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Gescheitertes Modell

Afrikaner als Sündenböcke: Pogrome in Libyen

von Ulrich Delius

Bozen, 7. August 2003

"Sie haben regelrecht Jagd auf uns Afrikaner gemacht", berichtet der Gambier Kemo Jatta nach seiner Flucht aus Libyen. "Schlägertrupps zogen durch die Straßen und griffen jeden an, der eine dunkle Hautfarbe hatte... Einen Sudanesen haben sie niedergemetzelt, seine Frau und die Kinder haben sie ins Feuer geworfen", erklärt Jatta. Der Gambier ist einer von rund einer Million Bürgern West-, Zentral- und Ostafrikas, die in den letzten drei Jahrzehnten als Gastarbeiter nach Libyen gekommen sind. Jatta kam 1975 in den Erdölstaat. Doch nach den Pogromen hielt ihn nichts im unwirtlichen Gastland. "Am Flughafen in Tripolis wurde mir erzählt, die libysche Regierung habe alle Schwarzafrikaner aufgefordert, in Libyen zu bleiben... Aber was hat das für einen Sinn, die libyschen Behörden haben tagelang geschwiegen zu den Gräueltaten", kritisiert Jatta.

Von schweren Übergriffen auf schwarzafrikanische Gastarbeiter und Einwanderer berichten alle Westafrikaner, die im September 2000 vor den Pogromen aus Libyen flohen. Zehntausende kehrten aus Angst um ihr Leben über Nacht in ihre Heimat zurück und ließen Hab und Gut in Libyen. Nach dem die Pogrome bekannt wurden, entsandten die Heimatländer Flugzeuge, um ihre Staatsangehörigen in Sicherheit zu bringen. Ghanas Staatschef Jerry Rawlings reiste nach Libyen, um seine große Besorgnis über die Übergriffe zu äußern. Zweihundert seiner Staatsbürger repatriierte er höchstpersönlich auf dem Rückflug in seiner Sondermaschine. underte Westafrikaner wurden mit Bussen in den Süden Libyens zu den Staatsgrenzen gefahren, um repatriiert zu werden. Tagelang mussten sie dort ausharren, da die libyschen Busfahrer sich aus Angst vor Racheakten weigerten, Libyen zu verlassen, um sie in die Grenzstädte der Nachbarstaaten zu fahren.

Rawlings Libyen-Reise macht deutlich, wie verärgert viele afrikanische Staaten über den wachsenden Rassismus in Libyen waren. Besonders verbitterte sie, dass die ansonsten allgegenwärtige Polizei in Libyen nicht gegen die Schlägertrupps vorging. Repatriierte Gastarbeiter berichteten sogar, die Polizei habe bei Übergriffen tatenlos zugeschaut. Erst als deutlich wurde, wie katastrophal die außenpolitischen Folgen der Pogrome sein würden, intervenierten die libyschen Behörden. is heute ist die libysche Regierung jedoch nicht bereit, den wahren Umfang der Pogrome offen zu legen. Es seien nur einige wenige Immigranten zu Tode gekommen, erklärt man lapidar in Tripolis. Ausländische Beobachter und Diplomaten gehen davon aus, dass Hunderte Menschen bei den Pogromen starben (BBC, 24. Januar 2001). Im Januar 2001 wurden in Libyen 331 Personen - unter ihnen auch Westafrikaner - wegen der Teilnahme an den Pogromen angeklagt. Sieben der Beschuldigten wurden im Mai 2001 zum Tode verurteilt, 163 Personen erhielten Haftstrafen zwischen einem Jahr und lebenslänglich und 160 Menschen wurden freigesprochen.

Für Libyens Staatschef Muammar Al Gaddafi war dieser offene Ausbruch des Rassismus gegen Afrikaner ein Desaster. Jahrelang hatte er für die afrikanische Einheit geworben. Noch am 20. August 1999 hatte er die "Vereinten Staaten von Afrika" proklamiert und eine gemeinsame Währung und Armee aller afrikanischen Staaten gefordert. Die Pogrome machten deutlich, wie weit sich der exzentrische Diktator von der Lebenswirklichkeit seiner Bürger entfernt hat. Angesichts eines Niedergangs der Wirtschaft und düsterer Zukunftsperspektiven stellen immer mehr Libyer die liberale Einwanderungspolitik Gaddafis gegenüber Bürgern anderer afrikanischer Staaten in Frage. Eine Million Immigranten standen schließlich sechs Millionen Libyern gegenüber, ein Missverhältnis, wie viele Libyer empfanden. Wie tief der Rassismus gegenüber schwarzafrikanischen Mitbürgern in Libyen ist, wurde darin deutlich, dass sich die Übergriffe nicht gegen die zahlreichen italienischen, deutschen, französischen und englischen Beschäftigten in der libyschen Industrie richteten. Die Schwarzafrikaner wurden zu Sündenböcken für den Niedergang der Wirtschaft, für eine Zunahme der Kriminalität sowie für eine stärkere Ausbreitung von Aids in Libyen gemacht. Da das diktatorische Regime Gaddafis öffentliche Kritik nicht zulässt, äußerten die Libyer ihren Protest gegen die Politik der Regierung in brutalen Übergriffen auf die schutzloseste und am meisten verarmte Bevölkerungsschicht, die schwarzafrikanischen Gastarbeiter. Nichts konnte das Scheitern des libyschen Modells deutlicher machen als die Pogrome des Septembers 2000.

Im Oktober 2001 kam es erneut zu schweren Ausschreitungen gegen Schwarzafrikaner, bei denen rund 150 Gastarbeiter und andere in Libyen lebende Westafrikaner - unter ihnen auch ein Diplomat aus dem Tschad - getötet wurden. Die Behörden schlugen die Proteste gewaltsam nieder und veranlassten zugleich die Rückführung von Hunderttausenden Immigranten in ihre Heimatländer.

Aus pogrom-bedrohte Völker 219 (3/2003)


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/me/arab-zue.html | www.gfbv.it/3dossier/me/arab.html | www.gfbv.it/3dossier/me/kopten.html

* www: www.taz.de/pt/2003/06/24/a0132.nf/textdruck

Letzte Aktual.: 8.8.2003 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/me/libyen.html | XHTML 1.0 / CSS | WEBdesign, Info: M. di Vieste
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