. Foto Sainab Gashajeva

Schon nach dem Krieg von 1994-96 blieb das Land sich selber überlassen, sich selber überlassen blieben auch die tschetschenischen Demokraten. Die Chance, für Extremisten. Eine Entwicklung, die von den Grünen am Beispiel Kosovo bedauert wird. Wo bleibt das Bedauern für Tschetschenien?
 
Zum Abschluß des "Euromediterranen Festivals" rang sich die Langer-Stiftung mit einer Schluß-Resolution zur Erkenntnis durch, daß in Tschetschenien noch Krieg herrscht. Eine Resolution, der die Schärfe fehlt. Erst spät wurde erkannt, daß Sainab Gaschajewa und Libkan Basjaewa keine nationalistische Russengegner sind.
Gehi, 1996. Foto Sainab Gashajeva

Und noch ein Beigeschmack bleibt - erst das tadellose Zeugnis, ausgestellt von Ella Polliakova von den russischen Soldatenmüttern, öffnete Herz und Ohr. Dürfen Opfer und Zeugen von Kriegsverbrechen nur dann Solidarität beanspruchen, wenn deren Tadellosigkeit von Dritten anerkannt wird? Erhalten Kriegsopfer erst nach bestandener Prüfung den Qualitätsstempel "Opfer" grüner Menschenrechtsbewegter? Hat diese  Engherzigkeit mit dem Vorurteil zu tun, daß Tschetschenen blutrünstige Russenfeinde im Dienste des islamischen Fundamentalismus sind?

Vor einem Jahr, am 4. Juni 1999, hatte sich eine tschetschenische Delegation in Südtirol umgeschaut. Die Autonomie des Landes innerhalb des italienischen Staates wollten sie kennenlernen. Eine Autonomie als Perspektive und nicht die staatliche Selbständigkeit für Tschetschenien? Also kein Separatismus, wie die russischen Machthaber glauben machen wollten. Das Gespenst der Abtrennung, nur ein - weltweit von den Mächten applaudierte - Vorwand, um das Land mit Panzern plattzuwalzen?

Vachta Demelkhanov informierte bei seinem Südtirol-Besuch vor einem Jahr Mitarbeiter der Europäische Akademie über die Lage in seiner Heimat. Anhand alter Postkarten erzählte Demelkhanov von der Zerstörung Grosnys. Bei jedem zweiten Bild fügte der tschetschenische Besucher hinzu, daß es das abgebildete Gebäude nicht mehr gibt. Die Folge des zweijährigen russischen Staatsterrors von 1994-1996.

Die Politik der verbrannten Erde kostete 80.000 Menschen das Leben, eine halbe Million Menschen wurde vertrieben oder flüchtete, Weiler, Dörfer, Städte wurden gnadenlos zerbombt, Tschetschenen in "Filtrationslagern" maltraktiert.

Westliche Staatspolitiker schwiegen diplomatisch. Konservative Regierungen waren unverhohlen solidarisch mit Rußland, das in "inneren Angelegenheit" agiere und zwar gegen eine "tschetschenische Mafia". In Deutschland kritisierten nur Abgeordnete der SPD den brutalen Feldzug von Jelzin, Joschka Fischer warf der nuklearen Supermacht Rußland "barbarische Methoden" vor.

Das zerbombte Tschetschenien wurde sich selbst überlassen. Die unter OSZE-Aufsicht gewählte neue Regierung versuchte den Aufbau aus den Trümmern der Russen-Bombardements. Ein hoffnungslose Versuch, die Republik Itschkeria (so nennen die Tschetschenen ihre Republik) war isoliert. Kein westliches Land half, wohl auch auf Wunsch von Präsident Jelzin. Die Erfolglosigkeit der tschetschenischen Regierung machte islamische Extremisten stark. Fast wie bestellt wurde in Moskau im Sommer 99 eine Serie von Attentaten mit vielen Toten verübt. Russische Politiker und Polizei machten Tschetschenen dafür verantwortlich.

Swetlana Gannuschkina von der Menschenrechtsorganisation "Memorial" hatte schon 1996 festgestellt, daß in Rußland die anti-kaukasische Stimmung zur Norm wird – zum gesellschaftlich korrekten Rassismus. Die Attentäter wurden nie ausfindig gemacht.

Kein Hindernis für die damalige Jelzin-Regierung, die Truppen nach Tschetschnien zu entsenden. Im Herbst 99 begann der zweite russische Krieg gegen diese Winzig-Republik. Mehr als 10.000 Menschen sollen getötet worden sein, die Hälfte der 800.000 Einwohner flüchtete.

