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Tuareg, Mapuche, Penan

Staudämme und Gier nach Rohstoffen bedrohen Ureinwohner in aller Welt

Pogrom bedrohte Völker Nr. 261, 4/2010

Bozen, November 2010

Index

Editorial, Ulrich Delius | Wasserkraftwerke zu Lasten der Mapuche-Bevölkerung | Brasilien: vom São Francisco zum Xingú | Minenaktivitäten gefährden Maya-Mam-Gemeinschaften in Guatemala | Peru: Das Paradies der Cocama ist vom Untergang bedroht | Costa Ricas indigene Völker verlangen Autonomie-Gesetz | Indien: Radikaler Uranabbau ohne Rücksicht auf Adivasi | Interview: Adivasi in Indien von Uranabbau bedroht | Staudämme und Klimawandel bedrohen Tibet | Exzessiver Staudammbau in Burma | Indonesien: Abholzungen und Megaprojekte bedrohen Ureinwohner | Penan aus Sarawak in Malaysia: Dämme, die das kulturelle Gedächtnis rauben | Tuareg: Uran aus Afrika für Frankreichs Atomindustrie | Oromo: Landraub schürt Hunger in Äthiopien | Kalahari Wüste: Afrikanische Ureinwohner schützen ihr Wissen

Editorial [ oben ]

Von Ulrich Delius

Tuareg, Mapuche, Penan: Staudämme und Gier nach Rohstoffen bedrohen Ureinwohner in aller Welt, pogrom / bedrohte Völker 261 (4/2010). Tuareg, Mapuche, Penan: Staudämme und Gier nach Rohstoffen bedrohen Ureinwohner in aller Welt, pogrom / bedrohte Völker 261 (4/2010).

Liebe Leserinnen und Leser,

als die UN-Vollversammlung im September 2007 feierlich die "Allgemeine Erklärung der Rechte indigener Völker" verabschiedet, spricht sich eine überwältigende Mehrheit der Staaten für die Anerkennung grundlegender Rechte von Ureinwohnern aus. Den ersten Bewohnern der unterzeichnenden Länder wird in der Erklärung das Recht auf eigene Entwicklung sowie auf Respektierung grundsätzlicher Arbeitsrechtsvorschriften zugesichert. 147 Staaten stimmen für die Anerkennung von Landrechten indigener Völker, elf enthalten sich. Nur vier Länder sind nicht bereit, beispielsweise Zwangsumsiedlungen von Ureinwohnern abzulehnen: Die USA, Kanada, Australien und Neuseeland. Die beiden letzteren unterstützen die Erklärung jedoch inzwischen.

Doch drei Jahre später sieht der Alltag indigener Völker noch immer ganz anders aus. Getrieben durch knapper werdende Rohstoffe rauben Staaten und Konzerne systematisch ihr Land aus und lassen hunderttau- sende Ureinwohner und Angehörige anderer ethnischer Minderheiten ver- treiben, um Bergbau-, Plantagen- und Staudammprojekte zu verwirklichen. Tausende Ureinwohner werden als rechtlose und billige Arbeitskräfte missbraucht, die willkürlich entlassen werden, wenn sie ihre Rechte einfordern. Zugleich wird der traditionelle Lebensraum dieser Völker so sehr zer- stört, dass sie als eigenständige ethnische Gruppe kaum mehr eine Chance zum Überleben haben.

Dieser Prozess - so zeigt unser Heft anschaulich - scheint weltweit kaum aufzuhalten zu sein. Auf allen Kontinenten nimmt der Druck auf indigene Völker und andere ethnische Minderheiten massiv zu. Vergessen sind die Sonntagsreden von New York, es zählen nur noch Renditen und Profite von Investoren. Sie sind "Global Player" und längst in den abgelegenen Regionen indigener Völker eingetroffen, deren Land plötzlich auch für ausländische Konzerne attraktiv wird. Schon lange sind es nicht mehr nur amerikanische und europäische Firmen, sondern auch Unternehmen aus aufstrebenden Wirtschaftsnationen, wie Indien und China, die ohne Rücksicht auf Menschenrechte Ureinwohner missachten, verdrängen und drangsalieren. Groß- zügig unterstützt werden sie dabei oft von den Regierungen der Heimatländer dieser indigenen Völker. Denn da- ran hat sich auch mehr als fünf Jahrhunderte nach Christoph Kolumbus nichts geändert: Ureinwohner werden von der Mehrheitsbevölkerung ihrer Staaten noch immer als "rückständig" und "Bürger zweiter Klasse" angesehen. Ihr Land gilt als "unberührt" und jederzeit verfügbar.

Ein gigantischer Raubbau greift immer weiter um sich, an dem viele verdienen wollen. Verlierer sind mit Sicherheit die indigenen Völker. Für sie bedeutet der Verlust ihres Landes und ihrer traditionellen Lebensweise auch die Zerstörung ihrer Identität als eigenständige ethnische Gruppe. So ist es höchste Zeit, dass die Vereinten Nationen und die internationale Staatengemeinschaft den schönen Worten endlich Taten folgen lassen!

Ihr Ulrich Delius

Wasserkraftwerke zu Lasten der Mapuche-Bevölkerung [ oben ]

Milliardengeschäfte mit Wasser im Mapuche-Land

Sabrina Bussani

In der Region um Panguipulli, im südlichen Chile, sollen sechs neue Wasserkraftwerke gebaut werden. Diese sollen die natürlichen Gewässer der Seen Pirihueico, Neltume, San Pedro und Riñihue, des Wasserfalls von Huilo-Huilo und der Flüsse Enco und San Pedro ausnutzen. Es handelt sich dabei um Orte, deren klare Gewässer und unberührten Wälder Bewohner und Besucher gleichermassen beeindrucken. Die Mapuche-Gemeinden der Region und verschiedene Umweltorganisationen haben nun zum Schutz dieser noch intakten Ökosysteme aufgerufen.

Festlichkeit der Mapuche. Foto: Massimo Falqui Massidda. Festlichkeit der Mapuche. Foto: Massimo Falqui Massidda.

Wasser ist nicht nur in Chile ein Milliardengeschäft. 1981 verabschiedete die Militärdiktatur den "Allgemeinen Wasserkodex" (Código General del Agua), der festlegte, dass Wasser kein allgemeines Gut mehr war sondern eine Ware, deren Verwaltung dem Bestbietenden zustand. Der Wasserkodex unterscheidet zwischen dem Besitz des Landes und den Wasserrechten und entzieht somit Bauern, ländlichen Gemeinden und Indigenen die Kontrolle über die Gewässer auf ihrem Gebiet. Eng mit dem Wasserkodex verbunden sind die Rechte auf "nicht verbrauchbares Wasser", also auf jenes Wasser, das nicht für den normalen Gebrauch (Haushalt, Bewässerung, Abfüllung, usw.) verwendet werden darf, sondern das nach seiner "Umwandlung" wieder der Quelle zugeführt werden muss. Konkret gesehen handelt es sich um Gewässer, die zur Energieproduktion verwendet werden und die zur Zeit 78% der chilenischen Süßwassermengen ausmachen.

Ungefähr 26 Unternehmen teilen sich Kontrolle über die chilenischen Wasserkraftwerke, aber ein Grossteil des Markts wird von nur drei großen Unternehmen kontrolliert: Endesa Chile (das über den Konsortium Enersis von Endesa Spanien kontrolliert wird, das wiederum dem italienischen Enel gehört), Colbún und AES Gener. Viele der chilenischen Wasserkraftwerke liegen auf traditionellem Mapuche-Land.

Kul Kul, traditionelles Musikinstrument der Mapuche. Foto: Massimo Falqui Massidda. Kul Kul, traditionelles Musikinstrument der Mapuche. Foto: Massimo Falqui Massidda.

Die erste grosse Protestwelle gegen Wasserkraftwerke entflammte durch den Bau des Werks Ralco-Endesa auf dem Bío Bío-Fluss. Nach einem beinahe zehnjährigen Konflikt zwischen Pehuenche-Mapuche, Menschenrechtsorganisationen, verschiedenen staatlichen Agenturen und der Betreiberfirma Endesa untertsützt vom chilenischen Staat wurde das Kraftwerk im September 2004 in Betrieb genommen. Zur Verwirklichung des Wasserkraftwerks Ralco wurde eine 370 m lange und 155 m hohe Staumauer errichtet, über 3.000 Hektar Wald, Acker- und Weideland wurden überschwemmt und das ökologische Gleichgewicht des Bío Bío-Tals wurde unwiederbringlich zerstört. Beinahe 100 Pehuenche-Siedlungen waren direkt vom Bau des Kraftwerks betroffen, insgesamt 250 Großfamilien, die gemeinsam 1.200 Personen ausmachten. Von diesen verloren 700 ihr Land und wurden umgesiedelt. Die Folgen des Landverlusts und der Zwangsumsiedlung waren ein progressiver Zerfall der sozialen und kulturellen Strukturen, eine radikale Änderung der traditionellen Erwerbstätigkeiten und der unweigerliche Verlust des traditionellen Lebensstils.

Im Fall des Ralco-Wasserkraftwerks hat die staatliche Agentur für Indigene Entwicklung (CONADI - Corporación Nacional de Desarrollo Indígena) unmissverständlich von einem "Ethnozid" gesprochen und der UN-Sonderbeauftragte für Indigene Rechte Rodolfo Stavenhagen erklärte 2003 :"...der Fall Ralco zeigt klar die sozialen Spannungen zwischen einem 'modernisierenden' Entwicklungsmodell und den sozialen, kulturellen und umweltbezogenen Kosten, die das direkt interessierte Volk auf sich laden muss, auf."

Die chilenischen Behörden begutachten zurzeit Projekte zum Bau acht neuer Wasserkraftwerke, die allesamt auf traditionellem Mapuche-Land entstehen sollen. Osorno, Neltume, Choshuenco, Pellaifa, Liqueñe, Reyehueico, Maqueo und Angostura - so die Namen der acht angestrebten Kraftwerke - riskieren ebensoviele neue Konflikte zu schaffen. Wieder einmal sollen zig Hektar Land überschwemmt werden, den nahegelegenen Siedlungen kostbares Wasser genommen werden, die Umwelt und einzigartige Ökosysteme tiefgreifend verändert wenn nicht zerstört werden. Besonders dramatisch ist die Situation von fünf Mapuche-Familien, die bereits einmal auf Grund eines Kraftwerk-Baus umgesiedelt wurden und die nun riskieren, dem Angostura-Kraftwerk Platz machen zu müssen.

