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Minderheiten auf der Flucht
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Fünftes Kapitel: Menschenrechte für Minderheiten
Einleitung | 44. Rechtlose Minderheiten. Gruppenschutz braucht Gruppenrechte | 45. Ein Papier als Instrument. Der "Bozner Entwurf" | 46. Autonomie: "Königin der Minderheitenschutzinstrumente" | 47. Europas Sprachenvielfalt erhalten. Konvention zum Minderheitenschutz in den EU-Vertrag! | 48. Unterzeichnen, ratifizieren, umsetzen! Bausteine des Europarates für die Erhaltung nationaler Vielfalt: Die "Rahmenkonvention" | 49. Die "Sprachencharta" | 50. Das universelle Recht auf Sprache. Die Erklärung von Barcelona | 51. "Paket für Europa" Initiative für Minderheitenschutz im Recht der EU | 52. Minderheiten sind lebende Brücken. Beitrittskandidaten und Altmitglieder der EU sollen sie fördern

obenEinleitung

Einige Hinweise und Anregungen

Das letzte Kapitel soll die aktuelle Diskussion über die Sicherung von (Menschen) Rechten für Minderheiten und indigene Völker dokumentieren und zusammenfassen. Anhand der Dokumente, deren Behandlung im Rahmen des Rechtskundeunterrichts sinnvoll wäre, kann auf die aktuelle Rechtslage, auf verschiedene Versuche einer Rechtssicherung, einer gesetzlichen Festschreibung von kollektiven Rechten und auf den aktuellen Stand der Diskussion eingegangen werden.

Aus den Texten geht hervor, dass die Menschenrechtserklärung keine kollektiven Rechte für Minderheiten vorsieht und die Angehörigen der verfolgten religiösen und ethnischen Minderheiten deshalb schutzlos der Verfolgung und Vertreibung ausgeliefert sind und ihre Rechte nicht gesichert sind, dass es aber Bestrebungen in Richtung Absicherung kollektiver Rechte gibt. So hat der Europarat durch die Menschenrechtskonvention die allgemeinen Menschenrechte bestätigt und versucht, durch die "Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten" und durch die "Charta der Regional- und Minderheitensprachen" den Aspekt des Minderheitenschutzes zu einem Teil der Menschenrechte zu erheben.

Auch das Europäische Parlament hat des Öfteren die Anerkennung von Minderheitenrechten verlangt.

In den Gremien der UNO wird zurzeit die "dritte Dimension" der Menschenrechte diskutiert.

Der erste Teil des Kapitels enthält Beiträge von Südtirolern zum Thema Rechte von Minderheiten.

Einen interessanten historischen Überblick über die Problematik des Minderheitenschutzes im 20. Jahrhundert und eine Zusammenfassung des aktuellen Standes der Bemühungen um die Festschreibung von Gruppenrechten bietet der Beitrag von B.S. Pfeil "Rechtlose Minderheiten. Gruppenschutz braucht Gruppenrechte".

Ebenso interessant ist der Text über den "Bozner Entwurf", der über einen Beitrag Südtirols zur Sicherung von Grundrechten für europäische Volksgruppen informiert.

In Südtirol gibt es mehrere Institutionen, die sich mit der angeführten Thematik beschäftigen und die sicher auch gerne bereit wären, mit Schülern über den Themenkomplex zu diskutieren.

Auf die Bedeutung und Notwendigkeit der Sicherung der Sprachenvielfalt in Europa und auf gesetzliche Instrumente des Europarates zur Sicherung der Rechte von nationalen und sprachlichen Minderheiten gehen die Texte 47 bis 50 ein.

Der letzte Beitrag des Kapitels thematisiert die Fragen der EU-Erweiterung, die Bedeutung von Minderheiten und die Notwendigkeit des konkreten Minderheitenschutzes im Rahmen der EU.

Auch dieses Kapitel kann im Unterricht entweder vollständig oder in Auszügen behandelt werden.

Wichtig ist, dass den Schülern klar wird, wie wichtig die Sicherung kollektiver Rechte für Volksgruppen ist, welche zentrale Bedeutung die Wahrung der Sprachenvielfalt in Europa hat, welche Rolle dabei Institutionen wie der UNO und der EU zukommt und wie viel noch getan werden muss, um eine Rechtssicherheit für Minderheiten zu garantieren.

oben 44. Rechtlose Minderheiten. Gruppenschutz braucht Gruppenrechte
Das 50-jahrige Bestehen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) ist ein guter Anlass, deren Bedeutung für die Entwicklung des universellen völkerrechtlichen Individualschutzes hervorzuheben und v.a. Bilanz zu ziehen. So legt die am 10. Dezember 1948 von der UN-Generalversammlung unter dem noch gegenwärtigen Eindruck des 2. Weltkrieges und des Holocausts verabschiedete Deklaration die wichtigsten Menschenrechte fest. Umso erstaunlicher mag es auf den ersten Blick erscheinen, dass die AEMR zwar z.B. ein allgemeines Diskriminierungsverbot enthält, nicht jedoch spezifische Bestimmungen zum Minderheitenschutz. Im Zuge der Verhandlungen über die Deklaration war eine solche Bestimmung sogar ausdrücklich durch eine Mehrheit abgelehnt worden. Die nachfolgenden Bemühungen um einen Schutz ethnischer, sprachlicher, kultureller und nationaler Minderheiten waren und sind in besonderem Maß von einer Grundsatzfrage bestimmt, die sich wie ein roter Faden durch die Diskussionen zieht: Braucht es dafür nur Individualrechte oder auch Gruppenrechte, sollen nur Einzelpersonen oder auch Minderheiten als solche Träger von Minderheitenrechten sein? Bis heute ist diese Frage nicht befriedigend beantwortet, bis heute gefährdet die Verfolgung und Unterdrückung von Minderheiten den Weltfrieden. In diesem Zusammenhang zunächst eine kurze Rückblende.

