Gesellschaft für bedrohte Völker LogoHOME | INFO | NEWS | -> DOSSIER <- | BACHECA / TERMINE | EDICOLA / KIOSK | LADIN

Die Saami

Indigenes Volk im Norden Europas

Von Nicole Kuhlmann und Theodor Rathgeber

Göttingen, 2006

Inhalt

Einleitung | Lebensweise bedroht | Die Saami-Parlamente | Die Rechtspraxis der Staaten | Der Nordische Saami-Rat

Wir, die Saami, sind ein Volk, vereint in unserer eigenen Kultur, Sprache und Geschichte. Wir leben in Gebieten, die seit undenkbaren Zeiten von uns allein bewohnt und genutzt worden sind.
(Aus dem politischen Programm des Saami-Rates, 1986)

Einleitung [ oben ]

Samischer Sprachraum. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Samische_SprachenDie mehr als 70.000 Saami in Norwegen (40.000), Schweden (15 - 20.000), Finnland (6.500) und auf der russischen Kola-Halbinsel (4.000) blicken auf eine 10.000 Jahre alte Kultur zurück. Sie entwickelten die Kunst, im strengen arktischen neun Monate dauernden Winter zu bestehen. Wie bei anderen indigenen Völkern (Ureinwohnern) steht im Mittelpunkt ihres Denkens die Natur, als deren integralen Bestandteil sie sich verstehen.

Die Saami lebten ursprünglich als Nomaden vom Jagen und Fischen. Die Rentierzucht wurde erst ab dem 17. Jahrhundert zu einem wichtigen Bestandteil ihres sozialen und kulturellen Lebens. Heute sind Saami in fast allen Wirtschaftszweigen zu finden. Die meisten leben von Fischerei und Landwirtschaft, etwa 10 Prozent sind in der Rentierzucht beschäftigt. Den Namen "Lappen" hören sie nur ungern, bedeutet er doch frei übersetzt "Hinterwäldler".

Rechtlich sind die Saami in keinem der genannten Staaten Eigentümer ihrer Territorien. Ebensowenig haben sie bis heute die Möglichkeit, auf politische Entscheidungen, die ihr Land und Leben betreffen, direkten Einfluß zu nehmen. Ihre Geschichte in allen vier Staaten ist von kolonialer Unterdrückung und Diskriminierung gekennzeichnet. Bis in die jüngste Zeit finden sich Beispiele, wie die nordischen Staaten versuchen, die Saami an die nationalen Werte und Normen anzupassen. Ihre Zelte und Holzhäuser mußten sie gegen Mietskasernen eintauschen. Die erzwungene Anpassung an die fremden Werte erzeugte das Gefühl der Minderwertigkeit. Noch 1992 schränkte die schwedische Regierung per Gesetz die Land- und Wasser-Rechte der Saami ein.

Lebensweise bedroht [ oben ]

Die Saami sehen sich als Spielball nationaler Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. Norwegen vergab Konzessionen zur Ausbeutung des Saami-Territoriums an eine multinationale Bergbaugesellschaft. Rußland verkaufte traditionelle Jagd- und Fischgründe (Lachs) an westliche Touristen und Investoren. Auf Saami-Territorium wurden und werden Kraftwerke, Staudämme, Fabriken und Militärbasen errichtet. Die Saami sind aber nicht nur einem Verdrängungswettbewerb um Land und Gewässer sondern auch in der Tourismuswirtschaft ausgesetzt. Sie befürchten, daß ihre Kultur zur Folklore abgestempelt wird. Wie etwa in Finnland, wo sogar finnische Studenten in Saami-Kleidung gesteckt werden, um sie ausländischen Besuchern als Ureinwohner zu verkaufen. Die 'Hilfs-Saami' werden sogar angehalten, ihre Gesichter dunkel zu färben, obwohl die Saami keine dunkle Hautfarbe haben.

