Logo


In: Home > DOSSIER > Minderheiten verschaffen sich gehör: Aktiv, kreativ und provokativ

Sprache: DEU | ITA


Minderheiten verschaffen sich gehör

Aktiv, kreativ und provokativ

Pogrom bedrohte Völker Nr. 300, 3/2017

Bozen, Göttingen, July 2017

Index

Editorial, Sandy Naake | UN feiert 10 Jahre Erklärung für die Rechte indigener Völker: "Wir brauchen eine Konvention!" | Protestmärsche: "Wir sind immer noch hier!" - Protest in Washington gegen die DAPL | Delegationsreisen: "Wir haben es satt, dass unsere Rechte stetig verletzt werden"

Editorial [ oben ]

Von Sandy Naake

Minderheiten verschaffen sich gehör: Aktiv, kreativ und provokativ, pogrom / bedrohte Völker 300 (3/2017). Minderheiten verschaffen sich gehör: Aktiv, kreativ und provokativ, pogrom / bedrohte Völker 300 (3/2017).

Liebe Leserinnen und Leser,

"Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie kräftig an und handelt", wusste der italienische Dichter Dante Alighieri bereits im 13. Jahrhundert. Und auch heute handeln viele Menschen nach diesem Credo, weil sie Missstände nicht hinnehmen, sondern zu beseitigen versuchen. Dabei lassen sie sich einiges einfallen, um sich Gehör zu verschaffen.

Juden in Polen nutzen das World Wide Web, um jüdisch-polnische Geschichte aufzuarbeiten. Indigene Filmemacher erzählen ihre eigenen Geschichten, weil nicht-indigene Regisseure eher die "Exotik" indigener Völker porträtieren, als sich mit ihrer Lebenswirklichkeit auseinanderzusetzen. In Nordwestafrika zupft die Tuareg-Band Tinariwen seit mehr als 30 Jahren Gitarrensaiten, um auf die Lage ihres Volkes aufmerksam zu machen. In den USA greifen die Native Americans auf altbewährte Protestformen zurück, um dem Raubbau an Mutter Erde ein Ende zu setzen. Oft bedarf es großen Mutes, für Menschenrechte einzutreten. So wie der Radiosender Arta FM im nordsyrischen Amuda, der inmitten des Bürgerkriegs versucht, die Bevölkerung mit unabhängigen Informationen zu versorgen. Diese Arbeit hatte bereits ihren Preis: Ein Videojournalist von Arta FM wurde entführt und neun Tage lang festgesetzt und verhört.

In eigener Sache: Und auch wir sind aktiv, kreativ und provokativ. 300 Ausgaben von bedrohte Völker - pogrom sind mittlerweile erschienen. Wir prangerten Menschenrechtsverletzungen an, gaben Opfern eine Stimme und nannten die Täter beim Namen. Wir zeigten Lösungen für Konflikte auf, die ein friedliches Zusammenleben und den Respekt für die Identität und Lebensweise von ethnischen sowie religiösen Minderheiten einschließen. Wir scheuten uns nicht vor unbequemen Forderungen. Und wir werden dies auch unermüdlich weiter tun!

Wir wünschen allen eine angenehme und interessante Lektüre!

Sandy Naake

[Titelbild] Der brasilianische Künstler Eduardo Kobra gestaltete anlässlich der Olympischen Sommerspiele 2016 am Boulevard Olimpico in Rio de Janeiro fünf Wandgemälde mit fünf indigenen Gesichtern, die fünf Kontinente repräsentieren: die Mursi aus Äthiopien (Titelbild) für Afrika, die Karen aus Thailand für Asien, die Huli aus Papua-Neuguinea für Ozeanien, die Tapajos aus Brasilien für Süd-, Mittel- und Nordamerika und die Tschuktschen aus Russland für Europa. Foto: Stefano Ravalli/Flickr BY-NC-SA 2.0.

UN feiert 10 Jahre Erklärung für die Rechte indigener Völker [ oben ]

"Wir brauchen eine Konvention!"

Von Claus Biegert

Vom Himalaya bis Honduras: Das Treffen war ein Spiegel der kulturellen Vielfalt; über Facebook wurden die Mitstreiter, die daheim bleiben mussten, it in die internationale Arena geholt. Foto: Claus Biegert. Vom Himalaya bis Honduras: Das Treffen war ein Spiegel der kulturellen Vielfalt; über Facebook wurden die Mitstreiter, die daheim bleiben mussten, it in die internationale Arena geholt. Foto: Claus Biegert.

