OFFENER BRIEF
IM ZEICHEN DER SCHEINHEILIGKEIT:
IHR DEMONSTIERT GEGEN EUCH SELBST!
An die Veranstalter und an die Teilnehmer
der Demonstration "Das andere Österreich" am 12. nov. 1999
GfbV Logo
Bozen, 11.11.1999

Eine Kundgebung gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz in Österreich ist sicher angebracht und notwendig. Doch ist es bedauerlich, daß eine derartige Kundgebung von der SPÖ für parteipolitische Zwecke mißbraucht wird. Abgesehen einmal von der Seltenheit, daß eine Regierungspartei gegen eine Oppositionspartei auf die Straße geht, ist die Kundgebung eine Demonstration gegen die Fehler der eigenen Politik. Die SPÖ war zu lange bei der Diskriminierungspolitik gegen die österreichischen Minderheiten sowie bei der Verhinderung einer menschlichen Einwanderungspolitik an vorderster Front, um heute gegen jene zu demonstrieren, mit denen sie zu oft gemeinsam gehandelt hat.

Die SPÖ hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die Anliegen der sechs nichtdeutschen Sprachgruppen in Österreich und der neuen Minderheiten der Imigranten kaum zur Kenntnis genommen. Die SPÖ hat gemeinsam mit der ÖVP und der FPÖ die Initiativen der Sprachminderheiten sowie der Liberalen und der Grünen für eine Förderung der Sprachminderheiten verhindert. Die Sozialdemokraten waren nicht bereit, das vollkommen unzulängliche, 25 Jahre alte Volksgruppengesetz zu modernisieren. In diesem Gesetz waren 1975, in weitgehender Übereinstimmung mit den Forderungen des Kärntner Heimatdienstes, von SPÖ, ÖVP und PFÖ gemeinsam die Rechte v.a. der slowenischen Minderheit so weit als möglich beschnitten worden.

Österreich hat bis heute die im Staatsvertrag eingegangenen Verpflichtungen zum Schutz der Minderheiten nicht erfüllt; damit kommt Österreich ein wesentlicher Teil seiner Daseinsberechtigung abhanden. Die Bundes- und Landesregierungen haben eine mehr oder minder offene Assimilierungspolitik betrieben mit der fatalen Folge, daß die meisten Minderheiten an den Rand ihrer Existenz gelangt sind: Eine stille sprachliche Säuberung Österreichs, an der die Sozialdemokraten gemeinsam mit den Freiheitlichen beteiligt waren.

Trotz der im Artikel 7 des Staatsvertrages angeführten Rechte gibt es enorme Defizite bei zweisprachigen Kindergärten und Schulen, bei den zweisprachigen Ortsnamen, bei der Verwendung der Minderheitensprachen in der öffentlichen Verwaltung und bei der muttersprachlichen Versorgung in Rundfunk und Fernsehen. In den Bundesländern mit Sprachminderheiten wie Kärnten oder Burgenland wurde die Schaffung eines zweisprachigen Bildungssystem boykottiert. In Kärnten hat sich Landeshauptmann Jörg Haider massiv in das dürftige zweisprachige Schulsystem der slowenischen Sprachgruppe eingemischt und sich gegen die Ernennung von zweisprachigen Direktoren für die zweisprachigen Grundschulen ausgesprochen. Haider wurde von der Bundesregierung nicht gestoppt, auch haben sich die demonstrierenden Gruppierungen nicht gegen diese Assimilierungsmaßnahmen ausgesprochen. In keiner Weise erfüllt ist der Schutz der slowenischen Sprachgruppe in der Steiermark, obwohl dies im Staatsvertrag ausdrücklich vorgesehen wäre. Die steirische ÖVP hat die Anerkennung nicht allein verweigert, sondern wurde durch SPÖ und FPÖ dabei unterstützt.

Die Volksgruppen haben sich Verbesserungen ihrer Lage gegen den Willen sämtlicher Regierungsparteien auf Landes- und auf Bundesebene regelrecht erzwingen müssen: Verbesserungen sind nämlich fast ausschließlich durch Urteile Verfassungsgerichts zustande gekommen. Mit ihrer Minderheitenpolitik verletzt die Bundesregierung auch die von Österreich ratifizierte Rassendiskriminierungskonvention der UNO. Laut Artikel 2 dieser Konvention sind die Vertragsstaaten verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, "um die angemessene Entwicklung und einen hinreichenden Schutz bestimmter rassischer  und ethnischer Gruppen oder ihnen angehörender Einzelpersonen sicherzustellen". Geschehen ist bis heute zumeist das Gegenteil.