Die Mapuche-Gemeinden und Organisationen werfen den Behörden und den Unternehmern vor, die von Chile anerkannten und ratifizierten internationalen Abkommen nicht zu respektieren. Das chilenische Umweltgesetz 19.300 (Bases de Medio Ambiente) sieht vor, dass alle anerkannten Organisationen und einzelne Personen nach der Abgabe der Umweltstudie 90 Tage Zeit haben, um ihre Einsprüche einzugeben. Diese Einsprüche sind jedoch nicht verbindlich. Auch das chilenische Indigenengesetz (Gesetz Nr. 19.253) legt das Konsultationsrecht der indigenen Organisationen fest. Der Haken dabei ist, dass eine indigene Gemeinde oder Siedlung nicht unbedingt eine anerkannte Organisation ist, noch ist sie eine einzelne Person und bleibt somit meist von einem Konsultationsverfahren ausgeschlossen. Die chilenischen Behörden erkennen nur jene indigene Organisationen an, die direkt durch das indigene Gesetz von staatlicher Seite geschaffen wurden und, als einzige Ausnahme, die traditionelle Gemeinschaft der Williche-Mapuche. Diese Handhabung steht allerdings im krassen Widerspruch zu Artikel 6 der internationalen Konvention ILO 169, die Chile 2008 ratifiziert hat, und die vorschreibt, dass die den Indigenen eigene Repräsentanz als offizielle Ansprechpartner anerkannt werden müssen. Doch auch wenn Indigenen-Gemeinden über neue Projekte auf ihrem Land konsultiert würden, ist ihre Meinung laut indigenem Gesetz nicht verbindlich.

Weiterführende Informationen: Die GfbV-Sektion in Bozen/Südtirol, Italien, organisiert derzeit die Ausstellung "Mapuche - Reise zu den Menschen der Erde". Der Fotograf Massimo Falqui Massidda dokumentierte die Situation der Ureinwohner in Chile als ehrenamtlicher Mitarbeiter. Termine und Broschüre zur Ausstellung: info@gfbv.it

Brasilien: vom São Francisco zum Xingú [ oben ]

Das Programm zur Entwicklungsförderung bedroht indigene Gemeinschaften

Sabrina Bussani

Hafen von Altamira / Brasil. Foto: Rebecca Sommer. Hafen von Altamira / Brasil. Foto: Rebecca Sommer.

Das Programm zur Entwicklungsförderung (PAC) der früheren brasilianischen Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva ist ein klassischer Entwicklungsplan: hydroelektrische Infrastrukturen, Strassenbau, Ausbeutung von noch unberührten Regenwaldflächen. Ungefähr 420 Projekte sollen dank dem PAC in indigenem Land realisiert werden. Es handelt sich dabei um Projekte, die die Umwelt schwerwiegend belasten, die sensible Ökosysteme unwiederbringlich verändern wenn nicht zerstören, und die somit auch in das Leben der Menschen in den betroffenen Gebieten maßgeblich eingreifen.

Brasilien hat zwar 1992 die internationale ILO Konvention 169 unterschrieben und ratifiziert, daran gehalten aber haben sich seine Regierungen nicht. Die Konvention ILO 169 setzt verbindliche eine Reihe von Rechten der indigenen Völker fest, u.a. das Recht auf Einbezug, Mitsprache und Mitentscheid bei allen Projekten, die auf indigenem Land umgesetzt werden sollen. Während also die Regierungen Brasiliens mit der Verwirklichung der vielen Projekte vorwärts schreiten, mehren sich die Proteste der indigenen Bevölkerung, der Menschenrechtsorganisationen und der Umweltgruppen.

Zwei der Streitrösser des PAC sind das Umleitungsprojekt des Flusses São Francisco und der Riesen-Staudamm Belo Monte am Fluss Xingú.

Der São Francisco fließt durch sechs brasilianische Bundesstaaten und hat mit seinen 3.160 km Länge das drittgrößte Einzugsgebiet des Landes. Opará - der "Meeresfluss", wie er von den Indigenen genannt wird, ist von lebenswichtiger Bedeutung für die 33 indigenen Völker und die verschiedenen afro-brasilianischen Gemeinschaften (quilombolas), die an dessen Ufern leben. Nur dank des Flusses ist das Überleben der rund 70.000 Flussanrainer gesichert: er ermöglicht ihnen eine landwirtschaftliche Tätigkeit, Bewässerung, Fischfang oder Viehzucht und ist außerdem fester Bestandteil der lokalen Kulturen, denn Weltbilder, religiöse und spirituelle Praktiken, Rituale usw. sind eng mit der Existenz des São Francisco verwoben.

Pajé Mureyra, Kuipiuna Asurini. Foto: Rebecca Sommer. Pajé Mureyra, Kuipiuna Asurini. Foto: Rebecca Sommer.

Allerdings wird der São Francisco in seiner heutigen Form nicht mehr lange existieren, denn er soll im wahrsten Sinne des Wortes vom Zement verschluckt werden. Das in Brasilien unter dem Namen Transposição laufende Projekt ist ein hydraulisches Megaprojekt mit einem Kostenumfang von voraussichtlich 2,5 Milliarden Euro, das den Bau von zwei je 600 km langen Kanälen zur Umleitung des Flusses vorsieht, die Installation von zwei hydroelektrischen Dämmen zur Ergänzung der schon bestehenden sieben Dämme, den Bau von neun Pumpstationen, 27 Aquädukten, 8 Tunnels, sowie 35 Staudämmen. Laut Regierung soll dieses Projekt das Problem der Wasserversorgung in den semi - ariden Regionen im Nordosten Brasiliens ein für allemal lösen. Anderer Auffassung sind allerdings die Gegner des Projekts und machen darauf aufmerksam, dass bei einer genaueren Lektüre des öffentlichen Projekttexts ersichtlich wird, dass nur 4% der umgeleiteten Gewässer zu Gunsten der Landbevölkerung genutzt werden sollen, obwohl diese Gruppe von Menschen am Stärksten von den Dürreproblemen betroffen ist. 26% des Wassers ist für den urbanen und industriellen Gebrauch bestimmt und unglaubliche 70% der Gewässer sollen für Projekte zur Intensivbewässerung von Monokulturplantagen multinationaler Konzerne und im Agro-Business wie etwa der Krabbenzucht verwendet werden.

Die zahllosen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gemeinden von Flussanrainern, FischerInnen sowie indigenen Völkern, die sich gegen die Verwirklichung des Projektes einsetzen, haben in Bischof Luiz Flavio Cappio sowie dem Nobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel berühmte Mitstreiter gefunden. So machte Bischof Cappio schon des öfteren durch Hungerstreiks auf sich aufmerksam und er drückt seine Meinung zum Großprojekt unmissverständlich aus: "...es (das Projekt) ist ungerecht aus einer sozialen Perspektive, da es nur einer kleinen Gruppe von Mächtigen Vorteile bringt; es ist in Bezug auf die Auswirkungen auf die Umwelt untragbar und wird den Fluss unwiderruflich schädigen; es ist wirtschaftlich unerträglich und basiert auf Verklärung: Alternativprojekte würden nur die Hälfte kosten und könnten den Menschen die vierfache Wassermenge garantieren."

Ein weiteres Projekt, das weltweiten Protest hervorruft und gegen das sich Indigene Völker, Umweltorganisationen und Menschenrechtgruppen wehren, ist der Staudamm von Belo Monte am Amazonasfluss Xingú. Das Wasserkraftwerk von Belo Monte soll das drittgrößte weltweit werden, es wird ungefähr 20 Milliarden US-Dollar kosten und ist, den Umweltorganisationen nach, völlig unnötig. Laut einer Studie von WWF Brasilien würde eine Investition zur Sanierung des überholten Energieverteilernetzes Brasiliens reichen, um den staatsweiten Energiekonsum um 40% zu reduzieren. Die so gesparte Energiemenge wäre so groß wie die Energieproduktion von 14 Belo-Monte-Kraftwerken. Wenig überzeugend ist auch das Argument der Regierung, die von Belo Monte erzeugte Energie käme 23 Millionen Haushalten zu gute, denn laut Projekt würde das Verteilernetz vor allem zu alten und neuen Aluminiumwerken führen. Trotzdem und genau zum Schlusstakt des "Ersten Treffens der von Großprojekten gefährdeten Völker und Gemeinden", das vom 5. bis zum 27. August in der Stadt Itaituba im brasilianischen Bundesstaat Pará stattfand, unterschrieb der damalige Präsident Luiz Inacio Lula da Silva die entgültige Baugenehmigung zum Bau des Belo-Monte-Staudamms am Xingú-Fluss. Am Treffen von Itaituba hatten über 600 Vertreter indigener Völker und von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen teilgenommen, um ihren Protest gegen die vielen Megaprojekte der Regierung kund zu tun, die alle in Verletzung der ILO Konvention 169 genehmigt und realisiert werden - ganz zu Lasten der indigenen Bevölkerung, der Kleinbauern, der Fischer und natürlich der Umwelt.

Der Fluss Xingù. Foto: Rebecca Sommer. Der Fluss Xingù. Foto: Rebecca Sommer.

Durch den Bau des Staudamms und des Wasserkraftwerks Belo Monte werden weite Landflächen und Teile der Stadt Altamira überflutet werden und Teile des Xingú-Flusses werden ausgetrocknet werden. Ungefähr 12.000 Menschen, hauptsächlich Indigene und Kleinbauern, müssen dem Stauwasser weichen, dazu kommen noch Tausende Einwohner jener Stadtviertel von Altamira, die ebenfalls überflutet werden sollen. Die Zukunft dieser Menschen ist noch völlig unklar: den allgemeinen Versprechen über Entschädigung, neuen Schulen, sanitären Diensten und besserer "territorialer Sicherheit" folgte bisher kein klares und mit den betroffenen Menschen abgesprochenes Projekt, das ihnen eine konkrete und würdige Alternative bieten könnte. Kein Wunder, denn bisher ist auch noch völlig unklar, wieviele Menschen insgesamt von den direkten und indirekten Folgen des Staudammbaus betroffen wären.

