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Tschetschenien vor den Präsidentschaftswahlen

Chechen Civil Society Forum (CCSF): Vorbereitungstreffen zur Gründung einer zivilgesellschaftlichen Plattform

Bozen, Göttingen, Bern, 30. September 2003

Am 1. und 2. Oktober 2003 werden Vertreterinnen und Vertreter der tschetschenischen Zivilgesellschaft auf Einladung der Gesellschaft für bedrohte Völker in Bern zusammenkommen, um die Gründung einer zivilgesellschaftlichen Plattform vorzubereiten. Das Chechen Civil Society Forum (CCSF) will die Aktivitäten der Akteure vernetzen, welche sich in Tschetschenien für eine friedliche Entwicklung auf der Basis von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen.

Am 5. Oktober finden in Tschetschenien Präsidentschaftswahlen statt. Nachdem sich alle aussichtsreichen Anwärter zurückgezogen haben, verbleibt der pro-russische Statthalter Achmed Kadyrow als einziger ernstzunehmender Kandidat. Die Wahlen drohen, zu einer scheindemokratischen Farce zu verkommen. Vor diesem Hintergrund steigt die Verantwortung der tschetschenischen Zivilgesellschaft als Keimzelle eines zukünftigen Friedensprozesses und des anschliessenden Wiederaufbaus. Vertreterinnen und Vertreter der tschetschenischen Zivilgesellschaft kommen am 1./2. Oktober in Bern zusammen, um die Gründung einer gemeinsamen zivilgesellschaftlichen Plattform vorzubereiten. Das Projekt, welches von der Gesellschaft für bedrohte Völker koordiniert wird, will mit der Gründung des Chechen Civil Society Forum die Rolle und die Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Akteure in Tschetschenien und in der Diaspora stärken.

Folgende Teilnehmerinnen und Teilnehmer stehen Ihnen für Interviews zur Verfügung am Donnerstag, 2. Oktober 2003, 9.00 bis 12.00 Uhr in der Geschäftsstelle der Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz, Wiesenstrasse 77, 3014 Bern (tel. 031.3119065, info@gfbv.ch) oder nach Vereinbarung:

Albert Batukaev (Chefredakteur der Chechen Times)
Libkan Bazaeva (Menschenrechtsorganisation Memorial)
Natalija Nelidova (Gründerin Warm House, Moskau)
Ruth-Gaby Vermot-Mangold (Nationalrätin, Europarätin und Präsidentin der Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz)
Hanspeter Bigler (Geschäftsführer Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz)
Sarah Reinke (Tschetschenien-Referentin Gesellschaft für bedrohte Völker Deutschland)

Albert Batukaev (1967) ist ein tschetschenischer Filmemacher. Er kam 2001 nach Deutschland und hat von der deutschen Filmhochschule in München ein Stipendium erhalten. Albert Batukaev ist Chefredakteur der Chechen Times und Vertreter der tschetschenischen demokratischen Opposition in Deutschland.

Libkan Bazaeva (1945) wurde in Kasachstan geboren und arbeitete als Philologin an der Universität Grosny. Seit Kriegsausbruch veranstaltete sie verschiedene Antikriegsdemonstrationen und gründete im Frühjahr 1999 die Union Tschetschenischer Frauen. Noch im selben Jahr flüchtete die Familie Bazaeva vor russischen Angriffen aus Grosny. Seither lebt Libkan Bazaeva in der inguschetischen Hauptstadt Nasran und arbeitet für die russische Menschenrechtsorganisation Memorial. Sie begibt sich fast täglich in die Konfliktgebiete, um Zeugenaussagen über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und Inguschetien zu sammeln.

Natalija Nelidova (1953) ist Kindergärtnerin und Psychologin. Mit der Gründung des "Warmen Hauses" schuf sie den für lange Zeit einzigen Zufluchtsort für tschetschenische Flüchtlingskinder in Moskau. Unterdessen hat sie ihre Aktivitäten ausgeweitet und führt in Moskauer Schulen Projekte der Toleranz durch. In Inguschetien hat Natalja Nelidova ein Rehabilitationsprojekt für traumatisierte Frauen aufgebaut.

Das Chechen Civil Society Forum (CCSF)
Ein Projekt zur Stärkung der tschetschenischen Zivilgesellschaft

Das Chechen Civil Society Forum (CCSF) ist eine Plattform der tschetschenischen Zivilgesellschaft in Tschetschenien, Russland und der Diaspora sowie von Personen und Organisationen, die sich für eine friedliche Entwicklung Tschetscheniens auf der Basis von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit engagieren.

Das CCSF setzt sich primär das Ziel, die Aktivitäten der zivilgesellschaftlichen Akteure zu koordinieren und zu vernetzen. Das Forum will die Verankerung von menschenrechtlichen, demokratischen und rechtstaatlichen Werten und eine verstärkte Partizipation der Zivilgesellschaft am Prozess der Friedensfindung sowie am späteren Wiederaufbau fördern. Neben seiner Bedeutung als zivilgesellschaftliche Plattform in einem politischen Prozess will das CCSF auch Ausbildungs- und Sensibilisierungsprojekte in den Bereichen Menschenrechte, staatsbürgerliche Rechte, politische Partizipation sowie humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit unterstützen. In einem ersten Schritt wird ein Training-for-Trainers praktiziert, in einem zweiten Schritt sollen die Programme vor Ort ausgedehnt werden. Ein wichtiges Element bildet dabei die Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure mit internationalen Organisationen und Entscheidungsträgern.