Nach dem 1. Weltkrieg erkannten die Entente-Mächte in der ungelösten Nationalitätenfrage der Donaumonarchie eine Hauptursache des Kriegsausbruchs. Zugleich befürchtete man neue Minderheitenkonflikte, bedingt durch Gebietsveränderungen und das Entstehen weiterer Nationalstaaten. In dieser Situation erklärten die Alliierten die umfassende Lösung der Minderheitenfrage zu ihrem Anliegen. Der Abschluss von Minderheitenschutzverträgen avancierte so zur Vorbedingung für die Aufnahme von Staaten in den 1919 gegründeten Völkerbund, die Vorgängerorganisation der Vereinten Nationen. In den Jahren 1919 bis 1925 entstand ein dichtes Netz von völkerrechtlichen Verträgen, das Volksgruppen in zahlreichen Staaten Mittel- und Südeuropas, Skandinaviens und des Baltikums die völlige Gleichstellung mit den jeweiligen Mehrheiten und zugleich die Wahrung ihrer eigenständigen Identität ermöglichen sollte. Dieses theoretisch geschaffene, erstaunlich umfassende kollektive Minderheitenschutzsystem scheiterte aber in der Praxis: Viele Staaten waren nicht bereit, die geschlossenen Verträge einzuhalten. Im Völkerbund fehlte es an Bereitschaft und Kompetenz zur Durchsetzung der Verträge. Als weiterer Fallstrick erwies sich die Nichteinbeziehung der Alliierten und Russlands in das System.

Die mangelnde politische Bereitschaft zur konsequenten Lösung des Minderheitenproblems trug wesentlich dazu bei, die Atmosphäre für einen neuen verheerenden Waffengang in Europa zu schaffen. Mit der Besetzung des Sudetenlandes instrumentalisierte Nazi-Deutschland die Missstände für seine verbrecherischen Zwecke: Die "Lösung" von Minderheitenproblemen durch Angriffskrieg, Zwangsumsiedlungen und Völkermord. Mit den Vertreibungen am Ende des 2. Weltkrieges erhielt das Minderheitenschutzsystem des Völkerbundes dann seinen Todesstoß.

Eine Trendwende in Sachen Minderheitenschutz vollzog sich nach 1945: weg von einem System des Gruppenschutzes und hin zu einem allein auf das Individuum bezogenen universellen Menschenrechtsschutz nach dem Modell der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und der Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution. Weder die Charta der 1945 aus der Taufe gehobenen Vereinten Nationen noch die Menschenrechts-erklärung von 1948 enthalten daher eine Bestimmung zum Minderheitenschutz. Glücklicherweise ist die Entwicklung jedoch nicht an diesem Punkt stehen geblieben. Schon die zeitgleich mit der AEMR verabschiedete Resolution 217 C(III) betont immerhin, dass die UN auch künftig dem "Schicksal von Minderheiten nicht gleichgültig" gegenüberstehen wolle.

Obwohl sich der Trend zum reinen Individualschutz bei der weiteren Entwicklung des Menschenrechtssystems fortsetzte, ergaben sich einige bemerkenswerte Ausnahmen und Widersprüche: So zeigt schon die ebenfalls vor 50 Jahren verabschiedete "Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes", dass man sich einer wichtigen Einsicht nicht entziehen konnte: Die gezielte physische Vernichtung einer ethnischen Gruppe eröffnet eine zusätzliche verbrecherische Dimension, der mit der Bestrafung wegen Mordes allein nicht ausreichend begegnet werden kann. Im Falle des sog. kulturellen Völkermordes (Ethnozid) konnte sich die analog zutreffende Erkenntnis dagegen nicht durchsetzen. Bis heute fehlt es an einer entsprechenden Konvention.

Mitte der 50er Jahre wurden die UN-Aktivitäten zum Minderheitenschutz sogar vorläufig eingestellt. Stattdessen konzentrierte man sich auf den Kampf gegen die "Rassendiskriminierung". Bei der Ausarbeitung der entsprechenden, 1966 verabschiedeten Konvention wurde jedoch klar, dass auch die Volksgruppenproblematik nicht umgangen werden konnte: Als bedeutsam erwies sich gerade die Diskriminierung aufgrund sprachlicher und kultureller Merkmale. Dennoch wurde nicht die Konsequenz eines direkten Gruppenschutzes gezogen. Die beiden Ende 1966 verabschiedeten "Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte" (IPBPR) bzw. über "Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte" werden als Meilensteine der UN-Menschenrechtsentwicklung betrachtet. Art. 27 IPBPR enthält zudem die erste ausdrückliche Minderheitenschutzbestimmung, bezogen auf die Bereiche Kultur, Religion und Sprache. Auch hier zeigen sich indes Widersprüche: Rechte soll nur der einzelne Minderheitsangehörige erhalten; andererseits dürfen diese Rechte immerhin "gemeinsam mit anderen" ausgeübt werden. Artikel 27 setzt außerdem die Existenz einer ethnischen Gruppe zwingend voraus. Insofern werden gewisse kollektive Rechte anerkannt. Nach wie vor ungewiss ist dagegen, ob das kollektive "Selbstbestimmungsrecht der Völker" in den jeweiligen Artikeln 1 der Pakte wenigstens als sog. innere Selbstbestimmung (Autonomie) auch auf Minderheiten anwendbar sein soll.

Gewisse Fortschritte für die Thematik Existenz und Identität von Minderheiten brachte die UN-Deklaration über die Rechte von Angehörigen Nationaler oder Ethnischer, Sprachlicher und Religiöser Minderheiten von 1992. Auch hier konnte sich jedoch der gruppenrechtliche Ansatz, der vor allem im ursprünglichen Entwurf Jugoslawiens von 1978 enthalten war, nicht durchsetzen. Eine nahezu sensationelle Trendwende würde es dagegen bedeuten, sollte der Bericht der UN-Unterkommission für Minderheitenschutz vom 27. Juni 1997 über Menschenrechte und Bevölkerungstransfers von der Generalversammlung angenommen werden. Der im Bericht enthaltene Entschließungsentwurf umfasst neben anderen bemerkenswerten Bestimmungen erstmals auch einen in sich stimmigen Gruppenschutz.

Einziger Friedensvertrag mit Minderheitenschutzbestimmungen blieb das Pariser Abkommen zwischen Österreich und Italien von 1946 zugunsten der deutschsprachigen Südtiroler, zu dessen schrittweiser Durchsetzung die UN in den Jahren 1960/61 immerhin einen wesentlichen Beitrag leisteten. Vielfach ignoriert und tabuisiert wurden und werden dagegen andere Konfliktpotentiale in Ost- und Westeuropa sowie in den dekolonisierten Vielvölkerstaaten der sog. Dritten Welt. Die Folgen solcher Versäumnisse wurden nach 1989 in mehreren Kriegen zwischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion und beim Zerfall Jugoslawiens sichtbar. Dies wiegt umso schwerer, als auch Modelle von erfolgreichem Minderheitenschutz durch Autonomieregelungen (Südtirol, Deutsche und Dänen in Schleswig) oder durch volksgruppenfreundlichen Föderalismus (Belgien und Schweiz) vorhanden waren.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass das Recht der Vereinten Nationen zwar Ansätze zu einem gewissen, auch kollektiven Minderheiten-Schutzstandard zeigen. Die Existenz vieler einschlägiger Studien und Berichte sowie einiger Einzelfalllösungen belegt zudem die sachlich-theoretische und auch praktische Kenntnis des Problems. Nach wie vor mangelt es jedoch an der Bereitschaft zur konsequenten politischen Um- und Durchsetzung bestimmter Einsichten. Mehrheiten, v.a. in der Demokratie, genießen längst selbstverständlich das, was sie alteingesessenen Minderheiten grundlos vorenthalten: Gruppenschutz und Gruppenrechte in einem Staatswesen, das ausschließlich die Kultur und Sprache der Gruppe der Mehrheitsangehörigen widerspiegelt und dadurch deren individuelle Menschenrechtsausübung entscheidend befruchtet. Die gruppenrechtliche Absicherung auch der Identität der Minderheiten in den jeweiligen Staaten sollte deshalb erklärtes Ziel künftiger nationaler wie internationaler Minderheitenpolitik sein. Nur so könnte das Ruder der Geschichte endlich herumgerissen werden.