Brasilianischen Wissenschaftlern nach, wären die Folgen des Belo Monte-Staudamms verheerend. Das ganze Ökosystem des Regenwaldes wäre für ungefähr 100 km längs der Ufer davon betroffen, um die 100 Süßwasserfischarten würden aussterben, völlig unklar ist das Ausmass der Folgen für Amphibien, Reptilien, Vögel und Insekten. Für die indigenen Völker und die anderen Anrainer der Region würde das eine drastische Verringerung des Fischbestandes bedeuten, von dem sie für ihr Überleben abhängen.

Protestcamp indigener Völker in Brasilien
Abschlusserklärung von Altamira

Wir, die indigenen Völker [...], teilen der Öffentlichkeit Folgendes mit:

Kazique Raoni Kajapó, Altamira/Brasilien, 12. August 2010

Die Erklärung im Wortlaut (Portugiesisch): www.cimi.org.br/?system=news&action=read&id=4876&eid=354. Vollständige deutsche Übersetzung: http://plattformbelomonte.blogspot.com/2010/08/abschlusserklarung-von-altamira-zur.html

Minenaktivitäten gefährden Maya-Mam-Gemeinschaften in Guatemala [ oben ]

Der wahre Preis des Goldes

Nicole Hantzsche

Proteste gegen die Marlin-Mine in San Miguel Ixtahuacan im Juni 2010. Foto: Tracy Barnett. Proteste gegen die Marlin-Mine in San Miguel Ixtahuacan im Juni 2010. Foto: Tracy Barnett.

Nachdem die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) Guatemala am 20. Mai 2010 anwies, den Bergbaubetrieb in der Marlin-Goldmine im Bundesstaat San Marcos einzustellen, schöpften die dort lebenden Maya-Mam neue Hoffnung. 2007 hatten 18 ihrer Gemeinschaften Beschwerde bei der CIDH eingereicht. Ihr Trinkwasser ist verschmutzt, ihre Gesundheit gefährdet. Außerdem kommt es durch den enormen Wasserverbrauch des Unternehmens zunehmend zu Wasserknappheit.

Seit Oktober 2005 betreibt das zum kanadischen Konzern Goldcorp Inc. gehörende Unternehmen Montana Explorada im westlichen Hochland von Guatemala die Marlin-Mine - gegen den Willen der lokalen indigenen Bevölkerung. Abstimmungsergebnisse in verschiedenen Dörfern der Region vom 18. Juni 2005 zeigen, dass die deutliche Mehrheit der Bevölkerung das Bergbauprojekt ablehnte.

Damit verstößt Guatemala gegen das Völkerrecht. Denn 1996 ratifizierte die zentralamerikanische Republik die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Demnach dürfen Projekte, die indigene Völker betreffen, erst durchgeführt werden, wenn sie ausführlich darüber informiert worden sind und diesen anschließend aus freier Entscheidung zugestimmt haben. Der UN-Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte und Grundlegenden Freiheiten Indigener Völker, James Anaya, sowie Mitarbeiter der ILO bestätigten Anfang 2010, dass Guatemala gegen diese Verpflichtung verstoßen und die Förderlizenz ohne das Einverständnis der Maya-Mam erteilt hat.

Deshalb erwirkte die CIDH am 20. Mai 2010 mehrere einstweilige Verfügungen: Diese ordnen zum einen den Stopp der Bergbauaktivitäten sowie die Säuberung verschmutzter Wasserquellen an. Darüber hinaus sollen durch die Wasserverunreinigung verursachte Gesundheitsprobleme behandelt werden. Bergbaugegner sollen zudem vor Angriffen und Einschüchterungsversuchen geschützt werden.

Diese Maßnahmen wären für die Maya-Mam lebensnotwendig. Denn die Trinkwasserversorgung ihrer Gemeinschaften ist durch den Bergbau gefährdet. Hochgiftige Chemikalien wie Zyankali werden zum Herauslösen von Goldspuren aus dem Gestein verwendet. Toxische Schlämme, die bei der Aufbereitung des Gesteins entstehen, versickern durch fehlerhafte Lagerung im Boden und verseuchen das Grundwasser. In den Blut- und Urinproben von Bewohnern aus der unmittelbaren Umgebung wurden bereits giftige Metalle festgestellt. Untersuchungen der Umweltkommission der Diözese San Marcos belegen, dass die Flüsse der Region schwermetallbelastet sind.

Außerdem führt der gigantische Wasserbedarf des Unternehmens immer öfter zu Wasserknappheit bei den indigenen Gemeinschaften. Die Goldcorp Inc. beziffert den Wasserverbrauch mit 45.000 Liter pro Stunde, Minengegner gehen jedoch von 150.000 Litern pro Stunde aus. Der Goldabbau erfolgt großflächig und zerstört viel Land. In der Marlin-Mine wird sowohl über als auch unter Tage gefördert. Die Erschütterungen in der Gegend durch Sprengungen und schwer beladene Lastwagen hinterlassen regelmäßig Risse in den Häusern der Anwohner.

All dies führte in den letzten Jahren zu einer wachsenden Gewaltbereitschaft in der Region. Proteste werden gewaltsam unterdrückt. Erst am 7. Juli 2010 wurde eine der führenden Bergbaugegnerinnen, Diodora Antonia Hernández Cinto, in ihrem Haus von Unbekannten niedergeschossen und dabei schwer verletzt.

Die Regierung Guatemalas versprach am 23. Juni 2010, den Forderungen der CIDH nachzukommen. Doch die kanadische Goldcorp Inc. verkündete, die Bergbauaktivitäten nicht zu stoppen. Der Goldabbau zu Lasten von Mensch und Umwelt läuft indes weiter...

GfbV-Regionalgruppe Hamburg betreut Indigenen-Projekt in Peru [ oben ]

Das Paradies der Cocama ist vom Untergang bedroht

Joachim Hoffmann

Die Wasserverschmutzung ist eines der Hauptprobleme der Cocama. Foto: Joachim Hoffmann. Die Wasserverschmutzung ist eines der Hauptprobleme der Cocama. Foto: Joachim Hoffmann.

Die heute noch etwa 10.100 Cocama Perus kämpfen ums nackte Überleben. Ihr Siedlungsgebiet entlang der Flüsse Huallaga, Marañon, Ucalyali, Amazonas und Nanay im Norden des Landes erstreckt sich über eine Fläche von etwa 40.000 Quadratkilometern und ist damit fast so groß wie die Schweiz. Jahrhunderte der Kolonialherrschaft, Versklavung und Epidemien haben die Cocama überlebt. Doch nun drohen sie aus Mangel an Nahrung und sauberem Wasser, an unzureichenden hygienischen Bedingungen und dadurch verursachten Krankheiten zugrunde zu gehen.

San Martin de Tipishca ist mit etwa 580 Einwohnern die größte Ansiedlung der Cocama. Sie liegt mitten im Naturschutzgebiet "Reserva Nacional Pacaya Samiria" an der Cocha Calzón, einem Altarm des Río Marañon, und ist nur auf dem Wasserweg zu erreichen. Die Reise dorthin dauert ab Iquitos etwa zwei Tage auf einem Dampfschiff und anschließend noch einmal sechs Stunden auf einem kleinen Boot.

Doch die Cocama sind keineswegs weltfremd. Sie tragen Jeans und T-Shirt, die Mehrheit von ihnen spricht Spanisch genauso gut wie die eigene Sprache Cocama, die zur Sprachfamilie der Tupi-Guaraní gehört. Die Cocama sind gerade dabei, sich mit Ökotourismus für Kleingruppen eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Sie haben die Initiative ASOCIACIÓN INDIGENA EN DEFENSA DE LA ECOLOGÍA SAMIRIA (ASIENDES, Indigene Gesellschaft zur Verteidigung ökologischer Ressourcen in Samiria) gegründet und betreiben die beiden Herbergen "Casa Lupuna" und "ASIENDES". Maximal acht beziehungsweise zwölf Gäste werden hier in Familien integriert. Der Erlös wird in der Gemeinschaft aufgeteilt und für gemeinsame Aufgaben verwendet.

Das Territorium der Cocama ist äußerst artenreich. Es beherbergt die höchste Vielfalt an Baumarten in Südamerika. Tapir, Jaguar, Riesenotter sowie zahlreiche andere Tierarten sind hier zu Hause. Abends kann man vom Flussufer aus Delfine beobachten.

Die Gemeinschaft lebt relativ autark und ernährt sich vom Fischfang und Anbau von Reis, Yucca und Bananen. Dennoch kommt es immer wieder zu Nahrungsengpässen, da die Nutzung natürlicher Ressourcen durch Jagd oder das Sammeln von Nahrung durch die Auflagen des Naturschutzes stark eingeschränkt ist. Außerdem spüren die Cocama die Folgen des Klimawandels durch höhere und länger anhaltende Überschwemmungen. Holzfäller und gewerbliche Fischer betreiben zudem illegalen Raubbau an der Natur.

Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal: Abwässer rieseln ungeklärt in den Überschwemmungswald und in der Regenzeit auch in den Altarm des Flusses - ein stehendes Gewässer, dem Nutz- und Trinkwasser entnommen werden. Dieses wird aus Mangel an Brennmaterial oft vor Gebrauch nicht abgekocht. Auch die medizinische Versorgung ist völlig unzureichend. Die Kindersterblichkeit liegt bei 19 Prozent. Schwer erkrankte Personen müssen nach Iquitos transportiert werden. Dies haben sich evangelikale Missionare aus den USA zunutze gemacht: Sie tauchen alle drei Monate mit Schnellbooten sowie Ärzte- und Krankenteams auf, um Kranke zu behandeln - sofern diese und ihre Familien der Sekte beitreten.

Die GfbV-Regionalgruppe Hamburg unterstützt die Cocama in ihrem Überlebenskampf. An erster Stelle stehen derzeit die medizinische Versorgung sowie der Aufbau einer Trinkwasserversorgung, einer Abwasserklärung und eines regenerativen Stromnetzes (Photovoltaik).

Autor: Dr. Joachim Hoffmann betreut das Cocama-Projekt zusammen mit der Regionalgruppe Hamburg. Er besucht die Cocama regelmäßig.

Spenden: Förderverein für bedrohte Völker e.V.*
Stichwort: Cocama in Peru
Konto: 74 00 201 - BLZ: 200 100 20 - Postbank Hamburg

* Der Förderverein für bedrohte Völker e.V. ist ein Verein, der eigene humanitäre Projekte in enger Zusammenarbeit mit der GfbV durchführt.

Costa Ricas indigene Völker verlangen Autonomie-Gesetz [ oben ]

"Wir haben unser ganzes Leben lang gewartet, jetzt reicht es!"