Sollten wir nicht zufrieden sein? Respekt gilt den Ureinwohnern und Mutter Erde. Gerechtigkeit hält Einzug in die indigene Welt. Es gibt sogar eine Deklaration, die das alles regelt: die "UN-Erklärung für die Rechte indigener Völker". Vor zehn Jahren trat sie in Kraft. Ein Grund zum Feiern. Das Ständige Forum für indigene Angelegenheitendiente als Plattform für die Gratulanten. In der heiligen, hohen Halle der UN-Vollversammlung traten die Redner ans Pult. Sie sei geehrt, hier auf dem Land der Lenape zu sein, sagte Carolyn Bennett, die kanadische Ministerin für "Indian and Northern Affairs" bei der Eröffnung am 24. April. Sie sprach, als sei sie der Kultur der First Nations ganz nah. Ist sie persönlich vielleicht auch, während die Gewinnung von Ölsand indianisches Land im Norden zerfleischt.

INDIGENOUS. Die Wände vibrierten bei diesem Wort. Kein Satz von Regierungsvertretern ohne "Indigenous". Erst Andrew Gilmour, Berater des UN-Generalsekretärs und Leiter des Büros des Hochkommissars für Menschenrechte, rückte das Bild wieder etwas zurecht. Es sei ja große Ignoranz von Nöten, um zu leugnen, dass unser Wettrennen um Bodenschätze die Lebensräume indigener Völker weltweit schrumpfen lässt. Für Klartext sorgte endgültig Boliviens Präsident Evo Morales, der mit seiner flammenden Rede am zweiten Tag den Tenor für die kommenden zwei Wochen vorgab: Kapitalismus sei das Resultat und die Fortsetzung des Kolonialismus. Und der Krieg gegen die Natur sei ein Krieg gegen Naturvölker und Naturschützer. Das Programm zeigte, dass in der Organisation durchaus progressive Kräfte mitwirken konnten: Ein halbtägiges Panel galt der Gewalt an indigenen Frauen. Und erstmals gab es einen "Indigenen Medienraum", der intensiv genutzt wurde und zugleich eine Würdigung der kontinuierlichen und sorgfältigen Arbeit indigener Medien war. Zwischen all den Nachrichten der Verfolgung von (nicht nur indigenen) Naturschützern gab es eine Meldung, die als deutliches positives Zeichen eines Paradigmenwechsels in die Welt strahlen wird: Das Parlament von Neuseeland erklärte vor wenigen Wochen den heiligen Fluss der Maori, Whanganui, zur juristischen Person. Von nun an können Wächter des Whanganui vor Gericht gehen und in seinem Namen klagen. Die Augen der Maori-Delegierten glänzten, als sie davon erzählten.

Die Deklaration wird von UN-Seite als das Instrument des 21. Jahrhunderts gesehen - für die Betroffenen jedoch ist das rechtlich unverbindliche Dokument eine Zwischenstation auf dem langen Weg, der vor 40 Jahren mit einem kleinen Büro des International Indian Treaty Councilim Church Center for the United Nations* und einer großen Konferenz im Palais des Nations in Genf begonnen hatte. Phyllis Young, 70, war eine Mitstreiterin der ersten Stunde. Als Sprecherin von Standing Rock lud sie zu einem Treffen in das Church Center, um klarzustellen, dass Präsident Trump den Widerstand gegen die Dakota-AccessPipeline als auch gegen alle anderen Pipelines nie brechen können werde. Der Widerstand gegen Pipelines trifft sich mit dem Widerstand gegen den Abbau von Uran, Ölsand, Zink, Seltene Erden. Es wird klar: Unsere Industriegesellschaft lässt sich ohne Verletzung der Menschenrechte kaum aufrechterhalten. Ein Film macht zeitgleich die Runde durch die USA: "First Daughter and Black Snake" - ein Manifest gegen Ölpipelines. Der Film folgt der indianischen Aktivistin Winona LaDuke auf ihrer Protestroute durch die USA. Ein Roadmovie des Widerstands.

