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Chile / Mapuche

Scandiumabbau bedroht Öko-Tourismus

Von Gisela Jürgens-Weicken

Bozen, Göttingen, September 2007

Noch ist das Gebiet um die Seen Lieu Lieu und Lanalhuein der Provinz Arauko im Süden Chiles ein Naturparadies. Der Lieu Lieu gilt als der sauberste See Lateinamerikas. Die an seinem Ufer ansässigen Lafkenche-Mapuche leben vom Öko-Tourismus. Jegliche Wasserverschmutzung ist verboten, es gibt keine motorbetriebenen Schiffe und keine Einleitungen in den See. Doch das Paradies ist in Gefahr. Denn an den Ufern des Lieu Lieu sind mehrere Bergbauprojekte in Planung: für den Abbau von Eisen und Scandium. Scandium wird als Scandiumiodid in Quecksilberdampflampen zur Stadionbeleuchtung, zur Herstellung von Laserkristallen, aber auch als Bestandteil einer Aluminium-Lithium-Legierung in einigen Bauteilen russischer Kampfjets oder in der Fahrradindustrie verwendet. Jeder Abbau von Rohstoffen ist jedoch mit großen Erdbewegungen in den Uferzonen verbunden und verbraucht viel Wasser. Es wird daher nicht nur die Verschmutzung des Sees befürchtet, sondern auch das Sterben des Öko-Tourismus.

Der Beginn der Scandium-Förderung steht unmittelbar bevor. Das Unternehmen "Manto Rojo" hatte 2005 schon einmal versucht, Probebohrungen nach scandiumhaltigem Metall durchzuführen, war aber am Widerstand der betroffenen Mapuche-Gemeinden gescheitert, denen das Land gehört, auf dem sich Scandium- und andere Rohstoffvorkommen befinden. "Manto Rojo" formierte sich im Frühjahr 2007 neu. Einer der schon 2005 beteiligten Gesellschafter, der Chilene Juan Jaime Troncoso Saez, suchte sich einen neuen Partner: Benedicto Melin Paillali, selbst Mapuche, der nun zwischen den Investoren und den Mapuche-Gemeinden vermitteln bzw. deren Widerstand brechen soll.

Melin war früher mehrfach als Lobbyist für die Menschenrechte seines Volkes unterwegs, auch in Europa. Die scheinen ihm jetzt nicht mehr so wichtig. Stattdessen will er nun als Unternehmer am Scandiumabbau, den die betroffenen Lafkenche-Mapuche vehement ablehnen, mitverdienen. In diesem Frühjahr kam es in den Ortschaften Cañete, Tirúa und San Ramón zu Demonstrationen der Projektgegner. Die Mapuche haben in der Provinz Arauco bereits den größten Teil ihres Landes an Holzkonzerne verloren, für die sie für Hungerlöhne schuften müssen. Sie haben die denkbar schlechtesten Erfahrungen mit fremden Investoren gemacht.

In Tirúa, das mit Comtulmo zu den ärmsten Gemeinden Chiles gehört, besitzt eine einzige Holzfabrik 70 Prozent des Gemeindegebietes. Die Region ist durch Erosion der Böden, Zerstörung der ursprünglichen Wälder, Aufforstung mit schnell wachsenden Kiefern und Eukalyptus, die Aufsplitterung der indianischen Ländereien und hohe Arbeitslosigkeit bereits stark belastet. Hier konzentriert sich der Widerstand gegen den Scandiumabbau. Denn wenn sie nun auch noch vom Rest ihrer angestammten Ländereien vertrieben werden, werden Verlust der ökonomischen Grundlage, hohe Arbeitslosigkeit, sozialer Abstieg in die ärmsten Schichten der chilenischen Sozialstruktur, Verlust ihrer Muttersprache, kulturelle Verarmung und Stadtflucht die Folge sein.

Vertreibung bedroht auch jene 17 Familien, die in dem Konzessionsgebiet von "Manto Rojo" leben. Die Gegner des Projekts berichten, dass Angestellte des Konzerns bereits versucht hätten, sie von den Vorteilen des Scandium-Abbaus zu "überzeugen", indem sie ihnen zum Beispiel Arbeitsplätze und Gewinnbeteiligungen versprochen hätten. Die Rohstoffvorkommen befinden sich auf Land, das den Mapuche zwar gehört, aber aufgrund der chilenischen Gesetzgebung nur bis zu einer Tiefe von 50 cm. Alles, was darunter liegt, gehört dem Staat. Andererseits hat die nationale "Agentur für indigene Entwicklung" CONADI das Gebiet per Gesetz zur "ADI" (Area de Desarrollo Indigena), zum "Entwicklungsgebiet der indigenen Bevölkerung" erklärt, was bedeutet, dass die Mapuche über Projekte mitentscheiden und auch spezielle Förderungen erhalten können. Der Staat hat die Konzessionen aber verkauft, ohne dieses Gesetz zu respektieren, geschweige denn, vorher die Gemeinden zu unterrichten oder gar mit ihnen zu verhandeln.