Jelena Bellmer

Obwohl noch ein ökologisches Gutachten fehlt, haben Baumaßnahmen für einen Staudamm schon begonnen. Foto: Tilman Massa. Obwohl noch ein ökologisches Gutachten fehlt, haben Baumaßnahmen für einen Staudamm schon begonnen. Foto: Tilman Massa.

In Costa Rica leben acht indigene Völker. Mit nur 1,7 Prozent ist der Anteil der Ureinwohner an der Gesamtbevölkerung der geringste Mittelamerikas. Eines dieser Völker sind die Teribe, sie zählen rund 800 Angehörige. Seit langem müssen sie um ihr Land und ihre Existenz kämpfen. 1939 wurde ihnen zwar ein eigenes Territorium, Térraba, zugesprochen. 1977 betonte ein weiteres Gesetz, dass die indigenen Gebiete "unveräußerlich und unverjährbar, nicht übertragbar und denjenigen, die sie bewohnen vorbehalten" sind. Doch heute gehören den Teribe nur noch 15 Prozent dieses Landes. Denn bis in die 1980-er Jahre wurde Land an Siedler verkauft, die Ureinwohner immer weiter verdrängt.

Jetzt droht ein geplanter Staudamm, Teile ihrer Gebiete zu fluten: Denn das staatliche Energie- und Telekommunikationsunternehmen ICE (Instituto Costarricense de Electricidad) will am Río Grande de Térraba das größte Wasserkraftwerk Zentralamerikas - mit einem Stausee von über 7.000 Hektar - bauen. Ironischerweise heißt das Megaprojekt "El Diquís", was bei den Teribe "großer, fließender Fluss" bedeutet.

"El Diquís ist eine Chance für die Entwicklung der südlichen Region des Landes", verspricht das ICE. Doch für die Teribe ist der Fluss Nahrungsquelle und ein wichtiger Teil ihrer Kultur. In dem zu flutenden Gebiet liegen Friedhöfe und für sie heilige Orte. Laut ihren Überlieferungen leben an vielen Stellen magische Wesen, die Schluchten, Hügel und Wasserstellen beschützen.

Das Staudammprojekt verstößt gegen die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die den indigenen Völkern mehr Mitspracherechte bei Entscheidungsprozessen, die ihr Land betreffen, einräumt. Costa Rica unterzeichnete die Konvention 1992. Doch für eine bindende Anwendung muss die Konvention im nationalen Recht verankert werden. Bis heute ist ein entsprechender Gesetzesvorschlag zur Autonomie der indigenen Völker Costa Ricas nicht verabschiedet worden.

Am Tag der indigenen Völker am 9. August 2010 besetzten deshalb 21 Indianer einen Saal im Parlament der Hauptstadt San José, um die Parteien an ihr Wahlversprechen, das Autonomiegesetz zu verabschieden, zu erinnern: "All die Jahre lang haben sie uns gesagt, dass es andere wichtigere Projekte gibt. [...] Wir haben gesehen wie Handels- und Steuergesetze, Umwelt- und Sozialgesetze verabschiedet wurden, aber unser Gesetz nicht." Sie forderten die Politiker zum Handeln auf: "Wir haben unser ganzes Leben gewartet, jetzt reicht es!" Doch kein Mitglied der Regierung wollte mit ihnen sprechen. Um zwei Uhr nachts zerrte die Polizei die friedlich Protestierenden, die sich fest aneinanderklammerten, gewaltsam aus dem Gebäude.

Costa Ricas Präsidentin Laura Chinchilla erklärte, es sei wichtig, dass "ein Gesetz, das die Minderheit schützt, nicht die gesamte nationale Entwicklung gefährdet." Umweltminister Teófilo de la Torre sagte, ein Autonomiegesetz könne die Durchführung von Projekten wie El Diquís verzögern oder gar gefährden. Denn dadurch erhielte die indigene Bevölkerung bei ihr Territorium betreffenden Entscheidungen ein Mitspracherecht, was "für das Land den Verlust dieser wertvollen Ressource [der Wasserkraft, d. Red.] bedeuten könnte".

Die Teribe befürchten, sich ohne Autonomiegesetz nicht wehren zu können. Sie scheinen Recht zu haben: Obwohl ein obligatorisches ökologisches Gutachten noch fehlt, laufen die Vorbereitungen für den Staudamm auf Hochtouren...

Die indigenen Völker Costa Ricas

42 Prozent der acht indigenen Völker leben in Reservaten und setzen sich wie folgt zusammen (Zensus 2000):

Quelle: www.inec.go.cr

Weiterführende Informationen: www.museoterraba.x2.to

Tilman Massa (tilman.massa@gmx.de) arbeitet mit den Teribe in Costa Rica und stellte seine Informationen freundlicherweise zur Verfügung.

Indiens Rohstoffhunger wächst [ oben ]

Radikaler Uranabbau ohne Rücksicht auf Adivasi

Ulrich Delius

Adivasifamilie im Flüchtlingslager (Foto: Dr. James Albert, GfbV). Adivasifamilie im Flüchtlingslager (Foto: Dr. James Albert, GfbV).

In Jadugoda im indischen Bundesstaat Jharkhand kommen immer wieder Kinder mit zusammengewachsenen Fingern oder Zehen oder mit dem Down-Syndrom auf die Welt. Die Zahl der Fehl- und Totgeburten sowie die Kindersterblichkeit sind überdurchschnittlich hoch. Erwachsene leiden häufig unter Atemwegserkrankungen, Unfruchtbarkeit, Lungenkrebs, Blutarmut, Erkrankungen des Nervensystems und Hautkrankheiten wie Krötenhaut. Auch die Tier- und Pflanzenwelt ist geschädigt: Kälber werden ohne Schwänze geboren, Fische entwickeln bislang unbekannte Geschwüre. Die Mutation von Früchten führt zu samenlosen Varianten.

Die Symptome, die sich in Jadugoda zeigen, sind typische Strahlenschäden. Hier befindet sich Indiens bedeutendstes Uranabbaugebiet. Hier leben aber auch die Adivasi-Völker Ho und Santhal. Im Dorf Dungridih nahe Jadugoda strömten am 24. Dezember 2006 neun Stunden lang tausende Liter radioaktiv verseuchten Abwassers in einen kleinen Fluss und in die Umgebung der Siedlung. Diese wird überwiegend von Adivasi-Familien bewohnt, die beim Bau der Anlage und der dazugehörigen Absetzbecken dorthin umgesiedelt wurden. Der in den Fluss geschwemmte Abraum bildete einen Giftteppich, der die Wasservorräte zahlreicher flussabwärts gelegener Adivasi-Gemeinden verseuchte und einen Großteil der im Fluss und in der Uferregion lebenden Tierwelt vernichtete.

Der Abraum in den Absetzbecken enthält noch ca. 80 Prozent der ursprünglichen Radioaktivität des Erzes. Hinzu kommen die Rückstände der Säuren, mit denen das Uran ausgewaschen wurde, sowie die im Uranerz enthaltenen Schwermetalle Zink, Blei, Mangan, Cadmium und das hochgiftige Halbmetall Arsen. Die Absetzbecken sind weder eingezäunt noch abgedeckt. So verdunstet im Verlauf der Trockenzeit das Wasser aus den Becken und der Wind kann den giftigen Staub in die Umgebung verteilen. Während der Monsunzeit laufen die Becken häufig über, sodass sich ihr Inhalt in den nächstliegenden Fluss ergießt. Da der Boden der Absetzbecken nicht abgedichtet ist, können die Giftstoffe außerdem ins Erdreich sickern. Überdies wurden die Absetzbecken von Jadugoda für geraume Zeit illegal als Endlager für radioaktive Abfälle anderer Produktionsanlagen, Forschungseinrichtungen und Krankenhäuser aus dem ganzen Land genutzt.

Nach dem indischen Atomgesetz sind Siedlungen innerhalb eines Radius von fünf Kilometer um Atommülldeponien und Absetzbecken mit nuklearem Abraum nicht erlaubt. Dessen ungeachtet leben in diesem Bereich in Jadugoda 30.000 Menschen. Sieben Dörfer befinden sich innerhalb eines Umkreises von 1,5 Kilometern. Das Dorf Dungridih liegt sogar in nur 40 Meter Entfernung von einem Absetzbecken. Die Dämme der Absetzbecken dienten lange als Viehweiden und Spielplatz. In den Überlaufzonen wird Getreide angebaut. LKW transportieren das Uranerz auf offenen Ladeflächen durch die Dörfer zur Mühle. Nicht selten verlieren sie Teile ihrer Ladung. Fässer mit radioaktivem Inhalt werden an öffentlich zugänglichen Orten gelagert. Zudem finden Teile des radioaktiven Abraums Verwendung für Geländeaufschüttungen oder werden als Baumaterial verwendet.

Erst mit den Aufklärungskampagnen der 1991 gegründeten Jharkhandi´s Organisation Against Radiation (JOAR) erfuhr die Mehrheit der Adivasi, dass ihre Krankheiten nicht von den Göttern gewollt, sondern von Menschen gemacht sind. 2004 wurde JOAR für ihre Arbeit mit dem Nuclear-Free Future Award ausgezeichnet. Die Organisation setzt sich für eine Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen und der medizinischen Versorgung, vor allem aber für eine angemessene Entschädigung der beim Ausbau des Urankomplexes von ihrem Land Vertriebenen ein.

Zum Weiterlesen: Indiens Ureinwohner leiden unter Uranbergbau. Adivasi-Organisationen fordern Respekt der Rechte indigener Völker. Memorandum der Gesellschaft für bedrohte Völker - August 2010; 9 Seiten. Kostenlos zum Herunterladen unter www.gfbv.de.

