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Afghanistan:
Die Freunde der Taliban
Ausländische Interessen in Afghanistan
Von Michael Pohly
Gesellschaft für bedrohte Völker Logo
Bozen, 12.10.2001

Mit dem Auftauchen der Taliban im November 1994 in der südafghanischen Stadt Kandahar erhielt der Bürgerkrieg in Afghanistan eine neue Dimension. Die Taliban traten in einer Phase in Erscheinung, da in Afghanistan bereits islamistisch-fundamentalistische Mudschahedin (Glaubenskrieger) an der Macht waren. Seit 1979 waren die Mudschahedin von den USA und den benachbarten islamischen Bruderstaaten gegen die sowjetischen Besatzer aufgebaut worden. Sie hatten sich aber zunehmend in interne Fraktionskämpfe verstrickt.

Es herrschte ein allgemeiner Zustand der Rechtlosigkeit und Unsicherheit, Plünderungen und Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung. Die Taliban traten mit dem Anspruch an, in Afghanistan Recht und Ordnung wiederherzustellen, die Straßen zu sichern und den lang ersehnten Frieden zu bringen.

Zu Beginn gaben sie sich den Anschein, eine Bewegung engagierter „Religionsstudenten" und nicht, wie die anderen Mudschahedin-Parteien, fremdgesteuert zu sein. In den ländlichen Gebieten des südlichen Afghanistan, die vornehmlich von sunnitischen Paschtunen bewohnt werden, hatten sie zunächst keine Akzeptanzprobleme, da sie sich selbst vornehmlich aus dieser Volksgruppe rekrutierten und nur wenig Neuerungen einführten.

Doch je weiter die Taliban nach Norden in die großen Städte mit gebildeten Schichten sowie in die Gebiete der nicht-paschtunischen Volksgruppen vorrückten, desto mehr schlug die anfänglich positive Stimmung in Ablehnung um. In den eroberten Gebieten führten die Taliban ihre Auslegung der Scharia ein, die sie bis heute mit gnadenloser Härte exerzieren.

Sie verdrängten die Frauen gänzlich aus dem öffentlichen Leben, verboten den Schiiten, ihren Glauben zu praktizieren und erklärten Paschtu zur alleinigen Verwaltungssprache Afghanistans.

Die wahre Herkunft der aus dem „Nichts" entsprungenen „Religionskrieger" war zunächst auch Experten verborgen geblieben. Doch mittlerweile sind die mystischen Ursprünge der Taliban weitgehend aufgeklärt: Die Taliban begannen als Teil der Interessenpolitik Pakistans in Afghanistan.

Anfang der 90er Jahre war die pakistanische Regierung durch den Bürgerkrieg in Algerien und den Anschlag auf das World Trade Center unter internationalen Druck geraten. Besonders die USA und Ägypten warfen Islamabad die Unterstützung islamistischer Extremisten vor. Pakistans Marionette in Afghanistan, Gulbudin Hekmatyar, der die Hauptstadt Kabul während Jahren erfolglos belagert hatte, fiel in Ungnade.

Innerhalb kürzester Zeit wurde in Pakistan um einen Kern ehemaliger Widerstandskämpfer herum eine neue Truppe aufgestellt: die Taliban. Die Taliban stammten überwiegend aus den ländlichen Gebieten in Südostafghanistan und den Flüchtlingslagern in Nordpakistan. Die meisten waren junge Männer zwischen 15 und 30 Jahren, die im Krieg herangewachsen waren, viele als Waisenkinder.

Die Masse der Taliban sind Analphabeten. Sie verfügen lediglich über ein religiöses Basiswissen, das ihnen in religiösen Internaten (madrassa) beigebracht wurde. Von diesen Schulen existieren ca. 1.400, etwa die Hälfte davon wird von der islamistischen Jam'at-e 'ula-ma (JUI) kontrolliert. Zu ihrem Lehrplan gehörte vor dem Hintergrund der sowjetischen Besatzung Afghanistans eine militärische Grundausbildung.

General Nasirullah Babar, Innenminister der pakistanischen Regierung unter Benazir Bhutto, erklärte 1994 öffentlich, daß die Existenz der Taliban einem Zusammenspiel seines Ministeriums und der JUI entstammten. Mauwiawi Fazi ur-Rahman von der JUI und gleichzeitig Vorsitzender des Ausschusses für Außenbeziehungen im pakistanischen Parlament, übernahm die Schirmherrschart über die ideologische Ausbildung der Taliban, während Innenminister Babar denmilitärischen Part organisierte.