Der Grundstein für das Forum wird an einem ersten Vorbereitungstreffen am 1. und 2. Oktober in Bern gelegt, zu welchem die Gesellschaft für bedrohte Völker ausgewählte Vertreterinnen und Vertreter einlädt. Hier wird eine erste Planskizze diskutiert und das weitere Vorgehen beschlossen. An einem zweiten Vorbereitungstreffen im April/Mai 2004 soll bereits der Entwurf für eine zivilgesellschaftliche Charta verabschiedet und erste konkrete Programme gestartet werden. Die offizielle Gründungskonferenz des Chechen Civil Society Forum ist für 22. bis 24. Oktober 2004 in Bern vorgesehen.

Tschetschenien vor den "Präsidentschaftswahlen"
Wahlgroteske führt Völkermord weiter: Ein Memorandum der Gesellschaft für bedrohte Völker (Oktober 2003)

Explosionen von Autobomben, Schiessereien, "Säuberungen" von Dörfern, nächtliches Verschwindenlassen von Zivilisten, Leichenfunde an Dorfrändern, Verlustmeldungen russischer Soldaten und Minenunfälle, das sind die üblichen Meldungen aus Tschetschenien vor den Präsidentschaftswahlen am 5. Oktober. In den Siedlungen beginnt mit der Dunkelheit die Ausgangssperre, an den Strassen stehen weiterhin die russischen Kontrollposten. Es existiert keine staatliche Autorität, der Alltag der Bevölkerung ist ein täglicher Kampf ums Überleben. Die Wahlen sollen dazu dienen, so die offizielle russische Position, einen legitimen Präsidenten zu bestimmen, der die Republik befriedet und den seit 1999 andauernden Krieg beendet. Tschetschenien soll Teil der russischen Föderation bleiben, der unter OSZE-Beobachtung gewählte Präsident Aslan Maschadow vollständig entmachtet werden. Tatsächlich jedoch zielt die russische Politik auf die so genannte "Tschetschenisierung" des Konfliktes ab. Die russische Armee vermag das Gebiet im Kaukasus nicht zu befrieden, also sollen sich, so die zynische Schlussfolgerung, die Tschetschenen untereinander bekriegen. Die Leidtragenden sind die tschetschenischen Zivilisten.

Die "Präsidentschaftswahlen" finden unter denkbar schlechten Vorzeichen statt: Der Sieger steht bereits fest. Dafür hat der Kreml im Vorfeld bereits gesorgt und seinen Kandidaten unschlagbar platziert. Manipulation war das wichtigste Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Ausser dem derzeitigen Statthalter Moskaus in Tschetschenien, Achmed Kadyrow, haben alle aussichtsreichen Kandidaten ihre Kandidatur zurückgezogen. Der eine zog sich nach einem Gespräch im Kreml zurück. Der andere erhielt Morddrohungen und dankte ab. Ein dritter Bewerber gab kürzlich bekannt, nur eine Kugel könne ihn von der Kandidatur abhalten. Die Beförderung zu Putins Berater für Kaukasus-Fragen erfüllte dann den gleichen Zweck. Mittlerweile fürchten die Tschetschenen die Übergriffe der berüchtigten Leibgarde Kadyrows mehr als die russische Soldateska. Diese wird dafür sorgen, dass die Auszählung der Stimmen bei den bevorstehenden Wahlen keine Überraschungen bringt.

Besonders bedrückend ist die Lage der 98.000 Flüchtlinge in Inguschetien. Von ihnen sollen 17.000 noch in den grossen Zeltstädten leben, die laut Achmed Kadyrow, dem amtierenden Präsidenten Tschetscheniens, bis zum 1. Oktober 2003 geräumt werden. Selbst das starke Engagement des UNHCR verhindert nicht, dass Russland mit aller Gewalt versucht, sich der Flüchtlinge zu entledigen. Das Memorandum der Gesellschaft für bedrohte Völker beinhaltet eine Chronik der Gewalt in Tschetschenien, welche die täglichen massiven Übergriffe auf Zivilisten von Seiten russischer Soldaten, aber auch von Gefolgsleuten Achmed Kadyrows dokumentiert. Sie zeigt die tatsächliche Lage in der Kaukasusrepublik, jenseits der russischen Propaganda, die verkündet, es herrsche schon lange kein Krieg mehr und die Sicherheitslage sei stabil.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030918de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030708de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030703de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030630de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030619de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/01-2/010629de.html | www.gfbv.it/3dossier/cecenia/010613cecenia.html

* www: www.iccnow.org | www.unhcr.ch | www.chechnya-mfa.info | www.memo.ru

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