Adivasi in Indien von Uranabbau bedroht [ oben ]

"Wir schützen unser Land wie eine Ziege vor dem Löwen"

Punit Minz ist Angehöriger der Uraon-Adivasi, einem Ureinwohner-Volk Indiens. Bis vor kurzem war er Generalsekretär der Gewerkschaft der Minenarbeiter JMACC (Jharkhand Mines Area Coordination Committee) im ostindischen Bundesstaat Jharkhand. Nun ist er Kampagnen-Koordinator der Dachorganisation BIRSA (Bindrai Institute for Research Study and Action). Ende August 2010 lud ihn die GfbV zum Weltkongress Sacred Land - Poisoned People in Basel ein, wo Sprecher indigener Völker an die europäische Öffentlichkeit traten. Bis Mitte September reiste er mit GfbV-Vertretern durch Deutschland, um über die Situation der Adivasi, die zugunsten des Uranabbaus von ihrem Land vertrieben wurden, aufmerksam zu machen.

bedrohte Völker: Was haben Sie für sich von der Konferenz in Basel mitgenommen?
Minz: Ich hätte nie gedacht, dass ich je nach Europa zu kommen und an einem Uran-Weltkongress teilnehmen würde. Ich habe viel über Uran und die technischen Prozesse gelernt. Leute wie wir wissen nichts darüber. Wir wissen nur, dass von Uran Strahlung ausgeht und dass Leute davon krank werden.

bedrohte Völker: Wie wollen Sie dieses Wissen bei Ihrer Arbeit einsetzen?
Minz: Wenn ich das Wissen benötige, um mein Volk zu retten, dann bin ich bereit, das alles zu lernen. Aber ich denke, jeder hat seine Rolle im Kampf um die Rechte der Ureinwohner. Ein Wissenschaftler kann mit seinem Wissen helfen, ein Journalist, indem er die Gesellschaft informiert. Meine Aufgabe sehe ich darin, möglichst viele Menschen für unsere Bewegung zu mobilisieren. Jeder kann seinen Teil beitragen. Wenn alle zusammenarbeiten, kann man etwas erreichen.

bedrohte Völker: Mit welchen Schwierigkeiten haben die Ureinwohner in Jharkhand zu kämpfen?
Minz: Wir Adivasi waren früher hauptsächlich Kleinbauern. Wegen des Uranabbaus wurden viele von ihrem Land vertrieben und mussten ihre traditionelle Lebensweise aufgeben. Unsere Leute wurden betrogen. Sie bekamen keine Entschädigung dafür, dass sie ihr Land geopfert haben. Seitens der Regierung gibt es keinen Plan, was nach der Umsiedlung mit den Adivasi geschehen soll. Weder neues Land noch Arbeit wurden ihnen zur Verfügung gestellt.

bedrohte Völker: Wie helfen Sie den Betroffenen?
Minz: Wir setzen uns für Gerechtigkeit ein und kämpfen gegen die Zerstörung von indigenem Land und die Umsiedlung der Ureinwohner. Wir setzen uns außerdem für bessere Arbeitsbedingungen der Minenarbeiter ein, für Mindestlöhne und die Bildung ihrer Kinder. All dies sind Dinge, die uns das Ministerium für Atomenergie nach indischem Recht gewähren müsste.

bedrohte Völker: Haben Sie versucht, dieses Recht vor Gericht einzuklagen?
Minz: Ja, aber wir haben nicht viel erreicht. Die meisten Leute an der Macht haben auch wirtschaftliche Interessen. Von ihnen können wir keine Gerechtigkeit erwarten. Wir müssen uns selbst für unsere Rechte einsetzen.

bedrohte Völker: Jharkhand wurde 2000 vom indischen Bundesstaat Bihar getrennt und ist seitdem ein autonomer Staat.
Minz: Ja, aber in der Regierung sitzen dennoch hauptsächlich Personen, die sich nicht für die Adivasi einsetzen. 101 Projekte zur Uranförderung wurden seither genehmigt. Wenn diese alle realisiert werden, wird es kein indigenes Land mehr in Jharkhand geben.

bedrohte Völker: Wie ist es um die Bevölkerungsstruktur in dem noch jungen Bundesstaat bestellt?
Minz: Von den 26,9 Millionen Einwohnern sind weit über 50 Prozent Adivasi. Genaue Zahlen gibt es nicht. Volkszählungen werden hauptsächlich in der Hauptstadt Ranchi durchgeführt. Doch dort machen die Ureinwohner nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung aus. Auf dem Land, wo überwiegend Adivasi leben, wird keine Zählung durchgeführt. Daten werden gefälscht, um vorzutäuschen, dass die indigene Bevölkerung nicht überwiegt - denn ansonsten müsste man für sie mehr Arbeitsplätze und Quoten an den Universitäten bereitstellen.

bedrohte Völker: Wie viele Adivasi sind von den Umsiedlungen betroffen?
Minz: Grundsätzlich sind alle Ureinwohner in Jharkhand bedroht. BIRSA betreut etwa 50.000 Betroffene.

bedrohte Völker: Wie ist BIRSA entstanden?
Minz: Die Organisation ging aus einer Volksbewegung hervor, die sich seit 1978 für bessere Arbeitsbedingungen der Adivasi einsetzt. Später kümmerte sie sich hauptsächlich um Landrechte, weil das Land, das den Ureinwohnern gehörte, durch eindringende Unternehmen immer mehr bedroht wurde. Heute sind ihre vier Kernthemen Arbeitsrecht, Menschenrechte, Frauenfragen, Waldschutz.

bedrohte Völker: Was tun Sie dabei genau?
Minz: Als ehemaliger Generalsekretär der Gewerkschaft helfe ich dem neuen Generalsekretär und den Regionalsekretären sich einzuarbeiten. Ich nutze meine Erfahrungen, um sie zu beraten und zu unterstützen. Ich helfe ihnen bei der Auswertung der Informationen. Aber vor allem arbeite ich jetzt wieder an der Basis und besuche die Betroffenen vor Ort, höre mir ihre Probleme und Sorgen an und organisiere politische Aktionen.

bedrohte Völker: Sind in Ihrer Umgebung viele Menschen durch die Strahlung erkrankt?
Minz: Ich setze mich für diese Leute ein und arbeite eng mit ihnen zusammen, deshalb habe ich schon sehr viele erkrankte oder deformierte Menschen gesehen. Ich empfinde starkes Mitleid für sie. Diese Menschen haben ihr Land geopfert und was sie dafür bekommen, sind Krankheiten. Meinen Freunden, die in den Minen arbeiten, rate ich immer, erst zu heiraten und Kinder zu bekommen und erst dann mit der Arbeit zu beginnen, denn sonst könnten ihre Kinder krank zur Welt kommen. Das Land zu opfern, heißt für diese Menschen, sich selbst zu opfern.

bedrohte Völker: Wie gehen die Ärzte mit den Erkrankungen um?
Minz: Die meisten Ärzte wissen nicht viel über die Auswirkungen der Strahlung. Diejenigen, die sich damit auskennen, setzen sich nicht für die Adivasi ein. Sie wollen ihre eigene Gesundheit nicht gefährden. Außerdem haben die viele Ureinwohner kein Geld, um Ärzte zu bezahlen.

bedrohte Völker: Haben Sie darüber nachgedacht, eigene Ärzte auszubilden?
Minz: Das ist schwierig. Die Ausbildung ist oft zu teuer. Manche kommen nach ihrer Ausbildung nicht zurück. Sie wollen natürlich Geld verdienen.

bedrohte Völker: Berichtet die lokale Presse über die Situation der Adivasi?
Minz: Vom Landverlust und der Vertreibung der Adivasi profitieren viele in der Gesellschaft, zum Beispiel als Arbeiter oder Miteigentümer in Firmen, die auf geraubtem Land stehen. Durch die Vertreibung sinkt die Zahl der Ureinwohner in Jharkhand und so müssen ihnen weniger Arbeits- und Universitätsplätze zur Verfügung gestellt werden. Deshalb ist es nicht im Interesse der Besitzer der Zeitungen und Radiosender, über die Adivasi zu berichten. Aber JMACC gibt monatlich die Zeitschrift Mines, Minerals & Rights heraus.

bedrohte Völker: Wie bewerten Sie den Erfolg Ihrer Organisation?
Minz: Wir haben es geschafft, seit 2000 keine Bergbauindustrie mehr in unser Land hinein zu lassen. Aber der Kampf ist nicht vorbei. Es ist, als ob wir eine Ziege in unserem Dorf hätten und ein Löwe draußen säße, der darauf wartet, dass die Ziege herauskommt. Wir müssen immer weiter kämpfen, um die Ziege zu beschützen.

bedrohte Völker: Was erhoffen Sie sich von Ihrem Besuch in Deutschland?
Minz: Ich werde mich mit einem Mitarbeiter vom Bundesamt für Strahlenschutz treffen. Das wird das wichtigste Gespräch für mich sein. Dort werde ich darüber informiert, welche Bestimmungen es zum Schutz der Arbeiter in deutschen Atomanlagen gibt und welche Sicherheitsmaßnahmen seitens der Unternehmen gewährleistet werden. Mit diesen Informationen können wir konkrete Forderungen an die indische Regierung und die Kernkraftindustrie in Indien stellen.

Interview: Karoline Schulz

Tibet [ oben ]

Staudämme und Klimawandel bedrohen Tibet

Ulrich Delius

Das Canyon Jiacha, Brahmaputra-Fluss in Zhangmu, Tibet. Das Canyon Jiacha, Brahmaputra-Fluss in Zhangmu, Tibet.

China hat ein ehrgeiziges Programm zur Förderung der Wasserkraft beschlossen, das bis zum Jahr 2020 den Ausbau dieses Energieträgers von 33 auf 60 Prozent vorsieht. Die meisten der großen Flüsse Ost- und Südasiens entspringen auf dem Hochplateau Tibets. Mehr als 1,5 Milliarden Menschen entlang der Flüsse Brahmaputra, Indus, Mekong, Yangtze, Salween, Sutlej, des Gelben Flusses und anderer Ströme sind auf das Wasser angewiesen.

China setzt auf Wasserkraft, um seinen enormen Energiebedarf zu decken. Bislang werden dort rund 23 Prozent (197 Gigawatt) der Energie mit Hydro-Energie erzeugt. Bis 2015 soll diese Art der Stromerzeugung um 120 Gigawatt gesteigert werden. Insgesamt sind 109 kleinere und größere Staudämme in Tibet geplant.

Einer der Flüsse im Fadenkreuz chinesischer Wasserbau-Ingenieure ist der Brahmaputra. Er strömt 1.625 Kilometer durch Tibet, bevor er Indien und Bangladesch erreicht. Vierzehn kleinere Staudämme wurden an diesem Strom bereits errichtet. Drei Projekte sind im Bau, 22 weitere in Planung. Der größte sich derzeit im Bau befindliche Staudamm am Oberlauf des Brahmaputra in Zhangmu (Präfektur Lhokha), 140 Kilometer südöstlich von Tibets Hauptstadt Lhasa, ist auf 510 Megawatt angelegt und kostet 167 Millionen US-Dollar.