Es ist mühselig, Zahlen über diesen Krieg und die Verbrechen aufzulisten, die offensichtlich dazu dienten, den Jelzin-Nachfolger Wladimir Putin zu "inthronisieren". Auch dieser zweite Krieg, der noch immer nicht beendet ist und weder in den Medien noch in der Politik ein Thema ist, beschädigte die schwache russische Demokratie. Die Witwe des Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow, hat Putin vorgeworfen, Rußland in eine "moderne Form des Stalinismus" zu führen: "Die Regierung handelt autoritär, die Gesellschaft militarisiert sich, in den Schulen wird die Militärerziehung wieder eingeführt und die nationalistische und antiwestliche Propaganda nimmt zu", analysiert Jelena Bonner.

Rußland paßt sich dem kleinen Bruder Serbien an - die serbischen Attacken gegen Muslime in Bosnien und im Kosova wurden als anti-terroristische Operationen verbrämt, das sich kosmisch fühlende Rußland erklärte ähnlich stereotyp seine Massaker an der tschetschenischen Zivilbevölkerung als Maßnahmen gegen islamische Fundamentalisten und Terroristen zur "Wiederherstellung der Menschenrechte".Vergewaltigungen, Folterungen, Massaker, Bombardements und Vertreibungen, Instrumente zur Wiederherstellung von Menschenrechten?

Das sozialdemokratische West-Europa schweigt kumpanenhaft. Beim Nato-Krieg gegen Serbien zur Verhinderung weiterer Massaker und Vertreibungen im Kosovo wurden noch antinazistische Erklärungen bemüht. Für die russischen Verbrechen in Tschetschenien haben die EU-Staatsmänner nur entschuldigende Rechtfertigungen zur Hand. Italiens Außenminister Lamberto Dini, bekannt geworden als Dialog-Partner von Milosevic, hat festgestellt, daß in Tschetschenien schon wieder Frieden herrscht.

Während der tschechische Präsident Havel und der russische Menscherechtler Sergej Kowaljow von der Liquidierung eines Volkes bzw. vom Völkermord sprechen, unterstützt beispielsweise das rot-grüne Deutschland mit 33 militärischen Projekten Rußland. Die Entsendung von Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes BND nach Tschetschenien zur Unterstützung des russischen Geheimdienstes FSB (der nahtlos an seine Vorgänger KGB und NKWD anknüpft) im Kampf gegen islamische Terroristen erinnerte die Gesellschaft für bedrohte Völker an den Hitler-Stalin-Pakt.

Rußland finanziert sich seine Kriege in Tschetschenien zur Kontrolle des Ölgeschäfts (Auslöser für die Invasion 94 war die Erschließung von Ölvorkommen am Kaspischen Meer durch ein Konsortium westlicher Firmen und Aserbeidschan. Rußland, das an dem Geschäft nur zu zehn Prozent beteiligt war, sah die Möglichkeit, den lukrativen Transit zu kontrollieren, falls die Pipeline über Tschetschenien führen würde. Dazu mußte jedoch Tschetschenien unter russischer Kontrolle sein. Im September 94 schlossen die West-Konzerne und Aserbeidschan die ersten Verträge - im Dezember 94 begann Rußland, Tschetschenien zu "befrieden".) mit Krediten der EU und des Internationalen Währungsfonds.

Unverständlich, daß die laufenden Kredite nicht kurzerhand ausgesetzt wurden. Der deutsche Außenminister Fischer hat sogar davor gewarnt, Rußland zu bestrafen - dieses große Land dürfe nicht gedemütigt werden, auch wegen des Nazi-Überfalls im Zweiten Weltkrieg.

"Natürlich ist der vage Gedanke, daß sich die über hundert Völker und Ethnien im russischen Reich gdemütigt fühlen könnten, falls sie noch nicht ausgerottet worden sind, unrealistisch und eigentlich uninteressant," spöttelt die Schweizer Journalistin Irena Brezna über die westliche Zaghaftigkeit. Brezna wirft Rußland vor, den strikt russisch geprägten Internationalismus in einen großrussischen Chauvinisms abgewandelt zu haben.

Ganz in diesem Sinne schrieb im August 99 der russische Bürgerrechtler, Aleksandr Podrabinek: "Rußland muß aufgeben, was es besetzt hat, es muss historische Gerechtigkeit wieder herstellen und bei den kaukasischen Völker für Jahrhunderte der russischen Unterdrückung um Vergebung bitten." Diese Stimmen sind kaum zu hören in der neuen nachkommunistischen russischen Gesellschaft, die sich demokratisch gibt, die aber von einem alten Rassismus zusammengehalten wird. Ein Rassismus, meint Swetlana Gannuschkina von Memorial, der Ost- und Westeuropa verbindet: "Aber ist nicht eine Erscheinungsform unserer gemeinsamen Xenophobie in der Gelassenheit wiederzufinden, mit der sowohl der größte Teil der russischen Gesellschaft als auch der Westen die Verbrechen der russischen Regierung in Tschetschnien aufgenommen haben?" schrieb die Bürgerrechtlerin bereits 1996, kurz nach Ende des ersten Tschetschenienkrieges. Das gilt noch viel mehr für den derzeit noch immer laufenden Krieg. "Sind wir den Europäern nicht einmal so viel wert wie gestrandete Wale? Wären wir eine seltene Tierart, man würde uns wohl schützen," kommentiert eine Tschetschenin das westliche Wegschauen (aus: Die Wölfinnen von Sernowodsk von Irena Brezna).