von Beate Sibylle Pfeil (Verfassungsrechtlerin, Mitarbeiterin des Südtiroler Volksgruppen-Instituts in Bozen und Mitglied der GfbV); aus pogrom - zeitschrift für bedrohte völker (200/1998)

oben 45. Ein Papier als Instrument. Der "Bozner Entwurf"
Politische Lösungen ethnischer Konflikte in den Staaten Europas anzubieten, ist Ziel des Bozener Entwurfes für eine Konvention über die Grundrechte der europäischen Volksgruppen. Er dient als Arbeitsgrundlage für das Zusatzprotokoll zur europäischen Menschenrechtskonvention, das die Parlamentarische Versammlung des Europarates am 1. Februar 1993 verabschiedet hat. Das Papier, das noch vom Ministerrat der 26 Staaten des Europarates gebilligt werden muss, gewinnt Rechtskraft, wenn es mindestens 5 Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

Die Initiative für einen wirksamen Minderheitenschutz in Europa ging von Ungarn aus, das 1990 bei der KSZE für den Aufbau verbindlicher Regelungen drängte. Die Teilnehmerstaaten reagierten darauf mit einem Aufruf an die Volksgruppen, eigene Lösungsvorschläge zu präsentieren. Die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV), ein Dachverband von 70 Volksgruppen, griff den Vorschlag auf. FUEV-Präsident Mitterdorfer erarbeitete zusammen mit dem Südtiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder, dem Kulurlandesrat Bruno Hosp, dem Völkerrechtler Karl Zeller und dem Sozialwissenschaftler Christoph Pan den ersten Bozner Entwurf, der von der FUEV beim KSZE- Expertentreffen im Juli 1991 vorgestellt wurde.

Im Mai 1992 war das Werk nach Diskussion und Abstimmung mit allen in der FUEV zusammengeschlossenen Volksgruppen vollendet: Die abschließende vierte Fassung des Entwurfs zur "Konvention über die Grundrechte der europäischen Volksgruppen, Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention" wurde verabschiedet.

Das Paket enthält vier Grundrechte

Unter den besonderen Grundrechten sind neun Ausgleichsrechte angeführt: Damit die Rechte nicht nur Absichtserklärungen bleiben, sind Vorschläge für Rechtsschutzbesimmungen formuliert worden. Diese sehen zunächst die innerstaatlichen Rechtsinstrumente vor. Wenn diese ausgeschöpft sind, kann ein internationaler Schutzmechanismus in Anspruch genommen werden. Dieser sieht drei Instrumente vor:

1. Individual- und Staatenbeschwerde vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte und vor dem Europäischen Gerichtshof;

2. Staatenberichte an die Europäische Kommission für Menschenrechte über die tatsächliche Verwirklichung der Menschenrechte (alle zwei Jahre);

3. die gütliche Streitbeilegung mittels einen unabhängigen Volksgruppenrates.

Der Bozener Entwurf unterscheidet inhaltlich zwischen Grundrechten und der interpretativen Erklärung. Die Grundrechte bilden den unveränderlichen "harten Kern" der Konvention. Die interpretative Erklärung bildet den Rahmen für die konkrete Ausführung. Sie soll flexible Lösungen ermöglichen, wenn auf besondere Gegebenheiten Rücksicht genommen werden muss.

Auf die Konvention, einer Charta für 70 europäische ethnische Gruppen, die einen eigenen Staat weder besitzen noch anstreben, richten sich bereits die Hoffnungen zahlreicher Menschen in Regionen mit ethnischen Spannungen. Die Sorben in der Lausitz, die Minderheiten in der Slowakei zitieren das Bozner Papier bereits im Kampf gegen die Assimilierung durch die Mehrheitsbevölkerung, die Samen Skandinaviens benützen es im Kampf gegen Kraftwerk- und Straßenbaupläne auf ihrem traditionellen Siedlungsgebiet.

pogrom - zeitschrift für bedrohte völker (171/93)

oben 46. Autonomie: "Königin der Minderheitenschutzinstrumente"
In die ab Mitte 1990 mit zunehmender Intensität in Gang gekommenen internationalen Bemühungen um ein europäisches Minderheitenrecht hat sich 1991 auch die "Föderalisische Union Europäischer Volksgruppen" (FUEV) eingeschaltet. Ende Mai 1992 legte sie als gemeinsamen Standpunkt ihrer derzeit 75 Mitgliedsorganisationen einen Konventionsentwurf über die Grundrechte der Europäischen Volksgruppen als Zusatzprotokoll zur EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) vor. Damit sollten die Erwartungen und Forderungen vieler europäischer Minderheiten den im wesentlichen von der Staatsraison allein dominierten Diskussionsergebnissen gegenübergestellt werden. Dies geschah in der Hoffnung, im gegebenen Interessenantagonismus einen fruchtbaren Dialog zwischen Staatsraison und Minderheitenraison zu eröffnen.

Die Standpunkte der 75 in der FUEV vertretenen europäischen Minderheiten und der internationalen Staatengemeinschaften (UNO, KSZE, Europarat, EG) sind, wie ein Vergleich zeigt, in einigen Punkten in Annäherung begriffen, z. B. hinsichtlich des Grundrechts auf Existenz und auf Nicht-Diskriminierung oder des Rechts auf Sprache usw.

In anderen Sachbereichen weichen die Standpunkte beider Seiten jedoch beträchtlich voneinander ab, wie hinsichtlich des Grundrechts auf Gruppenschutz, auf "positiven" oder besonderen Schutz, wie auch bezüglich des Rechts auf Autonomie.

