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Rußland / Sibirien

Die kleinen Völker des hohen Nordens und fernen Ostens Rußlands

Gesellschaft für bedrohte Völker - Südtirol, Bozen 1998

INHALTÜBERSICHT

Thomas Benedikter: Vorwort

Wolfgang Strobl: Kurze Geschichte der Kolonisierung der kleinen Völker des Nordens Sibiriens

Winfried Dallmann: Indigene Völker im Norden Rußlands. Ethnographisch- geographische Einführung

Jeremej D. Ajpin / Valerji B. Shustov: Die Lage der kleinen Völker des Nordens der Russischen Föderation
| Kap 1. | Kap. 2. | Kap. 3. | Kap. 4. | Kap. 5. | Kap. 6. | Kap. 7. | Kap. 8. | Kap. 9. |

Florian Stammler: Wo unser Gas herkommt: Kanten und Nenzen - Westsibirien

Larissa Vyntyna: Tschukotka
| Kap 1. | Kap. 2. | Kap. 3. | Kap. 4. | Kap. 5. | Kap. 6. | Kap. 7. | Kap. 8. | Kap. 9. | Kap. 10. | Kap. 11. |

Übersicht über die kleinen Völker des hohen Nordens und Fernen Ostens Rußlands

Literaturauswahl


Thomas Benedikter - Vorwort [ top ]

Sibirien ist in Mitteleuropa der Inbegriff für eine immense, frostige Wald- und Tundralandschaft, eine der unwirtlichsten Gegenden der Erde. Wie leicht vergessen wir dabei, daß die Wärme aus unseren Erdgasbrennern zum größeren Teil gerade aus dem Boden Sibiriens stammt. Schon seit dem 16.Jahrhundert haben die Bodenschätze dieses rauhen Landes die Gier der Zaren geweckt. Nach drei Jahrhunderten der blutigen Eroberung oder unblutigen Unterwerfung der einheimischen Urbevölkerung standen die russischen Heere am Pazifik. Eine in Europa kaum bekannte Geschichte, die durchaus mit der Geschichte der gewaltsamen europäischen Kolonisierung Nordamerikas vergleichbar ist. Nur knapp eine Million "Indianer Sibiriens" haben die zaristische Eroberung und nachfolgende Russifizierung überlebt. Die anschließende Industrialisierung der kommunistischen Sowjetunion hat auch in Sibirien einen ungeheuren Tribut an Naturzerstörung gefordert.

Heute, im Zuge der kapitalistischen "Neu-Eroberung" Sibiriens, wecken die Bodenschätze unter der Tundra und Taiga weltweite Konzernbegierden. Ob borealer Urwald durch japanische Holzkonzerne, das Erdöl durch US-amerikanische und kanadische Unternehmen, das Erdgas Westsibiriens durch russische Staatsunternehmen für den Export nach Westeuropa: die marode russische Wirtschaft benötigt dringend Devisen, was den Raubbau an den Ressourcen forciert. Hauptopfer dieser fatalen Entwicklung sind die Umwelt und die natürlichen Lebensgrundlagen, und damit ihre Bewohner, in erster Linie die Ureinwohner.

Wie bei indianischen Völkern Nordamerikas hat sich auch bei den indigenen kleinen Völkern des hohen Nordens und fernen Ostens Rußlands - so der offizielle Ausdruck - Widerstand gegen diese Entwicklungen gebildet. Jedoch erst seit Auflösung der Sowjetunion dringt ihr Ruf stärker nach außen und werden neue Schutzbestimmungen erlassen, aber selten auch durchgeführt. Da aber gerade die Einführung der Marktwirtschaft den Zugriff von außen auf die Ressourcen dieser Gebiete verstärkt, sind diese kleinen Völker gleich ihren nordamerikanischen Verwandten einer doppelten Bedrohung ausgesetzt: ihre traditionellen, nachhaltigen Wirtschaftsformen sind durch Umweltverschmutzung und Erschließung, ihre Kultur von völliger kultureller Assimilation bedroht.

Wie steht es um die Ureinwohner Sibiriens heute? Zwei führende Vertreter der Abgeordnetenversammlung der kleinen Völker des Hohen Nordens und Fernen Ostens der russischen Föderation, Valeri Shustow und der Schriftsteller Jeremej Ajpin, beide vom Volk der Chanten, haben vor einem knappen Jahr eine umfassende Bestandsaufnahme der Lage ihrer Völker vorgenommen, die von der "Versammlung der kleinen Völker" offiziell gutgeheißen worden ist. Der vorliegende Bericht bietet einen fundierten, aber doch knapp gefaßten Einblick in die Gesamtproblematik. Zur Einführung schildert Wolfgang Strobl, Mitarbeiter der GfbV-Südtirol, kurz die Geschichte der Unterwerfung dieser Völker bis herauf in die Zeit Stalins, und Winfried Dallmann vom Norwegischen Polarinstitut in Oslo geographisch-ethnographische Grund-Charakteristiken. Die Broschüre schließt mit der Vorstellung eines Entwicklungsprojekts der "Versammlung der Abgeordneten der kleinen Völker", das die Möglichkeiten westlicher Unterstützung für diese Völker verdeutlicht. Besonderer Dank gilt dem Übersetzer des Berichts aus dem Russischen, L.Abg. Dr. Alfons Benedikter, und der Redakteurin der Texte, Dr. Veronika Daprà, die auch einen Teil der Fotos geliefert hat. Die GfbV verbindet mit diesem Bericht den Wunsch, in Westeuropa mehr Interesse an einer konkreten Projektzusammenarbeit zur Unterstützung der kleinen Völker Sibiriens zu wecken.

Wolfgang Strobl - Kurze Geschichte der Kolonisierung der kleinen Völker des Nordens Rußlands [ top ]

Das Vielvölkerreich Rußland entstand infolge jahrhundertelanger Expansion. Es zeichnet sich durch eine große ethnische, konfessionelle, soziale und kulturelle Vielfalt aus. In unterschiedlichem Maß respektierte die jeweilige Regierung den Status quo der neueroberten Völker. So blieb innerhalb des großen russischen Reiches eine Vielzahl eigenständiger, nichtrussischer Kulturen bestehen. Als Klammer des bunten Konglomerats diente die Loyalität zum Zaren und seiner Dynastie. Aufgrund der steten Neueingliederung von Gebieten nahm der prozentuelle Anteil der Russen an der Gesamtbevölkerung im Laufe der Jahrhunderte kontinuierlich ab. Betrug der Anteil der Nichtrussen am Ende des 16. Jh. nur 10%, machten am Beginn des 18. Jh. die Russen nur mehr 70% der Gesamtbevölkerung aus; am Ende des Jahrhunderts gar nur mehr 53%. Neue Gebietszugewinne verminderten den Anteil weiter, sodaß die Russsen 1834 bereits weniger als die Hälfte der Gesamtbevölkerung stellten. Den übrigen Anteil besetzten inzwischen Tataren, Weißrussen, Ukrainer; Balten, Polen, Finnen, Juden und über 200 kleinerer Ethnien. Den russischen und sibirischen Nordens bewohnen seit alters her indigene Völker, denen das Gebiet bis zur russischen Kolonisierung gehörte. Die Russen nennen diese Ethnien, denen häufig weniger als 2000 Menschen angehören, Völker des Nordens. Gemäß den Darstellungen russischer Geschichtsbücher konnten die Russen im 16. und 17. Jh. fast ungehindert durch leeres Land nach Norden und Osten ziehen. Das Vordringen Russlands in den "Wilden Osten" kann durchaus mit der amerikanischen Expansion in den Westen verglichen werden. Hier wie dort griffen die Ankömmlinge radikal in die angestammten Ordnungen der indigenen Völker ein. Je nach klimatischen Gegebenheiten bilden See- und Meeresfischerei, Jagd, Rentierzucht und Landwirtschaft (südlich der Dauerfrostgrenze) die wichtigsten Erwerbszweige der indigenen Völker. Vor der russischen Kolonisierung hingen die Indigenen weithin einem schamanistischen Animismus an, gemäß dem die ganze Natur beseelt ist. Der Schamanismus bildet eine wesentliche kulturelle Gemeinsamkeit der indigenen Völker.

Vom 11. bis zum 14. Jahrhundert bildete sich um die im Nordwesten des slawischen Siedlungsgebiets gelegene Stadt Novgorod ein Siedlungsraum von finnischsprachigen, nichtslawischen Stämmen. Diese Ethnien, denen die Karelier, Woten, Ischoren und Wepsen im Nordwesten, die finnischsprachigen Saamen im Hohen Norden, die Syrjänen (heute Komi), Permjaken, Ostjaken, Wogulen (Mansen) und Samojeden im Nordosten zuzurechnen sind, waren tributpflichtig und wurden von der Stadtrepublik aus zentral verwaltet. Die Russen verfolgten zunächst eine friedliche Akkulturationspolitik und versuchten die Völker durch die Bekehrung zum orthodoxen Christentum zu integrieren. So ging etwa beim Volk der Syrjänen die Christianisierung mit der Eingliederung ins russische Reich Hand in Hand. Diese Bestrebungen ließen sich allerdings nicht immer ohne Waffengewalt durchsetzen. Trotz der von den Russen energisch verfolgten Akkulturationspolitik hat sich ein Teil dieser Völker (z.B. Karelier, Komi) seine kulturelle und völkische Identität bis heute bewahren können. Die Annexion der Republik durch Iwan III. im Jahre 1478 verlieh dem Großenfürstentum Moskau definitiv den Status einer polyethnischen Nation.

Als nach der günstig verlaufenen Eroberung und militärischen Sicherung der Khanate von Kazan´ und Astrachan´ (1556) Moskaus Expansionsgelüsten im Westen durch den Livländischen Krieg am Ende des 16. Jh. ein vorläufiges Ende gesetzt wurde, ergab sich als nächste Stoßrichtung der Osten, wo der Khan von Sibir´ im oberen Ob-Becken regierte. Von den zahlreichen in Kleinsippen locker organisierten Ethnien, die im 16. und 17. Jh. in Sibirien ansässig waren, lebten in der nördlichen Taiga die mandschurischsprachigen Tungusen und die paläoasiatischen Jukagiren als nomadische Jäger und Fischer, die Samojeden, Tschuktschen, Kamtschadalen/ Korjaken hingegen als nomadische Rentierzüchter in der (Wald-) Tundra, im Süden um den Bajkalsee aber die mongolischsprachigen Burjäten, die turksprachigen Jakuten und Teleuten sowie die Schoren als nomadisierende Viehzüchter oder Hirten. Viehzucht und Ackerbau betrieben allein die in den Steppenrandgebieten konzentrierten Tatatren und ugrischsprachigen Ostjaken/Wogulen. Politisch waren all diese Ethnien kaum organisiert, das westsibirische Khanat war der einzige größere Herrschaftsverband.

Ein Großteil der Ethnien leistete Rußland über Jahrzehnte hinweg heftigen Widerstand. Groß angelegte Aufstände mit separatistischer Zielsetzung gab es schon zu Beginn des 17. Jh. Die Völker organisierten sich in kleinen Einheiten, waren aber waffentechnisch unterlegen. Die Resistance der Ostvölker erwies sich im Vergleich mit dem Widerstand der Nichtrussen im Westen als erheblich stärker, da die unterschiedliche soziale Organisation (tribale muslimische Nomadenverbände versus seßhafte christliche Bauern) ein höheres Protestpotential bot. Fehlende Quellen erschweren allerdings im Ganzen eine genaue Auswertung des nichtrussischen Widerstands. Immer wieder aufflammende Unruhen veranlaßten Moskau auch im 18. Jh. dazu, die Aufstände mit brutaler Waffengewalt niederzuschlagen, um die Autorität der russischen Zentralmacht aufrechtzuerhalten. Die Maßnahmen gipfelten mitunter in offiziellen Aufrufen zur Ausrottung gewisser Volksgruppen (Tschuktschen).

Durch das entschlossene Auftreten gegen die russische Großmacht zwangen die Ethnien Russland immer wieder zu einer pragmatischeren, toleranteren und vorsichtigeren Eingliederungspolitik. Moskau förderte die Bildung lokaler Eliten, indem es die Stammesführer in ihren Privilegien bestätigte und ihnen die Aufgaben der niederen Gerichtsbarkeit und das Einziehen des Jasak (Abgabe der Lastenpflichtigen v.a. in Form von Pelzen) übertrug, um somit die Einkünfte aus den Tributzahlungen zu sichern. Im übrigen mischte sich Russland nicht in die inneren Verhältnisse der Ethnien ein. Den Völkern wurde auch weitgehende Religionsfreiheit zugestanden. Daher prägten ihre religiöse Sphäre auch weiterhin animistische Bräuche (Samojeden, Tschuktschen, Tschuwaschen, Tscheremissen). Mahnungen der russischen Regierung an die sibirischen Voevoden (Vorsteher der Regionalverwaltung), den Stämmen "mit Wohlwollen und Milde zu begegnen, den Jasak nicht mit Härte und Zwang zu erheben" belegen diese humane Einstellung. Die Lokalbehörden, Händler und Siedler hielten sich aber selten an die Anordnungen. Auf weite Strecken herrschten Korruption, Erpressung, Versklavung und Gewalttaten. Um die Getreideversorgung der Besatzung zu sichern, siedelte Russland im Laufe des 17. Jh. eine beträchtliche Zahl von Bauern an. Trotz dieser aggressiven Siedlungspolitik hielten sich bei den bevorzugt in den Rückzugsgebieten der Tundra und Taiga lebenden Ethnien die herkömmlichen Stammesstrukturen.

1719 zählten die Völker des Nordens 50.000 Menschen. Anfang des 18. Jh. hatten die Nichtrussen die Russen in Sibirien bereits zahlenmäßig überflügelt. Die Bauern waren auf den südwestsibirischen Schwarzerdegürtel konzentriert, die Jäger, Rentierzüchter, Fischer und Hirtennomaden auf den dünner besiedelten Norden und Osten. Im 18. Jh. ist eine Forcierung der Integration zu konstatieren. Diese Bemühungen kamen aber nie einer sozialen Integration der Gruppen in die russische Gesellschaftsordnung gleich. Das von Novgorod aus praktizierte Modell einer indirekten Beherrschung wich zusehends einem festen Abhänhigkeitsverhältnis im militärischen, wirtschaftlichen und administrativen Bereich.

Lange Zeit brandmarkte Russland die Nomaden als Bürger zweiter Klasse. 1767 waren ihnen die Teilnahme an einer Tagung der Gesetzgebenden Kommission noch verwehrt. In den Zwanziger Jahren des 19. Jh. versuchten aufgeklärte Reformer, unter denen der sibirische Generalgouverneur M.M. Speranskij (1772-1839) hervorragte, die angeblich zivilisatorisch rückständigen Ethnien -immer auf freiwilliger Basis- auf eine höhere Kulturstufe zu führen. Die "inorodcy" (Fremdstämmigen) erhielten erstmals einen eigenen Rechtsstatus und im Statut von 1822 weitreichende Befugnisse zur Selbstverwaltung. durch das "Gesetz über die Verwaltung der Urbevölkerung" versuchte der Staat willkürlichen Übergriffen und kapitalistischer Ausbeutung durch die Kolonisten entgegenzuwirken. Die Reform sollte den Status quo und die Kooperation der Ethnien mit den Russen garantieren. Dieses von aufklärerischem Geist getragene und in der Tradition der pragmatischen Minderheitenpolitik Moskaus stehende Reformprogramm konnte nur teilweise verwirklicht werden. Korrupte Beamte, die sich wirksamen Kontrollen zu entziehen wußten, verhinderten eine effiziente Umsetzung des inorodcy-Statutes. Trotz aller Privilegien und Maßnahmen blieben die Ethnien Bürger zweiter Klasse.

