Menschenrechte als Leitfaden für die Zukunft der Menschheit

Ein Aufruf der Gesellschaft für bedrohte Völker an die Europäische Bischofskonferenz

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Bozen, den 11. Oktober 1999


Das Prestige der Europäischen Staaten fußt größtenteils auf deren Wirtschaftsgröße. Werte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Achtung der Menschenrechte, Schutz der nationalen Minderheiten, Toleranz gegenüber den Ausländern, werden bei der Beurteilung der Staaten kaum herangezogen. Bruttoinlandsprodukt, Wirtschaftswachstum, Exportdaten, Börsen, Stabilität der Währung, Kaufkraft sind jene Kriterien, an denen die Staaten und ihr Wert gemessen werden im Bestreben, sich gegenseitig zu übertreffen. Ethische Maßstäbe finden selten Anwendung. Dies führt in der gesamten Gesellschaft zu einer eindimensionalen, kulturell und geistig verarmenden Sichtweise.

Es liegt in der Logik dieses Denkens, daß über Menschenrechtsverletzungen hinweggesehen wird, wenn daraus wirtschaftliche Vorteile erwachsen. Bei den Beziehungen der Staaten untereinander - auch zu solchen Staaten, die noch keinen inneren Frieden und keine demokratische Ordnung erlangt haben - haben wirtschaftliche Kriterien einen weit höheren Stellenwert als Menschenrechte, Gerechtigkeit sowie Meinungs- und Religionsfreiheit. Bei ihren Besuchen werden die Staatsoberhäupter nicht von Menschenrechtsorganisationen begleitet, sondern von Wirtschaftsdelegationen, die der wirtschaftlichen Zusammenarbeit den Weg ebnen. Die Menschenrechte bleiben auf der Strecke und werden, falls überhaupt, nur marginal erwähnt. Selbst der Waffenexport in Staaten, wo Militärregime und Diktatoren mit diesen Waffen Verbrechen und Völkermord begehen, wird von der Politik der europäischen Staaten geduldet oder gar gefördert. So haben während des Bosnien-Krieges europäische Firmen eifrig Waffen und Technologie an die Kriegsverbrecher geliefert, so haben nach diesem Krieg europäische Firmen (mit dem Wissen und der Unterstützung ihrer Regierungen) die Armee Slobodan Milosevics - im Wissen um seine Absichten - wieder aufgerüstet, so geben sich die europäischen Firmen- und Staatschef die Türklinken in die Hand, um schwere Waffen, wie Panzer und Kampfhubschrauber, an die Türkei zu liefern, die damit bereits tausende von kurdischen Dörfern zerstört hat. Auch wer dem Mörder das Messer schleift, ist am Mord mitschuldig.

Die Staaten sind bereit, für gute Geschäfte auf die Menschenrechte zu verzichten. Es fehlt in der Wirtschaft und in Politik das Handeln nach ethischen Grundsätzen. Die Staaten der Europäischen Union sind zwar selbst mittlerweile nicht mehr an groben Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Das verleitet zu selbstzufriedener Bilanz und zu einem moralischen Fortschrittsglauben bzw. zu einer Fortschrittsillusion. In Wahrheit begünstigt die EU, wie der gesamte Westen, viele Diktaturen durch wirtschaftliche Beziehungen.

Die Kirche und ihre Würdenträger haben die Möglichkeit und die Aufgabe, auf jene Politik hinzuweisen, die Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen ist und gegen die Prinzipien der christlichen Weltanschauung verstößt. Es hat sich im Laufe der europäischen Geschichte der letzten Jahrzehnte erwiesen, daß sogenannte christliche Parteien christliche Prinzipien nur zur Wahrung ihres Wählerpotentials beschwören, ansonsten aber ethische Standpunkte, die christlichen Grundgeboten entsprechen, nur am Rande beachten und gern über Bord werfen, wenn sich wirtschaftliche Vorteile abzeichnen. Dies gilt für Waffenexporte genauso wie für den Ankauf von Rohstoffen, die durch die Vertreibung von Indigenen aus ihren angestammten Gebieten gefördert werden.

Die Kirche sollte den Mißbrauch des Begriffes "christlich" in der Politik einschränken. Jene Parteien, die sich als christlich bezeichnen, in der Politik jedoch zum Verbrechen, Völkermord und Menschenrechtsverletzungen beitragen, in dem sie Waffenexporte begünstigen, sollten von den Bischofskonferenzen der jeweiligen Länder öffentlich dazu aufgefordert werden, auf den Begriff "christlich" zu verzichten. In Zukunft sollten nicht mehr sogenannte christliche politische Kräfte grobe Menschenrechtsverletzungen wie Zerstörung von Wohngebieten, Vertreibungen, ethnische Säuberungen, in anderen Ländern durch Waffenlieferungen oder durch wirtschaftliche Zusammenarbeit allgemein unterstützen.

Eine Aufgabe der europäischen Bischöfe und der Kirche und ihrer Medien soll es sein, vermehrt auf die nicht-wirtschaftlichen Werte hinzuweisen und die Menschenrechte im allgmeinen Bewußtsein zu einem Kriterium für die Beurteilung eines Staates sein. Die Kirche und ihre Vertreter dürfen sich nicht scheuen, sogenannte Tabus (oft wird die Exportquote mit Arbeitsplätzen gerechtfertigt) aufzugreifen.