Die Staatsraison vertritt teilweise noch den Standpunkt, das Gleichheitsprinzip erfordere die Gleichbehandlung aller, ungeachtet der jeweiligen Unterschiede; dagegen nimmt die Volksgruppenraison den Standpunkt ein, nichts sei ungerechter als Ungleiches gleich zu behandeln.

Auf die beinahe allgegenwärtige Befürchtung der Staaten, die Gewährung von Rechten der autonomen Selbstverwaltung führe zu sezessionistischen Ambitionen der Volksgruppen und damit zu Gewalt, erwidert die Volksgruppenraison, Autonomie sei die "Königin der Minderheitenschutzinstrumente" und unter Wahrung des Prinzips der territorialen Integrität der Staaten jener Zustand, der ein Minimum von Fremdbestimmung gewährleiste. Nur durch Verweigerung solcher Rechte von Seiten der Staaten würden die Forderungen nach dem Selbstbestimmungsrecht ausgelöst, und es gäbe hinreichend empirische Erfahrungen, dass "nur zufriedene Volksgruppen auch gute Volksgruppen sind".

Christoph Pan vom Südtiroler Volksgruppen - Institut in: pogrom - zeitschrift für bedrohte völker (174/ 1993)

oben 47. Europas Sprachenvielfalt erhalten. Konvention zum Minderheitenschutz in den EU-Vertrag!
Sprache dient zunächst dem Zweck der Kommunikation. Aber sie ist weit mehr als das. Sprache ist ein Werkzeug, ein sorgfältig geschliffenes Werkzeug, von einem Volk entwickelt, um seine Erfahrungen und Ideen zu erhalten, zu bewahren und zu übermitteln. Durch seine Literatur - sei es schriftlicher oder mündlicher Form - kann eine Sprachgemeinschaft ihre feinsten und intimsten Gedanken über die unmittelbare Verwendung hinaus von Generation zu Generation weitertragen.

Wortschatz und Grammatik jeder Sprache spiegeln die historischen Erfahrungen und vor allem die Schöpferkraft ihrer Benutzer wieder. Jede Sprache hat ihre dazugehörige Kultur, die im weitesten Sinne als der gesamte Komplex der spirituellen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Merkmale bezeichnet werden kann, der eine Gesellschaft oder soziale Gruppe charakterisiert. Dieser Komplex beinhaltet nicht nur Kunst oder Literatur, sondern auch die Lebensweise, die grundsätzlichen Rechte des Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glauben. Wenn ein Baum gefällt wird, stirbt mit ihm das gesamte Ökosystem, das er gestützt hat. Gleichermaßen verliert auch die Menschheit die gesamte Kultur, die sich um eine Sprache herum entwickelt hat, wenn diese stirbt.

Experten schätzen, dass in unserer heutigen Welt zwischen 6000 und 7000 Sprachen gesprochen werden. Manche nehmen an, dass in 100 Jahren nur ein Drittel dieser Vielfalt existieren wird. Andere befürchten, dass bis zu 90% von ihnen verschwunden sein werden. 1996 veröffentlichte die Europäischen Kommission die Studie "Euromosaic", welche die Sprachminderheiten in der Europäischen Union behandelt. Für das Überleben von 26 der 48 untersuchten Sprachgemeinschaften besteht wenig Hoffnung.

Eine Atmosphäre zu schaffen oder zu tolerieren, in der eine Sprache nicht überleben kann, ist Sprachenmord. Zudem ist es eine schwerwiegende Verletzung des kulturellen Umfelds, an der wir letztlich alle verarmen. Es ist nicht lange her, seit Kinder in der Schule dafür bestraft wurden, wenn sie ihre Regional- oder Minderheitensprache statt der Amtsprache sprachen.

Linguistischer und kultureller Imperialismus ist immer noch unter uns. Nur die Methoden sind andere. Statt physischer Strafe sind die Kinder jetzt Ziel psychischer Vergewaltigung. Ihnen wird gesagt, dass ihre Muttersprache nur noch eine von Fischern und Bauern gesprochene Mundart ist und dass sie wohl besser damit bedient wären, eine der zentralen Sprachen der internationalen Kommunikation zu sprechen. Wenn die Elternsprache von einigen Kernbereichen gebannt und in der Schule nicht gelehrt wird, entwickelt sich die falsche Botschaft der Mächtigen natürlich zu einer sich von selbst erfüllenden Prophezeiung. Generationen von jungen Leuten werden aufwachsen und sich ihrer Muttersprache und ihrer Kultur schämen, von ihrem eigenen soziokulturellen Umfeld abgeschnitten, ohne wirklich in ein anderes zu passen.

In Europa wurden in den letzten 20 Jahren verschiedene gesetzliche Instrumente entwickelt, die dem Schutz des sprachlichen und kulturellen Erbes Europas dienen. Die wichtigste unter ihnen ist zweifellos die "Europäische Charta für Regional- und Minderheitensprachen". Von 18 Ländern wurde die Charta unterzeichnet, von sieben bereits ratifiziert. Seit 1981 hat das Europäische Parlament vier wichtige Resolutionen angenommen, die weniger stark genutzte Sprachen betreffen. Die 1994 bei 6 Enthaltungen mit 321 zu einer Stimme angenommene "Killilea-Resolution" forderte die Regierungen und Parlamente der EU-Mitgliedstaaten dringlich dazu auf, die Charta zu unterzeichnen bzw. zu ratifizieren. Die Charta wurde am 1. März 1998 als Konvention gültig. Einen Monat zuvor erlangte mit der "Rahmenkonvention für den Schutz Nationaler Minderheiten" ein weiteres wichtiges Dokument des Europarates Gültigkeit. Ferner wurde 1992 von der UN-Generalversammlung eine Deklaration zu den Rechten von Angehörigen nationaler, ethnischer, religiöser oder linguistischer Minderheiten angenommen.

Aber die EU sollte ein mehrjähriges Programm zur Förderung wenig genutzter Sprachen mit angemessener Finanzierung starten. Der Sprachenverfall ist ebensowenig wie die Umweltzerstörung unvermeidlich. Es können Bedingungen geschafft werden, in denen weniger genutzte Sprachen florieren und den Bedürfnissen der Sprecher gerecht werden.