Nicht nur die Staaten der EU schweigen. Der Tschetschenen-Krieg war für die vielen pazifistischen Gruppierungen, die den Nato-Krieg gegen Serbien vehement kritisiert haben, nicht einmal eine Randnotiz. Appelle tschetschenischer und anderer kaukasischer Menschenrechtsgruppen wurden einfach übergangen, die Hilferufe von Memorial, der Moskauer Frauen gegen Gewalt, der Soldatenmütter und des Friedenzentrums in Moskau fanden kaum ein Echo. Diese Appelle hat die Gesellschaft für bedrohte Völker im November 99 in Istanbul auf der OSZE-Konferez vorgestellt (mehr darüber in der homepage www.gfbv.de - kampagnen).

Der jüngste Versuch, die russischen Kriegsverbrechen an Tschetschnien anzuprangern, kommt von französischen Intellektuellen. Ihr Aufruf: "Das Schweigen über die Mordtaten in Tschetschenien muss gebrochen werden." Das ist Sainab Gaschajewa und Libkan Basajewa gemeinsam mit Andrei Mironow von "Memorial", Ella Polliakova und Irena Brezna auf dem "Euro-Festival" in Bozen und beim Treffen mit den Grünen im Europaparlament nur teilweise gelungen.

Erfolgreicher bewertete die russisch-tschetschnische Frauendelegation das Gespräch mit SVP-Obmann Siegfried Brugger. Er sicherte den Frauen seine politische Hilfe zu. Er will im italienischen Parlament eine Resolution für Tschetschenien einbringen, er will die Frauen zu einem Hearing in das Parlament einladen. Eine Resolution, die die Frauen ausgearbeitet haben (siehe unterstehenden Text). Die GfbV-Südtirol wird Brugger an das Gespräch erinnern und darauf drängen, die Resolution einzubringen und die Frauen nach Rom einzuladen.



Resolutionsentwurf für die Kammer des italienischen Parlaments

Sehr geehrter Herr Außenminister,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident
sehr geehrter Herr Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

schauen Sie auf die Stadt Grosny. Wo sind die Zehntausende von Zivilisten geblieben, wo die Kinder, die nicht fliehen konnten oder nicht fliehen durften? Eine grauenvolle Antwort drängt sich auf: Alte, Kinder, Frauen, Behinderte und Kranke - sie liegen unter Trümmern verschüttet, erstickt, verbrannt, zerschmettert, zerfetzt, verhungert, an Erschöpfung und Infektionen gestorben. Die Wenigen, die überlebten, müssen das fürchten, was Menschen anderer tschetschenischer Orte vielfach erlitten haben. Sie müssen fürchten, ausgeraubt, gefoltert, vergewaltigt oder ermordet zu werden.

Das italienische Parlament beschließt deshalb,
daß alle Kreditzahlungen an Rußland gestoppt werden,
die Wirtschaftsbeziehungen eingeschränkt werden,
Das italienische Parlament wirkt darauf hin, daß

Rußland im Europarat suspendiert wird, die Politik Rußlands international verurteilt wird, russische Militärs und Politiker sich vor einem internationalen Kriegsverbrechertribunal verantworten müssen.

Das italienische Parlament beschließt, daß Tschetschenische MenschenrechtlerInnen, russische Soldatenmütter und Menschenrechtler demonstrativ eingeladen werden.

Wenn die EU, wenn Italien weiter eng mit Politikern kollaboriert, die täglich die Konvention der Vereinten Nationen zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes verletzten, sind die europäischen Werte gefährdet. Das westliche Schweigen über Tschetschenien beschädigt die europäischen Werte mehr als die österreichische Regierungskoalition von ÖVP und der nationalchauvinistischen FPÖ. Unglaubwürdig sind die Reden über die Vergangenheitsbewältigung und die Feiern antifaschistischen Widerstandes.
 

INDEX
HOME
Eine Publikation der Gesellschaft für bedrohte Völker. Weiterverbreitung bei Nennung der Quelle erwünscht
Una pubblicazione dell'Associazione per i popoli minacciati. Si prega di citare la fonte @@@ WebDesign: M. di Vieste