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Adivasi in Kerala

Mit dem Rücken zur Wand

Von Mari Marcel Thekaekara

Bozen, Göttingen, 12. April 2005

Adivasi. Foto: Rainer Hörig In Kerala stehen die Adivasi mit dem Rücken zur Wand. Durch die Verstaatlichung der Wälder haben sie seit dem 19. Jahrhundert in ihrem Zuhause nicht mehr das Sagen. Die Briten verwirklichten damals als erste in Indien die Vorstellung vom Wald als Einnahmequelle. Die einheimischen Fürsten hatten dagegen diesen stets nur zum Jagen, Reiten und für andere Sportarten genutzt. Keineswegs betrachteten sie den Wald als ihr persönliches Eigentum. Entsprechend respektierten sie auch das Recht der Waldbewohner, Wildfrüchte, Nahrung und Futter zu sammeln. In den britischen Kolonien stand weltweit das Fällen wertvoller einheimischer Baumarten im Vordergrund, um somit Platz für Teak-, Rosenholz- und Mahagoni-Plantagen zu schaffen. Dadurch bekamen überall die einheimischen Völker Ernährungsprobleme: Wegen der Plantagenwirtschaft wurden die natürliche Nahrungsquellen - Knollen, Samen, Früchte und Gemüse - vernichtet. Dasselbe gilt für die für den Hausbau wichtigen Walderzeugnisse wie Bambus und Palmblätter. Die neue Forstpolitik führte zu einer Verarmung der Adivasi. Dieser Prozess intensivierte sich während des Ersten und Zweiten Weltkriegs, als der Bedarf an Holz für den Bau von Schiffen und von Schlafwagen für die Eisenbahn sehr hoch war.

Die Unterdrückung und die Einschüchterungen der kolonialen Steuereintreiber führten im gesamten Land zu Widerstand, der auf Seiten der Adivasi mit der Erhebung der Mal Paharias von 1772 seinen Anfang nahm. Indienweit, darunter auch in der Region Waynad in Kerala, fanden rund 75 größere Adivasi-Aufstände gegen die britische Gewaltherrschaft statt. 1864 ermächtigten sich die Briten im Zuge ihrer Forstgesetzgebung, jegliches Land, das mit Gestrüpp, Unterholz, Bäumen oder Wildnis bedeckt war, zu Staatseigentum zu erklären. Quasi über Nacht wurden die Waldbewohner zu illegalen, kriminellen Landbesetzern. Sie konnten von nun an rechtmäßig bestraft werden. Weiters wurden Adivasi-Rechte durch das Forstgesetz von 1878 verletzt, mit dem die Kategorien "reservierte Wälder", "geschützte Wälder" und "Dorrwälder" eingeführt wurden. 1896 erhöhten die Briten juristisch den Druck weiter, indem sie das Recht, Brennholz zu sammeln und zu verkaufen, für nichtig erklärten. In einem nächsten Schritt wurde auch das Weideland unter die Kontrolle des Staates gebracht. Die Forstgesetzgebung von 1927 schließlich änderte die Kategorie der "Rechte von Gemeinschaften" zu "Vorrechten von Personen".

Nach Erlangung der Unabhängigkeit 1947 setzte Indiens souveräne Regierung den kolonialen Umgang mit Adivasi-Rechten fort. Hinsichtlich dieser Rechte wurde stets der Eindruck vermittelt, dass es sich um "Privilegien" oder "Zugeständnisse" seitens der Regierung handele. Die Forstgesetzgebung von 1952 bedeutete eine Fortsetzung der unter den Briten begründeten Praxis. Dieser Trend hielt die nächsten vier Jahrzehnte an. Mit der Nationalen Forstpolitik von 1988 fand erstmals eine Kehrtwende statt: Der Schwerpunkt wurde von "Produktivität und Profit" auf "Schutz" verschoben. Für den Eigenbedarf wurde den Adivasi wieder der Zugang zu den Waldprodukten gewährt. Die Erweiterung des Gesetzes zum Schutz von Wildtieren von 1991 betonte die aktive Beteiligung der Adivasi am Schutz der Wälder. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch der Schaden, der Adivasi-Gemeinschaften im Namen des Waldschutzes zugefügt worden war, bereits unermesslich. Von den 600.000 Menschen, die landesweit aus Naturschutzgebieten und Nationalparks vertrieben worden waren, waren 500.000 Adivasi, die im Zuge dieses Prozesses völlig verarmt waren.