Katalanisch ist ein klassisches Beispiel dafür. Nach vier Jahrzehnten der Unterdrückung und Marginalisierung unter Francos Diktatur hat Katalanisch fast wieder seinen angemessenen Platz im Leben der Menschen eingenommen. Des war kein glücklicher Zufall: Es ist vielmehr das Ergebnis eines sorgfältig geplanten "Normalisierungsprogramms". Walisisch und Baskisch sind zwei andere Beispiele, in denen Sprachwechsel sich wieder umgekehrt haben. Das Irische war vor einem Jahrhundert einem scheinbar unaufhaltsamen Verfall ausgesetzt. Heute haben über eine Million Menschen eine aktive Irisch-Kompetenz. Irisch ist Vertragssprache der EU, hat einen eigenen Fernsehkanal und eine dynamische Gegenwartsliteratur. Wieder handelt es sich um keinen Glücksfall. Es ist Ergebnis konstruktiver Entscheidungen und konkreter Aktionen.

Globale Kommunikation in den zentralen Weltsprachen wie Englisch und Französisch ist sehr wohl zu begrüßen, aber jeder Mensch muss auf seine Muttersprache für ihre anderen Funktionen zurückgreifen - jene Funktionen, die Identität stiften. Sprachenvielfalt führt nicht zu Trennung und Missverständnissen, sondern sie bildet eine Quelle des Reichtums. Sprachliche und kulturelle Vielfalt haben nie zu Konflikten geführt. Es ist der Mangel an Respekt gegenüber der Vielfalt, das Aufdrängen der eigenen Sprache und Kultur, das geschichtlich wieder und wieder zu Ressentiments und Konflikten geführt hat. Ein neues Europa ist geboren worden - hoffentlich ein tolerantes und friedfertiges. Eine einmalige Gelegenheit eröffnet sich uns allen, um für unsere Kinder und Kindeskinder das reiche Mosaik, das Europas sprachliches Erbe ist, zu erhalten.

von Donal O'Riagain, Direktor des Bureau for lesser used languages, aus: pogrom - zeitschrift für bedrohte völker (200/98)

oben 48. Unterzeichnen, ratifizieren, umsetzen! Bausteine des Europarates für die Erhaltung nationaler Vielfalt: Die "Rahmenkonvention"
Die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates ist der erste multilaterale völkerrechtlich bindende Vertrag zum Schutz nationaler Minderheiten. Was bedeutet dieses praktisch? Zunächst und unmittelbar: Nichts, denn die Konvention enthält keine unmittelbar geltenden Rechte, die etwa direkt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einklagbar bzw. dessen Jurisdiktion unterstellt wären. Die Konvention enthält nur allgemeine Rechtsgrundsätze, zu deren Einhaltung sich die Vertragsstaaten verpflichten, um den Schutz nationaler Minderheiten sicherzustellen.

Vier wesentliche Schwächen der Konvention kommen noch dazu, nämlich:

Vorteile bzw. Inhalte der Konvention sind: Was die Umsetzung und die Kontrolle angeht, so gesteht die Rahmenkonvention einen internationalen Überwachungsmechanismus durch das Ministerkomitee des Europarats zu. Dieser erschöpft sich jedoch darin, dass dem Generalsekretär regelmäßig Bericht über den Stand aller getroffenen Umsetzungsmaßnahmen zu erstatten ist. Danach werden diese Maßnahmen auf ihre Angemessenheit hin geprüft, und zwar mit Unterstützung eines beratenden Ausschusses bestehend aus Personen mit anerkanntem Sachwissen auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes.

Ist z.B. zweifelhaft, ob ein Vertragsstaat seinen Verpflichtungen zur Umsetzung der Konvention nachkommt, so kann das Ministerkomitee auch einen Bericht vom betroffenen Staat einfordern. Ob sich die für ein solches Verlangen notwendige Mehrheit innerhalb des Ministerkomitees politisch auch jeweils finden lässt, bleibt fraglich. Auch sind für den Fall, dass ein Staat einem Berichtverlangen nicht nachkommt, keine rechtlichen Folgen vorgesehen.

Von sonstigen, weitergehenden Durchsetzungsmöglichkeiten etwa durch das für die Europäische Kommission für Menschenrechte vorgesehene System der Individual- und Staatenbeschwerde oder von Streitbeilegungsmechanismen wurde ebenfalls abgesehen.

Vor allem haben die Volksgruppen selbst kein Rechtmittel zur Durchsetzung ihres Status als nationale Minderheit, vielmehr entscheiden die Vertragsstaaten mit jederzeitiger Rücknahmemöglichkeit, auf welche ihrer Gebiete sie das Abkommen anwenden wollen.

Eine Beteiligung der Minderheiten über den genannten beratenden Ausschuss erscheint zwar möglich, aber keineswegs zwingend, zumal das Ministerkomitee Zusammensetzung und Verfahren des Ausschusses bestimmt und damit dessen Unabhängigkeit nicht gesichert ist. Schließlich kann das Abkommen jederzeit gekündigt werden.

Im Gesamtergebnis lässt die Konvention einzelne beachtliche Fortschritte im Bereich des Minderheitenschutzes erkennen. Sie sieht immerhin, wenn auch nicht ausreichende, Ansätze für einen Mechanismus zur Durchsetzung von Minderheitenrechten vor. Vor allem hat der Europarat durch die Konvention Minderheitenschutz zu seiner erklärten Politik gemacht. Diese Entwicklung scheint unumkehrbar. Andererseits ist die Konvention von einer verbindlichen Gewährung von Autonomie noch weit entfernt und kann insgesamt einen effektiven und zugleich nötigen Standard des Minderheitenschutzes wohl kaum gewährleisten.

Christoph Pan vom Südtiroler Volksgruppen-Institut, in: pogrom - zeitschrift für bedrohte völker (198/1997)

oben 49. Die "Sprachencharta"
Die Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates bezieht sich durchweg auf sprachliche oder gar nationale Minderheiten. Die von Angehörigen nationaler Minderheiten verlangte Ergänzung der individuellen Menschenrechte durch Kollektivrechte erwies sich als nicht durchsetzbar. Es geht also nur darum, gefährdete Sprachen bzw. Minderheitensprachen durch geeignete Mittel am Leben zu erhalten.

Neben den staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zielt die Charta aber auch darauf hin, den privaten und gesellschaftlichen Gebrauch dieser Sprachen zu fördern. Die Charta vermeidet damit jeden Anschein einer Politisierung. So fordert sie keine Autonomierechte und nimmt nicht Stellung zu konstitutionell verankerten Minderheitenrechten und institutionellen Vertretungsrechten.

Direkt einklagbare Rechte schafft die Charta nicht. Sie ist eher ein Erziehungs- denn ein Rechtsinstrument. Der Beitritt zur Charta wird insofern erleichtert, als die Unterzeichnerstaaten selbst bestimmen können, welche Sprachen sie dem Schutz der Charta unterstellen wollen. Besonders spannungsgeladene Verhältnisse können damit umgangen werden. Natürlich ist dies bedauerlich, sind es doch gerade diese Minderheiten, die den Schutz der Charta brauchen.

