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Afghanistan: Internationale Gemeinschaft muss handeln

Kriegsverbrecher soll Afghanistans oberster Richter werden

Bozen, Göttingen, 22. Februar 2011

Afghanischer Bauer in der Provinz Ghazni. Afghanischer Bauer in der Provinz Ghazni.

Nach Informationen der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) könnte demnächst ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher Leiter des obersten Gerichtshofes in Afghanistan werden. Die Menschenrechtsorganisation warnte am Dienstag davor, dass Abdul Rab Rasul Sayyaf vom afghanischen Präsidenten Hamid Karzai als ein Kandidat für die neunköpfige Leitung des Gerichts vorgeschlagen werden soll. Das Parlament wird diesem Vorschlag voraussichtlich folgen, auch weil der einflussreiche ehemalige Parlamentssprecher Yunus Qanooni die Kandidatur des mutmaßlichen Kriegsverbrechers unterstützen wird. Im Gegenzug soll Qanooni sein altes Sprecheramt zurückerhalten, erfuhr die GfbV aus gut unterrichteten Kreisen in Kabul. Es gilt als sicher, dass das Leitungsgremium des Gerichts Sayyaf dann zum obersten Richter ernennen wird.

"Dieser Massenmörder darf auf keinen Fall oberster Hüter des Rechts in Afghanistan werden", sagte der Afghanistan-Referent der GfbV, Tillmann Schmalzried. "Nachdem bereits das Parlament als wichtigste demokratische Institution von Warlords kontrolliert wird, ist jetzt auch das Rechtssystem gefährdet. Damit droht der Aufbau eines demokratischen Afghanistans endgültig zu scheitern." Die GfbV forderte deshalb Bundesaußenminister Guido Westerwelle dringend dazu auf, die Kandidatur Sayyafs für den obersten Gerichtshof zu verhindern.

Sayyafs schlimmstes Verbrechen war seine führende Rolle bei der Vertreibung und Ermordung der schiitischen Bevölkerung des Kabuler Stadtteils Afshar im Februar 1993. Damals wurden Tausende von Menschen getötet. Hunderte Überlebende ließ er entführen und in seiner Residenz Paghman ermorden oder zu Tode foltern. Als ein Augenzeuge 2004 die Massengräber internationalen Journalisten zeigen wollte, sorgte der mächtige Warlord für dessen Hinrichtung, obwohl damals die Vollstreckung der Todesstrafe offiziell ausgesetzt war.

Der Paschtune Sayyaf war der einzige Wahhabit unter den Warlords der Nordallianz, des Bündnisses von Milizenführern gegen die Taliban in Afghanistan. Wahhabiten sind extrem konservative Muslime, die ihre Basis in Saudi-Arabien haben. Als solchem fiel Sayyaf die Aubildung der nichtafghanischen Kämpfer während des Widerstands gegen die Sowjetunion zu. So wurde er zum Ausbilder und Partner Osama bin Ladens und der philippinischen Terrorgruppe Abu Sayyaf.

Karzai sicherte sich bereits 2002 Sayyafs Unterstützung, indem er einen von dessen Gefolgsleuten an die Spitze des obersten Gerichts holte. Dieser berief ca. 900 islamische Rechtsgelehrte, die die 2004 verabschiedete Verfassung ablehnen, auch an die Provinzgerichte. Mitarbeiter des Max- Planck-Instituts für Internationales öffentliches Recht, das Kurse für afghanische Richter durchführt, mussten erleben, wie die Kursteilnehmer ganz offen ihre Ablehnung der Verfassung artikulierten.