Das Österreichische Volksgruppenzentrum dokumentiert jährlich die Defizite der österreichischen Minderheitenpolitik und weist die Diskriminierung von Angehörigen der Volksgruppen nach. Das Volksgruppenzentrum wurde für seine Kritik - so, als lebe man in einem absolutistischen Staat - bestraft: Die Bundesregierung hat ihm die Förderung gestrichen. 1997 hat außerdem das für Minderheitenfragen zuständige Bundeskanzleramt subventionsempfangende Minderheitenorganisationen ausschnüffeln lassen und schikaniert. Beamte des Kanzleramtes haben sich nach dem Verwandtschaftsgrad von Vorstandsmitgliedern der Vereine erkundigt, sie haben zudem ohne Wissen der Betroffenen Abonnentenlisten der Minderheitenzeitung mitgenommen. Von Vereinen sind Listen von Kindern, die an Sprachferien, Bastelabenden und Radwanderungen teilgenommen haben, verlangt worden. Das Bundeskanzleramt zögert zudem die Förderung hinaus und überläßt die Genehmigung von Projekten der Willkür der Beamten. Auch deshalb hat der Rechnungshof die Förderungspolitik des Bundeskanzleramtes für Minderheiten als hemmend und die Auszahlung der Mittel als schleppend kritisiert.

Bundeskanzler Viktor Klima und seine Partei grenzen seit Jahren Vertreter von Minderheitenorganisationen aus, die Minderheitenrechte einfordern. Den Exponenten der Minderheiten wird die Legitimierung zur Artikulation der Rechte der Minderheiten abgesprochen, außerdem werden sie häufig systematisch verunglimpft. Innenminister Karl Schlögl hat in Pliberk/Bleiburg gegen Slowenien und die Kärntner Slowenen in einer Art und Weise gehetzt, die genauso von FPÖ-Radikalen hätte stammen können. In der Tat hat sich der Innenminister vor den Karren der FPÖ-Ideologie spannen lassen. Landeshauptman Jörg Haider hatte den Innenminister aufgefordert, die Grenze zu wahren und die Einheit Kärntens vor Ansprüchen aus Slowenien zu schützen (was der Innenminister auch unverzüglich versprach). Ansprüche auf Grenzänderungen hat Slowenien aber nie erhoben. Der SPÖ-Innenminister und die FPÖ sind sich also in der Gespensterjagd einig. In dieser Tatsachenverdrehtung, in der die legitimen Rechte der slowenischen Minderheit mit Grenzfragen verbunden werden, gleichen die Protagonisten den italienischen Nationalisten um den neofaschistischen MSI, die mit der gleichen Argumentationsweise jeden Minderheitenschutz für Südtirol abgelehnt haben. Tragisch ist, daß sich in Österreich diese Minderheitenfeindlichkeit nicht auf einige extremistische Randgruppen beschränkt, sondern von SPÖ, ÖVP und FPÖ gleichermaßen (wenn auch mit unterschiedlichen Schattierungen) geteilt wird.

Die Sozialisten haben sich nach dem 2. Weltkrieg dadurch hervorgetan, daß sie besonders in Kärnten Tür und Tor ihrer Partei für die Nazis öffneten. 1976 hatte die Zeitung "Neues Forum" festgestellt: "Auch in der SPÖ machten Braune rote Karrieren". Aus der SPÖ-Jugendorganisation "Roter Falken" kommt der langjährige Obmann des faschistoiden Kärntner Heimatdienstes, Josef Feldner. In Allianz mit dem Heimatdienst hatte der SP-Bürgermeister von St. Kanzian, Vitus Jesse, im Oktober 1972 seine Bürger zum Ortstafelsturm aufgerufen. Auch in der Verhinderung eines Gesetzes für einen angemessenen Minderheitenschutz kam diese unselige Allianz zwischen SPÖ und KHD zum Tragen.

Es muß auch daran erinnert werden, daß es Bruno Kreisky war, der die Freiheitlichen auf dem politischen Parkett salonfähig gemacht. Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit hat er die FPÖ, der damals der SS-Veteran Peter vorstand, zum Koalitionspartner gemacht. Peter war übrigens nach 1945 kurzfristig Mitglied des sozialistischen Lehrervereins in Oberösterreich.

Das Nachkriegs-Österreich, allen voran die SPÖ, hat sich hartnäckig geweigert, den Sprachminderheiten die ihnen zustehenden Rechte zu gewähren. Wenn man die eigenen Bürger diskriminiert, weil sie eine andere Sprache sprechen, so wird man umso weniger mit Zugewanderten zurecht kommen. Wer heute demonstriert, sollte damit anfangen, die Mängel in den eigenen Reihen auszubessern.
 

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