"Justizterror" in der Türkei:
Verurteilung Erbakans wegen "Separatismus" bestätigt
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Bozen, Göttingen, 5.7.2000

Als „Justizterror“ hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Mittwoch die Bestätigung der Verurteilung des Führers der islamistischen Bewegung in der Türkei, Necmettin Erbakan, durch das Kassationsgericht in Ankara wegen „Separatismus“ bezeichnet. 1994 hatte der damalige Vorsitzende der Wohlfahrtspartei (Refah) im Wahlkampf in der südosttürkischen Stadt Bingöl davor gewarnt, dass der überzogene türkische Nationalismus ein kurdisches Gegenstück hervorrufe. Außer der entsprechenden Äußerung Erbakans hatte das für seine kurdenfeindliche Haltung berüchtigte Staatsicherheitsgericht in Diyarbakir, gegen dessen Richterspruch vom 10.

März Erbakan Widerspruch eingelegt hatte, keinen einzigen weiteren Grund für die Verurteilung des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten wegen "Separatismus" zu einem Jahr Haft genannt. Das Kassationsgericht wandelte heute die Strafe zu vier Monaten und zwölf Tagen Gefängnis sowie dem Verbot jeglicher politischer Betätigung ab.

"Der dafür herangezogene Paragraph 312 des türkischen Strafgesetzbuches wird regelmäßig dazu herangezogen, um demokratische kurdische Parteien zu verbieten und und türkische Menschenrechtler auszuschalten", kritisierte der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch am Mittwoch. Da der Paragraph das Recht auf Meinungsfreiheit verletzt, gilt er als eines der größten Hindernisse für den Demokratisierungsprozess in der Türkei.

„Bei allen Vorbehalten, die man gegenüber der Politik des Vordenkers der heutigen Tugend-Partei (Fazilet) haben kann: Diese Partei ist die einzige große türkische Partei, die Initiativen für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage innerhalb der Grenzen der Türkei entwickelt hat“, erklärte der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch. „Bestraft werden müssten jene bis heute in Amt und Würden stehenden türkischen Politiker und Generäle, die während des türkisch-kurdischen Krieges 1984-1999 hauptverantwortlich für die Ermordung Tausender Zivilisten, die Zerstörung von 3.428 kurdischen Dörfern und die Vertreibung von mehr als 2,5 Millionen Kurden waren. Von der türkischen Justiz kontrolliert werden müsste vor allem die offen faschistische Nationale Bewegungspartei MHP, die Teil der derzeitigen Regierungskoalition ist.“

Die in der Urteilsbegründung zitierte Äußerung Erbakans von 1994 lautete wörtlich: „Wenn Sie sagen, 'Ich bin stolz, ein Türke zu sein. Ich bin fleißig', dann werden sich unsere kurdischen Brüder das Recht nehmen zu sagen: 'Wir sind noch stolzer, Kurden zu sein, und fleißiger'. Wenn wir an die Macht kommen, werden wir diese Problematik ohne Blutvergießen lösen.“
(Übersetzung GfbV).
 

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