Logo


In: Home > DOSSIER > Zur Situation Indigener in Nepal - Demokratie auf dem Blatt

Sprachen: DEU | ITA


Zur Situation Indigener in Nepal - Demokratie auf dem Blatt

Vom Mangel an konkreter Umsetzung des Schutzes und der Förderung der Menschenrechte für Indigene im Land des Mount Everest

Von Ulrike Griesser

Bozen, März 2010

Hindu-Tempel Pashupatinath in Kathmandu. Hindu-Tempel Pashupatinath in Kathmandu.

Nepal ist ein Land mit einer äußerst großen kulturellen Vielfalt. Dies wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass 37% der Bevölkerung offiziell als Indigene anerkannt wird. Die praktischen Maßnahmen der Regierung zum Schutz und zur Förderung dieser Minderheiten bleiben allerdings zuallermeist nur sehr beschränkt.

Indigene in Nepal?
Nepal ist ein Land mit einer langen Siedlungs -und Migrationgeschichte, was die Unterscheidung zwischen Indigen und Nicht -Indigen ungemein erschwert. Geographisch gesehen, könnte die gesamte nepalesische Bevölkerung als indigenes Volk eingestuft werden. Von den NepalesInnen selbst bezeichnen sich allerdings nur jene als Adivasi Janajati, also Indigene, die bereits vor der Ankunft der Hindus vor über fünf Jahrhunderten hier lebten und sich vor allem in Bezug auf Religion und gesellschaftliche Organisation von dieser dominanten Bevölkerungsschicht unterscheiden.

Gemeinsam ist den Indigenen Nepals, dass sie von der Bevölkerung als distinkt wahrgenommen werden und dass sie Anliegen haben, die sie mit so genannten Indigenen an anderen Orten der Welt teilen und welche am besten durch die Rubrik Menschenrechte adressiert werden können.

Demokratische Verfassung ohne Menschenrechte?
Im Juli 2009 publizierte James Anaya, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, einen Bericht zur Situation Indigener in Nepal, aus dem hervorgeht, dass Indigene heute immer noch unter aus Nepals Geschichte hervorgegangenen diskriminatorischen Praktiken leiden und nicht die Möglichkeit haben, ihre Rechte voll auszuleben: Aufgrund von Landreformen in den frühen sechziger Jahren haben sie unzureichenden Zugang zu traditionell von ihnen besiedelten Gebieten und den darin vorzufindenden Ressourcen. Diese Landrechtsprobleme sind nicht nur in Bezug auf Privatisierungen von Relevanz: fast alle Gebiete der sechs Nationalparks (die insgesamt fast 20% des nepalesischen Staatsgebietes ausmachen) wurden in der Vergangenheit von Indigenen bewirtschaftet und sind diesen heute nicht mehr zugänglich.

Das Resultat der Landenteignungen, die oftmals unter Anwendung von Gewalt durchgesetzt wurden und immer noch werden, sind mit ein Grund dafür, dass die Armutsindikatoren für Indigene insgesamt mehr als doppelt so hoch sind als bei der restlichen nepalesischen Bevölkerung. Nach der Vertreibung von ihren ehemaligen Siedlungsgebieten zogen viele Adivasi Janajati (Eigenbezeichnung der Indigenen) in Städte, wo sie bis heute oft in Ghettos am Rande der Gesellschaft und unter ärmlichen Bedingungen leben.

Andere Indigene zogen sich in weniger erträgliche Gebiete zurück und setzten ihre traditionelle Lebensweise fort. Solche Indigene leben oft sehr zurückgezogen, haben in der Folge keine Papiere und sind somit staaten- und rechtlos, was insbesondere in Bezug auf Zugang zum Schul- und Gesundheitssystem, aber auch im Zusammenhang mit politischer Partizipation ein gravierendes Problem darstellt. Auch wird so verhindert, dass die verschiedenen Gruppen von indigenen Völkern ihr Leben selbst bestimmen können und auf diese Weise wird auch ihre kulturelle Identität in Frage gestellt.

Eng mit solchen existentiellen Problemen verknüpft sind auch politische Benachteiligungen von Indigenen, sowohl auf regionaler, als auch auf Regierungsebene. Zwar gibt es in jüngster Zeit immer mehr Vereinigungen indigener Gruppen und in der Regierung selbst soll ein Quotensystem zu einer adäquateren Beteiligung aller Bevölkerungsschichten eingeführt werden, doch die reale Umsetzung dieser Maßnahmen ist fraglich: Abgesehen davon, dass politische Beteiligung ohne Papiere nicht möglich ist, stellen dabei der Mangel an Bildung und die dominanten Herrschaftsstrukturen die massivsten Hindernisse dar.

Diskriminierung von Indigenen erfolgte auch in weiteren Bereichen: so wurden lange Zeit Hinduismus als Staatsreligion und nepalesisch als Nationalsprache im Zuge des Nation Building gefördert, abweichende Weltbilder und sprachliche Formen hingegen diskreditiert. Alle diese Fakten geraten oft in Vergessenheit, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass seit nunmehr drei Jahren in der Republik Nepal auf Regierungsebene ein Demokratisierungsprozess stattfindet, welcher sich welcher sich vor allem aus den Arbeiten an der Verfassung erschließen lässt.

Viele Minderheiten und deren Sprachen (auch wenn nicht alle) werden vom Staat anerkannt und wer sich einer solchen zugehörig fühlt, hat formal das Recht auf schulische Grundausbildung in seiner Muttersprache. Internationale Konventionen wie die Frauenrechtskonvention und die Kinderrechtskonvention oder aber auch die ILO Konvention 169 und die Erklärung der Rechte indigener Völker wurden unterschrieben und ratifiziert. Solche rechtlichen Schritte verklären zwar die realen Zustände im Land, lassen jedoch auch Hoffnung auf zukünftige positive Entwicklungen aufkeimen.

Dazu ist allerdings auch massiver Druck aus dem Ausland nötig, der über das Engagement von Organisationen, Einzelpersonen, RegierungspartnerInnen und vor allem auch Medien erfolgen muss und auch von indigenen Vereinigungen selbst gefördert wird. Es liegt also auch an uns, die Minderheiten in Nepal nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Demokratisierung in Nepal kann als Chance für alle historisch marginalisierten Gruppen wahrgenommen werden, sich zu Wort zu melden, hoffentlich Gehör zu finden und eine Verbesserung der eigenen Lage zu erreichen, wenn es gelingt, diese von einer gesetzlichen Vorlage in gesellschaftliche Praxis umzusetzen. Um diesem Ziel möglichst nahe zu kommen, sind jedoch Wille und Einsatz aller Beteiligten und insbesondere der Regierung gefragt, historische begründete und strukturell tief verwurzelte diskriminatorische Praxen real und an ihrer Wurzel ansetzend zu befreien.

Hintergründe