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Westsahara

Afrikas letzte Kolonie

Von Moritz Pitscheider

Bozen, 22. August 2012

Sahraui-Protest zum Schutz der Rohstoffe der Westsahara. Foto: www.wsrw.org. Sahraui-Protest zum Schutz der Rohstoffe der Westsahara. Foto: www.wsrw.org.

Als Anfang Oktober 2010 einige Hundert Sahrauis ihre Zelte in Gdim Izik aufschlugen ging es in der restlichen arabischen Welt noch vergleichsweise ruhig zu. Noch konnten die Demonstranten im Zeltlager vom Gdim Izik nicht ahnen, in welchem Ausmaß friedliche Proteste die politische Lage vom Maghreb bis in den nahen Osten verändern sollten. Der sogenannte arabische Frühling sollte so manchen Despoten sein Amt kosten und Länder, welche Jahrzehnte unter Unterdrückung litten, für die Demokratie öffnen. Doch für die Sahrauis brachten die Aufstände im Frühjahr 2011 keine maßgebende Veränderung und auch die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Situation als Folge der von König Mohamed VI angekündigten Reformen zur Liberalisierung Marokkos wird bis heute enttäuscht. So lässt eine Einigung im Konflikt zwischen den sahrauischen Rebellen der Frente Polisario und dem Königreich Marokko weiter auf sich warten.

Der Konflikt zwischen den nach Unabhängigkeit strebenden Sahrauis und dem marokkanischen Staat dauert nun schon seit fast vier Jahrzehnten an, doch die erste Besetzung der Westsahara lässt sich bis auf die Aufteilung Afrikas unter den Kolonialmächten auf der Kongokonferenz (1884-1885) in Berlin zurückführen. So wurde das Gebiet der Westsahara also schon fast hundert Jahre vor der Besetzung durch Marokko kolonialisiert; es waren die Spanier, die in Berlin den Zuschlag für die Westsahara erhielten. Doch nach einigen Jahren spanischer Unterdrückung verschärfte sich 1973 die Lage, als sich mit der Gründung der Rebellengruppe "Frente Polisario" organisierter Widerstand gegen die Besetzung formierte. Mit dem Ende der Franco-Diktatur, begann im Jahre 1975 der Rückzug Spaniens aus der Westsahara.

Doch im Unterschied zu vergleichbaren Situationen in anderen afrikanischen Staaten sollte der Abzug der europäischen Kolonialmacht nicht zur Freiheit der lokalen Bevölkerung führen. Sowohl Marokko als auch Mauretanien erhoben nun Anspruch auf die Kontrolle über das Gebiet, welcher sich im November 1975 durch den "grünen Marsch" verdeutlichte: 350.000 Marokkaner nahmen an dem von der Regierung organisierten Marsch durch die Westsahara teil. Entgegen der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs setzte noch im selben Jahr die militärische Besetzung der Westsahara durch die beiden benachbarten Staaten ein. 1976 rief die Frente Polisario die "Demokratische Arabische Republik Sahara" (DARS) aus und der bewaffnete Konflikt zwischen den sahrauischen Rebellen der Frente Polisario und den Armeen Marokkos und Mauretaniens spitzte sich zu.

Während Mauretanien sich 1979 endgültig aus dem Krieg zurückzog, startete die marokkanische Armee weitere Offensiven und war bis zum Waffenstillstand im Jahre 1991 in Besitz von 2/3 des gesamten umkämpften Gebietes. Teil der Einigung, welche mit Hilfe der UN-Beobachtermission MINURSO (Mission der Vereinten Nationen für das Referendum in Westsahara) erreicht wurde, war der Plan zur Abhaltung eines Referendums, mittels welchem die Sahrauis über die Zukunft der Westsahara entscheiden sollten. Im April 2012 wurde das Mandat der Mission bis April 2013 verlängert, da bis heute kein Referendum abgehalten wurde und der Status der Westsahara deshalb weiter ungeklärt bleibt.

Ob man durch die Verlängerung des Mandats einer Lösung näher kommt ist äußerst fraglich. Schließlich kam es während laufender Beobachtermission zu massiven Ausschreitungen wie beispielsweise die Niederschlagung des gewaltfreien Widerstandes einiger sahrauischen Demonstranten im November 2010 . Das Protestcamp Gdim Izik, einige Kilometer außerhalb der Hauptstadt El Ayun, hatte seit der Entstehung Anfang Oktober 2010 stark an Zuspruch bei der sahrauischen Bevölkerung gewonnen. UN-Beobachtern zufolge sollen zeitweise bis zu 15000 Demonstranten in ca. 3000 Zelten an den friedlichen Protesten teilgenommen haben. Der Protest war nicht nur gegen die Besetzung des sahrauischen Territoriums gerichtet, sondern auch - ähnlich wie spätere Proteste in Tunesien oder Ägypten - gegen zunehmende Perspektivlosigkeit der Jugend wegen unzureichenden Arbeits- und Wohnsituationen.