Die Charta enthält auch einen harten Kern von Grundsätzen. Diese gelten für alle und umfassen die maßgeblichen Forderungen nach Anerkennung der Regional- und Minderheitensprachen, einer positiven Diskriminierung, der Achtung des jeweiligen traditionellen Gebiets, der Gewährleistung der Wahrung der Identität im Kultur und Bildungsbereich, der Ermöglichung von Binnenkontakten und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Die Staaten haben die Möglichkeit, nur den grundsätzlichen Teil zu unterzeichnen oder diesen zusammen mit dem Forderungskatalog auf die einzelnen Minderheitenrechte zu konkretisieren.

Ein Kontrollmechanismus durch periodische Berichterstattung ist geplant. Allen Mängeln zum Trotz ist die Charta ein Schritt vorwärts, weil sie eine ganzheitliche und umfassende Inventarisierung der Probleme darstellt, in der kein minderheitenrelevantes Thema fehlt. Von der Einbindung auch solcher Staaten, die über keine oder nur eine bescheidene Kultur im Umgang mit sprachlichen Minderheiten verfügen, erhofft man sich eine positive Entwicklung zu einem besseren Verständnis und zu einer verstärkten Berücksichtigung der Anliegen der Europäer, die in ihrem Staat sich einer Minderheitensprache zugehörig fühlen und diese als persönlich und sozial bedeutsames und identitätsstiftendes Element erhalten wollen.

Romedi Arquint, Präsident der Föderation Europäischer Volksgruppen (Fuev) in: pogrom - zeitschrift für bedrohte völker (194/1997)

oben 50. Das universelle Recht auf Sprache. Die Erklärung von Barcelona
Die Sprache ist Ausdruck einer kollektiven Identität, heißt es im Artikel 7 der Sprachenerklärung von Barcelona. Verabschiedet wurde sie 1996 bei einer Weltkonferenz, zu der die Nichtregierungsorganisation CIEMEN (Centre International Escarre per a les Minores Etniques in Nacionalists) geladen waren. Die Konferenz stand unter der Schirmherrschaft der Unesco und einiger Ämter der EU-Kommission.

Der Leitgedanke für den Leiter des CIEMEN, Aureli Argemi, war die Gleichberechtigung aller Sprachen. Das bedeutet, dass die Angehörigen von Minderheiten nicht nur das Recht auf ihre Sprache haben sollen, sondern dass alle in einer Minderheitenregion lebenden Menschen verpflichtet sein sollen, diese Sprache zu lernen und zu benutzen.

Diese Forderung Argemis und der katalanischen Sprachbewegung "Unificaio de la lengua catalana", die nun in der Erklärung von Barcelona ihren Niederschlag fand, hat tiefe geschichtliche Wurzeln. Seit dem Goldenen Jahrhundert haben spanische Könige die Sprachen der Historischen Nationalitäten zugunsten des Kastilischen unterdrückt. Während der Franco-Diktatur wurden Kinder an den Schulen bestraft und gedemütigt, wenn sie Baskisch, Katalanisch oder Galizisch sprachen.

Die massive Industrialisierung Kataloniens und des Baskenlandes während der Franco- Diktatur hatte überdies die Einwanderung tausender Arbeitsloser vor allem aus den südlichen Teilen Spaniens zur Folge, was zu einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur führte. So sind heute mehr als 50% der Einwohner im Autonomen Gebiet Baskenland nichtbaskischer Herkunft, in Katalonien liegt der Anteil der Nicht-Katalanen zwischen 40 und 50%. Den Zuwanderern war es nur recht, wenn Kastilisch als offizielle Sprache durchgesetzt wurde.

Mit der Weltkonferenz für Sprachenrechte in Barcelona 1996 hat die katalanische Sprachenbewegung nun Außenpolitik auf höchstem Niveau betrieben. Artikel 3 der Erklärung der universellen Sprachenrechte von Barcelona erklärt die folgenden Rechte als unantastbar:

Hinzu kommen alle Sprachenrechte, die bereits in internationalen Abkommen, in der Erklärung der Bürgerlichen und Politischen Rechte vom 16. 12. 1966 und in der Konvention über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte festgeschrieben sind.

Die kollektiven und individuellen Rechte garantieren den Angehörigen von Sprachgruppen ferner:

Der Gesandte der Unesco unterzeichnete die Erklärung der universellen Sprachenrechte bereits bei ihrer Verabschiedung. Unesco-Generaldirektor F. Mayor Zaragoza kündigte an, sie der UNO-Vollversammlung vorzulegen. Als "Konvention der Sprachenrechte" solle man sie in den Anhang der UNO-Menschenrechtserklärung aufnehmen.

pogrom - zeitschrift für bedrohte völker (171/1993)

oben 51. "Paket für Europa". Initiative für Minderheitenschutz im Recht der Europäischen Union
Weder in den Römischen Verträgen noch in den Verträgen zur Europäischen Union finden sich Aussagen oder Bestimmungen zum Schutz von Minderheiten. Da es derzeit keinen verbindlichen rechtlichen Standard in den fünfzehn Mitgliedstaaten gibt und damit in Zukunft nicht mit zweierlei Maß gemessen wird, muss der Minderheitenschutz als Prinzip im Europarecht verankert werden. Im Auftrag der Landesregierung erarbeitete die Europäische Akademie Bozen daher einen Vorschlag für konkrete Rechtsakte und Maßnahmen zum Minderheitenschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht. Die SVP und das Österreichische Volksgruppenzentrum haben das Paket dem österreichischen Außenminister Wolfgang Schüssel übergeben. Die österreichische Regierung hat angekündigt, das Paket den verschiedenen EU-Gremien zu unterbreiten.

Dieses "Paket" soll mit "Rechten" (als den traditionellen Instrumenten des Minderheiten-schutzes) ebenso zum Schutze von Minderheiten wirken wie durch wirtschaftliche Fördermaßnahmen. Das Maßnahmenpaket kann und will keine Antworten auf alle Fragen geben, die durch Minderheiten, Diskriminierung, Menschenrechte oder kulturelle Vielfalt in der Europäischen Union und im Rahmen ihrer Aktivitäten aufgeworfen werden. Es sollen vielmehr Wege aufgezeigt werden, mittels derer die gemeinsamen rechtspolitischen Kernprinzipien der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten auch in einem sich wandelnden und erweiterten Kontext verwirklicht werden können, damit Integration und echte Beteiligung in der Europäischen Union auch in Zukunft gewährleistet werden können.