Die Schwäche Chinas in der Mitte des 19. Jh. verhalf Russland zur Eroberung des Gebietes nördlich und südlich des Amur. Den einheimischen mandschurisch-tunguschischen Stämmen der Golden, Orotschen, Oroken, Ultschenen, Negidalen, Udegen und Giljaken widerfuhr ein ähnliches Schicksal wie den sibirischen Ethnien. Obwohl die Russen die als Jäger und Fischer lebenden Stämme zur Orthodoxie bekehrten, blieben sie weiterhin in ihren animistischen Glaubensvorstellungen verhaftet. Alkoholismus, von den Eroberern eingeschleppte Krankheiten und ein gnadenlos betriebener Raubbau an den natürlichen Ressourcen der Einwohner trug seinen Teil zur Dezimierung der Einwohnerschaft bei. Zahlenmäßig stärkere und geschlossen siedelnde Ethnien konnten sich gegen die Zentralmacht länger und besser behaupten.

Nikolaus I. (1825-1855) zielte in seiner Politik zuerst auf die Erhaltung des Status quo. Jede Abweichung von dieser Linie erwies sich als gefährlich, da Neuerungen bei den Ethnien nicht selten Unruhen heraufbeschworen. Ab der Mitte des 19. Jh. setzte man wieder verstärkt auf Integrationspolitik, indem man die wissenschaftliche Beschäftigung mit verschiedenen Ethnien vorantrieb. So schufen Sprachwissenschafter für die schriftlosen Völker der Tschuwaschen, Wotjaken, Jakuten u.a. ein eigenes kyrillisches Alphabet, daneben Wörterbücher, Grammatiken und Schulbücher und sogar eine Lehrerbildungsanstalt für Nichtrussen. Damit verfolgte man die Absicht, die Orthodoxie bei diesen Völkern zu verankern. Am Ende des Jahrhunderts gerieten solche Initiativen aber zusehends unter Beschuß russisch-national gesinnter Kreise. Die Politik trug letztendlich aber ihre Früchte: Von 1864 bis 1905 verzeichnet die russische Geschichte keine größeren Aufstände von russischen Ethnien.

Um die Jahrhundertwende entwickelte sich Sibirien zum Hauptziel russischer Siedler. Die Kolonisten bevorzugten zunächst Westsibirien, nach dem Bau der Transibirischen Eisenbahn (1891-1903) zogen sie vermehrt auch nach Ostsibirien. Die zaristische Kolonisierung bedeutete für manche Völkerschaften zwar eine Ausweitung ihres Lebensraumes (Nenzen, Tschuktschen, Evenken, Evenen), für den Großteil aber eine drastische Einschränkung (Enzen, Jukagiren, Korjaken, Itelmenen). Im Zuge einer groß angelegten Umsiedlugspoltik im Rahmen der Stolypinischen Agrarreform ließen sich in Sibirien bis 1914 über 3 Mill. russische Bauern nieder. Die traditionellen Erwerbszweige mußten häufig der Pelztierzucht weichen, da Pelze als begehrte Mittel zum Tausch und Tributzahlen eingesetzt wurden.

An der Oktoberrevolution von 1905 hat sich die Mehrheit der nichtrussischen Ethnien kaum beteiligt. Dennoch trug an der Peripherie die Beteiligung mancher Stämme an den Aufständen nicht unwesentlich zur Destabilisierung der politischen Ordnung bei. Im übrigen förderte die Revolution das Erwachen des nationalen Selbstgefühls vieler Ethnien. Die wenigen Intellektuellen der einzelnen Gruppen erhoben kulturelle, soziale und politische Forderungen. Den Tschuwaschen gelang 1905 sogar die Herstellung einer Wochenzeitung in ihrer Muttersprache. Den Versuch der Jakuten, sich politisch zu formieren, erstickten die Russen durch eine Verhaftungswelle im Keim. Die bald nach der Oktoberrevolution verabschiedete "Erklärung für die Völker Rußlands" wurde nie wirklich umgesetzt. In den nächsten Jahren wurde im "Komitee zum Beistand der Völker des Nordens" (Nordkomittee) zäh darum gerungen, ob den indigenen Völker (wie den Indianern in den amerikanischen Reservaten) die Möglichkeit zur eigenene kulturellen Weiterenticklung zugestanden werden solle oder ob sie schleunigsts als Arbeiter in die Sowjetunion einzugliedern seien.

Am Ende der Zwanziger Jahren setzten sich die radikalen Kräfte durch. Als Rußland in mehrere Verwaltungseinheiten eingeteilt wurde, gewährte man auch einigen Gebiete mit indigener Bevölkerung ein gewisses Maß an Selbstverwaltung. Den Jakuten (1922), Kareliern (1923) und Komi (1936) gestand man gar den Status einer autonomen Sowjetrepublik innerhalb der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik zu. Aufgrund des geltenden Klassengesetzes blieb aber den Führungspersönlichkeiten der einzelnen Stämme (Schamanen, Rentierbesitzer) der Zugang zu höheren Ämtern im Sowjet, Kongreß oder einem Komitee verwehrt. Dennoch trafen die Russen in dieser Zeit Vorkehrungen, um die desolate Wirtschaft der Nordgebiete durch Steuernachlaß und Subventionen anzukurbeln. Zudem versuchte man Schriftsprachen für die meisten indigenen Stämme zu erstellen, um dem grassierenden Analphabetismus entgegenzutreten. Lenins Minderheitenpolitik knüpfte an die vormoderne russische Nationalitätenpolitik an. Zur Erhaltung der Macht gewährte er den ethnischen Gruppen großen Freiraum.

Abstieg zum "Sowjetmenschen"
Die dreißiger Jahre unter Stalins Diktatur jedoch zogen allem, was an wirtschaftlichen und sozialen Strukturen noch erhalten geblieben war, den Boden unter den Füßen weg. Die großangelegte Industrialisierung der Sowjetunion benötigte die Reichtümer des Nordens; die Fischereiindustrie blockierte Flüsse mit Netzen, die Fleischindustrie verwandelte riesige Landflächen in Weiden. Wälder verschwanden und Bergwerke wuchsen aus dem Boden. Kein Ureinwohner wurde je gefragt. Vielerorts verschwanden traditionelle Erwerbszweige, ohne daß die Betroffenen neue Arbeit erhielten: Die großen Firmen brachten ihre eigenen Arbeiter mit oder bedienten sich der Gefangenen aus den Arbeitslagern des Gulag. Alle diese Fremden unterstanden der Gerichtsbarkeit der örtlichen Sowjets nicht.

Der größte Teil Sibiriens wurde in dieser Zeit zu "Volkseigentum" gemacht und kollektiviert. Einige staatliche Versuche, die Auswirkungen auf die indigenen Völker zu mildern, hatten keine Chance gegen die Übermacht der Industrieministerien. Das Nordkomitee wurde 1935 aufgelöst. Dann versuchte Stalin, alle Rechte auf ethnische, kulturelle und sprachliche Zugehörigkeit zu eliminieren, Unterschiede, die es für den angestrebten "Sowjetmenschen" nicht geben sollte. Ein Unterschied blieb: Ureinwohner bekamen nur den Bruchteil des Lohns eines russischen Arbeiters für die gleiche Arbeit. Teile der Tschuktschen und Evenen zogen sich schließlich in abseits gelegene Regionen zurück und konnten diesem Schicksal vorläufig entgehen.

Die erneute zentralistische Umstellung des sowjetischen Verwaltungssystems in den frühen achtziger Jahren, als das Wort "Minderheit" aus den Gesetzestexten gestrichen wurde, nahm den örtlichen Sowjets schließlich die letzte Möglichkeit der Selbstverwaltung. Sie hatten nur noch beratende Funktion. Die Machtergreifung Stalins in den Dreißiger Jahren bedeutete für die indigenen Völker eine radikale Verschlechterung ihrer Situation. Ohne auf die Ureinwohner und die im arktischen Bereich besonders verwundbare Umwelt Rücksicht zu nehmen, bahnten sich in diesem an Bodenschätzen (Diamanten, Steinkohle, Braunkohle, Erdöl, Erdgas...) und Holzarten reichen Gebiet die Boten einer großangelegten Industrialisierung ihren Weg. Mit dem Entstehen von Straßen, Bergwerken, Bohrtürmen und Fabriken mußten die traditionellen Gewerbszweige der Indigenen der Fleisch- Fischerei- und Bergwerksindustrie weichen. Ausgedehnte Waldgebiete wurden gerodet, giftige Abfallstoffe ungeniert in die Flüsse geleitet. Ökologische Verbrechen wie Ölverseuchung, Störung des Wasserkreislaufes u.a. geschahen (und geschehen noch immer) massenweise. Da die Unternehmen ihre Arbeiter mitbrachten oder in den Gulags rekrutierten, verloren viele Ureinwohner ihre Beschäftigung. Das Land wurde den Indigenen enteignet und in Staatsbesitz übergeführt, die Bewohner in andere Gebiete umgesiedelt.

1877 hatte Russland Novaja Zemlja ("Das Neue Land") annektiert und dort einige hundert Nenzen (Samojeden) angesiedelt. Die Auflösung des Nordkomitees im Jahre 1935 spiegelt Stalins politische Bestrebungen wider, einen einheitlichen "Sowjetmenschen" zu schaffen und den Indigenen jedes Recht auf ethnische, sprachliche und kulturelle Autonomie zu nehmen. Als Konsequenz zogen sich einige Stämme in abseits gelegenere Regionen zurück. 1955 entschloß sich Rußland zur Aufnahme von Atomtests in diesem Gebiet und siedelte das Volk aus diesem Grund erneut in das Narjan Mar-Gebiet und auf die Inseln Kolguev und Vajgac um. An den Spätfolgen von Atomtests leiden heute noch Teile der Bevölkerung. Ab 1937 ordnete ein Dekret an, allein Sprachen mit kyrillischen Schriftzeichen zu verwenden. Ab 1957 konnten all jene Lehrer verhaftet werden, die außerhalb der Schule in der Sprache des einheimischen Volkes sprachen. Auf Eltern übte man Druck aus, den Kindern russische Namen zu geben. Die Regierung zwang viele Nomaden seßhaft zu werden und trieb Bewohner kleiner Siedlungen in Ballungszentren, indem sie Schulen, Krankenhäuser und Läden schließen ließ. Nach 1970 konnte sich von 26 Minderheitensprachen an der Schule allein die Sprache der Nenzen halten. Da sich heute zum größten Teil nur mehr ältere Menschen der Tradition ihrer Sprache verpflicht fühlen, sind viele indigene Sprachen vom Aussterben bedroht.

Auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg brachte für die Indigenen keine Verbesserung mit sich. Am Ende der Fünfziger Jahre versuchte die Regierung eine Zwangsansiedelung der indigenen Bevölkerung in größeren Städten durchzusetzen. Der damit verbundene Verlust kultureller Identität äußerte sich in sozialen Problemen, Kriminalität und Alkoholismus. Der in der Mitte des Sechziger Jahre einsetzende Ölboom raubte vielen Indigenen (Nenzen, Evenken, Oroken) Weideflächen und Lebensraum. Die Ölarbeiter schreckten auch vor Plünderungen und tätlichen Angriffen auf die Ureinwohner nicht zurück. Suchte ein Angehöriger eines indigenen Volkes gegen derartige Willkürakte Hilfe bei einem lokalen Gericht, wurde er nicht selten selbst belangt und für sein Aufbegehren bestraft. Im Zuge der Neuordnung des sowjetischen Verwaltungssystems in den frühen Achziger Jahren strich man das Wort Minderheit aus den Gesetzestexten und nahm den Stämmen jede Möglichkeit auf Eigenständigkeit.

Bis zum Ende der Achziger Jahre trieb die Regierung Rodungen, die Förderung von Erdöl und Erdgas in diesen Gebieten hemmungslos voran. Riesige, für die Einwohner unersetzbare Weideflächen gingen auf diese Weise verloren. Erst ab 1989 begannen sich die einzelnen Stämme in Interessensverbänden (z.B. Verband der Kola-Samen u.a.) zu organisieren. Der nivchische Schriftsteller Vladimir Sangi leitete 1990 den "Ersten Kongreß der kleinen Völker des Nordens". In der Schlußresolution forderten die Delegierten Maßnahmen zum Schutz der Indigenen und die Ratifizierung der ILO-Konvention 169. Im März 1990 schlossen sich in Moskau Vertreter der Nordvölker zur "Vereinigung der kleinen Völker des Nordens" zusammen.

Um eine eigenständige kulturelle Weiterentwicklung zu garantieren und damit die Zukunft der Nordvölker zu sichern, denkt man seit dem Ende der Achziger Jahre an die Errichtung nationaler Territorien mit Selbstbestimmungsrecht in wirtschaftlichen Fragen. Der Zerstörung von Siedlungen sollte Einhalt geboten werden, Niederlassungsbeschränkungen eingeführt werden, lokal angepaßte Projekte anstelle von zentral gesteuerten gefördert werden. Neben Lehrprogrammen für Rentierhaltung, Jagd und Pelztierzucht wurden auch Maßnahmen zur Wiedereinführung des muttersprachlichen Unterrichts gestartet. Bildet ein indigenes Volk in einer Zone die lokale Mehrheit, ist die Errichtung eines neuen nationalen Verwaltungsgebietes möglich.

Das vorrangige Ziel ihrer Politik besteht in der Schaffung von Rahmenbedingungen, um eine auf die eigenen Bedürfnisse abgestellten Weiterentwicklung zu ermöglichen. Schwerfällige Apparatschiks in den Provinzen, wieder an Boden gewinnende nationalistische Strömungen, mafiöse Machenschaften und nicht zuletzt die schwierige Wirtschaftslage Russlands behindern diese Reformbestrebungen erheblich.

Quelle: Andreas Kappeler, Rußland als Vielvölkerreich: Entstehung - Geschichte - Zerfall, München 1993, C. H. Beck

Winfried Dallmann - Indigene Völker im Norden Rußlands. Geographisch-ethnographischer Überblick [ top ]

Der Norden der Russischen Föderation erstreckt sich über eine Entfernung von etwa 6 000 km von der finnischen Grenze bis an den Pazifischen Ozean. Die Nord-Süd-Ausdehnung dessen, was man in Rußland als den "Norden" bezeichnet, wächst von knapp 1 000 km im europäischen Rußland auf über 3 000 km im asiatischen Sibirien. Dieses enorme Gebiet war vor der Eroberung durch Rußland im 16. bis 18. Jahrhundert von einer Vielzahl ethnischer Gruppen bewohnt, die in jüngerer Zeit - mit wenigen Ausnahmen - zu kleinen Minderheiten in einer zunehmend russifizierten und sowjetisierten Umgebung wurden.