Am 8. November versuchten marokkanische Sicherheitskräfte schließlich das Lager gewaltsam zu räumen und vertrieben dadurch mehrere tausend Sahrauis. Die Folgen der Unruhen im Protestcamp waren fatal: Angaben der Frente Polisario zufolge gab es auf Seiten der Demonstranten 36 Todesopfer und über 700 Verletzte. Laut Amnesty International wurden zudem rund 200 Demonstranten festgenommen - bei vielen soll es zu Misshandlung und Folter gekommen sein. Als etwa einen Monat später die Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi für Empörung in der arabischen Welt sorgt, sind die Proteste kaum mehr aufzuhalten.

In Tunesien, Libyen und Ägypten gehen allen voran junge Menschen auf die Straße und sorgen für einen Umsturz, der früher oder später kommen musste, den so plötzlich aber niemand erwartet hatte. Unterstützt von den Vereinigten Staaten und EU-Mitgliedern wie Frankreich oder dem Vereinigten Königreich wird in Libyen der Diktatur auch militärisch der Kampf angesagt. Doch die Proteste in der Nähe El Ayuns, in welchen Beobachter wie beispielsweise der amerikanische Philosoph und Linguist Noam Chomsky, sogar den Auslöser des Arabischen Frühlings sehen, finden keinen Platz auf der politischen Agenda von Obama und Sarkozy. Das plötzlich weltweit geweckte Interesse für die Freiheit der arabischen Völker lässt ehemalige Freunde Europas wie Gaddafi zu Erzfeinden werden; im Bezug auf die Westsahara lässt der Sinneswandel allerdings weiter auf sich warten. Dass mit einer funktionierende Beziehung zu lokalen Verbündeten auch die Ignoranz von international geltendem Völkerrecht kommt, ist dabei nichts neues: Im Dezember 1977 schaltete sich Frankreich aktiv in den Westsaharakonflikt ein und bombardierte im Rahmen der "Opération Lamatin" Stützpunkte der Frente Polisario mit Napalm, nachdem diese zwei französische Staatsbürger als Geiseln festhielt, sie aber unverletzt wieder freigab.

Der Konflikt um die Westsahara und die Unterdrückung der Sahrauis sind also die Seiten des arabischen Frühlings über die in Europa nicht gerne gesprochen wird - nicht ohne Grund: Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) machten Geschäfte mit Marokko im Zeitraum zwischen 2007 und 2011 8% der gesamten französischen Rüstungsexporte aus. Längst sind in den einst regionalen Konflikt nicht mehr nur Marokko und die Westsahara involviert; ohne die internationalen Beziehungen Marokkos zu den USA oder Frankreich, die dem Königreich nicht nur politische, sondern eben auch militärische Unterstützung garantieren, wäre die Kolonialisierung der Westsahara in diesem Ausmaß nicht mehr möglich.

Auf der anderen Seite stehen Staaten wie Algerien, welche sich traditionell solidarisch mit den Sahrauis zeigen und auf Grund der geographischen Lage von den Unruhen nicht verschont bleiben: Als Folge der Besetzung durch zur Zeit mehr als 200.000 Siedler und weitere 200.000 Soldaten aus Marokko ist die - teils systematische - Vertreibung der Sahrauis aus ihrer Heimat zu einem schwerwiegenden Problem geworden. So befinden sich nach Angaben der algerischen Regierung alleine in den Flüchtlingslagern östlich der algerischen Stadt Tindouff, welche mittlerweile von der Frente Polisario verwaltet werden, ca. 165.000 sahrauische Flüchtlinge. Laut UNHCR sind es weitere 26.000 Flüchtlinge in Mauretanien. Bei Anbetracht dieser hohen Anzahl an Schutzsuchenden ist das Ausmaß in welchem die Sahrauis ihrer Heimat beraubt werden schwer zu verkennen. So wird die Ausdehnung marokkanischem Lebensraums wohl weitergehen bis auch der letzte Sahraui seine Heimat verlässt.

Marokko hingegen wird sich weiter als stabiler Partner des Westens in der arabischen Welt anbieten und Einhaltung des Völkerrechts zusichern: "Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.", lautet beispielsweise Artikel 1 des von Marokko im Jahre 1979 ratifizierten UN-Zivilpaktes. Doch es ist genau dieses Recht auf Selbstbestimmung, welches den Sahrauis seit nunmehr 37 Jahren von Marokko verwehrt wird und ohne den nötigen politischen Druck, welcher nur durch mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf die Problematik entstehen kann, bleibt eine diplomatische Lösung in absehbarer Zukunft wohl unwahrscheinlich. So wird die Westsahara ihren unrühmlichen Titel wohl bis auf Weiteres behalten: Afrikas letzte Kolonie.

Moritz Pitscheider hat im August 2012 ein Praktikum bei der GfbV-Südtirol absolviert.