MINDERHEITEN
Die Kirche als Sprachrohr für die Diskriminierten

Die Staaten der Europäischen Union sind selbst (d.h. mit ihren Behörden oder Institutionen) nicht mehr an groben Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Das verleitet zu Selbstzufriedenheit und zu einem Fortschrittsglauben in moralischer Angelegenheit. Europa sieht sich, ähnlich (wenn auch in anderer Schattierung als die USA) als Musterland des Guten in der Welt. In Wahrheit werden in allen Staaten der Europäischen Union Menschengruppen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Sprache oder Kultur diskriminiert. Damit verstoßen europäische Staaten gegen das erste Prinzip der Menschenrechte.

In den Staaten der EU ist den Mitgliedern der Minderheiten zumeist nicht das Erlernen der eigenen Sprache in den Schulen gestattet, es ist nicht die Verwendung der eigenen Sprache in der öffentlichen Verwaltung gestattet, die Kultur der Minderheiten wird - entgegen der bei der Kultur der Mehrheit üblichen Praxis - kaum oder gar nicht gefördert, im kulturellen Leben der Staaten führen sie ausnahmslos eine Randexistenz. Die Minderheiten haben selten einen angemessenen Zugang zu den Massenmedien, ihre Anliegen werden dort auch selten zur Kenntnis genommen. Ganzen Menschengruppen werden also aufgrund ihrer Sprache wesentliche Rechte vorenthalten. Die Mitglieder von Sprachminderheiten sind in vielen Bereichen benachteiligt und genießen nicht die gleichen Rechte wie die Mitglieder der Mehrheit.

Daß dieser Verstoß nicht im Bewußtsein der Allgemeinheit ist, liegt nicht zuletzt daran, daß die meinungsbildenden Medien die der Mehrheiten sind, die den Minderheiten ihre Rechte vorenthalten. So wird den Minderheiten auch kein Sprachrohr gewährt. Zudem haben die Minderheiten meistens keine autonome politische Vertretung. So bleibt ihnen die Artikulierung ihrer Anliegen und die Mitbestimmung in den demokratischen Gremien untersagt.

Die Kirche hat die Möglichkeit, in diesem Bereich ohne Politisierung zu einer Besserung beizutragen. Bei der Einführung der Volkssprache in der Liturgie wurden zumeist nur die Staatssprachen berücksichtigt, die Sprachen der Minderheiten hingegen kaum. Viele von ihnen haben die Liturgie in der Sprache der Mehrheit. Die Diozösen, wo angestammte Sprachminderheiten leben, sollten die entsprechenden Maßnahmen ergreifen, um die Liturgie in der Muttersprache einzuführen bzw. auszubauen.

Dazu ist es auch notwendig, Mitglieder der Sprachminderheiten in hohe bzw. verantwortungsvolle Positionen zu berufen, da sie so die kirchliche Richtigkeit der Übersetzungen der liturgischen Texte begutachten können. Das Recht, das Wort Gottes in der eigenen Sprache zu hören, muß für alle Sprachgemeinschaften Italiens und Europas gelten. Sarden, Friauler, Okzitanen, Katalanen, Slowenen, Basken: Allen sollte das Wort Gottes in ihrer Muttersprache mitgeteilt werden. Wo ein kulturelles Hinterland über die Liturgietexte bereits verfügt (Kärntner und Steirer Slowenen, Slowenen im Friaul), sollte auf diese zurückgegriffen werden. Für die üblichen Gebete wie Vaterunser, Ave Maria, Salve Regina, usw. sollten einheitliche Übersetzungen gemacht werden. Die Diozösen sollten zudem ihre Priester dazu anhalten, die Predigten in der Muttersprache der Glaubensgemeinschaft zu halten.

Die Kirche sollte sich außerdem bemühen, das Liedgut der Minderheiten zu sammeln, in eigenen Gebets- und Gesangsbüchern herauszugeben bzw. zu integrieren und somit allen Gläubigen zugänglich zu machen. Die Kirche sollte sich zudem darum bemühen, die Entstehung von neuem Liedgut in der Minderheitensprache (Chormusik, Jugendmusik für die Jugendmessen) zu fördern. Außerdem sollten von den gängigen Liedern und Chorälen, die bislang in der Mehrheitensprache gesungen wurden, die Texte übersetzt werden. Die Minderheit nimmt solche Übersetzungen erfahrungsgemäß sehr rasch auf.

Die Kirche darf nicht ein Hilfsmittel der politischen Assimilierung von Minderheiten sein, sondern muß im Gegenteil dieser Assimilierung entgegenwirken. Es ist nicht der Auftrag der Kirche, auf der Seite der Mächtigen zu stehen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker ist der Ansicht, daß die Kirche durch den Aufruf zur Toleranz und durch ihre Praktizierung der Toleranz wesentlich zu einer Besserung der Lage der Minderheiten beitragen kann.
 

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