Die Deklaration: eine Etappe. Das Ziel: eine UN-Konvention für die Rechte indigener Völker. Was beim Empfang des Seventh Generation Fund** noch die Gespräche bestimmte, wurde bald darauf ins UN-Protokoll diktiert: Oren Lyons, Häuptling der Onondaga-Nation, sprach im Namen aller indianischen Nationen Nordamerikas. Drei Minuten. Lyons ging am Stock zum Rednerpult, bald wird er 90, am Mikrofon richtet er sich auf, wird mit jedem Wort jünger. Zweieinhalb Minuten über die Lage der erwärmten Erde und die Notwendigkeit der Kooperation mit indigenen Völkern am Vorabend der Katastrophe. Dann kommt er zum Punkt: Die Deklaration hat ihre Schuldigkeit getan, jetzt brauchen wir eine Konvention. Es ist gesagt!

Wieder werden Jahrzehnte vergehen. Wir, so heißt es in einem indianischen Gedicht der siebziger Jahre, wir haben den längeren Atem. Die Jüngeren, die jetzt zum ersten Mal die Gänge der UN durchirren, werden die Arbeit fortsetzen. Und irgendwann in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts, sofern es dieses Gebäude einer um Frieden ringenden Weltgemeinschaft noch gibt, wird der Tadodaho der Haudenosaunee (höchster Häuptling der Irokesen-Konföderation) am Rednerpult stehen und die Verabschiedung der "Konvention für die Rechte indigener Völker" eröffnen.

Während Trump in Harrisburg/Pennsylvania seine 100 ersten Tage als unvergleichlichen Erfolg feierte, riefen ihn in der US-Haupstadt 200.000 zur Vernunft. Während Trump vor seiner Gefolgschaft die Erderwärmung leugnete und ankündigte, das Pariser Klimaabkommen zu kündigen, herrschten vor dem Weißen Haus 34 Grad Celsius. Es war der heißeste 29. April in der Geschichte der Stadt.

* Das Church Center for the United Nations ist ein Zusammenschluss christlicher Kirchen und wurde 1960 gegründet. Das Gebäude gehört der United Methodist Church und steht gegenüber dem UNHauptgebäude in New York.
** Der Seventh Generation Fund (SGF) ist eine Schaltstelle zwischen Stiftungen und indianischen Stammesprojekten. SFG leitet Anträge an Stiftungen weiter und tritt gegenüber den Stiftungen als Bürge für die Antragsteller auf.

Claus Biegert arbeitet für den Bayerischen Rundfunk, die Süddeutsche Zeitungsowie die Magazine Oyaund natur.Er wurde vor allem bekannt durch zahlreiche Publikationen über seine Recherchen bei den Indianern in den USA und in Kanada. 1992 hat er mit anderen die Weltkonferenz "World Uranium Hearing" in Salzburg organisiert. Indigene Völker berichteten dort von den Folgen der Atomindustrie. Biegert ist Gründer des NuclearFree-Future-Award und Beiratsmitglied der Gesellschaft für bedrohte Völker.

Protestmärsche [ oben ]

"Wir sind immer noch hier!" - Protest in Washington gegen die DAPL

Von Anna Brietzke

Auf dem Weg zum Weißen Haus: Der Protestmarsch Tausender Standing-Rock-Aktivisten in Washington DC, vorneweg selbstbewusste Jugendliche mit einer klaren Botschaft. Foto: Vision Planet Media/Flickr BY-NC-ND 2.0. Auf dem Weg zum Weißen Haus: Der Protestmarsch Tausender Standing-Rock-Aktivisten in Washington DC, vorneweg selbstbewusste Jugendliche mit einer klaren Botschaft. Foto: Vision Planet Media/Flickr BY-NC-ND 2.0.

"Recognize Indigenous Peoples' Rights. We Exist. We Resist. We Rise." - "Erkennt die Rechte indigener Völker an. Wir existieren. Wir leisten Widerstand. Wir erheben uns." Diese Worte sind eine eindeutige Forderung und ein Statement des Widerstands zugleich. Sie stehen auf einem der vielen Banner bei einer Demonstration Tausender Menschen in Washington. Am 10. März 2017 wurde der Protest gegen die Dakota-Access-Pipeline (DAPL) in die US-Hauptstadt Washington gebracht. Etwa 5.000 Menschen zogen zum Weißen Haus, um gegen den Bau der Pipeline zu demonstrieren. Der Standing Rock Sioux Tribe und Native Nations Rise, ein Zusammenschluss US-amerikanischer indigener Organisationen, haben den Protestmarsch initiiert. Gemeinsam riefen sie nicht nur innerhalb der USA, sondern weltweit dazu auf, an dem viertägigen Protest teilzunehmen oder an anderen Orten Solidarität zu bekunden. So sollte der friedliche Widerstand, der seit April 2016 gegen die Pipeline geleistet wird, auch in Washington präsent werden. In North Dakota verläuft die Pipeline nahe der Grenze zum Reservat des Standing Rock Sioux Tribe. Sie durchkreuzt dabei heilige Orte wie Grabstätten, die während des Baus zerstört wurden. Auch unzählige Seen und Flüsse unterquert die Pipeline, wie beispielsweise den Missouri River, der in den Lake Oahe, das einzige Trinkwasserreservoir für die dort ansässigen Native Americans,mündet und direkt an das Reservat der Standing Rock Sioux angrenzt. Ein einziges Leck würde schon das Trinkwasser von etwa 18 Millionen Menschen gefährden.