Die kulturellen Eigenarten dieser Völker entstanden aus der Notwendigkeit, unter arktischen und subarktischen Bedingungen in dünn besiedelten Gebieten zu überleben. Das Zusammentreffen mit den russischen Eroberern des 16. - 18., und besonders mit den sowjetischen Lehren des 20. Jahrhunderts stieß auf vollkommenes gegenseitiges Unverständnis. Dieses trug neben den Wirtschafts- und Machtinteressen der Eroberer zu einer weitgehenden Auslöschung der ursprünglichen Kulturen bei. Viele sind trotz allem im Kern erhalten geblieben. Für einige Völker dürfte es keineswegs zu spät sein für eine Weiterentwicklung unter eigenen kulturellen Prämissen, sofern ihnen von der russischen Gesellschaft genug Freiraum gegeben wird. Dazu jedoch sind die derzeitigen sozialen Verhältnisse in Rußland im besten Falle ungeeignet, obwohl die juristischen Voraussetzungen ansatzweise vorhanden sind.

Tundra und Taiga
Die Gebiete des russischen und sibirischen Nordens liegen hauptsächlich nördlich der Dauerfrostgrenze, die sich im Ostsibirischen Hochland ziemlich weit nach Süden erstreckt. Mit 55° N entspricht sie der geographischen Breite Schleswig-Holsteins. An der pazifischen Küste rechnet man das Sichote-Alin-Gebiet mit; dort liegt die Treibeisgrenze im Süden an der russisch-chinesischen Grenze bei Vladivostok(1). Die Volksgruppen (oder indigenen Völker), denen dieses riesige Gebiet vor der Kolonisierung gehörte, bezeichnet man in Rußland als "Völker des Nordens". Das Land besteht im Norden aus einer meist mehrere hundert Kilometer breiten Zone von baumloser Tundra(2). Nach Süden geht diese Vegetationszone in den riesigen Nadelwaldgürtel der "Tajga" (Taiga) über. Diese Wälder wechseln, besonders im westlichen Sibirien, mit ausgedehnten Sumpfgebieten, während im Osten Hochgebirgsregionen vorherrschen. An der Pazifischen Küste, auf Kamcatka, Sachalin und den Aleuten, ist die Landschaft von zahlreichen aktiven Vulkanen geprägt.

In Sibirien fließen einige der größten Ströme der Erde zum Nördlichen Eismeer: Ob, Enisej (Jenissei), Lena und Kolyma. Sie sind seit jeher die Hauptverkehrsadern des Landes gewesen, sowohl während der Kolonisierung, als auch der darauffolgenden Ausbeutung der reichhaltigen Schätze des Landes, die bis heute andauert. Die Inseln im Eismeer haben niemals eine bodenständige Bevölkerung gehabt. Nachdem Rußland 1877 Novaja Zemlja annektiert hatte, wurden einige hundert Nenzen (Samojeden) dort angesiedelt. Als Rußland auf Novaja Zemlja mit seinen Atomtests begann, wurden deren Nachkommen 1955 erneut zwangsumgesiedelt: in das Narjan Mar-Gebiet auf dem Festland und auf die Inseln Kolguev und Vajgac in der südlichen Barents-See.

Abstammung und Sprache
Die Völker des Nordens gehören zwei Hauptgruppen an. Die eine besteht aus den Nachkommen alteingesessener Völker, die das Land bewohnt haben, solange wir die Geschichte kennen. Sie leben hauptsächlich im nordöstlichen Sibirien und Kamcatka: Tschuktschen, Korjaken, Jukagiren, Tschuwanen, Itelmenen. Einige sehr kleine Gruppen sind auch andernorts erhalten geblieben: Die Keten am mittleren Enisej und die Nivchen im nördlichen Teil Sachalins und an der Amur-Mündung am Ochotskischen Meer. Diese Völker sprechen sogenannte paläo-asiatische Sprachen. Ebenfalls zu den alteingesessenen Gruppen kann man die Inuit (Eskimo) und Aleuten zählen, deren Sprachen eine eigene Sprachfamilie bilden.

Eine spezielle Stellung nimmt das Volk der Ainu auf dem südlichen Sachalin, den Kurilen-Inseln und dem nördlichen Hokkaido in Japan ein; sie gehören zum europiden Zweig der Menschheit, während die anderen Völker des Nordens ausschließlich zum mongoliden gehören.(3) Eine Theorie besagt, daß die Ainu die Urbevölkerung der japanischen Inseln bildeten, bevor die Japaner vom asiatischen Festland aus einwanderten. Ihre Sprache steht sehr isoliert. Auf russischem Gebiet leben heute praktisch keine Ainu mehr. Offiziell tauchten sie zuletzt in der Volkszählung von 1926 auf, als sich 32 Menschen zu diesem Volk zählten.

Die andere Hauptgruppe sind Völker, deren Ursprung im zentralen Asien liegt. Sie verdrängten bei ihren Einwanderungswellen vor und während des Mittelalters die paläo-asiatischen Völker, oder vermischten sich mit diesen und auch untereinander. Ihre Angehörigen sprechen ural-altaische Sprachen und gehören damit einer Sprachfamilie an, in die u. a. auch Mongolisch, Türkisch, Ungarisch und Finnisch eingehen. Östlich des Enisej herrscht die altaische Sprachgruppe vor, d. h. die Turkvölker der Jakuten, Dolganen und - weiter südlich - die Karagassen sowie die tungusischen Völker der Evenken, Evenen, Nanaien, Negidalzen, Udegen, Orotschen, Oroken und Ultschen.

Westlich des Enisej, bis hin zum Land der Samen im europäischen Norden, sind Völker der uralischen Sprachgruppe zuhause, mit einem - von West nach Ost - finnischen Zweig (Samen, Karelier, Komi), einem ugrischen Zweig (Chanten, Mansen) und einem samojedischen Zweig (Nenzen, Selkupen, Enzen, Nganasanen). Die meisten dieser Völker bilden heute kleine Minderheiten in ihren alten Heimatgebieten. Ausnahmen sind die Karelier, die Komi und die Jakuten, die mehr oder weniger immer noch die mehrheitliche Bevölkerung ihrer Heimat bilden und in autonomen Republiken mit einem gewissen Grad an innerer Selbstverwaltung innerhalb der Russischen Föderation leben.

Rentiere, Fische und Pelze
Obwohl die einzelnen "Völker des Nordens" ziemlich unterschiedliche geschichtliche und sprachliche Hintergründe haben, gibt es unter ihnen eine Vielzahl kultureller Gemeinsamkeiten. Das kommt zum großen Teil daher, daß die subarktischen und arktischen Verhältnisse des Landes eine erwerbsmäßige Anpassung erfordern, die in weiten Gebieten sehr ähnliche Merkmale ausprägte.

So sind es eher die geographischen und klimatischen Gegebenheiten als die ethnische Abstammung, die z. B. die Erwerbsformen bestimmen. Seefischerei, Binnenfischerei, Jagd und Rentierzucht sind - in unterschiedlicher Gewichtung - die traditionellen Erwerbszweige der meisten indigenen Völker des Nordens. Pelztierzucht kam während der Kolonisierung durch die Russen hinzu. Landwirtschaft wird praktisch nur von denjenigen betrieben, die südlich der Dauerfrostgrenze leben, den Kareliern, Komi sowie einem Teil der Chanten und Jakuten. Die südlichen Gebiete der Jakuten und Evenken lebten einst außerdem in hohem Maße von Rinder- und Pferdezucht. Die Methoden der Ausübung dieser Erwerbsformen, Ausbildung traditioneller Gerätschaften, Handwerkskunst und neuere Formen von Kunst wie Malerei und Literatur sind selbstverständlich von Volk zu Volk und von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich.

Schamanismus
Eine wesentliche kulturelle Gemeinsamkeit ist die traditionelle Religion, die vor der russischen Kolonisierung ausschließlich aus Formen des schamanischem Animismus bestand, dem Glauben an eine beseelte Natur, also an die Existenz von geistlichen Wesen in allen natürlichen Objekten und Kräften. Der Mensch kann mit diesen Wesen in Kontakt treten, und sie mit ihm. Die Geister der Natur können vom Schamanen, der eine Zeit der Bewußtseinsausbildung durchlebt hat, im Trancezustand (Ekstase) bewußt aufgesucht werden, indem seine Seele den Körper zeitweilig verläßt und sich auf eine andere Wirklichkeitsebene begibt, die den gewöhnlichen Menschen weitgehend verschlossen ist. Diese Ekstase wird durch Trommeln und monotonen Sprechgesang hervorgerufen, nur in Ausnahmefällen - soweit bekannt - werden Drogen benutzt.

Der Schamane begibt sich auf derartige Seelenreisen, um im Falle von Krankheiten oder anderen Nöten mit den Geistwesen verschiedener Wirklichkeitsebenen Abhilfe auszuhandeln, meist gegen den Preis gewisser Opfergaben. Diese Reisen können für den Schamanen gefährlich sein; nicht selten ist es geschehen, daß die Seele nicht in den Körper zurückkam, und der Schamane starb. Oft jedoch ist das Vorhaben gelungen und Nöten wurde abgeholfen oder Kranke wurden erstaunlich schnell geheilt. Dabei spielte natürlich auch Naturheilkunde, die Anwendung natürlicher Medizin und verschiedener Behandlungsmethoden, eine Rolle.

Eine zentrale Wirklichkeitsebene, in der sich der Schamane auskennen muß, ist die der Schutzgeister. Das sind Wesen, meist in Tiergestalt, unter denen der Schamane Verbündete wählt, damit diese ihm bei den gefährlichen Reisen in die Welt der Toten oder gar die der Schöpfergestalten zur Seite stehen. Die Bezahlung für diese Schutzgeister waren wiederum Opfergaben.

Das Weltbild des schamanischen Animismus der nordischen Völker ist, wie auch das der amerikanischen Indianer und andere indigener Völker, das einer ausgeprägten Balance in der Natur. Alles, was geschieht, hat Folgen und Auswirkungen. Nur begnügt sich die Anschauung nicht damit, die Verknüpfung von Ursache und Wirkung in der Ebene der mit dem Verstand erfassbaren Welt zu suchen. Durch die Praktizierung des Schamanismus, also eine Veränderung von unerwünschten Zuständen durch die aktive Beeinflussung von Geschehnissen auf anderen Wirklichkeitsebenen, waren diese Völker der modernen Ökologie einen gewaltigen Schritt voraus. Das Unverständnis der "modernen" Welt, das weitgehend auch heute noch anhält, hat einen großen Teil dieses Wissens bereits verloren gehen lassen.

Unter vielen sibirischen Völkern ist die Christianisierung weit weniger nahhaltig praktiziert worden, als z. B. bei den europäischen Samen. Mischreligionen sind heute häufig anzutreffen. Offiziell wird kein Schamanismus mit gefährlichen Seelenreisen mehr praktiziert, obwohl die Hoffnung besteht, daß diese Kunst inoffiziell doch überlebt hat; in welchem Grad, ist ungewiß. Unter einer Vielzahl von Völkern wie z. B. Evenken, einigen samojedischen und paläo-asiatischen Gruppen ist die Religion jedenfalls am Leben.

Damit ist wohl Grund genug gegeben, alles daran zu setzen, das Überleben dieser Kulturen im Sinne der Zukunft unserer Erde zu sichern, einmal ganz abgesehen von menschlichen Aspekten, wie Identitätskonflikten und kultureller Entwurzelung, die zwangsläufig mit der Kolonisierung dieser Völker einhergingen.

Russifizierung durch Schul- und Sprachenpolitik
Bereits in den zwanziger Jahren wurde intensiv daran gearbeitet, Schriftsprachen für die meisten indigenen Völker zu erstellen. Mancherorts wurde der Analphabetismus innerhalb kurzer Zeit beträchtlich verringert. Dann fiel auch das Bildungssystem dem totalitären Stalinismus zum Opfer. Ab 1937 mußten per Dekret alle Sprachen mit kyrillischem Alphabet geschrieben werden, auch solche deren Phonetik es nicht entsprach. Sprachwissenschaftler, die mit eigens den Sprachen angepaßten Alphabeten gearbeitet hatten, wurden als Volksfeinde verhaftet.

Gleichzeitig wurde den Eltern verboten, ihren Kindern nicht-russische Namen zu geben. Propaganda gegen die "primitiven Steinzeitmenschen" wurde verbreitet. Ab 1957 konnten Lehrer bestraft werden, wenn sie außerhalb des muttersprachlichen Unterrichts an Schulen in der Sprache des einheimischen Volkes redeten. In den sechziger Jahren prahlte die staatliche Propaganda damit, daß nun mehr und mehr Eltern die Vorteile der russischen Sprache eingesehen hätten und ihre Kinder in russischer Sprache erziehen ließen. Um 1970 wurde außerhalb der drei autonomen Republiken als einzige der 26 Minderheitensprachen nur noch die Sprache der Nenzen im Schulunterricht verwendet.

Auch das System der Internatsschulen hatte stark negative Konsequenzen. Ursprünglich dafür gedacht, Nomadenkindern die Möglichkeit des Schulunterrichts zu bieten, wurde es nach und nach auf alle Kinder angewendet, auch die seßhaften. Es galt für das gesamte Vorschul- und Schulalter. Mit 16 Jahren kamen diese Kinder dann oft als Fremde und ohne kulturelle Bindung an ihr Volk zu ihren Familien zurück. Dieses System wird heute nicht mehr praktiziert, aber der bereits angerichtete Schaden ist groß.

Dies alles trug natürlich zu einem starken Rückgang des Gebrauchs der Muttersprachen bei, insbesondere bei zahlenmäßig kleinen indigenen Völkern. Die Sprachtradition wird heute hauptsächlich von der älteren Generation weitergeführt, eine schlechte Voraussetzung für das Überleben vieler Minderheitensprachen. Hinzu kommt, daß viele Angehörige der mittleren Generation oft weder in der eigenen noch in der russischen oder einer anderen Mehrheitssprache (wie Jakutisch oder Komi) zuhause sind - ein großes Hindernis für die Weitervermittlung kultureller Identität.

Die indigenen Völker Rußlands heute: am Rande des Abgrunds?
Die Auflösung der Sowjetunion und die Öffnung Rußlands zum Ausland hat uns in den letzten Jahren ein klareres Bild davon ermöglicht, was in den ausgedehnten russischen und sibirischen Nordgebieten vor sich gegangen ist und vor sich geht. Immer mehr authentische und aktuelle Informationen erreichten das Ausland. Gleichzeitig sind wir erneut an die rücksichtslose Eroberung und Ausbeutung Sibiriens erinnert worden, die unzählige Menschenleben kostete und viele der dort lebenden indigenen Völker an den Rand des Untergangs getrieben hat. Heute stehen sie so nahe am Abgrund, daß nicht mehr viel dazu gehört, sie endgültig über die Kante zu stossen.