Auch in Kerala verarmten die Adivasi mehr und mehr. 2002 gab das Oberste Gericht dieses Bundesstaates der Landesregierung den Auftrag, 9.000 Hektar Land an landlose Adivasi zu verteilen. Der damalige Ministerpräsident A.K. Anthony versprach, je nach der lokalen Verfügbarkeit, jeder Familie zwischen 0,4 Hektar und 2 Hektar Land. Dies blieb eine lediglich mündliche Zusicherung, ein förmlicher Regierungserlass kam nie zustande. Eine von Keralas Regierung durchgeführte Erhebung ergab die Zahl von 13.500 landlosen Adivasi-Familien. Daraufhin machte der Ministerpräsident jedem Distrikt-Chef die Vorgabe, Land an Adivasi-Familien zu verteilen. Nur wenige Distriktleiter kamen dem nach. Zum Start dieser Kampagne verteilte der Ministerpräsident persönlich je 0,4 Hektar an 100 Familien im Distrikt Idukki. Als nächste erhielten weitere 100 Familien im Distrikt Kozhikode jeweils 0,4 Hektar. Im Distrikt Vythiri waren 715 Adivasi-Familien als landlos identifiziert worden, doch nur 300 von ihnen erhielten je 2 Hektar auf der Sugandhiri Kardamom-Plantage. Darüber hinaus bekamen 100 Familien je 1,2 Hektar. Dem Distriktchef von Waynad wurde aufgetragen, 160 Hektar von der Aralam-Plantage zu verteilen. Im Distrikt Idukki war das verteilte Land trocken und steinig. Es war für den Ackerbau völlig ungeeignet, so dass es die meisten Menschen kurz nach der Übergabe wieder verließen.

Auf Betreiben lokaler Politiker protestierten an vielen Orten Nicht-Adivasi-Bauern gegen die Verteilung von Land an Adivasi. Dies schreckte die Regierungsangestellten davon ab, der Anordnung des Ministerpräsidenten Folge zu leisten. Das Land, das in Aralam zur Verteilung vorgesehen war, gehört der indischen Zentralregierung; wenn die Landesregierung es verteilen will, muss sie umgerechnet 69 Millionen Euro an die Zentralregierung bezahlen. Die Bezahlung steht noch aus. Da die Adivasi dieser und anderer leerer Versprechen überdrüssig waren, beschlossen sie, weiter für ihre Rechte zu kämpfen. Aber auch ihre Gegner sind nicht untätig: Eine Bauerngewerkschaft hat das oberste indische Gericht in Delhi angerufen, um das erwähnte Urteil des obersten Gerichtes von Kerala anzufechten.

Die Bewegung Adivasi Ksehma Samiti (der kommunistischen Partei nahestehende Adivasi-Bewegung) hat 1.600 landlose Adivasi motiviert, ursprünglich bewaldetes Land zu besetzen. Diese Initiative wird von einigen politischen Parteien unterstützt. Die Adivasi haben sich in dem Gebiet niedergelassen. Ohne dass die Forst- oder Finanzbehörde ihre Siedlung geräumt hätte, leben sie dort seit März 2004. Die Regierung behauptet, sie hätte nur geringen Handlungsspielraum: Sie erklärt, sie habe nicht genügend ungenutztes Land, um es an die 13.500 Familien zu verteilen. In den Untersuchungen unabhängiger Nicht-Regierungsorganisationen wurde jedoch festgestellt, dass die Regierung über 440.000 Hektar ehemals bewaldetes Land verfügt, das verteilt werden könnte. Dazu ist jedoch das Einverständnis der Zentralregierung in Delhi erforderlich.

Übersetzung: Hans Escher.
Mari Marcel Thekaekara, aus Kerala stammende Journalistin.
Recherchen: K.T. Subramaniam.
Weitere Informationen: Adivasi-Rundbrief 19. Als Datei oder in der ausgedruckten Version beziehbar über: Hans Escher, Weiherstr. 12 35578 Wetzlar - Email: escher_hallwas@freenet.de

Aus pogrom-bedrohte Völker 230 (2/2005)


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/asia/adivasi-he.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/adivasi.html | www.gfbv.it/3dossier/h2o/indien.html | www.gfbv.it/3dossier/klima/klima3.html#r45 | www.gfbv.it/2c-stampa/01-3/010906de.html

* www: www.adivasi-tee-projekt.org | www.adivasi.net | www.ashwini.org | www.dalits.org | www.adivasi-koordination.de

Letzte Aktual.: 8.5.2007 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/asia/adivasi-mmt.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign, Info: M. di Vieste

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