Internationale Solidarität

Besonders in den vergangenen Monaten hat Standing Rock globale Aufmerksamkeit erfahren. Viele Native American Nations wie die Cherokee und Navajo, andere indigene Gruppen aus der ganzen Welt, Menschenrechtsorganisationen, Umweltschützer oder berühmte Musiker und Schauspieler haben sich mit der Protest-Initiative solidarisiert. Nachdem das Hauptcamp Oceti Sakowin in North Dakota am 22. Februar 2017 endgültig geräumt worden war, wählten die Aktivisten den Protestmarsch als ihre neue Aktionsform. Sie wollten im politischen Zentrum der USA Präsenz zeigen und deut-lich machen, dass sie den Widerstand nicht aufgeben. Gleichzeitig sollte der Marsch die Menschen in ihrem Einsatz gegen das Projekt vereinen. Dem Protestmarsch gingen drei Aktionstage voraus, an denen Workshops und Zeremonien stattfanden. Währenddessen standen mehrere Tipis neben dem Washington Monument - Symbole für die zahlreichen bereits geräumten und noch bestehenden Protestcamps im ganzen Land.

Der Marsch in Washington begann vor dem Gebäude des U.S. Army Corps of Engineers,welches das Pipeline-Projekt genehmigt hatte. Die Aktivisten trugen unzählige Plakate, musizierten, sangen, tanzten und riefen immer wieder "You can't drink oil, keep it in the soil!" - "Öl kann man nicht trinken, lasst es im Boden!" oder "Mni wiconi"- "Wasser ist Leben". Unterwegs stoppten sie vor dem Trump International Hotel. Da der US-Präsident den immensen Widerstand gegen die Ölpipeline entweder ignoriert oder versucht hat, ihn mit Polizei- und Militärkräften gewaltsam zu verhindern, beschlossen die Initiatoren des Marsches, diesen Protest direkt zu ihm zu bringen: "Diese Bewegung ist zu einem kraftvollen globalen Phänomen geworden. Es zeigt, wie notwendig es ist, indigene Völker zu respektieren sowie ihr Recht darauf, ihre Heimat, die Umwelt und zukünftige Generationen zu schützen. Es ist Zeit, dies vor die Tür des Weißen Hauses zu bringen", bekräftigt die Bewegung Native Nations Risein ihrem Aufruf zum Protestmarsch.

Und deshalb endete der Marsch am Lafayette Square vor dem Weißen Haus. Bei der Kundgebung berichteten einige Redner von ähnlichen Protestbewegungen andernorts, denn die Dakota-Access-Pipeline ist kein Einzelfall. Überall in den USA gibt es ähnliche Projekte, die bereits realisiert, noch im Bau oder in Planung sind. So zum Beispiel die Keystone-XL-Pipeline, die von Alberta in Kanada bis nach Texas verlaufen soll. Sie würde durch das Land mehrerer indigener und nicht-indigener Gemeinschaften führen und riesige Trinkwasserreserven gefährden. Die Jumano, Apachen und Conchos wehren sich gegen die Trans-Pecos-Pipeline in West Texas. Und die Navajo, auch Diné genannt, protestieren gegen Fracking in Chaco Canyon/New Mexico. Die Menschen, die sich diesen Projekten entgegenstellen, unterstützen sich in ihren Protesten gegenseitig.