Die Saami-Parlamente [ oben ]

Die Saami in Skandinavien und Rußland leben unter sehr unterschiedlichen Bedingungen. Überall konnten sie jedoch durch Selbsthilfe und Selbstorganisation Institutionen durchsetzen, die ihnen nach und nach einen grösseren politischen Spielraum ermöglichten. Die Saami-Parlamente nehmen dabei einen wichtigen Platz ein. Sie können jedoch keine Beschlüsse mit gesetzgeberischer Kraft fassen. Der Großteil der Saami fordert keine Eigenstaatlichkeit, sondern mehr Autonomie für die Regelung ihrer internen Angelegenheiten und dementsprechend größere Kompetenzen für die drei Saami-Parlamente in Norwegen, Schweden und Finnland.

Das erste Saami-Parlament entstand 1973 mit beratender Funktion in Finnland. Seit 1991 müssen die Saami dort bei allen Entscheidungen, die ihre Angelegenheiten betreffen, vom nationalen Parlament konsultiert werden. In Norwegen wurde 1989 zum ersten Mal ein Saami-Parlament (Sameting) gewählt. Es kann Initiativen ergreifen und eigenständig Informationen verbreiten. In Schweden existiert seit 1993 ein Saami-Parlament mit beratender Funktion. Für die Saami auf der Halbinsel Kola ist diese Organisationsform noch neu. Die russischen Gesetze zum Schutz indigener Völker existieren nur auf dem Papier. Ein den anderen Ländern vergleichbares Parlament gibt es dort bislang nicht.

Neben den Parlamenten entstanden andere beratende Gremien mit beschränkten Vollmachten, z.B. eine ministerielle Arbeitsgruppe für Saami-Angelegenheiten in Schweden, oder Ausschüsse zur Förderung der Saami-Kultur, die zum Beispiel die voraussetzungen schaffen sollen, in Schulen über die Saami zu informieren oder Bücher in die Saami-Sprache zu übersetzen. In allen drei nordeuropäischen Staaten können Kinder inzwischen die Saami-Sprache lernen. Allerdings erkennt Schweden, im Unterschied zu Norwegen und Finnland, die Saami-Sprache nicht als Amtssprache an. Es gibt Radio- und in kleinerem Ausmaß Fernsehprogramme in der Saami-Sprache. Zwar sind durch eine verbesserte Ausbildung immer mehr Saami in höheren gesellschaftlichen Positionen zu finden, doch um aus solchen Ausnahmen eine Regel zu machen, fehlt das Geld für ein entsprechend breit gefächertes Bildungsangebot. Gleiches gilt auch für die Kultureinrichtungen der Saami.

Die Rechtspraxis der Staaten [ oben ]

Ein samischer Rentierzüchter. Foto: Sabine Rogowski1990 ratifizierte Norwegen als erstes europäisches Land die ILO-Konvention 169 (International Labour Organisation, ILO), die indigenen Völkern das Recht zuspricht, ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nach eigenen Maßstäben zu bestimmen. Einmal im Jahr überprüft das norwegische Parlament diese Verpflichtungen gegenüber den Saami. Seit 1987 ist das Recht auf Erhalt der Saami-Kultur Gesetz. Doch der Fischfang in Norwegen steckt in einer Krise. Die Fangquoten wurden für alle, auch die Saami, herabgesetzt, die Einnahmen aus dem Fischereigewerbe gingen drastisch zurück.

Schwedische Gesetze garantieren den Saami zwar traditionelle Rentierweiden, Fisch- und Jagdrechte, jedoch nicht zur ausschließlichen Nutzung. Jagd in den traditionell saamischen Gebieten ist allen Staatsbürgern erlaubt. So können Saami nicht gegen Überjagen oder Überfischen oder auch die Beeinträchtigung der Rentierweiden durch Sportjäger vorgehen. Im Jahr 1998 eskalierte ein Konflikt um das Gewohnheitsrecht, im Winter die Rentiere in staatlichen und privaten Wäldern grasen zu lassen, ohne die Waldbesitzer dafür entschädigen zu müssen. Die privaten Waldbesitzer in Jämtland, Härjedalen und Dalarna (Mittelschweden) zweifelten dieses Recht an, da die Saami ihrer Meinung nach nicht lange genug in diesem Gebiet gelebt haben, um das Gewohnheitsrecht auf Winterweide beanspruchen zu können. In erster Instanz verloren die Saami und mußten sogar 2,5 Mio. DM Gerichtskosten bezahlen. Sie stehen vor dem finanziellen Ruin. Die Auseinandersetzungen dauern an.