Die hemmungslose Industrialisierung des Nordens in den dreißiger Jahren wurde zwanzig Jahre später, nachdem die Sowjetunion sich vom zweiten Weltkrieg erholt hatte, mit vervielfachter Energie fortgesetzt. Der Norden war reich an Wald, Kohle, Öl, Gas und Metallen. Riesenhafte Gebiete wurden der Bevölkerung mit einem Federstrich in Moskau geraubt. Bergwerke, Bohrtürme, Straßen, Fabriken, Kahlschläge, neue Industriestädte und Wasserkraftwerke schossen aus dem Boden, wo zuvor Jagd- und Weidegebiete gewesen waren. Giftstoffe aus Metallhütten flossen ungehindert in die Tundra. Für jene, die das Land in eine "glückliche Zukunft" führen sollten, galten keine Gesetze. Das Militär hatte die Alleinherrschaft auf seinen ausgedehnten Übungsgebieten. Die verwundbare arktische Umwelt wurde gedankenlos zerstampft. Der Ferne Osten verlor 30 % seiner Waldgebiete. In den achtziger Jahren wurden schließlich Abholzungslizenzen auch an kubanische und nordkoreanische Firmen verkauft, die überdies die Flüsse vergifteten.

Der Öl- und Gasboom setzte Mitte der sechziger Jahre ein. Am schlimmsten betroffen waren die Gebiete des mittleren Ob (Land der Chanten), die Jamal-Halbinsel (Nenzen), das Magadan-Gebiet (Evenken und Evenen) und die Insel Sachalin (Oroken und Nivchen). Eisenbahnen und Straßen durchschnitten die Weidegebiete der Rentiere, Städte wuchsen empor, Gasflammen schlugen gen Himmel, Raupenfahrzeuge walzten den Tundraboden irreparabel nieder. Allein auf der Jamal-Halbinsel wurden im Laufe weniger Jahre 600 000 Hektar Rentierweide unbrauchbar gemacht und die Herden um 24 000 Tiere dezimiert. Hinzu kamen tätliche Übergriffe der fremden Ölarbeiter auf die ansässige Bevölkerung. Hütten wurden geplündert und Kulturstätten zerstört.

Diese Zustände herrschten bis Ende der achtziger Jahre, als Proteste in zunehmendem Maße auf Gehör stießen. Stellenweise wurden sogar Konzessionen eingezogen, Firmen mußten gehen. Aber sie hinterließen ein verwüstetes Land. An Entschädigung dachte niemand. Zu den gefährlichsten Nachwirkungen der Sowjetzeit in Sibirien gehören die Folgen der Atomtests, besonders in der Umgebung Novaja Zemljas (die Inseln Kolguev und Vajgac) und auf Cukotka. Die Bevölkerung wurde nicht weit genug evakuiert, und ein großer Teil der Menschen leidet noch heute an Strahlenerkrankungen und deren Folgen.

"Gemeinsam sind wir stärker"
Proteste gegen diese Verhältnisse waren erstmals 1986 ungestraft möglich; damals verhinderten die korjakischen Einwohner der Stadt Paren (Kamcatka) erfolgreich die geplante Zerstörung ihrer Ortschaft. Andere Beispiele folgten. Vor allem ab 1989 entstanden Interessenorganisationen, so die Nenzen-Vereinigung "Jamal für unsere Nachkommen", die "Vereinigung der Tomsk-Selkupen", der "Verband der Kola-Samen" und die "Regionalvereinigung der Inuit".

Im März 1990 bildete sich aus Vertretern der Nordvölker der "Erste Kongreß der kleinen Völker des Nordens" mit dem Schriftsteller Vladimir Sangi, einem Nivchen, als Vorsitzenden. Der Kongreß nahm eine sieben Punkte umfassende Resolution an, in der die damalige Sowjetregierung aufgefordert wurde, die ILO-Konvention 169 über den Schutz Indigener Völker zu ratifizieren sowie juristische, administrative und wirtschaftliche Maßnahmen für den Schutz der "Völker des Nordens" einzuleiten. Im Mai 1990 wählte man in Moskau eine "Vereinigung der kleinen Völker des Nordens", die sich zum Ratgeber der Regierung in allen diese Völker betreffenden Fragen zuständig erklärte. Zu ihrem Vorsitzenden wurde der Chante Eremej Ajpin gewählt, ein Mitglied des Obersten Sowjet, gewählt.

Bereits 1989 hatten sich sowjetische Experten für Minderheitenfragen auf dem "Samotlor-Praktikum" in Tjumen (Westsibirien) darauf geeinigt, daß der beste Weg zur Sicherung der Zukunft der Nordvölker in der Einrichtung nationaler Territorien mit Selbstbestimmungsrecht in wirtschaftlichen Fragen, im Verbot von Siedlungszerstörungen und Zwangsumsiedlungen sowie in der Ersetzung zentral gesteuerter Entwicklungsprojekte durch lokal angepaßte Maßnahmen liege. Gleichzeitig beschloß die Zentralregierung die Wiedereinführung muttersprachlicher Schulklassen für Ultschen, Jukagiren, Itelmenen, Dolganer und Nivchen. Lehrprogramme für Rentierhaltung, Jagd und Pelztierzucht wurden eingeleitet. Der erste "Nationale Kreis" (Even-Bytantaj) bekam Selbstbestimmungsrecht für wirtschaftliche Entwicklung auf nationaler Grundlage.

Mittels Gesetzesänderungen wurde die Einrichtung neuer nationaler Verwaltungsgebiete dort ermöglicht, wo ein indigenes Volk die lokale Mehrheit bildet und dies wünscht. Wo ein indigenes Volk nur eine Minderheit bildet, sollen "ethnische territoriale Einheiten" entstehen können. Diese Gesetze wurden nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vom russischen Staat im Dezember 1991 übernommen.

Weg in die Zukunft
In unserer westlichen Kultur wird oft mißverstanden, was der Wunsch von indigenen Völkern nach einer Weiterentwicklung gemäß eigener Prämissen beinhaltet. Er bedeutet nicht, die Zeit zurückzudrehen und wieder in Erdhäusern oder Zelten aus Häuten zu leben. Niemand will das. Aber Völker, denen der größte Teil ihres Landes und ihrer Kultur genommen worden ist, müssen zumindest ihr Selbstbestimmungsrecht wiedererlangen, ihre eigene Fortentwicklung planen und auf der Grundlage ihrer eigenen Werte durchführen können. Nur auf diese Weise kann man auf lange Sicht ethnische Konflikte und militante Separationsbewegungen umgehen.

Die Reformen der letzten Jahre werden zwar als ein Zeichen des guten Willens angenommen. Aber der Praxis stehen gewaltige indernisse im Weg: teils wegen des alten, verfilzten Parteiapparates, dem es besonders in entlegenen Gebieten gewaltig schwer fällt, sich umzustellen, teils wegen neu aufkommender russisch-nationalistischer Haltungen, teils wegen der allgemein schwierigen Wirtschaftslage und nicht zuletzt, weil vielerorts, wo Mafiagruppen und das Militär nach eigenem Gutdünken handeln, praktisch gesetzlose Zustände herrschen.

Jetzt, wo die Länder des Westens und des Fernen Ostens mit Rußland um die Öffnung der Nordostpassage verhandeln und wo die Weltmeinung zunehmend die Geschehnisse in Rußland beeinflussen kann, sollten wir keine Vereinbarungen mit Rußland eingehen, wenn sie die traditionellen Landgebiete und Ressourcen dieser Völker weiter enteignen, zweckentfremden oder zerstören. Die kulturelle Vielfalt unserer Erde ist ein Reichtum, den es unter allen Umständen zu bewahren gilt. Menschen dürfen nicht weiterhin aus ihrer angestammten Heimat vertrieben werden; sie müssen vor den Übergriffen der Militärs geschützt werden. An eine mögliche wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Rußland in den Nordgebieten sollten entsprechende Bedingungen geknüpft werden.

Winfried Dallmann ist Mitarbeiter beim Norwegischen Polarinsitut und lebt in Oslo.

Anmerkungen:
1. Russische Namen und Ausdrücke sind in die Literatur oft in einer verdeutschten oder verenglischten Schreibweise eingegangen. Das sind nicht-umkehrbare und nicht-eindeutige Schreibweisen. Daher wird in diesem Artikel die literarisch korrekte, internationale bibliographische Umschrift verwendet, z. B. s = sch, c = tsch, z = s wie in sagen, s = s wie in das, z = j wie im französischen Journal, c = ts, v = w, e = je etc.
2. Tundra: russifizierte Form von finnisch "tunturi" = baumloser Bergrücken.
3. Die Begriffe stammen aus der wissenschaftlichen Anthropologie, in der die Menschheit groß in drei Zweige unterschieden wird, den mongoliden, den europiden und den negriden.

Valerij B. Shustov / Jeremej D. Ajpin - Die Lage der kleinen Völker des Nordens der Russischen Föderation [ top ]

1. Einleitung [ top ]

Auf dem Territorium der Russischen Föderation leben in 5 Republiken, 4 Ländern, 10 Regionen und 8 autonomen Kreisen rund 200.000 Menschen, die zu den eingeborenen kleinen Völkern des Nordens gehören. Unter arktischen Bedingungen leben 11 kleine Völker: die Saamen, Nenzen, Dolganen, Enzen, Ewenken, Chanten, Ewenen, Tschuktschen, Inuit, Ngasanen und Jukagiren. Die Gesamtzahl der Angehörigen arktischer Völker beläuft sich auf rund 130.000 Menschen. Auf der Höhe des 60. nördlichen Breitengrades leben in unmittelbarer Nähe zum Polarkreis noch fünf weitere Völker: die Korjaken, Keten, Mansen, Selkupen und Tschuwantzen mit insgesamt rund 25.000 Menschen.

Das Leben in der Arktis prägen extrem niedrige Temperaturen, starke Stürme, Schnee und Eis. Die Vorfahren dieser Völker haben Jahrtausende in dieser rauhen Gegend überlebt, weil sie sich den örtlichen Bedingungen angepaßt und von dem ernährt haben, was die Natur hergibt. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der in diesen Gebietn ansässigen Bevölkerung nimmt der Anteil der eingeborenen Völker des Nordens beständig ab und beträgt jetzt nur mehr rund 1%. Auf dem Lande, wo 75% der Ureinwohner leben, beträgt der Prozentsatz noch rund 15%.

In den grenzenlosen Weiten des russischen Nordens sind mehr als 60% der Kohlenmineralrohstoffe und mehr als die Hälfte erneuerbarer natürlicher Ressourcen wie Pelzwerk konzentriert. Die nördlichen Territorien erwirtschaften ein Fünftel des nationalen Einkommens Rußlands, sie erzeugen ein Zehntel der gesamten Industrieproduktion. Im Norden werden 75% des russischen Erdöls, 92% des Erdgases, 15% der Kohle und fast das gesamte Apatitkonzentrat der russischen Föderation gewonnen. Auf die Region entfällt mehr als die Hälfte des Fischfanges und der Meereserzeugnisse. In den autonomen Regionen Chanty-Mansijsk und Jamalo-Nenjetzki werden täglich mehr als 200 Tonnen Erdöl und rund 560 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert. Im letzten Jahrzehnt erfuhr die arktische Region als Rohstoffbasis Rußlands eine starke Aufwertung. Die Arktis wird zum Hauptzentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie und der Buntmetallurgie.

Der Archipel Nowaja Zemlja und die Meere des Barentschelfes und des Karischen Meeres nehmen einen führenden Rang in der Erschließung und Ausbeutung der Polarterritorien ein. Die Erdgasvorräte des Kontinentalschelfes von Nowaja Zemlja werden auf nicht weniger als 10 Trillionen Kubikmeter geschätzt. Die kleinen Völker des Nordens lebten als Ureinwohner in dieser Region bis zur Ankunft anderer Ethnien. Im Laufe von Jahrhunderten haben sie die ungeheuren Territorien des Nordens und Eurasiens besiedelt und belebt. Unter extremen naturklimatischen Bedingungen haben sie ihre Art von nachhaltiger Wirtschaft, von Kultur und Lebensart ausgebildet.

Seit jeher sind die Vertreter der kleinen Völker des Nordens Nomaden, Halbnomaden und Landbewohner. Das traditionelle Leben in ihren Siedlungen wurde jedoch zum Großteil durch die russischen Regierungen zerstört, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den Nomaden eine seßhafte Lebensweise beizubringen, Industrie anzusiedeln und die Siedlungen zu vergrößern. Aufgrund dieser Maßnahmen lebt heute ein großer Teil der iindigenen Bevölkerung in Städten oder in stadtähnlichen Siedlungen (50,7% der Niwchen, 40% der Itelmenen, 17,8% der Keten, 17,1% der Nenzen, 10% der Tschuktschen u.s.w.). Diese multinationalen Siedlungen und Städte haben zu engen Kontakten zwischen den Ureinwohnern und den anderen Ethnien geführt. Die fremde Lebensart führte oft zu negativen Folgeerscheinungen. Die Wechselwirkung zwischen Industriegesellschaft und den verhältnismäßig geschlossenen Gemeinschaften der Ureinwohner mit Stammesstrukturen führte zu zahlreichen Problemen sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Natur.

Seit 1926 sind mehr als 300 Gesetze und mehr als 1000 Ministerial- und Verwaltungsverordnungen zu dieser Frage erlassen worden. An ihrer Ausarbeitung haben führende wissenschaftliche Forschungseinrichtungen teilgenommen. Viele Grundsatzprobleme sind jedoch nicht gelöst, sondern oft noch verschärft worden. Diese wenig weitsichtige Politik hat die Entwicklung der nördlichen Völker ernsthaft beeinträchtigt: die ethnisch-kulturelle Eigenart und die Sprache ging langsam verloren, nachhaltige Formen des Wirtschaftens und weite Teile ihres Lebensraums wurden zerstört, der Lebensstandard blieb niedrig, auch physische blieben die kleinen Völker bedroht.

Die Versuche, die lokale Situation durch den Schutz der Wohnorte und der wirtschaftlichen Tätigkeit zu normalisieren, haben sich als ungenügend herausgestellt, da die eigentliche Bereitschaft zur Lösung der Probleme und entsprechende Schritte in der Bundesgesetzgebung fehlten. Der Norden wurde zur krisenanfälligsten Region Rußlands. Das Lebens- und Versorgungsniveau ist hier zwei- bis dreimal niedriger als der russische Durchschnitt. Jeder fünfte Arbeitslose ist Einwohner des Nordens. Die Hälfte der Lohnrückstände in Rußland betrifft Nordländer.