Der gewählte Ansatz konzentriert sich entsprechend der begrenzten Kompetenzen auf eine Kombination unterschiedlicher rechtlicher Maßnahmen in den Bereichen:

Alle stellen, einzeln wie zusammengenommen, geeignete Maßnahmen dar, um den europäischen Integrationsprozess in Übereinstimmung mit seinen wesentlichen Grundlagen und Werten Demokratie, Menschenrechte (einschließlich der Achtung und des Schutzes von Minderheiten) und Rechtsstaatlichkeit zu fördern. Zusätzlich wurde der Versuch unternommen, einen Vorschlag zur Ergänzung der aktuellen Entwürfe der Kommission bezüglich der Reform der Strukturfonds auszuarbeiten, mit dem Kultur und interkulturelle Zusammenarbeit als Mittel der Regionalentwicklung in den weiteren Zusammenhang wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts eingeführt werden, nicht zuletzt um auf diese Weise auch die Situation einiger Minderheiten zu verbessern.

1. Menschenrechte, Nicht-Diskriminierung und Minderheitenschutz

Menschenrechte und die Achtung sowie der Schutz von Minderheiten sind Bestandteil der grundlegenden Prinzipien der Europäischen Union, die im Hinblick auf die EU-Osterweiterung seit der entsprechenden Erklärung des Europäischen Rates in Kopenhagen 1991 sogar den Status - politischer - Kriterien für die Mitgliedschaft erhalten haben. Bei allen terminologischen und inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten erweist sich der Inhalt dessen, was im Allgemeinen unter "Minderheitenrechte" subsumiert wird, häufig als Anwendung existierender grundlegender, individueller Menschenrechte.

Art. 6a EG-Vertrag (neu eingeführt durch den Amsterdamer Vertrag) verleiht der EG die Befugnis zur Ergreifung "geeigneter Vorkehrungen, um Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen." Die primäre Verantwortung zum Kampf gegen Diskriminierung liegt weiter bei den Mitgliedstaaten, weshalb die Richtlinie das geeignete rechtliche Instrument zur Umsetzung eines gemeinschaftsweit geltenden Standards ist.

Um Achtung und Schutz von Minderheiten und ihrer Menschenrechte zu garantieren, kann ergänzend mit anderen "soft-law"-Maßnahmen beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung der EU sogar mehr erreicht werden. Aus diesem Grund sind die folgenden, rechtlich "weicheren" Maßnahmen gezielter auf den Schutz "nationaler Minderheiten" gerichtet, wobei unter diesem Begriff diejenigen Personen verstanden werden, die "ungeachtet ihrer ethnischen, kulturellen, sprachlichen oder religiösen Identität" (so Art. 6.1 des Europäischen Rahmenübereinkommens) auf dem Territorium der Mitgliedstaaten zusammenleben.

2. Wahrung und Förderung kultureller Vielfalt in der Europäischen Union

Das Gemeinschaftsrecht erkennt ausdrücklich die Notwendigkeit an, kulturelle Unterschiede und das kulturelle Erbe Europas und seiner Völker zu bewahren und zu fördern. Tatsächlich kann die in der Präambel des Vertrages genannte Schaffung einer "immer engeren Union zwischen den Völkern Europas" nur durch Wahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt wirklich erreicht werden.

Die Befugnisse der Europäischen Union im Kulturbereich sind auf den IX. Titel und Artikel 128 EG-Vertrag beschränkt. Mit Art. 128 Abs. 5 EG-Vertrag gibt es eine eindeutige Rechtsgrundlage zum Erlass von Fördermaßnahmen und Empfehlungen. Die Mittel, die der Gemeinschaft für unterstützende Maßnahmen im Kulturbereich zur Verfügung stehen, sind überwiegend finanzieller Art bzw. technische Hilfe, insbesondere in Form von Gemeinschaftsprogrammen, die von der Kommission initiiert werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt "Regional- oder Minderheitenkulturen", einem in Maßnahmen mit "soft-law"-Charakter bereits auf europäischer Ebene existierendem Konzept. Grundsätzlich müssen sich Aktionen der Gemeinschaft im Kulturbereich zu den Aktivitäten der Mitgliedstaaten komplementär und subsidiär verhalten.

3. Förderung interkultureller Zusammenarbeit als Mittel zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts

Ein sich von den bisherigen Maßnahmen deutlich unterscheidender und innovativer Ansatz besteht in der Verknüpfung zwischen Minderheiten und Strukturfonds. Der Kerngedanke liegt in der Betonung gemeinsamer Interessen in multiethnischen, multikulturellen und mehrsprachlichen Gebieten durch gezielte Zuweisung von Fördermitteln und Entwicklungsmaßnahmen ("benefits"). Neben (Abwehr-)Rechten, die eine Person oder Gruppe zu Lasten anderer Personen oder Gruppen - in Form rechtlich durchsetzbarer Ansprüche - begünstigen, sollten unterschiedliche Gruppen, die in multiethnischen, multikulturellen und mehrsprachlichen Gebieten leben, diese Gebiete als ein Ganzes ansehen und gemeinsam an der Verbesserung der Lebensbedingungen für alle arbeiten.

Aus: academia 16 der Europäischen Akademie Bozen/Fachbereich "Ethnische Minderheiten und regionale Autonomien"

oben 52. Minderheiten sind lebende Brücken. Beitrittskandidaten und Altmitglieder der EU sollen sie fördern
Am 13. Dezember 1997, auf den Tag genau 16 Jahre nach dem erfolglosen Verbot der unabhängigen Gewerkschaft "Solidarnosc" durch die polnische Regierung, wurde auf dem Luxemburger Gipfeltreffen der Europäischen Union die konkrete Entscheidung zur Osterweiterung gefällt. Polen soll zusammen mit Ungarn, Tschechien, Slowenien und Zypern im Frühjahr diesen Jahres an Beitrittsverhandlungen teilnehmen.

Allerdings wird es keine "Paketlösung" geben. Jeder Kandidat soll einzeln aufgenommen werden, sobald er die nüchternen Kriterien der EU erfüllt. Daher kam die Vertröstung auf eine "spätere Verhandlungsrunde" für Lettland, Litauen, die Slowakei, Rumänien und Bulgarien nicht unerwartet. Obwohl im Prozess der EU-Erweiterung die Ökonomie den Takt vorgibt, will Europa auch seine demokratischen Grundwerte verbreiten. Ein Ausbau des "Europäischen Hauses" ohne wirtschaftliche und politische Stabilisierung könnte aber den Frieden bedrohen.

