Option - Anlaß zur Brüderlichkeit
Solidarität mit den Opfern heutiger ethnischer Säuberungen
GfbV Logo
Bozen, 20.10.1999

Morgen am 21. Oktober 1999 jährt sich zum 60. Mal der Abschluß des Hitler-Mussolini-Abkommens über die Zwangsumsiedlung der Südtiroler aus ihrer Heimat. "Option für Deutschland"- unter dieser Umkehrung der eigentlichen Absichten der Diktatoren Hitler und Mussolini lief damals die Propagandakampagne für die "Umsiedlung" der ladinisch- und deutschsprachigen Südtiroler. Was dem faschistischen Regime bis dahin nicht gelungen war, sollte mit dem Hitler-Mussolini-Abkommen nachgeholt werden: Die Assimilierung der deutschen, aber auch der ladinischen Minderheit. Die Mitglieder dieser beiden Sprachgemeinschaften mußten bis zum 31. Dezember 1939 für einen Verbleib in Italien (mit dem Verzicht auf die eigenen Rechte) oder für die Auswanderung ins Dritte Reich optieren.

Die seit 1922 praktizierte Assimilierungspolitik des Mussolini-Regimes und die massive NS-Propaganda des Völkischen Kampfrings Südtirol führten dazu, daß 80 Prozent der Südtiroler für die Umsiedlung optierten. Bis im Frühjahr 1944 verließen zwischen 75.000 und 80.000 Südtiroler ihre Heimat, Viele von ihnen wurden als "Wehrbauern" im östlichen Mitteleuropa angesiedelt, wo die Nationalsozialisten die slawische Bevölkerung vertrieben hatten.

Die Option war ein Teil der sogenannten "Neuordnung der ethnografischen Verhältnisse" in Europa. Nach der Verkündung dieser Neuordnung durch Hitler am 6. Oktober 1939 wurden bis 1943 15 Millionen Menschen aus- oder umgesiedelt sowie vertrieben. Grundlage dieser "Neuordnung" war nicht zuletzt das geheime Abkommen zwischen Deutschland und der Sowjetunion; mit dem Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 begannen beide Regimes mit einer ethnischen Flurbereinigung, die die Sowjetunion auch nach Kriegsende mit der Vertreibung von insgesamt 31 Millionen Menschen fortsetzte.

Die Umsiedlung von Minderheiten ist die letzte Konsequenz des nationalstaatlichen Denkens. Die Zwangsumsiedlung galt als Bevölkerungsaustausch und als Instrument der Regelung zwischenstaatlicher Konflikte. Im Ersten Weltkrieg hatte der Alldeutsche Verband die ethnische Säuberung der vom deutschen Kaiserreich eroberten Gebiete verlangt. Im Königreich Italien forderten Wissenschaftler die Herrschaft Italiens über das damals österreichische südliche Tirol und die Vertreibung der deutschsprachigen Tiroler. Bereits 1919 hatten sich Griechenland und Bulgarien auf einen "freiwilligen" Bevölkerungsaustausch geeinigt, 1923 vereinbarten die Türkei und Griechenland einen obligatorischen Bevölkerungsaustausch.

In Südtirol wurde mit dem Einmarsch der Wehrmacht 1943 die Auswanderung gestoppt. In den 22 Monaten der NS-Herrschaft in Südtirol starben mehr Südtiroler als in den über 20 Jahren der faschistischen Diktatur. Südtiroler unterstützten die SS bei der Verfolgung und Ermordung der Meraner Juden. Während in den letzten Kriegstagen und nach Kriegsende die Deutschen aus Osteuropa kollektiv vertrieben wurden, erhielten die Südtiroler nach harten Auseinandersetzungen eine Autonomie. Während die Überlebenden Südtiroler Juden keine Wiedergutmachung erfuhren, erhielten die Optanten von Deutschland 121 Millionen Mark als Reparationszahlungen für die Auswanderung und für den Verlust von Eigentum, Italien steuerte mehr als sieben Milliarden Lire bei. Österreich hingegen hat sich die 11.000 Wohnungen der Optanten einbehalten. Der inzwischen aufgelöste Beratungsausschuß für Umsiedlungsgeschädigte hat in seinem Schlußbericht die CA-Bank in Innsbruck aufgefordert, "noch alle Konten der Optanten, nach dem Vorbild der Schweizer Banken, offen zu legen". Dies ist bisher nicht geschehen.

Zwangsumsiedlungen finden auch heute noch statt. Derzeit vertreiben albanische Extremisten Roma und Serben aus dem Kosovo. Im Sinne der "ethnografischen Neuordnung" und des sogenannten Bevölkerungstranfers hat der serbische Nationalkommunist Slobodan Milosevic versucht, Jugoslawien neu zu ordnen: Seit 1991 sind mehrere Millionen Menschen geflüchtet oder vertrieben worden.

Einige von ihnen haben in Südtirol kurzfristig Asyl gefunden. Die meisten Flüchtlinge, die durch Südtirol reisen, stoßen aber auf Ablehnung. Aus humanitären Gründen sollte ein sich solidarisch verstehendes Südtirol dieser Flüchtlinge auf Durchreise annehmen - mit einem Flüchtlingshaus in Bozen und mit Flüchtlingszentren an den Grenzübergängen. Das Gedenken an die vor 60 Jahren von Nazi-Deutschland und dem faschistischen Italien vereinbarte Option soll zur Solidarität führen mit den heutigen Opfern von Gewaltherrschaft und Völkermord. Frei nach Heinrich Böll: "Die Option darf nicht Bürde, sondern muß zum Anlaß der Brüderlichkeit werden."
 

INDEX
HOME
Eine Publikation der Gesellschaft für bedrohte Völker. Weiterverbreitung bei Nennung der Quelle erwünscht
Una pubblicazione dell'Associazione per i popoli minacciati. Si prega di citare la fonte @@@ WebDesign: M. di Vieste