Die wirtschaftliche Grundlage der indigenen Völker hat sich verschlechtert. In den letzten fünf Jahren ist die Grundherde der Rentiere von 2,304.000 auf 1,749.000 Köpfe zurückgegangen. Der Fischfang hat sich um die Hälfte verringert, und ebenso die Erträge aus Pelzwerk und Meerestieren. Das Sammeln von Pilzen, Beeren, Nüssen, Heilpflanzen und Algen für den Markt hat praktisch aufgehört. Wegen der hohen Flug- und Transportpreise sind 60% der erzeugten Produkte nicht zur Weiterverarbeitung oder Vermarktung gelangt. All das hat die Beschäftigungslage der indigenen Völker schwieriger gemacht. Allein 1994 hat sich die Zahl der arbeitenden Ureinwohner fast um 20% verringert. Rund 25-30% der Arbeitsfähigen sind ohne Arbeit und daher oft ohne Existenzgrundlage. Besonders hoch ist die Jugend- und Frauenarbeitslosigkeit, auch die Zahl der Beschäftigten in den traditionellen wirtschaftlichen Tätigkeiten hat sich verringert.

2. Die soziodemographische Lage [ top ]

Der Bevölkerungszuwachs der kleinen Völker des Nordens hat den Republiksdurchschnitt überflügelt und für den Zeitraum zwischen den Volkszählungen 1959-1989 insgesamt 39,9% gegenüber den 25,4% des russischen Durchschnitts erreicht. Die Zahl der Ureinwohner ist sowohl im Zeitraum 1959-1979 wie 1979-1989 in gleicher Weise um 16,6% angewachsen, in Rußland nahm diese Wachstumsrate jedoch ab: sie betrug für den ersten Zeitraum 10,7% und für den zweiten 7,1%. Zwischen den Volkszählungen 1970 und 1979 ist jedoch eine einschneidende Verringerung bis zu 2,9% des Bevölkerungszuwachses der Ureinwohner beobachtet worden, wobei auch die gesamtrussischen Raten abgenommen haben (5,8). Im Gegensatz zu allen anderen Zeitspannen lagen aber sie unter dem Durchschnitt.

Die durchschnittliche Geburtenzahl ist jedoch verhältnismäßig hoch und beträgt das Doppelte des russischen Durchschnitts. Im Jahre 1989 lag der gesamtrussische Koeffizient bei 14,6%, jener der Völker des Nordens aber bei 31,9%. 1991 betrugen diese Angaben laut Berechnungen 12,1 und 30,5%. Bis zum heutigen Tag sind die Familien der Ureinwohner kinderreich. Der Anteil der dritten und weiterer Kinder bildet 40% (16% in Rußland). Gleichzeitig kann eine bedeutsame ethnische Differenzierung der Geburtenzahl beobachtet werden. Die höchste Geburtenzahl wurde 1989 mit 45,9% bei den Onotschen festgestellt, die niedrigste bei den Onoken mit 7,9%.

Die verhältnismäßig hohe Geburtenzahl nimmt jedoch nach und nach ab, was mit der sich ändernden traditionellen Einstellung der Familien zum Kinderreichtum, den Assimilierungsprozessen, der steigenden Zahl von alleinerziehenden Elternteilen bei gleichzeitigem Abnehmen von Ehen und der Instabilität der Familien zusammenhängt. Die Tendenz sinkender Geburtenraten wird durch die Zunahme der Ein- und Zweikindfamilien und der Abnahme der fünften und höheren Geburtenreihen bestätigt. Die jungen Frauen der indigenen Nationalitäten sind im Grunde auf eine geringere Kinderzahl ausgerichtet. Auch ein Anwachsen der Abtreibungen wird beobachtet. Diese Entwicklungen führen zur Verkleinerung der Durchschnittsfamilie. 1970 hatte die durchschnittliche indigene Familie noch 4,7, 1979 4,3 und 1989 nur mehr 4 Mitglieder.

Die Verminderung der Kinderanzahl wird auch durch eine Schwächung der Familienbeziehungen beeinflußt, die daher rührt, daß bis vor kurzem Unterricht und Erziehung der Kinder getrennt von der Familie stattfand. Der Übergang zur Seßhaftigkeit hat die nicht ausgereiften Strukturen der Nomadenhaushalte verletzt und die potentiellen Bräutigame und Bräute territorial getrennt. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern verschlechtert sich zudem durch das unterschiedliche Bildungsniveau. Die jungen Männer sind traditionell mit Arbeiten in der Tundra beschäftigt, während die Mädchen in der verhältnismäßig urbanisierten Umwelt der Dauersiedlungen aufgezogen wurden. Unter Bedingungen, die das Schließen ehelicher Bindungen erschweren, wächst die Zahl der alleinstehenden Frauen und Männer. Zudem gibt es mehr unverheiratete Männer als Frauen. Verglichen mit der russischen Bevölkerung ist bei den Nenzen, Ewenken, Ewenen und Korjaken der Anteil der Männer und Frauen, die nie verheiratet waren, mehr als zweimal und bei den Saamen mehr als dreimal höher.

Oft ziehen es indigene Mädchen vor, ohne Trauschein mit jungen Männern, die zeitweise in ihrer Region arbeiten, zusammenzuleben. Nach Schätzungen von Spezialisten gibt es bei den Völkern des Nordens viele außereheliche Geburten mit steigender Tendenz. Die sich verstärkenden Assimilierungsprozesse üben einen nachhaltigen Einfluß auf die Probleme der indigenen Bevölkerung des Nordens aus. Die Zahl der Mischehen erhöht sich ständig. So beträgt etwa der Anteil der Mischehen unter den Saamen 80-90%. Daher erfolgt in der Regel die Vergrößerung der Gesamtzahl einiger Völker, darunter der Keten, Nganasanen, Selkupen, Ewenken und Mansen, durch die steigende Zahl der "eingeheirateten Zuwanderer".

Die Kinder aus gemischten Ehen bilden in einer Reihe von Bezirken der Gebiete Murmansk und Tjumen und der Gegenden von Krasnojarsk und Chabarowsk 70-90% aller Kinder, deren Mütter Indigene sind. Um staatliche Begünstigungen zu behalten, werden diese Kinder meistens von den Eltern als Personen indigener Nationalität registriert. Nach Schätzungen sind in der autonomen Region Chanty-Mansijsk 20% aller geborenen Chanten und Mansen nur aufgrund ihres Passes Angehörige dieser Ethnien. Die Assimilierungsprozesse haben ernsthafte biologische Folgen. Nach Angaben medizinisch-genetischerUntersuchungen kann die Vermischung der indigenen Bevölkerung mit den Zuwanderern zur Schwächung jenes Anpassungssystems des Organismus führen, das der Bevölkerung ein Überleben unter extremen Umweltbedingungen ermöglicht und schlußendlich auch die Existenz dieser einzigartigen Ethnien sichert. Dieser Aspekt des Problems sollte Gegenstand sorgfältiger und breitgefächerter Forschungen werden.

Besondere Unruhe ruft die hohe Sterblichkeitsrate der indigenen Bevölkerung des Nordens hervor. Bei 12 von 26 Völkern überschreitet dieser den russischen Durchschnitt. Die Sterblichkeitsrate ist besonders bei Männern im Alter zwischen 20 und 34 Jahren im Durchschnitt 1,5 mal höher als bei anderen Bewohnern der nördlichen Territorien (10,4 Promille gegen 6,6 im Jahre 1989). Dabei wird eine große innerethnische Differenzierung beobachtet: von 6,2 Promille bei den Alëuten bis zu 28,3 Promille bei den Orotschen. Dasselbe gilt auch für die Sterblichkeit im arbeitsfähigen Alter. Diese liegt bei den Ureinwohnern 3-4 mal höher als bei Menschen, die aus anderen Regionen Rußlands zugereist sind (1989).

Die Kindersterblichkeit bei der indigenen Bevölkerung des Nordens (30 Promille) überschreitet ebenfalls 1,5 mal den mittleren Durchschnitt der jeweiligen Wohnbezirke und 1,7 mal den allgemeinen russischen Durchschnitt. So betrug im Jahre 1989 in der Region Irkutsk (Ewenken und Tofalaren) die Kindersterblichkeit (der Kinder bis zu einem Jahr) 57 auf 1000 Geborene, im Krasnojarsker Land (Dolganen, Ewenken, Nenzen, Ngasanen, Keten) 48 gegenüber 17,7 Promille im gesamten Staatsgebiet. Bei einzelnen Völkern liegt die Kindersterblichkeit bis zum ersten Jahr viel höher und überschreitet die gesamtrussischen Durchschnittswerte fünf bis siebenmal. Besonders hoch sind die Raten bei den Korjaken (52,7 Promille) und den Eskimos (47,6 Promille).

Unter den Todesursachen (auch der Menschen im arbeitsfähigem Alter) ragen Traumata, Alkoholvergiftungen, Erkrankungen der Atmungsorgane und Infektionskrankheiten hervor. Die spezifische Sterblichkeitsrate überschreitet mehr als 2,5 mal die statistischen Durchschnittsdaten Rußlands. Die Verschlechterung der sozialen und sanitär-hygienischen Lebensumstände (schlechte Wohnqualität, unstete Lebensart, ungenügende Gesundheitsbetreuung) erhöht die Sterblichkeit. In den Siedlungen fehlt es an Wohnraum. Die Bauten stammen oft aus den späten 50er oder frühen 60er Jahren. Die Versorgung mit Wohnraum beträgt im Schnitt nicht einmal vier Quadratmeter pro Person. Mehr als 30% der Urbevölkerung lebt in Nomadenzelten (Tschum). Weil die Mittel für die Instandhaltung fehlen, ist der durchschnittliche verfügbare Wohnraum der Indigenen um 40% gegenüber 23% in ganz Rußland gesunken. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Verminderung des Wohnraumes ergibt sich auf dem Land eine besonders ungünstige Lage, denn hier überwiegt der individuelle Wohnbau, dessen Finanzierung für die Mehrheit der Bevölkerung nicht möglich ist.

Die zunehmende Verschlechterung der Lebensbedingungen der indigenen Völker hat äußerst nachteilige Folgen. Die starke Verschmutzung der großen Flüsse und Meere durch ungereinigte Industrieabwässer, fehlende Investitionen in den Wasserschutz, die ungenügende Wirksamkeit der Trinkwasseraufbereitung auf vielen Wasserleitungsstationen fügen dem ökologischen Gefüge großen Schaden zu. Ein großer Prozentsatz der Proben (40-65%) entspricht weder chemisch noch bakteriologisch den Erfordernissen des staatlichen Trinkwasserstandards. Die Verschlechterung der sanitär-epidemiologischen Lage wirkt sich negativ auf das Bevölkerungswachstum aus. Die allgemeine Sterblichkeit liegt 1,7 und die Kindersterblichkeit zweimal höher als bei der nicht-indigenen Bevölkerung der Region. Die durchschnittliche Lebensdauer liegt um 10 bis 20 Jahre unter dem russischen Durchschnitt.

Die Ursachen dieser Entwicklung sind in der Untergrabung der Grundlagen wirtschaftlichen, kulturellen und geistigen Lebens und der tiefgreifenden Veränderung der Wohnumwelt und traditionellen Ernährung der Ureinwohner zu suchen. So weist etwa die europäische Ernährungsweise eine dem Organismus der eingeborenen Nordländer nicht entsprechende Zusammensetzung an Mikroelementen und eine ungenügende Menge an Kalorien auf. Daher ist die Sicherung der traditionellen Nahrung (Rentierfleisch, Fisch, Pflanzen) nicht nur die Lösung eines Versorgungsproblemes, sondern auch eine Frage der Erhalltung ethnischer Eigenart.

Ein weiterer Grund für die hohe Sterblichkeit und niedrige Lebensdauer ist die schlechte psychische Gesundheit des Volkes. Durch den Verlust der traditionellen Arbeit und Lebensweise ist ein Lumpenproletariat entstanden. Mehr als 30% der Todesfälle bei den eingeborenen Völkern erfolgen gewaltsam. Es werden drei- bis viermal mehr Selbstmorde verübt als im russischen Durchschnitt. Die Krankenhausdichte in den Wohngebieten der kleinen Völker erreicht nur 67% der Norm. Von den 19 bestehenden Geburtshilfezentren wurden nur vier nach 1970 erbaut, die übrigen in den Jahren 1934-1948. Zudem sind die Geburtshilfezentren in den kleinen Siedlungen schlecht ausgestattet.

Die Hauptursachen des Niedergangs liegen jedoch in den Verletzungen des ökologischen Gleichgewichts, im schnellen Übergang zu einer fremden Ernährungsart, in der unausgeglichenen Kinderernährung und in der erhöhten Empfindlichkeit der Ureinwohner gegenüber Infektionskrankheiten. Der radikale Bruch mit der traditionellen Lebensweise und den jahrhundertealten, gewachsenen Werten muß als weiterer Grund für das Zunehmen der Selbstmorde unter der arbeitsfähigen Bevölkerung und den weit verbreiteten Alkoholismus gesehen werden.

Das Überleben der kleinen Völker als Ganzes hängt daher von ihrer sozialen, psychologischen und physiologischen Anpassungsfähigkeit ab. Laut Untersuchungen der sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften könnte die Reserve an "historischer Gesundheit" der Ureinwohner des Nordens bei den sich abzeichnenden Tendenzen in zwei bis drei Generationen erschöpft sein. Es besteht also die dringende Notwendigkeit, ein Modell der ärztlich-demographischen Kontrolle auszuarbeiten, um die Dynamik genetischer und anderer Veränderungen in der Bevölkerung zu verfolgen und auf dieser Grundlage ein Konzept zur Neutralisierung schädlicher Einwirkungen auszuarbeiten.

3. Die Gesundheit [ top ]

Im Zusammenhang mit der Besonderheit der sogenannten "nördlichen Lunge" haben die Erkrankungen der Atmungsorgane bei den indigenen Völkern einen längeren und schwereren Verlauf. Für die zugewanderte Bevölkerung ist der akute Verlauf der Erkrankungen typisch, für die Ureinwohner der chronische. Die Infektions- und Entzündungskrankheiten machen 57 bis 80% aller Leiden aus. Dem chronischen Verlauf begegnet man bei der indigenen Bevölkerung vor allem unter den Bedingungen der Seßhaftigkeit 16- bis 18 mal öfter als bei der zugewanderten. Die Ureinwohner leiden 2,5- bis dreimal öfter an Tuberkulose als die Bewohner des mittleren Rußlands.

Der Übergang von der traditionellen zur europäischen Ernährung, mit dem charakteristischen Überwiegen der Kohlenhydrate bedingt gastrointestinale Erkrankungen, die bei der Urbevölkerung 2,5 mal verbreiteter sind als sonst. Bis zu 95% der Untersuchten litten an Karies und Hypovitaminose. In der autonomen Region Nenjetz durchgeführte Untersuchungen haben gezeigt, daß die Verbreitung von Krankheiten unter den Bewohnern der Dauersiedlungen insgesamt 1,5 mal höher ist als bei den Tundrabewohnern, bei den Infektions - und parasitären Krankheiten 2,5 mal, bei den Erkrankungen der Verdauungs- und Atmungsorgane 1,5 mal und bei den psychischen Krankheiten gar fünfmal. In der Zeit seit 1970 haben sich die psychischen Zerrüttungen um das 6,5 fache, die Hautkrankheiten um das 7,2 fache, die Vergiftungen (schlechtes Wasser, Lebensmittel, Alkohol) und Traumata um das 65,5 fache erhöht.

