Logo


In: Home > News > Chinua Achebe verstorben (21. März). Afrikas bedeutendster Literat war auch ein wichtiger Chronist des Völkermordes in Biafra

Sprachen: DEU | ITA


Chinua Achebe verstorben (21. März)

Afrikas bedeutendster Literat war auch ein wichtiger Chronist des Völkermordes in Biafra

Bozen, Göttingen, 25. März 2013

Chinua Achebe während einer Rede bei den Vereinte Nationen im 2006. Foto: UN Photo / Mark Garten. Chinua Achebe während einer Rede bei den Vereinte Nationen im 2006. Foto: UN Photo / Mark Garten.

Afrikas bedeutendster Schriftsteller, Dichter und Kritiker Chinua Achebe ist tot. Die ZEIT nannte ihn den Nelson Mandela der Literatur. Er hätte ein Umdenken in der Wahrnehmung Afrikas provoziert. Welterfolge wurden seine Werke: "Things fall apart", "No longer at ease", "A man of the people" und "Arrow of God". Doch Achebe war auch die bedeutendste Stimme Ostnigerias/ Biafras. Die über die Welt verstreute biafranische Diaspora und die Menschen in Ostnigeria betrachten ihn zu Recht als ihren größten Sohn.

Nur wenige Monate vor seinem Tod hat der seit einem schweren Autounfall 1990 querschnittsgelähmte Dichter sozusagen als Vermächtnis für seine Landsleute, aber auch für die Weltöffentlichkeit das Buch "There was a country. A personal history of Biafra" veröffentlicht. Darin erinnert er an die biafranische Tragödie, an den Völkermord, der seinerzeit 30 Monate lang die europäische Öffentlichkeit erschütterte und der möglich wurde, weil Großbritannien und die Sowjetunion Nigeria aus strategischen und ökonomischen Gründen, um des Öls Willen, bis zum Sieg über die Ostnigerianer unterstützten. Achebe erinnerte immer wieder an die Verantwortung der damaligen britischen Regierung Wilson einerseits und an die große Betroffenheit und Empörung der britischen Bevölkerung andererseits.

"Fast 30 Jahre vor Ruanda, vor Darfur", so Achebe, "verloren über zwei Millionen Menschen - Mütter, Kinder, Säuglinge, Zivilisten - ihr Leben. Das ist das Ergebnis einer himmelschreiend gefühllosen Politik durchgeführt von der nigerianischen Regierung. Die schlimmste Maßnahme ihrer Politik: das Aushungern als legitime Kriegswaffe. (…) Es hat so viele Menschenleben gekostet, das es zu einem der blutigsten Kriege der menschlichen Geschichte wurde."

Der Völkermord in Biafra hatte die deutschsprachige Öffentlichkeit aufgewühlt wie kein anderes Verbrechen der Nachkriegszeit. Oskar Kokoschka hat das ausgedrückt in einer Erklärung an die Aktion Biafra-Hilfe in Hamburg, die sie nach Abdruck eines entsprechenden, bis heute bemerkenswerten Appells deutscher Intellektueller nicht mehr rechtzeitig erreichte: "Dem bethleheminischen Kindermord in Biafra muss mit allen Mitteln ein Ende gesetzt werden", forderte der Maler. Aus der Aktion Biafra-Hilfe wurde die Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker, die sich unter dem Slogan: "Auf keinem Auge blind" bis heute dem Schicksal verfolgter ethnischer und religiöser Minderheiten widmet.

Die Worte, die damals Golo Mann der Dokumentation der Biafra-Hilfe voranstellte, haben wohl Chinua Achebe, den der Unterzeichner im Januar 1968 in Umahia/ Biafra, kennenlernte, nie erreicht: "Ich könnte mir vorstellen, dass sie (die Biara-Hilfe, Anm. Red.) es nicht leicht hatte, zumal unter ihren Kommilitonen: Wer nur von "Revolution" träumt, macht sich nicht viel aus "humanitärer Hilfe". Ein Krieg, in dem englische Imperialisten und russische "Kommunisten" am gleichen Tau des Verbrechens ziehen, in dem eine ehemalige Kolonie um die angebliche Einheit ihres Staates kämpft gegen einen Stamm, der nicht einmal sozialistisch ist, das interessiert nicht, darüber steht bei Lenin nichts drin."

Die Gesellschaft für bedrohte Völker appelliert an die deutsche Öffentlichkeit, diesen furchtbaren Völker- und Kindermord schon deshalb in Erinnerung zu behalten, um wenigstens heutigen und zukünftigen Opfern von Genozid rechtzeitig zur Hilfe zu kommen. Schließlich, so Generalsekretär Tilman Zülch, sind im Fall Biafras Vergangenheitsbewältigung, die Dokumentation der Namen der unzähligen Opfer und Wiedergutmachung ausgeblieben. Und die Firma Shell setzt die Zerstörung des Nigerdeltas in Ostnigeria/Biafra unentwegt bis heute fort. Die wehrlose Bevölkerung dieses ehemaligen Kriegsgebietes wird ausgebeutet und ihre Umwelt immer weiter vergiftet. Deutsche Politik muss dazu beitragen, dass dieses fortdauernde Verbrechen endlich beendet wird.