Die militärische Ausbildung der Taliban in Lagern bei Chaman war zunächst den pakistanischen Grenztruppen zugeordnet, die dem Innenministerium unterstanden. In den Flüchtlingslagern wurden zudem Offiziere und Soldaten der ehemaligen afghanischen Armee rekrutiert, zumeist frühere Kommunisten der Khalq-Fraktion, deren prominentester Führer General Tanai ist. Der pakistanische militärische Geheimdienst ISI, der seit der sowjetischen Besatzung die Kriegführung in Afghanistan lenkte und maßgeblich an der Etablierung der islamistischen Widerstandsgruppen beteiligt war, mißtraute den Zöglingen des Innenministeriums zunächst. Doch ISI-Chef Hamid Gul, stellte erneut die Weichen und führte die von ihm besoldeten Mudschahedin nach und nach den Taliban zu.

Zum politischen Programm der Taliban gehörte es anfänglich, den exilierten afghanischen König Zahir Schah als Vermittler wieder einzusetzen. Im Süden Afghanistans, wo entweder der Schah noch über Anhänger verfügte oder die Kommandanten auf der Gehaltsliste der Pakistaner standen, fielen ihnen weite Landesteile kampflos zu. Die USA und Großbritannien unterstützen sie damals mit dem Ziel, den extremen Islamismus in Afghanistan zu schwächen.

Doch die Taliban dachten nicht daran, demokratische Verhältnisse einzuführen oder gar Zahir Schah nach Afghanistan zurückzuholen. Für alle Beobachter überraschend kamen ihr Angriff auf Jalalabad und ihr Durchmarsch auf die Hauptstadt Kabul, der von einer neuen Dimension der Brutalität begleitet war. Kaltblütig ermordeten ihre Milizionäre auch diplomatische Vertreter. Unmittelbar nach Einnahme Kabuls hängten die Taliban den Ex-Präsidenten Najibullah, der in der UNO-Vertretung Schutz gesucht hatte, ohne jeden Prozeß.

Die Taliban riefen eine neue Regierung aus, die sogleich von Pakistan und bald von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten anerkannt wurde. Die westlichen Staaten signalisierten zunächst Wohlwollen. Der US-Botschafter in Pakistan empfing offiziell Vertreter der Taliban, die UNO schickte den Deutschen Beauftragten Holl nach Kabul. Noch immer zeigten sich die westlichen Vertreter zuversichtlich, daß die Taliban den Frieden nach Afghanistan zurückgebracht hätten.

Auch wirtschaftliche Interessen verband Islamabad mit der Unterstützung der Taliban. Von Innenminister Babar stammt die Initiative zur Gründung der Afghanischen Handels- und Entwicklungsgesellschaft, die Pakistan den Zugang zu den ressourcenreichen zentralasiatischen Ländern ebnen sollte. Nach den ersten Erfolgen der Taliban wurde mit der Umsetzung dieser Pläne begonnen. 1996 installierte die pakistanische Telecom ein Telephonnetz in Kandahar und integrierte es in das pakistanische. Die Pakistan International Airlines und die pakistanische Luftwaffe entsandten Techniker, um den Flughafen von Kandahar instandzusetzen und die MiG-Kampfflugzeugen und Kampfhubschrauber der früheren kommunistischen Regierung wieder in Betrieb zu nehmen.

Nach dem Fall von Kabul verkündete Pakistan den Bau einer strategisch wichtigen Straße, die Chaman mit Kandahar verbinden und ca. 100 Kilometer lang werden sollte.

Nach einer Visite von Prinz Turki al-Faisal Saud, dem Chef des saudiarabi-schen Geheimdienstes, in Kandahar wurde Riadh zum größten finanziellen Unterstützer der Taliban. Pakistans Innenminister vermittelte zwischen den Taliban und einem Konsortium, das von der amerikanischen Ölfirma Unocal und der saudiarabischen Delta Oil angerührt wurde, dn Vertrag über den Bau einer Erdgaspipeline von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan.

Es lag im geopolitischen Interesse der USA, die Rohstoffe aus Zentralasien am Iran vorbeizuleiten. Zusätzliche Unterstützung für die Taliban kam von jenen Schmugglern, die von Qyetta und Chaman aus operierten und von den afghanischen Mudschaheddinführern in ihren grenzüberschreitenden Schiebereien mit Drogen und Waffen behindert worden waren.

Diese Mafia besteht zumeist aus Pakistani,aber auch aus einigen afghanischen Paschtunen, die mit der Führung der Taliban verwandt bzw. verschwägert sind. Bei der Vorbereitung ihres Angriffs auf Herat 1995 soll die Qyetta-Mafia die Taliban mit täglich über 150.000 US-Dollar finanziert haben.

Doch die Verstrickung der Taliban in den internationalen Terrorismus vereitelte ihren Wunsch, ihre militärischen Eroberungen durch eine internationale Anerkennung absegnen zu lassen. Nach den beiden Bombenattentaten auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania beschuldigten die USA den in Afghanistan untergetauchten saudiarabischen Geschäftsmann Osama bin Laden der Drahtzieherschaft und schickten Marschflugkörper gegen seine mutmaßlichen Ausbildungslager. Bin Laden selbst blieb unversehrt, da er durch Indiskretionen gewarnt worden war.

