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Zweispprachige & interkulturelle Erziehung: Das Recht auf Vielfalt

Editorial

Von Mateo Taibon

Bozen, 30. November 2005

pogrom 233 (5/2005), Zweispprachige & interkulturelle Erziehung: Das Recht auf Vielfalt Liebe Leserinnen und Leser,

Meine Muttersprache beherrsche ich - so halbwegs. Denn lernen musste ich sie allein, autodidaktisch. In der Schule habe ich meine Sprache nicht gelernt. Wie alle Angehörige der ladinischen Minderheit lernte ich in der Schule die Sprache in einem völlig unzureichenden Ausmaß. Eine Wochenstunde für die Muttersprache war das große Privileg des viel gelobten "Minderheitenschutzes", das den Ladinern in Südtirol zuteil wurde.

Mittlerweile hat sich die Lage freilich wesentlich verbessert. Hervorragende zwei Stunden pro Woche wird die Muttersprache in den Pflichtschulen unterrichtet; in den Oberschulen ist es weiterhin eine einzige Wochenstunde. Dies übrigens nur in den ladinischen Tälern, denn außerhalb ist Ladinisch selbst als Freifach nicht zugelassen - Spanisch oder Französisch ja, Ladinisch aber nicht. Selbst dieses Aschenputtel-Dasein musste gegen eine hartnäckige, Jahrzehnte lange Verleumdungskampagne erkämpft werden: Der politische Wille war der, eine rein deutsche Schule zu erzwingen. Ohne Muttersprache. Zwecks Assilimierung, genauer gesagt, Germanisierung - ein Geschichtskapitel, das in der Geschichtsschreibung versteckt wird. Die Kenntnis der Muttersprache ist, der Situation entsprechend, bei der überwiegenden Mehrheit der Ladiner katastrophal, die Sprache ist einer starken Erosion ausgesetzt. Sie ist bedroht.

Wo eine Mehrheit eine Minderheit assimilieren will, beginnt sie mit der Schule - mit dem Ausschluss der Muttersprache. In halb Europa ist assimilierender Nationalismus am Werk, still aber effizient: Zahlreiche Minderheiten Europas, denen das Grundrecht auf ihre Sprache und Kultur im Erziehungswesen nicht zugestanden wird, sind bedroht.

Mit einer Sprache sterben nicht nur Worte. Es sterben auch Vorstellungswelten, Weltanschauungen, Gemeinschaftsmodelle, Lebensauffassungen, Traditionen. Vor allem außerhalb Europas wird mit der Verweigerung des Unterrichts der Sprache und Kultur der indigenen Gemeinschaften ein Jahrtausende altes Erbe wegassimiliert - oft auch weggeprügelt. Denn zur kulturellen Gewalt gesellt sich häufig die politische und militärische Gewalt. Die Mapuche werden immer noch nach der Ideologie des Diktators Pinochet traktiert, mit Hilfe diskriminierender Gesetze, die für die Indigenen die freie Meinungsäußerung und die Einforderung ihrer Rechte mit Terrorismus gleichsetzen. Die nordamerikanischen Indianer konnten erst in jüngster Zeit das Recht auf eine normale Schulbildung erlangen.

Der Weg ist der eines zwei- bzw. mehrsprachigen und interkulturellen Unterrichts, damit Indigene und Minderheiten auf der einen Seite ihre eigene Kultur in die Zukunft mitnehmen können, auf der anderen Seite aber das Rüstzeug mitbekommen, um im Kontakt mit der globalisierten Welt bestehen zu können. Interkultureller Unterricht wäre auch für die Mehrheiten notwendig, die häufig völlig ahnungslos sind, was ihre anderssprachigen Nachbarn betrifft und dementsprechend Klischees und Vorurteilen anhängen. Die Angehörigen der Minderheiten sind fast immer zwei- oder mehrsprachig: Sie sind es, die den Weg zeigen für die kulturelle und sprachliche Vielfalt.

Ihr
Mateo Taibon

Aus pogrom-bedrohte Völker 233 (5/2005)


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/eu-min/mayr.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/autonom.html | www.gfbv.it/3dossier/vielfalt-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/3indice.html#eu-min

* www: Wolfgang Gombócz (Karl-Franzens-Universität Graz): www.inst.at/trans/15Nr/08_2/gombocz15.htm
Joshua Fishman: http://suse-www.stanford.edu/~joshuaafishman/
Internationales Komitee für die Rettung der bretonischen Sprache: www.breizh.net/icdbl/saozg/nominoe.htm
First Yiddish Language Conference: www.ibiblio.org/yiddish/Tshernovits/fishman.html

Letzte Aktual.: 7.12.2005 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/eu-min/05-5edit.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign, Info: M. di Vieste

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