"Es ging eben nicht nur um den Widerstand gegen ein Projekt, sondern um die Verteidigung von Lebensweise, Weltanschauung und Würde", sagte Johannes Rohr von der Internationalen Arbeitsgruppe für indigene Angelegenheiten(IWGIA) in einem GfbV-Interview im März 2017 über das Protestcamp Standing Rock. Auch bei dem Protestmarsch in Washington ging es den Aktivisten nicht allein darum, Widerstand gegen die DAPL zu leisten. Ihre Botschaft ist weitreichender: Sie erinnerten an die Verantwortung, die wir gegenüber zukünftigen Generationen haben. Des Weiteren forderten sie, indigene Souveränität sowie internationale Verträge, die Indigenen ihre Rechte zusichern, zu respektieren. Bei der Planung der DakotaAccess-Pipeline wurde die UN-Deklaration für die Rechte indigener Völker, die von den USA zwar nicht ratifiziert wurde, jedoch mittlerweile offiziell unterstützt wird, nicht eingehalten. Auch hätte das Prinzip des Free, Prior and Informed Consent angewendet werden müssen. Die Native Americans, die vom Bau der Pipeline betroffen sind, hätten vorher zustimmen müssen - und zwar nach Offenlegung aller Informationen und ohne jede Form von Druckausübung. Doch dies wurde, wie in vielen anderen Fällen auch, ignoriert. Zudem hat der Pipeline-Bauträger Energy Transfer Partners ein staatliches Gutachten zur Umweltverträglichkeit umgangen, indem er das Großprojekt in viele Einzelprojekte unterteilt hatte.

Die Standing-Rock-Aktivisten sagen auch nach dem jüngsten Protestmarsch in Washington: "Wir sind immer noch hier!" Sie setzen nun auf Divestment, eine Protestform, bei der dem Projekt die finanzielle Grundlage entzogen wird. Dieser Druck brachte zumindest einige der 17 Banken, die das Projekt mit insgesamt 2,3 Milliarden Euro finanzieren, dazu, ihre Entscheidung zu überdenken: Ende Februar verkündete die Bayern LB, dass sie die bereits vertraglich geregelten Zahlungen zwar noch erfüllen werde, doch eine Weiterfinanzierung ablehne. Im März verkaufte auch die niederländische ING ihren Kredit über 200 Millionen Euro. In den USA kündigen Privatkunden ihre Konten bei beteiligten Banken und auch die Stadt Seattle möchte Ende 2018 ihren Vertrag mit der Wells Fargo nicht verlängern.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die rechtlichen Instanzen zum Bau der Dakota-Access-Pipeline äußern werden. Einige US-amerikanischen Gerichte haben die Klagen der Standing Rock Sioux und anderer Aktivisten abgelehnt. Die Juristen sahen es als erwiesen an, dass der Bau der Pipeline rechtmäßig verlief. Ende März befand sich bereits das erste Öl in der Pipeline, zu dem Zeitpunkt war der Bau noch nicht an allen Stellen abgeschlossen. Im Mai wurde ein erstes Leck in South Dakota bekannt, bei dem etwa 300 Liter Öl aus der Pipeline flossen. Am 1. Juni wurde die Dakota-Access- Pipeline fertiggestellt. Doch noch stehen mehrere Gerichtsentscheidungen aus und der Widerstand gegen die Pipeline sowie viele andere bleibt standhaft.

Standing Rock ist zu einem internationalen Symbol für indigenen Widerstand geworden. Weltweit kämpfen Indigene, die durch Rohstoffabbau ihre Rechte verletzt sehen, gegen Konzerne und Regierungen. Immer wieder werden Land- und Selbstbestimmungsrechte indigener Völker übergangen und Verträge gebrochen. Der Protest der Standing Rock Sioux und ihrer Unterstützer hat viele Menschen inspiriert und ermutigt, weiter dafür zu kämpfen, dass indigene Rechte respektiert werden.