Den Bewohnern des Nordens ist ein besonderes Sehvermögen zu eigen: sie sehen besser auf lange Distanz, wogegen das Erfassen von visuellen Eindrücken auf kurzer Distanz (z.B. Lesen und Fernsehen) ihnen Schwierigkeiten bereiten. Daher bewirkt das Lesen von Büchern bei 90 bis 97% der Schüler starke psychische Spannungen und Ermüdung. Als Folge stehen heute Augenerkrankungen (gefolgt von Abweichungen in der Entwicklung der Herzgefäße und von Krankheiten der Nerven und Psyche) im Kindesalter an erster Stelle. Die medizinischen und sozialen Eigenheiten der Urbevölkerung haben Auswirkungen auf die Lebensdauer: 1988-1989 betrug die Durchschnittslebensdauer der Männer 54 Jahre, die der Frauen 65 Jahre. Die Werte liegen um 10 Jahre unter dem russischen Durchschnitt und 16 Jahre unter dem der Völker des Nordens von Europa und von Amerika. 1978-1979 lag der Unterschied bei 19 Jahren, d.h. in den 80er Jahren ist die mittlere Lebensdauer der indigenen Völker des Nordens gestiegen.

4. Die Beschäftigungslage [ top ]

Bis Anfang 1992 ist unter den indigenen Völkern des Nordens die Zahl der Beschäftigten ständig gewachsen. Im Zeitraum von 1981 bis 1991 hat sich die Zahl der Arbeiter, Angestellten und Kolchosbauern im Schnitt um 22% vergrößert, in fast allen Zweigen der Wirtschaft stieg die Arbeitskraft, wobei die Anzahl der beschäftigten Frauen in dieser Zeit schneller gewachsen ist. Mit dem Übergang zur Marktwirtschaft hat die Zahl der in Gemeinschaftsbetrieben arbei-tenden Ureinwohner abgenom-men. Dieser Prozeß hat 21 von 26 Völker des Nordens belastet. Am schwersten waren die Eskimos (-30,1%), die Tschuktschen (-28,6%), die Saamen (-22,1 %) und die Itelmenen (-19,5%) betroffen. Allein im Jahre 1992 hat sich die Zahl der beschäftigten Ureinwohner um fast 10% verringert: in der Landwirtschaft um 7,9%, in der Industrie um 13,5%, im Bauwesen fast um 28%, im Handel, im Nahrungsmittelsektor (Kantinen), in der Technik um 23,7% und im Transportwesen um 16,9 bzw. 15,8%.

Gleichzeitig erfolgte eine unbedeutende Zunahme der indigenen Beschäftigten in der Volksbildung (um 4,3% im Jahre 1992), etwas mehr als 10% haben in den Mittelschulen unterrichtet. Diese Tatsache ist bis zu einem gewissen Grad durch die Neuentstehung kleiner nationaler Schulen bedingt. Als Hauptursache für die sinkende Zahl von Ureinwohnern, die in der Produktion beschäftigt sind, mag die Verringerung des Rentierbestandes gelten, was wiederum im Zusammenhang mit der Reorganisation der Kolchosen und Sowchosen, dem Auflösen der Waldgrundstücke, der großen Abnahme der Investitionen im Baugewerbe, der Kommerzialisierung des Handels und der Volksausspeisung steht. Hier nahmen in erster Linie die Arbeitsstellen ab, die keinerlei Qualifikation erforderten und deshalb hauptsächlich von Angehörigen der kleinen Völker besetzt waren.

Diesem Verlust von Arbeitsplätzen für Ureinwohner steht die Zunahme der arbeitsfähigen Bevölkerung gegenüber. Bis zu 25-30% der Arbeitsfähigen aus den kleinen Völkern sind heute ohne Beschäftigung, sodaß sie ihre Existenz nur durch das Sammeln von Wildpflanzen, durch Fischen, Jagen und das Halten kleiner Rentierherden sichern können. Rund 15% der Arbeitsfähigen können oder wollen sich nicht in den Arbeitsprozeß einordnen. Besonders verbeitet ist die Arbeitslosigkeit bei der Jugend und den Frauen. Die geringe Mobilität unter der indigenen Bevölkerung ist mit ein Grund für die hohe Arbeitslosigkeit. Nach den Daten einer soziologischen Untersuchung sind 20% der nicht Indigenen bereit, bei Verlust der Arbeitsstelle eine Arbeit außerhalb ihrer Region zu suchen, aber nur 2% der indigenen Bevölkerung. VieleUreinwohner, die aus dem Arbeitsprozeß ausscheiden, kehren in die Tundra zurück oder vermehren das Heer des Lumpenproletariats in den neuen Siedlungen.

4.1. Beschäftigung in den traditionellen Wirtschaftszweigen
Die traditionelle Wirtschaft bildet den wichtigsten, geschichtlich gewachsenen Bestandteil der nördlichen Ökosysteme. Diese Gebiete beliefern den russischen Markt mit seltenen Waren. So sichert z.B. die Rentierzucht 96% des gesamten russischen Rentierbestandes, die Jagd 52% der russischen Ankäufe von Pelz und 58% des Fleisches wilder Huftiere und des Eberwildes. Anfang der 90er Jahre arbeitete die indigene Bevölkerung in 278 Sowchosen, 67 Kolchosen, 353 Hilfsunternehmen und 336 Jagdbetrieben. In den traditionellen Zweigen der Wirtschaft der indigenen Völker (Rentierzucht, Fischfang, Jagd, Zubereitung und Verarbeitung wildwachsender Pflanzen, Anfertigung von Pelzkleidung und Schuhwerk u.a.) sind derzeit rund 30.000 Menschen oder 55% der arbeitsfähigen Indigenen beschäftigt. Sie bilden einen wesentlichen Teil (mehr als 70%) der in der Landwirtschaft Arbeitenden.

Anfang 1993 gab es den höchsten Beschäftigungsstand in der Landwirtschaft bei den Onoken (96,4%), Ewenen (77,8%), Tschuktschen (70,2%) und bei einer Reihe von anderen Völkern. Viele Tofalaren und Udegen sind im Fischfang beschäftigt, sie werden als Industriebeschäftigte angesehen. Für das Arbeitsministerium ist es nicht zufriedenstellend, wenn z.B. unter den Tolaren zwei Menschen (0,9%) als Beschäfigte in der Landwirtschaft, jedoch 56,4% als in anderen Zweigen Tätige gezählt werden. Bei den Udegen betragen diese Daten vier und 31,9%. Ähnlich verhält es sich bei den Mansen, Nanaizen, Ultschen und anderen Völkern. Folgende negative Faktoren bestimmen die Beschäftigungslage der indigenen Bevölkerung im traditionellen Bereich der Wirtschaft:

Die Ansiedlung der Nomadenvölker in Siedlungen, in denen im voraus keine ihren Arbeitsgewohnheiten entsprechende Gewerbestruktur geschaffen worden war, entzog der arbeitsfähigen Bevölkerung die Möglichkeit, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Die Folgen für den materiellen Wohlstand der Familien blieben nicht aus. Zudem wirkte sich der fallende Lebensstandard der russischen Bevölkerung während der Jahre 1991-1993 noch stärker auf die Lage der Ureinwohner aus. Die überwiegende Mehrheit der kleinen Völker verfügt zudem über ein Einkommen weit unterhalb des Existenzminimums und sogar unterhalb des Mindestlohns.

Die Verletzung des ökologischen Gleichgewichts des Territoriums der kleinen Völker hat die Verringerung der Arbeitsplätze in den traditionellen Wirtschaftszweigen zur Folge. Allein in den autonomen Regionen Chanty-Mansijsk und Jamalo-Nenjetzki sind im Zusammenhang mit der Erschließung der Erdöl- und Erdgasfundstätten 1,1 Mio. Hektar Weidegründe für Rentiere und rund 20.000 ha. Laich- und Mastgründe unwiederbringlich verloren gegangen. Mehr als 100 große und kleine Flüsse sind verseucht, mehr als 500.000 ha Wald und Weide sind enteignet worden. Wegen der Wasserverschmutzung im Zuge der Erdgasförderung kommen jährlich mehr als tausend Tonnen wertvoller Gattungen von Schnäpsel- und Störfischen um. Bei der Erschließung der Fundstätten Medjeschev, Urengoj, Jamburg sind die Naturschutzmaßnahmen in den Projekten des Erdgaskomplexes überhaupt nicht in Betracht gezogen worden. Es versteht sich von selbst, daß sich das unausweichlich auf die Beschäftigungssituation in den traditionellen Tätigkeitsbereichen der Indigenen auswirkt. In der autonomen Region Nenjez waren im Jahre 1967 noch 713 Fischer beschäftigt, im Jahre 1989 waren es nur mehr 308.

Außerdem verdrängten Zuwanderer die indigene Bevölkerung aus ihren Arbeitsplätzen im Fischfang, Jagdgewerbe und teilweise auch in der Rentierzucht. Der Abzug der eingeborenen Bevölkerung, besonders der Jugend, von den traditionellen Wirtschaftszweigen wird auch durch die Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen hervorgerufen. Der Rentierzüchter ist doppelt belastet: einerseits muß er unter extrem schwierigen klimatischen Verhältnissen sein Leben aufrecht erhalten und andererseits gibt es die nicht minder schwierige tägliche Arbeit mit der Herde; unter diesen Umständen entstehen Schwierigkeiten mit der Gründung von Familien.

In jenen Regionen und Haushalten, in denen die Marschrouten des Nomadisierens 300-400 km nicht überschreiten und der Betrieb mit der Wachtmethode geführt wird, leben die Rentierzüchter einen großen Teil des Jahres mit ihren Familien unter verhältnismäßig wohltuenden Bedingungen. Das fördert die Festigung der Arbeitsgruppen in den traditionellen Wirtschaftszweigen. Beim Nomadisieren bis zu 1000 km bedarf es auf den Nomadenmarschrouten zusätzlicher Anstrengungen zur Schaffung jener annehmbaren Arbeits- und Lebensbedingungen, die den Bequemlichkeiten der feststehenden Siedlungen in nichts nachstehen. Erst dann würde sich für die Frauen die Möglichkeit eröffnen, nicht nur in den Siedlungen, sondern auch auf den Marschrouten zu arbeiten und zu leben. Das Wiedererstehen der Gemeinde- bzw. Stammeshaushalte zieht eine Überprüfung der Beziehung zum Nomadisieren als Lebensweise nach sich. Allein 1992 ist die Zahl der Nomaden um 586 auf 16.426 gewachsen (3625 Arbeitsgruppen und andere Kleingruppen).

Ein neuer Erwerbszweig ist die Käfigwildtierzucht. So sind im Providenskij-Bezirk der autonomen Tschuktschen-Region mehr als 2000 Ureinwohner in diesem Zweig beschäftigt, das sind 30% aller in der Landwirtschaft dieser Gegend beschäftigten Ureinwohner. Die Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme der kleinen Völker des Nordens muß auf der Bewahrung und Entwicklung neuer technischer Grundlagen für ihre traditionelle Arbeitsweise und Lebensart fußen. Das Funktionieren der traditionellen Wirtschaft ist das Fundament der Entwicklung, so die Meinung der Ureinwohner. Die neuen Betriebs- und Beschäftigungsformen (Farmer, Gemeindehaushalte, kleine Familienunternehmen und Genossenschaften) entwickeln sich in den traditionellen Wirtschaftszweigen stark weiter. Im Zuge der Reorganisation der Kolchosen und Sowchosen werden viele neue selbständige Wirtschaftsgebilde geschaffen. Im Grunde sind sie eine eigentümliche Rückkehr zu den traditionellen Familien- und Stammesformen des Wirtschaftens. In einem solchen Bauernhaushalt sind durchschnittlich zwischen drei und sechs Personen beschäftigt.

Die Zahl solcher Haushalte vermehrt sich ständig: im Magadangebiet (einschließlich der autonomen Tschuktschen-Region) hat sich die Zahl der neu geschaffenen Rentierzuchthaushalte allein im ersten Halbjahr 1993 von 27 auf 42 erhöht; im Gebiet Archangelsk (einschließlich der autonomen Nenjetzregion) von 30 auf 50. Zudem funktionierten Anfang 1993 in den Bezirken des äußersten Nordens 25 nationale (Familien)-Unternehmen, ungefähr 30 Genossenschaften und 7 Vereinigungen. Die Urbevölkerung bildet die Mehrheit der in diesen neuen Betriebsformen Beschäftigten. So wurden z.B. 1993 in der Region Kamtschatka 9 nationale Genossenschaften, 4 nationale Unternehmen und die Korporation "Vozrozhdenje" (Neuanfang) gegründet. In der Region Sachalin wurde die agroindustrielle Firma "Aborigen Sachalina" (Ureinwohner Sachalins) aufgebaut. In der autonomen Nenjetz-Region wurde die Vereinigung der Rentierzüchter "Erv" und im Krasnojarsker Land die Jagdindustrievereinigung der kleinen Völker des Nordens geschaffen. In der autonomen Ewenkischen Region wurden 60 bäuerliche Betriebe errichtet, 23 Industriebetriebe für Rentierzucht, 11 Stammesgemeinschaften in den traditionellen Zweigen der Landwirtschaft und Industrie: Rentierzucht, Beschaffung und Verarbeitung von Pelzwerk, Wildtierzucht, Hundezucht und anderes, wo rund 700 Menschen (4,3 % aller in der Region Beschäftigten) arbeiten.

Im Gesetz "Über die Privatisierung der Staats- und Gemeindeunternehmen in der Russischen Föderation" ist das Vorrecht der indigenen Bewohner auf den Erwerb von Eigentum der traditionellen Gewerbe- und Haushandwerksunternehmen verankert. Aufgrund primitiver Technologie in der Erzeugung, schlechter Vermarktung der Rohstoffe und Absatzschwierigkeiten war das traditionelle Gewerbe bisher oft ein Verlustgeschäft. Für die neu organisierten Haushalte gibt es vorerst keine Förderungsmittel, obwohl laut Schätzungen beispielsweise allein in der Ewenkischen Region der Ausbau der traditionellen Gewerbe 20.000 Menschen, d.h. allen arbeitswilligen Frauen aus der indigenen Bevölkerung, einen Arbeitsplatz sichern könnte. Derzeit sind in diesem Bereich nur 260 Menschen beschäftigt.

In den letzten Jahren sank die Kopfzahl der Rentiere drastisch. Im Vergleich zum jährlichen Durchschnitt 1986-1990 sind 1992 die staatlichen Ankäufe von Fleisch (Lebendgewicht) um das 2,7-fache gesunken, der Ankauf von Rentierfellen um das 3,6-fache. Stark vermindert hat sich der Nachwuchs, der Ausfall durch Seuchen erhöhte sich um 43%. Fielen 1986 noch 10% des Renttierbestandes Seuchen zum Opfer, waren es 1992 schon 16%. Unter diesen Voraussetzungen ergaben sich für die Unternehmen Schwierigkeiten in der Rohstoffbeschaffung, die sich wiederum auf die Verarbeitung der Produkte der Rentierzucht auswirkten; folglich nimmt die Zahl der Arbeitsplätze ab, sinkt der Lohn und wächst die versteckte Arbeitslosigkeit (erzwungene Wartezeit, nicht vollständige Arbeitswochen, Verstärkung des Saisonbetriebes).