Die anhaltende Weigerung der Taliban, bin Laden, der mit Mullah Omar verschwägert sein soll, auszuliefern, hat die amerikanische Regierung gezwungen, auf Distanz zu ihren einstigen Günstlingen zu gehen. Das US-Außenministerium hat bei verschiedenen Gelegenheiten eine Verbesserung der Menschenrechtslage in Afghanisten sowie die Bildung einer Mehrparteienregierung gefordert, im US-Senat kam es zu einer Anhörung von Vertretern der Nordallianz.

Aufgrund des Drucks internationaler und nationaler Menschenrechts- und Frauenorganisationen zog sich der Ölkonzern Unocal im Herbst 1998 aus dem Projekt der Erdgaspipeline zurück.

Der amerikanische Raketenangriff hat auch Islamabad in Verlegenheit gebracht. In einem von Bin Ladens bombardierten Camps befanden sich pakistanische Staatsangehörige, die von der islamistischen Bewegung Harakat ul-Ansar ausgebildet wurden. Diese hat für Terroraktionen in Kaschmir traurige Bekanntheit erlangt. Die internationalen Proteste gegen die pakistanischen Atomversuche sowie die Proteste Teherans gegen die Ermordung von neun iranischen Diplomaten bei der Eroberung von Mazar-e Scharif haben die pakistanischen Freunde der Taliban isoliert.

Saudi-Arabien zog seinen Botschafter aus Kandahar zurück. Im Herbst verweigerte die UNO dem Regime um Mullah Omar die Anerkennung als legitime Regierung Afghanistans. Offenbar wollen Iran, Indien, Rußland, Usbekistan, und Tadschikistan keinen „wahabitischen" Staat in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft sehen.

China, bislang immer ein treuer Verbündeter von Islamabad, verdächtigt die pakistanischen Islamisten der Unterstützung für muslimische Rebellen in seiner Provinz Xinjiang und geht auf Distanz. Auch innerhalb Pakistans mehren sich die Stimmen, die vor einer paschtunisch dominierten Regierung in Kabul mit pan-islamischen Anspruch warnen. Sie fürchten eine erneute Diskussion um die Durand-Linie, die heutige Staatsgrenze zwischen Pakistan und Afghanistan, die das paschtunische Siedlungsgebiet durchschneidet. Diese Grenze wurde von Afghanistan nie anerkannt. Wenn der internationale Druck auf Pakistan anhält, werden die Taliban empfindlich geschwächt.

Ein baldiges Auseinanderbrechen der Taliban entspricht jedoch eher dem Wunschdenken mancher Kommentatoren. Doch tatsächlich ist die Bewegung kein monolithischer Block, sondern es gibt mögliche Bruchlinien, die etwa fünf Fraktionen erkennen lassen.

Entscheidend aber ist, daß die Taliban ein künstliches Gebilde sind, das über keine nachhaltige Akzeptanz in der Bevölkerung verfügt. Ebenso wie ihre islamisch-fundamentalistischen Vorgänger sind die Taliban und auch die Fraktionen der Nordallianz von außen aufgezwungene Strukturen.

Noch immer ist ein genügend großes Potential von Afghanen vorhanden, die kompromißbereit sind und andere Modelle von einer afghanischen Zukunft haben als die Taliban und ihre Widersacher. Ein Teil von ihnen gehört traditionellen Eliten an, ein anderer modernen Bildungseliten.

Um eine Friedenslösung für Afghanistan auf den Weg zu bringen, gilt es, alle ethnischen und religiösen Gruppen in einer neuen Nationalversammlung (Loya Jirgah) zusammenzubringen. Damit dabei jene afghanischen Patrioten zum Zug kommen, müssen freie Wahlen organisiert werden. Die internationale Gemeinschaft darf die Willkür der afghanischen Kriegsherren nicht länger mit dem Willen der afghanischen Nation verwechseln.

Michael Pohly ist Arzt und Ethnologe und lebt in Berlin. Er leistet seit mehr als 20 Jahren Solidaritätsarbeit für Afghanistan und bereist die Region regelmäßig. Aus: pogrom 202/Februar, März 1999


Siehe auch:
Massaker an den Hazara
LinkDie Taliban in Mazar-e Scharif im August 1998. Von Andreas Selmeci
Afghanistan ohne Chance?
LinkExterne Mächte haben die nationale Einigung bisher verhindert. Von Michael Pohly
Hat der Islamismus eine Zukunft?
LinkNur durch Gewalt halten sich die Mullahs an der Macht. Von Andreas Selmeci
"Laßt uns nicht im Stich!"
LinkEine afghanische Frauenrechtlerin über Menschenrechtsverletzungen der Taliban. Von Andreas Selmeci
Afghanistan
LinkVergessen wir nicht die Menschenrechte! Von Mateo Taibon
Afghanistan:
Link"Die USA haben Bin Laden erfunden". Von Matthias Abram
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