Protestmärsche haben Tradition
Die Tipis vor dem Washington Monument erinnern an das Jahr 1978. Damals war die US-Hauptstadt das Ziel des fast 5.000 Kilometer langen "Longest Walk", des "Längsten Marsches". Hunderte Aktivisten des American Indian Movement(AIM) und Unterstützer der Bewegung durchquerten in fünf Monaten das Land, von Alcatraz im Westen nach Washington D.C. im Osten. Am 15. Juli 1978 erreichten sie ihr Ziel. Mit dem Protestmarsch wollten sie gegen elf Gesetzesentwürfe protestieren und die US-amerikanische Bevölkerung darauf aufmerksam machen, dass sämtliche Verträge, die je mit indigenen Nationen geschlossen wurden, annulliert werden sollten: Fischerei-, Jagd- und Landrechte sollten abgeschafft und Reservate aufgelöst werden. Der "Longest Walk" war einer der größten und längsten Protestmärsche in der Geschichte der USA. Und er war erfolgreich: Keiner der Gesetzesentwürfe wurde durchgesetzt. Stattdessen wurde im gleichen Jahr der "American Indian Religious Freedom Act" verabschiedet. Dieses Gesetz gibt den Native Americans das Recht, ihre traditionellen Religionen auszuüben. 30 Jahre später wurde der "Longest Walk" wiederholt: "Für einige von uns ging der Längste Marsch nie zu Ende", sagten die Organisatoren als sie 2008 noch einmal die Strecke auf sich nahmen, um für Menschenrechte und den Schutz der Umwelt zu protestieren.

[Zur Autorin] Anna Brietzke absolvierte im Frühjahr 2017 ein Praktikum in der Redaktion der bedrohte Völker - pogrom. Sie hat Lateinamerika- und Altamerikastudien (Bachelor) in Bonn studiert und ein Auslandssemester in Mexiko gemacht. Für ihre Bachelorarbeit über Mobilität und Zugehörigkeiten junger Menschen im ecuadorianischen Andenhochland recherchierte sie vier Wochen in Ecuador.

Delegationsreisen [ oben ]

"Wir haben es satt, dass unsere Rechte stetig verletzt werden"

Sie kämpfen gegen Umweltverschmutzung und die Verletzung ihrer indigenen Rechte in den USA: die Water Protectors Rachel Heaton, Nataanii Means, Wašté Win Young und Rafael Gonzalez. Bereits bei den Protesten gegen die Dakota-Access-Pipeline (DAPL) in North Dakota waren sie dabei. Vom 20. Mai bis 14. Juni 2017 reisten die Native Americans durch Europa, um über ihren Widerstand zu berichten und Menschen zu motivieren, sich aktiv für Menschenrechte und Umweltschutz einzusetzen. Anfang Juni waren sie auch in Deutschland zu Gast. Bei einem Waldspaziergang durch den vom Kohleabbau bedrohten Hambacher Forst kamen Cécile Lacavalerie und Franziska Rocholl, die zurzeit das GfbV-Referant Indigene Völker unterstützen, mit Rafael Gonzalez ins Gespräch.

Während ihrer Reise in Europa besuchten die Water Protectors auch den Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen. Foto: Cécile Lacavalerie. Während ihrer Reise in Europa besuchten die Water Protectors auch den Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen. Foto: Cécile Lacavalerie.

Kannst du dich kurz vorstellen?
Mein Name ist Rafael Gonzalez. Ich bin aus Minneapolis, Minnesota. Ich bin Mdewakanton Dakota und Puerto Rican Taíno. Ich bin ein Water Protector [Beschützer des Wassers] und Hip-Hop-Künstler.

Was sind deine Formen des Protests?
Eine lange Zeit war ich in der Jugendsozialarbeit tätig - so sechseinhalb Jahre. Und das ist für mich auch eine Form von Aktivismus. Aber ich habe bis zum No-DAPL-Protestcamp nicht wirklich an vorderster Front bei gewaltfreien Aktionen mitgemacht. Bevor ich mich aktiv an den Protesten im Standing-Rock-Camp beteiligt habe, habe ich dort Lebensmittel und andere Güter verteilt. Das war harte Arbeit.

Wie habt ihr versucht, gegen den Bau der Pipeline zu protestieren?
Wir sind zum Beispiel zu einer Baustelle gegangen, um den weiteren Bau der Pipeline zu verhindern. Wir standen auf den Maschinen, viele Water Protectors haben sich an die Maschinen gekettet. So haben wir den Bau für Monate anhalten können. Schließlich wurden wir gezwungen, das Camp zu verlassen. Das Land ist seit 1851 Vertragsgebiet. Ich bin Dakota. Das bedeutet, dass ich Recht auf dieses Land habe. Das ist unser Land. Dass sie uns von unserem Land vertreiben, bedeutet, dass sie den Vertrag brechen. Die Regierung verletzt die US-amerikanische Verfassung, sie verletzt unsere Rechte. Letztlich erließ Donald Trump ein Dekret, um nicht nur die DAPL, sondern auch die KeystoneXL-Pipeline durchzusetzen. Es war erschütternd zu hören, aber wir geben unseren Protest nicht auf.