Gisela Jürgens-Weicken ist GfbV-Expertin für die Mapuche in Chile, wo sie jedes Jahr mehrere Monate in Lebu im Mapuchegebiet lebt und arbeitet.

Chile. Bachelets falsche Versprechungen

Nach wie vor werden in Chile Mapuche, die mit Landbesetzungen auf ihre schwierige soziale und wirtschaftliche Lage hinweisen wollen, verfolgt, nach dem so genannten Anti-Terrorismusgesetz angeklagt und verurteilt. Daran hat auch die 2006 gewählte Präsidentin Michelle Bachelet nichts geändert, die mit dem Versprechen, die Situation der Ureinwohner Chiles deutlich zu verbessern, Wahlkampf gemacht hatte. Weder wurde das Anti-Terrorismusgesetz abgeschafft, noch wurden bereits gefällte Urteile überprüft oder gar revidiert. Auch die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die die Grundrechte indigener Völker festschreibt, wurde nicht ratifiziert, obwohl Frau Bachelet dies zugesichert hatte.

Die GfbV setzt sich seit Jahren für die Abschaffung des Anti-Terrorismusgesetzes und die Freilassung der politischen Gefangenen der Mapuche ein. Nach wie vor kommt es zu Verhaftungen und Anklagen wegen terroristischer Brandstiftung oder Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung. Dabei arbeiten die Mapuche-Bürgerrechtler mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams und zielen nicht darauf ab, Menschen zu verletzen oder gar zu töten. Bei ihrer Auslandsreise in die Schweiz in diesem Sommer ließ Bachelet in Genf verlauten, es gebe in Chile keine politischen Gefangenen unter den Mapuche. Sie sei selbst politische Gefangene gewesen und könne dies daher beurteilen. Dem gegenüber gehen die GfbV und mit ihr die politisch aktiven Mapuche davon aus, dass es sehr wohl zahlreiche Mapuche gibt, die wegen der ungebührlichen Härte ihrer Strafen und wegen der Anwendung einer noch aus der Diktatur stammenden Anti-Terrorismusgesetzgebung als politische Gefangene betrachtet werden müssen.

Friedlicher Mapuche-Protestmarsch in Alameda und Paseo Ahumada in Santiago, 13.5.2006.
Friedlicher Mapuche-Protestmarsch in Alameda und Paseo Ahumada in Santiago, 13.5.2006 | Friedlicher Mapuche-Protestmarsch in Alameda und Paseo Ahumada in Santiago, 13.5.2006 | Friedlicher Mapuche-Protestmarsch in Alameda und Paseo Ahumada in Santiago, 13.5.2006 | Friedlicher Mapuche-Protestmarsch in Alameda und Paseo Ahumada in Santiago, Polizeianwesenheit, 13.5.2006 | Friedlicher Mapuche-Protestmarsch in Alameda und Paseo Ahumada in Santiago, Polizeianwesenheit, 13.5.2006

Derzeit inhaftierte politische Gefangene: Victor Ancalaf Liaupe; Patricia Troncoso Robles; Florencio Jaime Marileo Saravia; Juan Patricio Marileo Saravia; Héctor Javier Llaitul Carrillanca; José Llanquileo Antileo; José Huenchunao Mariñan; Juan Carlos Huenulao Lienmil; Jorge Huenchullan Cayul; Henry Eliseo Queipul; Rodrigo Huenchullán Cayul; Daniel Alveal Levicura; José Nain Curamil; Waikilaf Cadin Calfunao. (Stand: Juli 2007).

Aus pogrom-bedrohte Völker 243 (4/2007).


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060516de.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/mapuche.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/mapuche-de.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/mapu-mergen.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/lota2003.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/georgi.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/dekade.html

* www: www.fidh.org/article.php3?id_article=3289 | www.mapuche-nation.org | www.universidadmapuche.org | www.mapuche.info | www.mapuexpress.net | www.nodo50.org/azkintuwe | www.hrw.org/spanish/informes/2004/chile1004/ | www.koyaktumapuche.net

Letzte Aktual.: 2.10.2007 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/mapuche07-de.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign: M. di Vieste; E-mail: info@gfbv.it.

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