Besonders beunruhigt sind Indien und Bangladesch über den in der Nähe der indischen Grenze geplanten Megastaudamm Motuo, der 38 Gigawatt Energie erzeugen soll. "Chinas Staudammprojekt macht uns Sorgen, weil wir nicht wissen, wie groß der Damm werden soll und was er für Folgen für die Menschen am Unterlauf des Flusses haben wird", erklärt Jabron Gamlin, Energieminister des indischen Bundesstaates Arunachal Pradesh. Neben dem für Bauern und Fischer wichtigen Wasseraufkommen fürchtet man hier auch um die Sicherheit in dieser erdbebengefährdeten Region.

76 weitere Staudämme sind an den Flüssen Mekong, Yangtze und Salween geplant. Sie entspringen in der Autonomen Region Tibet (TAR) sowie in alten tibetischen Siedlungsgebieten in den Provinzen Qinghai, Sichuan und Yunnan. An allen dreien wurden bisher je zwei Staudämme fertig gestellt. Doch diese sind nur ein Vorgeschmack auf die geplanten Mega-Projekte und deren Folgen, die sowohl für Tibeter als auch viele ethnische Minderheiten am Unterlauf der Flüsse unkalkulierbar sind.

Die zahlreichen neuen Staudämme beeinträchtigen die traditionelle Wirtschaft und Ökologie Tibets massiv. Viele Tibeter fürchten, dass die Projekte den Zuzug von hunderttausenden Han-Chinesen zur Folge haben werden, so dass sie noch mehr zur Minderheit im eigenen Land gemacht werden.

Erschwert wird die Lage durch die Folgen des Klimawandels. Das rapide Schmelzen der Gletscher, der Anstieg der Temperaturen sowie geringerer Schneefall könnten schon bald Verteilungskämpfe um das begehrte Gut Wasser schüren. Denn die Flüsse der Region werden vor allem von Schmelzwasser gespeist. Chinesische Wissenschaftler befürchten, innerhalb der nächsten zehn Jahre könnten 30 Prozent der Gletscher schmelzen. Durch das Ende des Permafrost weicht der Boden auf und wird einfach weggespült. Die immer unfruchtbareren Böden können dann immer weniger Tibeter ernähren.

Die meisten Bewohner dieser Region sind tibetische Nomaden. Seit Jahren werden sie und ihre Herden von chinesischen Behörden fälschlicherweise als Hauptschuldige der Bodenerosion dargestellt. Tatsächlich erhalten die Nomaden mit ihrer angepassten Wirtschaftsweise das ökologische Gleichgewicht im Himalaya. Doch die chinesische Regierung stellt sie als "Hinterwäldler" und "rückständig" dar. Um jeden Preis wollen die Behörden sie fest ansiedeln und zu Bauern, Händlern und Industriearbeitern machen. Seit 2003 hat China mehr als 60 Prozent der 2,25 Millionen Nomaden in Tibet zwangsweise in Dörfern oder an Stadträndern angesiedelt. Systematisch wird nicht nur ihre traditionelle Wirtschafts- und Lebensweise zerstört, sondern auch ihre Identität.

Exzessiver Staudammbau in Burma [ oben ]

Kachin werden "weggespült"

Martina Hussmann

Das Projekt des Myitsone Staudamms. Das Projekt des Myitsone Staudamms.

Seit 2008 baut die Militärjunta Burmas 28 Staudämme. Weitere Projekte sind geplant. Angeblich will das Land so seine Abhängigkeit von Gasimporten minimieren und den eigenen Energiebedarf durch Wasserkraft decken. Doch die Einbindung überwiegend ausländischer Firmen, insbesondere aus China, lassen eher den Export der gewonnenen Energie - vor allem nach China - vermuten...

Eines der Megaprojekte ist ein System von sieben Staudämmen an den Flüssen Mali und N'Mai. Beide verbinden sich zum Irrawaddy, dem wichtigsten Verkehrsfluss Burmas. Allein der größte dieser sieben Dämme, der Myitsone-Damm am Scheitelpunkt der Flüsse, soll jährlich einen Verkaufserlös von rund 500 Millionen US-Dollar einbringen.

Für den Myitsone-Damm allein sollen mindestens 10.000 Angehörige der Kachin, der größten Bevölkerungsgruppe in der gleichnamigen burmesischen Provinz, umgesiedelt werden. 766 Quadratkilometer fruchtbaren Ackerlandes und Waldes müssen überflutet werden. Dies entspricht etwa der Fläche Hamburgs. Mit der Flutung von 47 Dörfern werden viele Kachin nicht nur ihre wirtschaftliche Grundlage, sondern auch das Zentrum ihrer kulturellen Identität verlieren. Denn den Kachin ist der Ursprung des Irrawaddy, zu dessen Ehren sie dort Gedenk- und Pilgerstätten errichtet haben, heilig. Eine buddhistische Pagode sowie ein christlicher Marienschrein werden den Wassermassen ebenso zum Opfer fallen.

Der Myitsone-Damm wird seit Dezember 2009 gebaut und soll 2017 fertiggestellt werden. Seit Oktober 2009 müssen die Bewohner ihre Heimat zwangsweise verlassen. Die Regionen werden dabei regelrecht militarisiert und das zu flutende Gelände vermint, um den Zugang dazu zu erschweren. Die Kachin sind dabei immer wieder gewalttätigen Übergriffen und Landkonfiszierungen durch das Militär ausgesetzt. Besonders Frauen werden Opfer von sexueller Gewalt und Zwangsprostitution. Ohnehin bestehende Probleme wie Arbeitslosigkeit, Drogenabhängigkeit und HIV- oder Aids-Infektionen nehmen zu. Krankheiten wie Malaria oder durch den Goldbergbau bedingte Vergiftungen breiten sich aus.

Verbindliche Auflagen für die Auseinandersetzung mit den Betroffenen, die fast alle Angehörige ethnischer Minderheiten sind, gibt es nicht. Die Menschen können sich nicht gegen die Vertreibung zur Wehr setzen. Oft werden sie noch nicht einmal vorher über solche Pläne informiert. Alternativen oder Reparationszahlungen sind eine Seltenheit.

Die Aufstauung der Flüsse birgt unkalkulierbare ökologische und ökonomische Folgen. Durch den Dammbau wird der Artenreichtum massiv zurückgehen, der Irrawaddy-Delfin könnte ganz aussterben. Drei Millionen Menschen sind unmittelbar von den Auswirkungen auf das Irrawaddy-Delta betroffen: Durch eine Dezimierung des Fischbestands verkleinert sich die Fangausbeute für Fischer, ausbleibende Überschwemmungen vermindern die Bodenfruchtbarkeit und damit die Ertragsmöglichkeit für Bauern.

Einige Kachin haben sich inzwischen zu einer Widerstandsbewegung zusammengeschlossen. Die verschiedenen Demonstrationen und zahlreichen Protestbriefe, die an Regierungschef Than Shwe und den zuständigen General Ohn Myint geschrieben wurden, blieben bisher jedoch unbeantwortet.

"Wir flehen Sie [Than Shwe] als unseren hochgeschätzten großen Bruder an, den Bau dieses Dammes zu stoppen und andere Wege zu suchen, um den Energiebedarf für die Region zu decken und stattdessen unser Kachin-Volk, unsere Kultur, unsere Rechte und unser Heimatland vor dieser unvorstellbaren grauenvollen Abscheulichkeit zu schützen."
(Auszug aus dem Protestbrief des Dorfes Tanghpre an Regierungschef Than Shwe)

Online-Protest zum Mitmachen: www.gfbv.de/emailprot.php?id=252

Indonesien: Abholzungen und Megaprojekte bedrohen Ureinwohner [ oben ]

Widerstand in Westpapua

Ulrich Delius

Für die Palmölproduktion wird immer mehr Land zum Anbau der Pflanzen gesucht. Für die Palmölproduktion wird immer mehr Land zum Anbau der Pflanzen gesucht.

Am 8. Juli 2010 demonstrierten mehr als 20.000 Papua-Ureinwohner in der Stadt Jayapura im von Indonesien kontrollierten Westen der Insel Neuguinea gegen die Ausplünderung ihrer Heimat sowie gegen den gescheiterten Autonomie-Status Westpapuas. Die Autonomie war der früheren niederländischen Kolonie, die heute in zwei indonesische Provinzen aufgeteilt ist, im Jahr 2001 gesetzlich zugesichert worden. Doch die Hoffnungen der Papua erfüllten sich nicht: Machtmissbrauch, Korruption und Bürokratie ließen die meisten für Westpapua vorgesehenen Gelder in fremden Taschen verschwinden.

Stattdessen verstärkte sich der Raubbau an Natur und Ressourcen. Seit dem Sturz des indonesischen Diktators Haji Mohamed Suharto im Mai 1998 sind rund 25 Prozent des Regenwaldes Westpapuas vernichtet worden (Suara Pembaruan, 29.4.2010). Westpapuas Wälder gelten neben denen des zentralafrikanischen Kongo und dem Amazonas-Regenwald als die größte geschlossene Waldfläche der Welt.

Doch der Ressourcen-Reichtum der Inselhälfte weckt Begehrlichkeiten. So wollte man in den 1990er Jahren trotz des Widerstands der Papua entlang des Mamberano-Flusses ein gigantisches Industriekombinat samt Staudamm zur Energiegewinnung für Firmen aus ganz Südostasien errichten. Erst die Finanzkrise in Südostasien 1998 brachte das Projekt zum Scheitern.

Westpapua, das mit 421.000 Quadratkilometern beinahe so groß ist wie Schweden, ist durch seine Rohstoffe einer der wichtigsten Wirtschaftsmotoren Indonesiens. Das Gold und Kupfer fördernde Unternehmen PT Freeport Indonesia ist der bedeutendste private Steuerzahler des Landes. Die zu 90 Prozent dem US-amerikanischen Konzern Freeport McMoRan Copper& Gold Inc. gehörende Firma verletzt massiv Land- und Menschenrechte der in der Umgebung seiner Grasberg-Mine lebenden Papua-Völker. Unter dem Schutz des Militärs konnte der Konzern seinen Rohstoffabbau immer mehr ausweiten, Proteste der Ureinwohner wurden gewaltsam niedergeschlagen.

