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Zwangsumgesiedelt und privilegiert

Armenier im Iran

Tessa Hofmann

Göttingen, März 2010

Iran: der Klöster Surb Thaddei Wank, südlich von Maku. Iran: der Klöster Surb Thaddei Wank, südlich von Maku.

Die Beziehungen Armeniens zum Iran sind älter als zu jedem anderen Nachbarvolk. Sie waren allerdings auch starken Spannungen ausgesetzt. In der Antike, im Frühmittelalter sowie im 16. und 17. Jahrhundert lieferten sich persische Schah-in-Schahs mit Römern, Byzantinern und osmanischen Türken verheerende Schlachten um Armenien.

Beim Rückzug vor den osmanischen Truppen entvölkerte die iranische Streitmacht ganze Provinzen (Nachitschewan, Wan, Araratebene) und siedelte 1603 bis 1608 nach brutalen Zwangsmärschen bis zu einer halben Million Armenier im Iran an. Diese in der Anfangsphase privilegierten Überlebenden einer "Politik der verbrannten Erde" fielen schon bald der Verelendung zum Opfer und durften erst ab 1828 aus ihren Ghettos in den östlichen Transkaukasus auswandern. Ein anderes Teilstück Armeniens, Parskahajk ("Persisch-Armenien") am Grenzfluss Arax gehört weiterhin zum Iran; seine armenische Bevölkerung von etwa einer halben Million fiel während der osmanischen Militärintervention 1914 und 1918 Massakern zum Opfer.

Sowohl die Pahlawi-Dynastie, als auch die Islamische Republik Iran behandelten die politisch anspruchslosen Armenier als christliche Vorzeige-Minderheit. Diese Begünstigung verdanken sie dem Umstand, dass sie weder separatistische, noch irredentistische Ziele [Anschluss an das Mutterland, d. Red.] verfolgen und sie im Unterschied zu den Juden Irans auch keine Schutzmacht im Ausland besitzen, die die religiös-politische Elite des Landes als feindselig einstuft. Von seinen vier Nachbarn (Türkei, Aserbaidschan, Georgien, Iran) pflegt Armenien seit seiner Unabhängigkeit die entspanntesten Beziehungen mit dem Iran. Beide Staaten bilden eine Interessengemeinschaft der international Isolierten. So ist die islamische Republik auch ein wichtiger Wirtschaftspartner im Energiesektor für den armenischen Staat.

Der Bau einer zweiten Pipeline aus dem Iran ist im Gespräch und Iran hilft bei der Anwendung alternativer Technologien. So wurde Arme- niens erster Windpark überwiegend mit iranischen Mitteln erstellt. Zwei neue, iranisch finanzierte Wasserkraftwerke am Grenzfluss Arax sind geplant, ebenso wie der Bau einer dritten Hochspannungsleitung, die die Stromnetze beider Länder vereinen soll, und eine Eisenbahnverbindung. Der Iran hat stets seine Bereitschaft zur Vermittlung zwischen Armenien und Aserbaidschan bekundet und erlaubt, dass die armenische Minderheit während des Krieges in und um Berg-Karabach Kinder von dort aufnahm.

Geradezu vorbildlich ist der Umgang Irans mit geistlichen armenischen Architekturdenkmälern, deren Restauration und Pflege wohltuend von der systematischen Zerstörung armenischer Klöster, Kirchen und Friedhöfe abweicht, wie sie Aserbaidschan in Nachitschewan betreibt. In Parskahajk hat der Iran zwei restaurierte Klöster (Surb Thaddei Wank [10. Jh., 1329, 19. Jh.] und Stepanos Wank, 9. Jh.) sowie die Marienkapelle des Klosters Dsordsor (9./10., 14. Jh.) unter den Schutz der UNESCO gestellt - ein Vorbild, dem auch die islamisch geführte Türkei nacheifern sollte, die zwar in den letzten Jahren christliche armenische und griechisch-orthodoxe Baudenkmäler restauriert, deren gottesdienstliche Nutzung jedoch ablehnt und den Schutz durch die UNESCO nicht beantragt. Im iranischen Bezirk Maku sperrt die Polizei alljährlich die Zufahrt zum Kloster für Nicht-Armenier, wodurch den christlichen Pilgerinnen am Patronatsfest des Apostels Thaddeus die Einhaltung der sonst rigiden Kleidervorschriften erspart bleibt.

Trotz solcher Rücksichtnahme ist die Zahl der Armenier im Iran seit der Islamischen Revolution (1979) von 220.000 auf etwa 80.000 gesunken. Nach offiziellen Angaben leben allerdings immer noch 150.000 Armenier im Iran. Diese in der Minderheitenpolitik ungewöhnliche Aufrundung nach oben erlaubt nämlich die Anwendung einer Bestimmung, wonach im Iran den "Völkern der Schrift" - also Religionsgemeinschaften mit einer schriftlich fixierten Offenbarung - pro einhunderttausend Einwohner je ein Sitz im Parlament zusteht. Damit verfügt die armenisch-apostolische Minderheit weiterhin über zwei Festmandate.

Aus pogrom-bedrohte Völker 260 (3/2010)