4.2 Beschäftigung in den neuen Wirtschaftszweigen
Die Beschäftigungschancen der Urbevölkerung kann durch verbesserte Berufsausbildung gesteigert werden. Die Indigenen arbeiten ungern in neuen Erwerbszweigen, die mit ihrem traditionellen Arbeitsbereich nicht verknüpft sind. Insgesamt macht der Anteil der in der Industrie beschäftigten Ureinwohner nicht viel mehr als 9% der Gesamtzahl aus. Der Anteil variiert von Volk zu Volk beträchtlich. So arbeiten ungefähr 3% der Ewenken, 2,6% der Korjaken und 1% der Tschuktschen in der Industrie. Gleichzeitig sind 16,2% der Nenzen, 20% der Nanajzen, 24% der Nivchen, 29,6% der Ultschen zum größten Teil in der Fischverarbeitungsindustrie beschäftigt. Dieser Industriezweig ist die technologische Fortsetzung des althergebrachten Fischfanges.

Wenig mehr als 1% der Urbevölkerung arbeitet im Baugewerbe, rund 2,5% im Transport- und Kommunikationswesen. Dabei haben sie vor allem Arbeitsstellen inne, die keine besondere Qualifikationen erfordern, denn ihre allgemeine und berufliche Ausbildung ist sehr niedrig. Von den Vertretern der Urbevölkerung, die im Gesundheitswesen beschäftigt sind, arbeiten rund 90% im niederen oder mittleren Dienst, nur 10% sind Ärzte oder Leiter von medizinischen Anstalten.

4.3. Die Berufsausbildung
48% der Urbevölkerung haben nur eine Grundschulbildung. 16,9% fehlt eine solche, die Hälfte von ihnen sind Analphabeten. Untersuchungen, die in den autonomen Kreisen der Tjumenregion durchgeführt wurden, haben gezeigt, daß nur 5% der Erstklassler erfolgreich die 8. und 10. Klasse beenden. Bis zu einem Drittel der Schüler der 1. Klasse müssen die Klasse wiederholen. Weniger als 22% setzen den Unterricht bis zur 7. oder bis zu einer höheren Klasse fort. Dieser niedrige Bildungsstand erlaubt es den Erwachsenen nicht, "zeitgemäße" Beruf zu ergreifen und zwingt sie, Arbeiten anzunehmen, die eine geringe oder gar keine Qualifikation voraussetzen. Die Hauptursachen für diesen Mißstand sind:

Größte Unterstützung verdienen die kleinen Nomadenschulen, die sich in nächster Nähe zu den Betriebsstätten der Eltern befinden und deren Unterrichtssystem dem Haushaltssystem der Ureinwohner entspricht. Die qualifizierten Arbeitsgruppen aus der indigenen Bevölkerung des Nordens werden in der beruflich-technischen Ausbildung hauptsächlich für die traditionellen Wirtschaftsbereiche vorbereitet. Doch hat sich in den Jahren 1987-1992 die Zahl der Teilnehmer an diesen Lehranstalten von 1510 auf 940 Personen verringert (-36,7%).

Aufgrund der seit langem durchgeführten offiziellen Werbeaktionen orientiert sich ein sehr großer Teil der Jugend und ihrer Eltern auf die heutigen Berufe in den neuen Produktionszweigen. Doch war die Jugend aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage in den gewünschten oder tatsächlich erhaltenen Stellen zu arbeiten. Sobald die Jugendlichen die technischen Lehranstalten abgeschlossen haben, sind sie arbeitslos. Auf Sachalin sind mehr als 35% der Arbeitslosen Jugendliche unter 25 Jahre, im Bezirk Beresow des Kreises Chanty-Mansijsk 40%. Tatsächlich sind die Zahlen jedoch höher, da sich viele, die ihre Arbeit verloren haben, wegen der großen Entfernungen zu den Dienststellen nicht registrieren lassen.

5. Die kulturelle Situation [ top ]

Mit dem Verschwinden der traditionellen Formen der wirtschaftlichen Tätigkeit sind die Grundlagen der eigenständigen Kultur der Urbevölkerung untergraben worden. Die traditionellen Institute und Formen geistiger Tätigkeit, Glaubensinhalte und die mit ihnen verbundenen Rituale sind gewaltsam vernichtet worden. Das Ethnische erschien als etwas Archaisches, Folkloristisches und Exotisches. Deswegen ist die Kulturarbeit bis heute auf kulturelle Betreuung und Erklärung der Sitten und Gebräuche ausgerichtet.

Das gänzliche Fehlen einer finanziellen Unterstützung für Kulturarbeit ist ein Hemmschuh für einen kulturellen Neuanfang. Die Mehrzahl der ländlichen Kulturhäuser, Bibliotheken und Schulen befindet sich in einem sehr schlechten Zustand. Die traditionellen Folklorefeste, die kunsthandwerklichen Erwerbszweige verschwinden. Auf dem Hintergrund radikaler Veränderungen in Rußland bedarf die vielfältige Kultur der Völker des Nordens der Weiterentwicklung aller schöpferischen Kräfte. Die Intelligentsia der indigenen Völker ist sehr besorgt über den Zerfall geistiger Verbindungen, die Liquidierung des staatlichen Systems der Bücherverteilung und die äußerst geringe Finanzierung der Kultur. Programme zur Entwicklung des geistigen Potentials der Völker des Nordens werden erstellt, ohne die schöpferischen Kräfte der Indigenen miteinzubeziehen. Das alles wirkt sich negativ auf das Schicksal der nördlichen Literatur aus. Trotzdem sind die geistigen Grundlagen zum Überleben noch erhalten geblieben. Ein kultureller Neuanfang erweist sich als Hauptbedingung für die Normalisierung der psychosozialen Lage, denn nur damit kann ethnischer Nihilismus und Extremismus verhindert werden.

6. Der soziale Bereich [ top ]

Die soziale Infrastruktur der Wohnbezirke der kleinen Völker des Nordens wurde im Rahmen der industriellen Erschließung der nördlichen Territorien aufgebaut. Die Verbindungen mit der Metropole sicherten der örtlichen Bevölkerung Verpflegung, Industriewaren, alltägliche Dienstleistungen, Transport, Elektroenergie und anderes. Damit erklärt sich die hohe Verwundbarkeit der sozialen Infrastruktur im Zusammenhang mit dem derzeit zu beobachtenden wirtschaftlichen Niedergang.

Wichtige Probleme in der Elektrizitätsversorgung oder im Transport- und Bauwesen bleiben gänzlich ungelöst. Von den 29 elektrisch nicht versorgten Wohnsiedlungen des Altai gehören 19 zu den Dauersiedlungsgebieten der Ureinwohner. In den Landbezirken ist aufgrund des unwegsamen Geländes die Arbeit der Post erschwert, Telefonverbindungen fehlen. In vielen Dörfern der indigenen Bevölkerung funktioniert kein Radio. Überall fehlt es an Wohnraum und vielerorts fehlen die elementaren Voraussetzungen zum Leben. Im gesamten Norden (auch dort, wo Erdgas gewonnen wird) sind nur 3% der Siedlungen mit Gas versorgt, nur 4% haben eine Wasserleitung, 0,1% Zentralheizung. Im Bausektor mangelt es an einer auf Montage und Nutzung der Gebäude in extremen klimatischen Bedingungen ausgerichteten Bauindustrie. Der bestehende Bausektor steckt wegen der starken Teuerung und des schwierigen Transports der Baumaterialien, die zudem zu 100% vorausbezahlt werden müssen, in einer schweren Krise.

Unter der nicht indigenen Bevölkerung steigt derzeitig die Abwanderungsrate, was zur Auflassung bewohnter Siedlungen führt. Dies zieht wiederum schwerste Folgen für die zahlenmäßig kleinen Völker nach sich, denn Lieferungen von Lebensmitteln und Industrieprodukten sowie wichtige Dienstleistungen für die Bevölkerung bleiben jetzt aus. Mehr als zwei Millionen nicht indigene Nordbewohner planen derzeit abzuwandern. Schon jetzt sind in Magadan die Siedlungen Moja Rusta, Burkandja u.a. aufgelassen worden. 1994 hat sich die Bevölkerung Tschuktschiens um 10,5% vermindert, die Magadans um 8,1%, die Kamtschatkas um 3,8%, die Sachalins um 2,6%, die Jakutiens um 2,4%. Der Niedergang der Produktion in den Städten, die Nichtrentabilität der traditionellen Wirtschaftsweise, die Verminderung der Jagd - und Weidegründe erzeugen Arbeitslosigkeit. Rund die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung hat keinen ständigen Arbeitsplatz. Die überwiegende Mehrheit der indigenen Bevölkerung des Nordens lebt unter der Armutsgrenze.

Die Entlohnung liegt zu 50% unter dem früheren Reallohnniveau. Anfang 1995 stand der Mehrheit der Bevölkerung eine Einnahme von 30.000 bis 40.000 Rubel im Monat zur Verfügung. Das Mindesteinkommen zum Überleben ist auf 120.000 Rubel festgesetzt. Die bisher aufgezeigten Probleme sind 1991-1995 im Rahmen des staatlichen Programmes für die Entwicklung der Wirtschaft und der Kultur der kleinen Völker des Nordens aufgegriffen worden. Dieses Programm ist durch Verordnung des Ministerrates der Russischen Föderation vom 11. März 1991, Nr. 145 bekräftigt worden. Es wurden die Verfassung Rußlands, eine Reihe von wichtigen Gesetzen und Verordnungen erlassen und andere Programme von Bundes- und regionaler Bedeutung in Kraft gesetzt ("Die Kinder des Nordens", "Technik des Nordens" u.a.). All diese Maßnahmen wirkten sich positiv aus, konnten die allgemeine Verschlechterung der Lage der kleinen Völker jedoch nicht gänzlich neutralisieren. Da die zugeteilten Mittel aus dem Bundesbudget nicht vollständig ausbezahlt wurden, konnten viele der vorhergesehenen Maßnahmen nicht verwirklicht werden. Laut Staatsprogramm sind im Zeitraum zwischen1991-1995 folgende Bauten verwirklicht worden:

Durch eine Verordnung der Regierung der Russischen Föderation vom 28. Februar 1996, Nr. 295 bis zum 1. Januar 1997 erfolgte eine Analyse der Realisierung des Staatsprogrammes Nr. 145, die erhebliche Verzögerungen in der Durchführung der Maßnahmen feststellte. Die Ursachen liegen in den jährlich sinkenden Investitionsfonds und den Verzögerungen bei den Überweisungen der Gelder durch das Finanzministerium. Gemäß dem festgesetzten Jahresdurchschnittsbedarf von 1,28 Milliarden Rubel (Verordnung 145, zu Preisen des Jahres 1984) wären (zu Preisen von 1991) 2,04 Milliarden, 1992 42,84 Mrd, 1993 492,66 Mrd, 1994 2.611,10 Mrd und 1995 6.632,20 Mrd. Rubel für dieses Programm erforderlich gewesen.

Von den angeforderten Mitteln wurden vom Finanzministerium 1991 31,4%, 1992 16,5%, 1993 4,4%, 1994 5,9% und 1995 2,2% tatsächlich überwiesen. Aber auch bei den genehmigten Investitionsvorhaben ist die Finanzierung der Programme nicht in vollem Umfang erfolgt. 1993 wurden 71,8% der vorgesehen Mittel überwiesen, 1994 83,1%, 1995 62,2%. Die Kreditverpflichtung für 1993 beträgt 31.5 Mrd. Rubel. Unterbrochen ist die Finanzierung des Staatsprogrammes zur Entwicklung der Gesundheitsvorsorge, der Bildung, der Kultur, da 1994 und 1995 für diese Zwecke keine Mittel vorgesehen waren. Neue politische und sozioökonomische Entwicklungen (Zerfall der Sowjetunion, Übergang zur Marktwirtschaft, Orientierung an allgemeinmenschlichen Werten, Einhaltung internationaler Rechtsvorschriften) diktieren jetzt auch andere Ansätze zur Lösung der Probleme der kleinen Völker.

7. Die ökologische Situation in den Wohngebieten der indigenen Völker [ top ]

Die Wirtschaft des russischen Nordens hat sich in den letzten 30 Jahrengewaltig verändert. Gerade in diesem Zeitraum wurden Fundstätten von Erdgas und Erdöl in Jamalien und Westsibirien rüchsichtslos ausgebeutet, Nickelerze wurden im Tajmyr abgebaut, Phosphate und Apatite auf der Kola-Halbinsel, Steinkohle und Buntmetalle in Tschuktschien. Die industrielle Erschließung des Nordens stand von Anfang an im scharfen Gegensatz zur traditionellen Lebensart der indigenen Bevölkerung. Leider dachte man in der staatlichen Erschließungs- und Entwicklungspolitik kaum an die die Sicherung eines stabilen Versorgungsniveaus der örtlichen Völker mit Bedacht auf die Formen ihrer traditionellen Nutzung dre Natur.

Meistens wurden die alten Gründe der indigenen Völker ohne Zustimmung und ohne jegliche Vergütung von den Abbaugesellschaften und Organisationen enteignet. Die Erdöl- und Erdgasreserven in Westsibirien und in der autonomen Region Chanty-Mansijsk haben vorerst nicht so sehr Ruhm und Reichtum gebracht, sondern vor allem tiefe Wunden und Schmerzen für die schwergeprüften Jugorskischen Völker der Chanten und Mansen. Seit eh und je haben die Menschen dieser Region Mutter Natur tiefe Liebe und Achtung entgegengebracht, sie als heilig gehütet, mit ihr in voller Harmonie gelebt und von ihr nur das fürs Leben notwendige Minimum genommen.

Die in kurzer Zeit entstandenen Erdöl und Erdgasprojekte, die neuen Städte und Siedlungen haben sich sehr ungünstig auf die leicht verwundbare nördliche Natur ausgewirkt. Man denke nur an die "Sanddünen" im Bezirk Neu-Urengoj. Im Sommer erinnert die Waldtundra hier stellenweise an mittelasiatische Landschaften. Rund um die bekannte Erdölfundstätte von Samotlar gehen infolge der Störung des Wasserhaushaltes und der Verschmutzung riesige Zirbelkieferbestände zugrunde. Ähnliches geschieht auch unterhalb von Surgut, Neftejugansk und im Oktoberbezirk der autonomen Region Chanty-Mansijsk. In dem für die Chanten heiligen Fluß Ob verschwinden zusehends die Laichgründe wertvoller Fischarten. Der Bestand an Pelztieren und Vögeln schrumpft. Vor gar nicht langer Zeit war die Region Chanty-Mansijsk eine Zone außerordentlicher ökologischer Reinheit.