Vor allem auch für landwirtschaftliche Projekte wie die Palmölproduktion wird in Südasien immer neues Land gesucht. Indonesien, Malaysia und Papua-Neuguinea erwirtschaften heute rund 85 Prozent der weltweiten Palmöl-Produktion. Vom Lippenstift bis zur Schokolade - in fast 50 Prozent aller weltweit hergestellten Produkte ist das Öl enthalten. Wurden 1985 nur 600.000 Hektar Land in Indonesien für Ölpalmen genutzt, so waren es 2006 bereits vier Millionen Hektar - zurzeit gibt es rund 3.500 Landkonflikte um solche Plantagen. Die rund 270 indigenen Völker, denen das Land traditionell gehört, können ihre Landrechte nicht wirksam verteidigen.

Das im Südosten Westpapuas gelegene Merauke Integrated Food and Energy Estate Projekt (MIFEE) will nun auf einer Fläche von bis zu 16.000 Quadratkilometern (fast die Größe Thüringens) Reis, Mais, Zuckerrohr, Soja und Ölpalmen anbauen. Unter den Papua gibt es massiven Widerspruch gegen das Vorhaben. Sie fürchten den Zuzug von mehr als 100.000 indonesischen Landarbeitern - ein Schritt, um die Papua in ihrer Heimat zur Minderheit zu machen. Mit einer solchen Änderung der Bevölkerungsstruktur will Indonesien der Forderung vieler Papua nach einer staatlichen Unabhängigkeit Westpapuas offensiv begegnen. Den Papua droht dabei nicht nur der Verlust ihres Landes und ihrer traditionellen Lebensweise als Bewohner des Regenwalds, sondern auch der Verlust jedes Mitspracherechts für ihre Zukunft.

Ein Funke Hoffnung kam im August 2010 auf, als Präsidentenberater Kuntoro Mangkusubroto erklärte, für MIFEE dürften mit Rücksicht auf die Natur nur 3.500 bis 5.000 Quadratkilometer Land zur Verfügung gestellt werden (Reuters, 18.8.2010). Doch der in der betroffenen Provinz Papua zuständige Sekretär für Landwirtschaft Ricky Wowor will davon nichts wissen und beharrt auf der ursprünglich vorgesehenen, dreifachen Größe des Projekts.

Penan aus Sarawak in Malaysia bedroht [ oben ]

Dämme, die das kulturelle Gedächtnis rauben

Julia Beckel

Der Bakun-Staudamm soll bereits Ende 2010 ans Netz gehen und Strom im Überfluss liefern. Der Bakun-Staudamm soll bereits Ende 2010 ans Netz gehen und Strom im Überfluss liefern.

Sie sollen Energie liefern - die Staudämme in Malaysias Bundesstaat Sarawak. Aber nicht für die lokale Bevölkerung, sondern für den Export. Menschenrechtsexperten vermuten indes, dass der wahre Grund für ihren Bau ein ganz anderer ist.

Nur zufällig kamen Anfang 2008 die Pläne der Regierung von Sarawak (Malaysia, Borneo) zum Bau von zwölf Staudämmen ans Licht. Versehentlich war eine Präsentation des Energiekonzerns Sarawak Energy Berhad im Internet aufgetaucht. Das später entfernte Dokument wurde dem Bruno Manser Fonds zugespielt und auf dessen Homepage publiziert.

Die geplanten Dämme sind Teil des von Chief Minister Abdul Taib Mahmud entworfenen Mega-Projektes "Sarawak Corridor of Renewable Energy" (SCORE). Ziel ist die Modernisierung Sarawaks bis zum Jahr 2020 durch den Bau von Industrie- und Produktionszentren, Herzstück die Energieversorgung. Derzeit gibt es in Sarawak jedoch keinen Bedarf für die Energie, da schon der Ende 2010 ans Netz gehende Bakun-Staudamm Strom im Überfluss produzieren wird. So ist die Energie der neuen Dämme für den Export bestimmt und soll ausländische Investoren anlocken - erste Verträge sind unterzeichnet.

Bedrohung der Verletzlichsten
In Sarawak, dessen Regenwälder zu den artenreichsten der Welt gehören, leben indigene Völker aus über 40 verschiedenen ethnischen Gruppen. Kämpften sie in den letzten Jahrzehnten verzweifelt für ihre Landrechte und gegen die Abholzung des Waldes und den Anbau von Ölpalmen, sehen tausende von ihnen nun einer neuen Bedrohung ins Auge: der Überflutung ihrer Dörfer und traditionellen Gebiete und ihrer Zwangsumsiedlung. So werden für den Murum Staudamm rund 1.200 West-Penan und Kenyah aus sieben Dörfern weichen müssen.

Die Penan sind die verletzlichste der indigenen Gruppen, da sie traditionell auf die Produkte eines intakten Waldes und sauberer Flüsse angewiesen sind. Die Regierung verspricht ihnen ein besseres Leben nach dem Bau des Dammes, doch es zeigt sich schon jetzt, dass sie ihre Versprechen nicht halten wird: Im für die Umsiedlung vorgesehenen Gebiet rodet eine der größten Holzfirmen die Wälder und baut Ölpalmen an. Zudem wurde mit den Arbeiten am Bau des Dammes vor Beendigung einer Sozial- und Umweltverträglichkeitsstudie begonnen, deren Inhalt bislang ein Geheimnis ist. Die Penan wollen das Land ihrer Ahnen nicht verlassen. Sie fordern die Offenlegung der Studie und Mitspracherechte.

Aber nicht nur die West-Penan in Zentralsarawak, sondern auch die Kelabit im Osten des Bundesstaates sind betroffen. Am Fluss Limbang sind Vermessungsarbeiten in Gange. Mutang Urud, ein früherer Mitstreiter Bruno Mansers, mittlerweile im Exil in Kanada, sieht sein Heimatdorf Long Napir am Limbang bedroht: Er sagt: "Dieses Projekt ist ein frontaler Angriff auf unsere Rechte als Ureinwohner des Gebiets. Es würde nicht nur unsere Kulturlandschaft auslöschen, sondern auch künftigen Generationen unser kulturelles Gedächtnis rauben."

Dämme als Vorwand
Die Ureinwohner fürchten das Schicksal einer Gruppe von rund 9.400 Indigenen (unter anderen Kayan, Kelabit und West-Penan), die vor 14 Jahren für den Bau des umstrittenen Bakun-Staudammes nach Sungai Asap umgesiedelt wurden: Die ihnen aufgezwungene Geldwirtschaft ist ihnen fremd, sie fristen ein Leben in Arbeitslosigkeit, bitterer Armut und leiden unter dem Verlust ihrer kulturellen Wurzeln und traditionellen Lebensweise. Immer noch warten sie auf die versprochenen Kompensationszahlungen und Ackerflächen. Für die ihnen zugeteilten viel zu kleinen und zu weit entfernten Felder haben sie noch nicht einmal Landrechte.

Der indigene Landrechtsanwalt und Oppositionspolitiker Baru Bian befürchtet: "Der Bau der Staudämme im Namen der Entwicklung ist ein Vorwand für die Auslöschung der indigenen Rechte in den Einzugsgebieten unserer größten Flüsse. Es gibt keine Notwendigkeit für den Bau der Dämme."

Tuareg [ oben ]

Uran aus Afrika für Frankreichs Atomindustrie

Ulrich Delius

Der Bergbau verletzt die traditionellen Landrechte der Tuareg und zerstört so ihre Heimat. Foto: Emilia Tjernström. Der Bergbau verletzt die traditionellen Landrechte der Tuareg und zerstört so ihre Heimat. Foto: Emilia Tjernström.

Als am 16. September 2010 sieben Angestellte französischer Energie- und Bau-Unternehmen in Niger entführt wurden, zeigte sich schlaglichtartig, wie bedeutend der westafrikanische Staat für Frankreichs Energieversorgung ist. Denn ohne das Uran vom Land der Tuareg stünde es um die Versorgung der 58 Atomkraftwerke Frankreichs schlecht. Der französische Energiekonzern Areva bezieht ein Drittel seines Urans aus den Minen im Norden des Niger. 2009 förderte das Staatsunternehmen 8.600 Tonnen des kostbaren Gesteins in der Region Arlit. In Zukunft sollen noch mehr Minen in Niger erschlossen werden.

Bereits seit Jahren wird Areva massiv von einheimischen Tuareg - einem Volk, das auf die Sahel-Ländern Niger, Mali, Algerien, Libyen und Burkina Faso zerstreut ist - und von Umweltschutzorganisationen kritisiert. Das rohstoffreiche Land gehört traditionell den Tuareg. Doch obwohl der Uran-Bergbau im Norden des Niger rund 30 Prozent der Staatseinnahmen ausmacht, haben sie bisher wenig davon profitieren können. Bislang leiden sie vor allem unter den verheerenden gesundheitlichen und ökologischen Folgen des Bergbaus.

Auf Einladung der Tuareg untersuchten französische Umweltschützer des unabhängigen Labors CRIIRAD 2003 erstmals die gesundheitlichen Risiken der Uranförderung für die Bevölkerung in Arlit. Wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft durch Areva recherchierten die Wissenschaftler verdeckt - und kamen zu erschütternden Ergebnissen. So stellten sie fest, dass Trinkwasserquellen radioaktiv verseucht sind und verstrahlte Materialien auch beim Straßenbau verwendet wurden. Offensichtlich wurden internationale Schutzvorschriften ignoriert. Auch berichteten Tuareg, dass ihnen von der Firma radioaktive Baumaterialien gegeben wurden, die später zum Teil beim Hausbau und als Küchengeräte Verwendung fanden.

Die französische Nichtregierungsorganisation Sherpa stellte in einem 2005 veröffentlichten Bericht fest, dass Minenarbeiter nicht über die gesundheitlichen Risiken ihrer Arbeit informiert wurden. Obwohl es viele Fälle von Lungenkrebs und Leukämie gibt, lehnt das Unternehmen jede Verantwortung für diese ab und betont die Unschädlichkeit des Rohstoffabbaus. Vor allem Tuareg, die meist als Leih- und Zeitarbeiter eingesetzt werden, leiden unter den katastrophalen gesundheitlichen Folgen.

Bestätigt wurden diese bedrohlichen Zustände durch eine Untersuchung der Umweltschutzorganisation Greenpeace im Jahr 2010. Sie wies auf die schlimmen Arbeitsbedingungen in den Bergwerken sowie den unzureichenden Schutz der in der Region lebenden Tuareg hin. Die Verletzung der Rechte der Urbevölkerung schürte auch bewaffnete Konflikte in der Region. Die zwischen 2007 und 2009 im Norden Nigers gegen die Regierung kämpfende Tuareg-Freiheitsorganisation "Bewegung der Nigerier für Gerechtigkeit" (MNJ) forderte beispielsweise die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Minen, einen wirksamen Schutz der in der Region lebenden Bevölkerung sowie eine gerechte Beteiligung der Tuareg an den Erlösen aus dem ertragreichen Bergbau. Auf Druck Libyens legte die MNJ zwar 2009 ihre Waffen nieder, doch ihre Forderungen sind weiter gültig.