Das neue Europa ist nicht mehr das "Christliche Abendland", dennoch mussten die Erwartungen westlich orientierter Türken enttäuscht werden. Die europäischen Außenminister verlangten von Ankara eine friedliche Lösung der Kurdenfrage. Die Drohung der türkischen Regierung Yilmaz, bei einer EU-Aufnahme Zyperns den Nordteil der Insel definitiv zu annektieren, hat zudem noch bestätigt, dass das gegenwärtige türkische System mit Europa inkompatibel ist.

Von Beitritten zu profitieren, das hoffen auch die nationalen Minderheiten in Ostmitteleuropa. Nach den Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen während und im Gefolge des Zweiten Weltkrieges waren einige dieser Volksgruppen während Jahrzehnten stalinistischen Repressalien und starkem Assimilationsdruck ausgesetzt. Der aggressive Nationalismus, der sich dann am Ende der sowjetischen Fremdherrschaft Luft schaffte, ist längst nicht überwunden. Namentlich die Slowakei driftet unter Ministerpräsident Meciar weiter in Richtung eines autoritären Regimes nach den Mustern Serbiens und Kroatiens. Die Italiener in Slowenien oder die Deutschen in Polen wollen beim kulturellen und wirtschaftlichen Austausch im künftigen Europa Brückenfunktionen übernehmen. Ob sie dies auch können, wird vom guten Willen der Staaten abhängen. Mit der Rahmenkonvention und der Sprachencharta des Europarates liegen zwei wichtige Rechtsdokumente zum Schutz ethnischer und nationaler Minderheiten vor (pogrom 198, S. 22f.). Die EU-Institutionen sind gut beraten, sie mit auf die Agenda der Beitrittsverhandlungen zu nehmen.

Um einige alte Konflikte im östlichen Mitteleuropa beizulegen, wird es schon etwas mehr Phantasie brauchen. Seitdem Ungarn durch den Friedensvertrag von Trianon 1920 große Gebiete an seine Nachbarn abtreten musste, leben in Rumänien und in der Slowakei große magyarische Volksgruppen. Zwar hat das nachkommunistische Ungarn bereits erklärt, dass es keine Revision dieser Grenzziehung anstrebt. Dennoch verdient der Autonomiewunsch der Ungarn, die in Teilen Siebenbürgens die Bevölkerungsmehrheit stellen, internationale Beachtung (pogrom 198, S. 34f.).

Wie die Vorbilder Südtirols, Kataloniens und der Åland-Inseln zeigen, sind Autonomie und andere Formen des Föderalismus mehr als nur Bonbons, um das Prestigedenken des jeweiligen Grüppchens zu befriedigen. Vielmehr sind es effiziente Mittel, um Regionen kulturell, wirtschaftlich und politisch zu fördern. Da Brüssel seine finanziellen Zuschüsse vermehrt auch direkt an Bundesländer und Departements in den Mitgliedstaaten überweist, wird eine solche Neuordnung der Zuständigkeiten nicht ausschließlich den Minderheiten nützen.

Dass sich solche Modelle durch intelligente Diplomatie ins Spiel bringen lassen, ohne dass sich die adressierten Staaten gleich in ihrer Souveränität angegriffen fühlen müssen, auch dafür gibt es Vorbilder. Bevor die junge Bundesrepublik Deutschland 1955 der Nato beitreten durfte, musste sie erst der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein Selbstverwaltungsrechte gewähren. Im Gegenzug gab Kopenhagen eine ähnliche Erklärung zugunsten der deutschen Minderheit in Dänemark ab.

Erfreulicherweise ist durch das gegenwärtige Erweiterungsfieber schon Bewegung in die Minderheitenpolitik gekommen: So hat Slowenien seine lange verleugnete deutsche Minderheit anerkannt und damit nicht zuletzt sein Verhältnis zu Österreich verbessert (pogrom 198, S. 24). Dass auch Tschechien sich auf einen solchen Weg begibt und aufrichtig eine Versöhnung mit den vertriebenen Sudetendeutschen sucht, läge nicht nur im Interesse der Opfer von damals: Es wäre vielmehr auch ein Beitrag für eine künftige Friedensordnung in Europa.

Die juristische Enteignung der Sudetendeutschen durch die "Benes-Dekrete" (pogrom 198, S. 27f.) hat der Präsident Kroatiens, Franjo Tudjman, als Exempel zitiert, als er die Rückkehr der 1995 vertriebenen kroatischen Serben im Mai 1997 ablehnte.

Noch ein Test für die "innere Reife" der Beitrittskandidaten: Als der Kapitalismus bei der Umstellung auf die Marktwirtschaft erste Härten zeigte, tauchten da und dort die übelsten antisemitischen Hetzredner aus der Versenkung auf. Viel zu lange hat man in Ostmitteleuropa über die Mittäterschaft von Landsleuten beim Holocaust geschwiegen. Ab Herbst 1944 hatten ungarische "Pfeilkreuzler" und Gendarmen mehr als 400.000 Juden zu den Güterwaggons der SS getrieben. Viel zu viele Polen hatten beifällig genickt, als die Rauchsäulen der Verbrannten aus den Schornsteinen von Auschwitz stiegen.

Endlich Vergangenheit werden soll auch die "Zigeuner"-Feindlichkeit. Schon heute müssen die Roma z.B. in Tschechien als Sündenböcke für die neue Arbeitslosigkeit und Armut herhalten. Fahrende werden auch in Rumänien und Bulgarien zunehmend als Störenfriede bei der Werbung von Investoren und Touristen wahrgenommen. Da im Falle der Roma kein Nachbarstaat den Schirmherr spielt, muss die EU selbst diese Rolle übernehmen, indem sie Menschenrechtsverletzungen an den Roma nicht minder sanktioniert als bei anderen.

"Ein jeder mache vor, was er anderen abverlangt", sollte als Motto über den kommenden Beitrittsverhandlungen stehen. Als eine Geste gegenüber den slawischen Völkern könnte das deutsche Bundesland Brandenburg den Braunkohletagebau stoppen, der am Siedlungsgebiet der Sorben in der Lausitz nagt, Frankreich könnte z.B. den Korsen und Bretonen endlich Schulunterricht in ihren Muttersprachen gönnen und Griechenland die türkische Minderheit in West-Thrakien anerkennen (vgl. S. 14f.). Leider geht der Minderheitenschutz im Westen Europas derzeit noch auf eingeschlafenen Füßen.

Andreas Selmeci in: pogrom - zeitschrift für bedrohte völker (198/1997)

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