Wie geht euer Protest weiter?
Momentan sind wir in Europa auf Tour. Reisen in verschiedene europäische Städte und Länder, um unsere Divestment-Kampagne zu erklären: Momentan finanzieren Großbanken Projekte wie die DAPL. Wir wissen, dass viele dieser Banken europäische sind. Deshalb sind wir auch hier. Wir wollen diesen Banken mitteilen, dass sie ökonomischen Völkermord und Umweltrassismus finanzieren. Sie unterstützen die Entweihung von unserem heiligen Land. Sie unterstützen die drohende Verschmutzung von Trinkwasserreserven in Standing Rock. Dort leben mehr als 8.000 Menschen. Aber diese Pipelines bedrohen auch das Wasser von 18 Millionen Menschen, die von dem Trinkwasser des Missouri River abhängig sind. Wir sind hier, um den europäischen Banken zu sagen, dass sie ihre Gelder aus diesen Projekten zurückziehen müssen. Wir sagen es ihnen nicht nur, wir fordern es ein.

Sie müssen desinvestieren, anstatt zu investieren. Wir haben es satt und sind es müde, dass unsere Rechte stetig verletzt werden. Nicht nur die Rechte der 18 Millionen Menschen, die von dem Trinkwasser abhängig sind, werden verletzt. Es ist auch eine Verletzung aller natürlichen Ökosysteme, die sich in dieser Region befinden. Das ist super wichtig, weil wir uns um die Tiere sorgen und weil wir uns um Mutter Erde sorgen. Wir fühlen uns mit Europa aber auch verbunden, weil das Öl, das die DAPL transportiert, in die ganze Welt exportiert und verbrannt wird. Die Ölverbrennung erhöht die CO2-Emission in der Luft, die Atmosphäre erhitzt sich, die Polarkappen schmelzen und der Meeresspiegel steigt weiter. Das bedeutet, dass unsere Küstenlinie, nicht nur in Turtle Island, sondern auch die Küsten in Europa Gefahr laufen, überflutet zu werden.

Wir sind solidarisch mit allen Aktivisten, die sich gegen den Klimawandel hier in Europa anken europäische sind. Deshalb sind wir auch hier. Wir wollen diesen Banken mitteilen, dass sie ökonomischen Völkermord und Umweltrassismus finanzieren. Sie unterstützen die Entweihung von unserem heiligen Land. Sie unterstützen die drohende Verschmutzung von Trinkwasserreserven in Standing Rock. Dort leben mehr als 8.000 Menschen. Aber diese Pipelines bedrohen auch das Wasser von 18 Millionen Menschen, die von dem Trinkwasser des Missouri River abhängig sind. Wir sind hier, um den europäischen Banken zu sagen, dass sie ihre Gelder aus diesen Projekten zurückziehen müssen. Wir sagen es ihnen nicht nur, wir fordern es ein. Sie müssen desinvestieren, anstatt zu investieren. Wir haben es satt und sind es müde, dass unsere Rechte stetig verletzt werden. Nicht nur die Rechte der 18 Millionen Menschen, die von dem Trinkwasser abhängig sind, werden verletzt.

Es ist auch eine Verletzung aller natürlichen Ökosysteme, die sich in dieser Region befinden. Das ist super wichtig, weil wir uns um die Tiere sorgen und weil wir uns um Mutter Erde sorgen. Wir fühlen uns mit Europa aber auch verbunden, weil das Öl, das die DAPL transportiert, in die ganze Welt exportiert und verbrannt wird. Die Ölverbrennung erhöht die CO2-Emission in der Luft, die Atmosphäre erhitzt sich, die Polarkappen schmelzen und der Meeresspiegel steigt weiter. Das bedeutet, dass unsere Küstenlinie, nicht nur in Turtle Island, sondern auch die Küsten in Europa Gefahr laufen, überflutet zu werden. Wir sind solidarisch mit allen Aktivisten, die sich gegen den Klimawandel hier in Europa einsetzen und wir sind solidarisch mit allen anderen Bewegungen, die gegen ökonomischen Völkermord und Umweltrassismus kämpfen, wir sind solidarisch mit jedem Menschen, der für Mutter Erde kämpft. Deshalb bin ich hier.


Pogrom-bedrohte Völker 300 (3/2017)