In Finnland existiert neben dem Saami-Parlament ein offizieller Beratungsausschuss für Saami-Angelegenheiten, in dem zur Hälfte Saami vertreten sind. Die Saami haben das Recht, Rentierzucht, Fischerei und Jagd nach ihren Traditionen zu betreiben. Wie anderswo auch, sind diese Ländereien allerdings nicht ausreichend, werden eher kleiner, und die Qualität des Landes nimmt ab. Würde sich dieser Trend fortsetzen, wäre eine Assimilierung an die finnische Kultur unausweichlich.

In Rußland verboten die Regierungen bis in die 60er Jahre hinein die Saami-Sprache selbst für den Gebrauch innerhalb der Familien. In den 60er Jahren wurden sie aus ihren Dörfern in das städtische Zentrum Lovozero umgesiedelt. So sind sie heute unter der Million Einwohner auf der Halbinsel eine verschwindend kleine Minderheit. Selbsthilfe ist also angesagt. Eine Schule in Lovozero lehrt wieder die eigene Sprache und traditionelle Handarbeitstechniken.

Der Nordische Saami-Rat [ oben ]

Im Jahr 1956 gründeten die Saami in Finnland, Norwegen und Schweden den Nordischen Saami-Rat, um ihre Interessen als eigenständige Nation zu vertreten und ihr Territorium, ihre Sprache, ihre Kultur und ihre Organisationen mit eigenen Mitteln zu schützen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion traten ihm auch die Kola-Saami bei. Der Saami-Rat hat 15 Mitglieder: fünf aus Norwegen, je vier aus Schweden und Finnland sowie zwei Vertreter der Kola-Saami. Alle vier Jahre findet eine Vollversammlung der Saami statt, zu der die Saami aus Norwegen, Schweden und Finland je 20, die Saami von der russischen Kola-Halbinsel 5 Delegierte entsenden.

Neben der territorialen Frage beschäftigt sich der Saami-Rat mit der Verbesserung verfassungsrechtlicher Normen in den Bereichen Sprache, Umwelt, Ausbildung, Rentierhaltung, Fischerei und sonstige Grundlagen der Saami-Lebensweise. Der Saami-Rat engagierte sich auch in internationalen Gremien, um zu neuen Standards in der Behandlung indigener Völker zu kommen. Aus den Initiativen des Saami-Rates ging 1971 die Arbeitsgruppe über die Saami-Sprache hervor, die 1979 z.B. eine neue Orthographie für die Saami ausarbeitete. Im Jahr 1989 rief der Saami-Rat den Ausschuß für kulturelle Angelegenheiten ins Leben, der jedes Jahr den Nordischen Kulturpreis vergibt.

Unbeschadet einiger wichtiger Verbesserungen für ihren Lebensstandard sind die Saami noch weit von der Selbstbestimmung über ihre Zukunft entfernt. Wir sollten sie mit dieser Aufgabe nicht allein lassen, und das politische Gewicht der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Europäischen Union nutzen, um für ihre Rechte einzutreten.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/eu-min/sami-de.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/sami.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/sami2.html | www.gfbv.it/3dossier/vielfalt-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/rai3-99/min-ausgrenz.html | www.gfbv.it/3dossier/siberia/sibiri-de.html

* www: www.taigarescue.org | http://de.wikipedia.org/wiki/Samische_Sprachen | www.verddeviessu.org/gerindex.html | www.dmoz.org/Society/Ethnicity/Sami/ | www.sametinget.se | www.npolar.no/ansipra/english/index.html | www.swedengate.de/allgemeines/pdf_allg_sami.pdf

Letzte Aktual.: 11.5.2011 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/eu-min/sami1.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign: M. di Vieste; E-mail: info@gfbv.it.

HOME | INDEX DOSSIER | Translate this page in English with Google >>