Für die Tuareg ist die Lage besonders kritisch, weil der Bergbau nicht nur ihre traditionellen Landrechte verletzt, sondern langfristig auch ihre Heimat zerstört. Denn auch im Nachbarland Mali wird inzwischen auf Tuareg-Land nach Uran gesucht.

Oromo [ oben ]

Landraub schürt Hunger in Äthiopien

Ulrich Delius

Oromo-Frau bei der Arbeit auf einer der 85 Rosenplantagen Äthiopiens. Oromo-Frau bei der Arbeit auf einer der 85 Rosenplantagen Äthiopiens.

Äthiopiens Regierung setzt auf die Verpachtung oder den Verkauf gigantischer Landflächen an ausländische Konzerne, um Investoren anzuziehen und den Export landwirtschaftlicher Produkte zu steigern. So wird in Indien damit geworben, dass Äthiopien einen halben Hektar Land zum Spottpreis von einem US-Dollar Pacht im Jahr abgibt (Hindu Business Line, 25.6.2010).

Angehörige des Volkes der im Südwesten des Landes lebenden Anuak schlagen nun Alarm, weil in ihrer Region Gambela besonders viele ausländische Investoren Land gekauft haben. So wurde im August 2010 bekannt, dass Äthiopien 27.000 Hektar Land in Gambela an das indische Unternehmen BHO Agro Plc verpachtet hat, um dort Pflanzen für Biosprit anzubauen (addisvoice.com, 29.8.2010). Es ist bereits der dritte Konzern aus Indien, der sich Land in Gambela sichert. Anfang 2010 hatte die Ruchi Group 25.000 Hektar für ähnliche Zwecke gepachtet. Schon im Jahr 2008 hatte das indische Unternehmen Karaturi Global Ltd. 300.000 Hektar gepachtet, um Weizen anzubauen und nach Indien zu exportieren. Gleichzeitig sind in Äthiopien 13 Millionen Menschen auf Hungerhilfe angewiesen.

Doch der Landraub und die damit verbundenen Vertreibungen und Umsiedlungen gehen immer weiter. So will das saudi-arabische Unternehmen Saudi Star Company, das bereits 10.000 Hektar für den Anbau von Reis und anderen für die Ausfuhr nach Saudi-Arabien bestimmten Lebensmitteln nutzt, in den kommenden Jahren weitere 500.000 Hektar bewirtschaften (Anywaa Survival Organisation, 8.9.2010). Die Anuak können ihr Überleben kaum noch sichern, denn sie verlieren immer mehr Land an ausländische Pächter oder Käufer. Regelmäßig eskalierten Konflikte, weil sich Anuak gegen Neuankömmlinge wehrten, die von der Regierung in Gambela angesiedelt worden waren. Äthiopische Sicherheitskräfte gingen in den letzten Jahren mehrfach mit brutaler Gewalt gegen Anuak vor und verübten Massaker.

Auch in der im Zentrum des Landes gelegenen Region Oromia gibt es Konflikte. Seit Jahrzehnten kämpfen Angehörige der unterdrückten und diskriminierten größten Bevölkerungsgruppe Äthiopiens - den Oromo - für einen unabhängigen Staat Oromia. Da die Oromo traditionell die besonders verkehrsgünstig gelegenen Gebiete nahe der Hauptstadt Addis Abeba bewohnen, sind sie besonders vom Landraub betroffen. Die meisten der 85 Rosenplantagen des Landes befinden sich in unmittelbarer Nähe des Flughafens Addis Abeba, denn die Blumen sind für den Export nach Europa bestimmt. Seit Beginn der Blumenproduktion im Jahr 2000 haben dort hunderte Oromo-Bauern ihr Land ohne angemessene Entschädigung an Plantagenbesitzer verloren.

Die Oromo sind nicht nur von der stetig wachsenden Blumenindustrie, sondern auch vom Ausverkauf oder der Verpachtung von 2,7 Millionen Hektar Land zum Anbau von Energiepflanzen (Jatropha, Ölpalmen, Rizinus, Zuckerrohr) betroffen. In vielen Fällen wurden sie von Regierungsbeamten zum Verkauf ihres Landes gedrängt, das ihnen zur Ernährung ihrer gesamten Großfamilie diente. Noch immer bauen rund 85 Prozent der Äthiopier ihre Nahrungsmittel selbst an. Zwar versprach die Regierung den Bauern Arbeit auf den Plantagen, doch mit Hungerlöhnen von weniger als einem Euro Tagesverdienst können die Familien nicht ernährt werden. Auch schädigt der massive Einsatz von Pestiziden die Gesundheit der Arbeiter. Eine jüngst veröffentlichte Studie der Weltbank kam zu dem Schluss, dass auf dem an ausländische Investoren verpachteten Land durchschnittlich nur 0,005 Arbeitsstellen pro Hektar geschaffen werden. So bekräftigten Oromo-Landwirtschaftsexperten und -Menschenrechtler auf einer Konferenz in London im Juli 2010 ihre Ablehnung des Ausverkaufs ihres Landes. Sie fürchten, dass dieser Landraub zu noch mehr Vertreibungen und Umsiedlungen führen wird, die neue Gewalt und den Hunger im Land schüren.

Kalahari Wüste: Afrikanische Ureinwohner schützen ihr Wissen [ oben ]

Pharma-Industrie will Hoodia-Pflanze patentieren

Inse Geismar und Ulrich Delius

Buschmänner vom Volk der San in Gope, Central Kalahari Game Reserve, Botswana. Buschmänner vom Volk der San in Gope, Central Kalahari Game Reserve, Botswana.

Seit Jahrhunderten kennen San- und Nama-Ureinwohner im südlichen Afrika die heilende Wirkung von Pflanzen der Wüste wie der dem extrem trockenen Klima der Kalahari angepassten Sukkulente Hoodia. Die San und Nama, traditionelle Jäger und Sammler, kauen auf Abschnitten des gurkenförmigen, stacheligen Gewächses, um Hunger- und Durstgefühl zu unterdrücken. Inzwischen nutzen Pharma-Unternehmen in aller Welt das traditionelle Wissen dieser indigenen Völker und vermarkten Hoodia-Produkte als Appetitzügler.

"Unser Wissen ist keine Ware", wehren sich die Ureinwohner. Sie wollen selbst darüber entscheiden, wer ihr seit Jahrhunderten überliefertes Wissen wie nutzen darf. Zwar gleicht ihre Heimat mit einer Fülle von Heilpflanzen einem Natur-Supermarkt. Doch dieser Biodiversität droht der Ausverkauf, wenn die Nutzung dieser Ressourcen und Erfahrungen nicht geregelt wird.

Forscher reisen im Auftrag von Pharma-Unternehmen selbst in weit entlegene Rückzugsgebiete von Ureinwohnern, um Pflanzen patentieren zu lassen. Heilpflanzen, die seit Generationen traditionell von der gesamten Bevölkerung genutzt wurden, sollen zukünftig nur noch bestimmten Unternehmen vorbehalten sein, um damit Profit zu machen.

Die Hoodia-Pflanze. Die Hoodia-Pflanze.

Als südafrikanische Forscher 1995 ohne Rücksprache mit den San oder Nama die Patentierung des Hoodia-Wirkstoffs beantragten und später die Rechte an ein großes US-Pharma-Unternehmen verkauften, erhoben San und ihre Unterstützerorganisationen Einspruch. Sie bezogen sich dabei auch auf die "Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt"(CBD), die nach langwierigen Verhandlungen 1992 verabschiedet wurde, um den Ausverkauf biologischer Ressourcen einzudämmen. Die San setzten durch, dass ihr traditionelles Wissen anerkannt wird und sie mit sechs Prozent an den Erlösen aus der Vermarktung von Hoodia-Produkten beteiligt werden.

Doch derartige Verfahren sind aufwendig und zeitraubend. Oft haben Ureinwohner keinen Kontakt zu Rechtsanwälten, die sie angemessen fachlich beraten und ihnen bei der Durchsetzung ihrer Interessen helfen. Außerdem zeigen sich Pharma-Unternehmen meist wenig kooperativ und versuchen mit allen Mitteln, eine Gewinnbeteiligung indigener Völker zu verhindern.

Da der Einspruch gegen die Patentierung der Hoodia Erfolg hatte, wurden afrikanische Nichtregierungsorganisationen ermutigt, sich für die Wahrung des traditionellen Wissens indigener Völker zu engagieren. So forderten sie vom Europäischen Patentamt in München, die Patentierung für das beliebte Erkältungsmittel Umckaloabo aufzuheben. Es wird aus Wurzeln gewonnen, deren heilende Wirkung seit langem unter den Ureinwohnern des südlichen Afrikas bekannt ist. Die Behörde hob fünf Patente auf. Der deutsche Hersteller gab sich schließlich im April 2010 geschlagen und erklärte, die Entscheidung des Patentamtes nicht anfechten zu wollen.

Trotz der "Konvention zum Schutz der Biodiversität" ist die Vielfalt der Lebensräume indigener Völker heute mehr bedroht denn je. Im Mai 2010 warnten die Vereinten Nationen vor den dramatischen Folgen einer weiteren Zerstörung der Artenvielfalt und warfen der internationalen Staatengemeinschaft vor, nicht genug für deren Schutz zu tun. Ihn ernst zu nehmen, ist für die meisten indigenen Völker eine Frage des Überlebens. Die GfbV fordert deshalb:
- Die "Konvention zum Schutz der Biodiversität" muss von den Unterzeichnerstaaten endlich umgesetzt werden.
- Traditionelles Wissen indigener Völker darf nur genutzt werden, wenn die Ureinwohner dem zuvor zugestimmt haben.
- Verstöße gegen die Konvention müssen geahndet werden.
- Traditionelles Wissen von Ureinwohnern muss für diese Völker weiter frei nutzbar bleiben und darf nicht durch Patentierung oder andere Vereinbarungen in seiner Verbreitung beschränkt werden.


Pogrom-bedrohte Völker 261 (4/2010)