Das Norilsker Kombinat vernichtet den Tajmyr. Tausende von Quadratkilometern von Rentier-, Fischfang und Jagdgründen werden der traditionellen Wirtschaft entzogen. Im letzten Jahrzehnt haben sich um die Tschuktschen-Siedlungen Krasnoarmejsk und Komsomolz riesige Halden leeren Gesteins gebildet. Es verschwinden Dutzende von Flüssen und Seen. Ins Grundwasser sickern das ganze Jahr über Bäche und Salzsäure, die aus den Bohranlagen rund um die Siedlung Majski stammen. Die Küste der arktischen Meere und die Tundra sind mit unwirtschaftlichem Leergut und rostigem Eisen verschmutzt. Die sanitären Zustände in den bewohnten Siedlungen Tschuktschiens sind besorgniserregend.

Für die Ureinwohner in der autonomen Region Nenjetz am Ufer des Weißen Meeres brachte die Errichtung eines Kernwaffenübungsplatz auf der Inselgruppe Novaja Zemlja ungeheure Entbehrungen mit sich. Ausgediente Reaktoren werden in das nahegelegene Reservoir geworfen, Schiffe und Container mit radioaktiven Abfällen einfach versenkt. Von 1954 bis 1992 wurden auf dem Schießstand 132 unterirdische, 87 oberirdische und 3 Unter-Wasser-Kernexplosionen durchgeführt. Nach Meinung von Experten entsprach die Gesamtkraft aller Zündungen mehr als 300 Megatonnen. Als Ergebnis der oberirdischen Explosionen wurden Niederschläge beobachtet, die langlebige Radionukleide mit Cäsium 137, Strontium 90 und Kohlenstoff 14 enthalten. Nach Auskunft des Komitees über die Auswirkungen der Atomstrahlung im äußersten Norden überschreitet die innere Bestrahlung 35 mal das durchschnittliche statistische Strahlungsquantum. Das bedeutet, daß die sich fast ausschließlich von Rentierfleisch und Fisch ernährende Bevölkerung eine Cäsium 137-Dosis erhält, die 100- bis 1000 mal die durchschnittliche individuelle Dosis der übrigen Bevölkerung überschreitet. Als Folge verschlechtert sich die Gesundheit der Bevölkerung zusehends, die Sterblichkeit steigt. So verzeichnet die autonome Region Nenjetz in den letzten 10 Jahren einen Zuwachs von 49,1% an Speiseröhrenkrebs. Die Lungenkrebshäufigkeit stieg um das dreifache. Die Geburten wurden weniger, die Kindersterblichkeit erhöhte sich.

Der Anteil der an bösartigen Tumoren erkrankten und gestorbenen Menschen ist in der Zeit zwischen 1965 bis 1991 von 46,4% auf 75% gestiegen. Bei onkologischen Herzgefäß- und urogenitalen Erkrankungen sind die Bezirke, die an der Küste des Weißen Meeres liegen, besonders betroffen. In den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl der bösartigen Geschwüre in der Nenjetzregion versiebenfacht (von 2,2 Promille 1961 auf 14,3 1991). Im letzten Jahrzehnt treten auch angeborene Behinderungen häufiger auf (13,9 Promille 1969 und 30,7 im Jahre 1989). Behinderungen erweisen sich als Hauptursache für die Kindersterblichkeit. Alle chemischen Verbindungen (auch innerhalb der bestehenden, noch zulässigen Konzentrationen), die sich in oxydierend-wiederherstellende Prozesse vermischen (Kohlenwasserstoff-, Fluor-, Chlororganische Verbindungen), wirken sich ungünstig auf den Menschen aus.

In diesem Zusammenhang müssen regionale Grenzwerte an schädlichen Umweltfaktoren der für die Arktis regional noch zugelassenen Konzentrationen ausgearbeitet werden. Fragen des sozialen Schutzes der Bevölkerung mit Hinsicht auf Schadenersatz für die Gesundheitsschäden durch verschiedene ökologisch schädliche Produktionen müssen überprüft werden. Mehr als alles andere beunruhigt die Ureinwohner jedoch die Tatsache, daß sie sich nicht als Hausherrn auf der väterlichen Erde fühlen können. Die indigenen Völker haben ein und dieselbe Frage: Wo die Rentiere weiden, wo Wildtiere jagen und Fische fangen, wo Beeren und Pilze sammeln, wo die Erde hernehmen? Wo sollen wir leben? In den Erdöl - und Erdgasunternehmen arbeiten ausschließlich Zugewanderte, die mit der örtlichen Kultur nicht vertraut sind. Es versteht sich, daß auf diese Weise viele soziale Probleme entstanden sind, um so mehr, als die indigene Bevölkerung keine Vergütungen für die zugefügten Schäden erhalten hat. Im Gegenteil, der indigenen Bevölkerung wurde vorgeschlagen, das Nomadenleben aufzugeben. Daraus ergaben sich viele negative Folgeerscheinungen: die Degradierung der Persönlichkeit, das Gefühl, aus der eigenen Heimat verdrängt zu werden u.s.w.

8. Die rechtliche Lage der Ureinwohner [ top ]

Die industrielle Erschließung der Territorien der traditionellen Siedlungen dieser Völker ist ohne Rücksicht auf die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen, ohne Rücksicht auf Meinungen, Rechte und gesetzliche Interessen durchgeführt worden. Durch die Verletzung des natürlichen Lebensraumes dieser Völker sind die zur Führung traditioneller Erwerbszweige geeigneten Plätze seltener geworden. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat der Staat den kleinen Völkern wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Als Folge davon ist ihre Kultur und ihre Lebensweise entartet. Bis heute gibt es keine rechtlichen Garantien, die diesen Völkern bei rechtlichen Fragen freie Willensäußerung zugestehen. Sie haben keine Vertretung in den Organen der Staatsmacht und in jenen der örtlichen Selbstverwaltung. All das erfordert in erster Linie die Schaffung eines eigenen Rechtsstatus für diese Völker.

Der Gesetzgebungsprozeß muß auf den gegebenen internationalen Vereinbarungen aufbauen. Zu diesen Vereinbarungen, die den Rechtsstatus der indigenen Völker bestimmen, gehört vor allem die ILO-Konvention Nr. 107 vom 26. Juni 1957 ("Über den Schutz und die Integrierung der eingeborenen und anderer Bevölkerung, die in unabhängigen Ländern eine Stammes- oder Halbstammeslebensweise führen") und Nr. 169 vom 26. Juni 1989 ("Über die eingeborenen Völker und die Völker, die in unabhängigen Ländern eine Stammeslebensweise führen"). Um Diskriminierungen vorbeugen und Minderheiten zu schützen, wurde im Rahmen der Vereinten Nationen durch die Unterkommission ein Projekt über die Rechte der indigenen Völker ausgearbeitet. Kernpunkt dieses Systems muß gemäß Art. 69 der Verfassung der Russischen Föderation das noch auszuarbeitende Gesetz der Russischen Föderation über die "Grundlagen des Rechtsstatus der indigenen kleinen Völker Rußlands" werden. Dieses Gesetz muß das Fundament für die nachfolgende Gesetzgebung des Bundes und der Bürger der Russischen Föderation über diese Völker schaffen. Diese Probleme wurden teilweise in den folgenden Bundesgesetzen berücksichtigt:

Verordnung der Duma vom 26. Mai 1996, Nr. 816 - IGD, "Über die kritische Lage der Wirtschaft und Kultur der indigenen kleinen Völker des Nordens der Russischen Föderation". Die kollektiven Rechte dieser Völker müssen gesetzlich verankert werden. Gleichzeitig bedürfen diese kleinen Völker der Hilfe und Unterstützung von Seiten der Bundesorgane der Staatsmacht, der Bürger der Russischen Föderation und auch der Organe der örtlichen Selbstverwaltung. Es ist Pflicht der staatlichen Organe, besondere regionale staatliche und Bundesprogramme, die den Neuanfang und die Entwicklung der kleinen Völker fördert, auszuarbeiten und ihnen die nötige finanzielle Unterstützung und andere Hilfe zu geben. Die Rechtsquellen dieser Völker müssen kenntlich gemacht werden.

Die kleinen Völker Rußlands genießen laut Verfassung die gleichen Rechte wie alle anderen Völker der Russischen Föderation; diese Rechte sind in internationalen, durch die Föderation ratifizierte Akte festgelegt worden. Ein Verzeichnis aller sozialen, politischen und wirtschaftlichen Rechte dieser Völker, sowie der Rechte im Kulturbereich und vor Gericht ist unumgänglich. Auf dem Siedlungsgebiet der kleinen Völker muß ein System örtlicher Selbstverwaltung errichtet werden, das im Rahmen seiner Vollmachten die Fragen von lokaler Bedeutung selbständig entscheidet, etwa die Lebensweise, Sprache, Bräuche, Traditionen und Formen der Verwirklichung der Rechte der örtlichen Selbstverwaltung (Referenden, Wahlen, Versammlungen, Gemeinden, usw.).

Die gesetzlichen Maßnahmen müssen die Ansichten der kleinen Völker oder ihrer Vereinigungen berücksichtigen. Das betrifft vor allem Rechte und gesetzliche Interessen dieser Völker: die Abhaltung von Referenden, die Schaffung von Vertreterräten bei der Regierung der Republik, der Verwaltung eines Landes, einer Provinz, Region, eines Bezirkes, einer Stadt, eines Bezirkes einer Stadt und bei einer ländlichen Verwaltung. Es ist notwendig, einen Mechanismus der Verwirklichung des Rechtes auf Besitz, Nutzung und Verfügung des Grundes und der anderen natürlichen Ressourcen festzusetzen und die Möglichkeit zu schaffen, Gründe aus dem staatlichen und kommunalen Eigentum in gemeinschaftlichen Besitz zu übernehmen. Es ist Pflicht der staatlichen Organe und der örtlichen Selbstverwaltung, die notwendigen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der traditionellen Wirtschaft zu sichern. Zur Bewahrung der natürlichen Umwelt und zur Entwicklung der traditionellen Wirtschaftszweige der kleinen Völker ist die Bildung von Territorien traditioneller Naturnutzung vorgesehen. Diese Territorien dürfen nicht ohne Zustimmung der kleinen Völker für industrielle Zwecke enteignet oder erschlossen werden. Die Unternehmen und Organisationen auf diesen Territorien dürfen nur gemäß den staatlichen Programmen zur Erschließung der natürlichen Ressourcen und mit Hinsicht auf Bewahrung der natürlichen Umwelt funktionieren. Eine vorausgehende ökologische und ethnologische Expertise muß immer eingeholt werden. Rechtliche Garantien für die Rechte dieser kleinen Völker sind für das Überleben elementar.

9. Die Überlebensprobleme der kleinen Völker des Nordens – Der politische Aspekt [ top ]

Das Jahrzehnt der indigenen Völker hat 1995 begonnen Ihr Status wird durch eine Reihe von Dokumenten auf internationaler, russischer und örtlicher Ebene geregelt (mehr als 170). Die besondere Lage der kleinen Völker erfordert die Schaffung ergänzender Rechte, welche die Voraussetzungen für ihre tatsächliche Gleichheit mit anderen Nationen und Volksgruppen schaffen. Es braucht den effektiven Schutz des urtümlichen Lebensraumes und der traditionellen Lebensweise durch gemeinsame Anstrengungen der Bundesverwaltungsorgane, der Republiken, Länder, Provinzen und autonomen Regionen sowie der örtlichen Verwaltungen.

Um die Wohnregionen der eingeborenen Völker des Nordens aus der Krise herauszubekommen und um die Voraussetzungen für eine beständige Entwicklung der Wirtschaft dieser Völker zu schaffen, braucht es eine massive Unterstützung aus dem Bundesbudget. Die Ureinwohner der Vereinigten Staaten, Kanadas und anderer Länder genießen unter ähnlichen Bedingungen staatliche Unterstützung. Ziel dieser Unterstützung ist auch die Sicherung der beständigen Entwicklung kleiner Völker, die in ihren angestammten Siedlung wohnen. Die Wiederherstellung und rationelle Nutzung der natürlichen Ressourcen des Nordens müssen zur Beschäftigung der Ureinwohner beitragen, die Arbeit muß hauptsächlich mit der Bewahrung und Entwicklung der traditionellen Wirtschaftszweige zusammenhängen. Nichttraditionelle Wirtschaftszweige und Betriebe werden eine Hilfsrolle spielen, bis sich eine entsprechende soziale Schicht unter den indigenen Völkern gebildet hat.

Die Lösung der gegebenen Aufgaben ist eng verbunden mit der medizinischen und sanitär-epidemologischen Betreuung der Ureinwohner. Wegen der extremen Entfernungen zwischen den einzelnen Siedlungen, der schlechten Verbindungen und der niedrigen Einkommen kann dieses enorme Problem nur durch Maßnahmen gelöst werden, die sich von jenen, die in den zentralen Bezirken Rußlands angewandt werden, unterscheiden. Es müssen mobile medizinische Versorgungsgruppen geschaffen werden, die nicht nur bereit sind, bei Notfällen zu helfen, sondern auch regelmäßige Prophylaxe durchführen.

Eine Weiterentwicklung setzt die Wiedergeburt der eigenen Kultur, die Bewahrung alter Bräuche, ihrer Lebensart und das Aussetzen ihrer widernatürlichen Assimilierung voraus. Es geht um das Überleben vieler Völker, die ohne staatliche Unterstützung, ohne Hilfe von außen nicht mehr imstande sind, die traditionelle Wirtschaft wiederherzustellen. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung für die indigenen kleinen Völker ist auf einer Reihe von internationalen Konferenzen erörtert und als grundlegend notwendig anerkannt worden. Der Inhalt dieses Konzeptes berücksichtigt die natürlichen, klimatischen Bedingungen eines jeden Volkes in seinem Lebensraum. Es befördert die Wahrung der Rechte und Freiheiten der Bürger jeder Nationalität, die in grundlegenden internationalen Dokumenten verankert sind [Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, der internationale Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (angenommen durch die Generalversammlung am 16. Dezember 1966 und ratifiziert durch das Präsidium des Obersten Sowjet der Sowjetunion am 18. September 1973), das Dokument der Kopenhagener Konferenz über die menschliche Dimension der KSZE (angenommen am 29. Juni 1990 durch 35 Staaten als Teilnehmer), Die Konvention Nr. 107 über den Schutz und die Integration der eingeborenen und anderen Bevölkerung, die eine Stammes- oder Halbstammeslebensweise in unabhängigen Ländern führt (angenommen durch die Generalkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation am 26. Juni 1957), die Konvention Nr. 169 über die indigenen Völker und über die Völker, die eine Stammeslebensweise in unabhängigen Ländern führen (angenommen durch die Generalkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation am 26. Juni 1989)].

Das wichtigste Problem besteht in der Wiederherstellung der gesetzlichen Ansprüche der indigenen Völker auf ihre angestammten Lebens- und Wirtschaftsräume und in der Schaffung einer wirtschaftlichen Basis für ihre Existenz und Entwicklung. Das Recht auf Lebensraum ist eines der vordringlichsten, doch das Einfordern dieses Rechts ruft scharfe Diskussionen und nicht selten aktiven Widerstand hervor. Rußland ist in dieser Beziehung keine Ausnahme. Man könnte annehmen, so etwas rühre von der Unkenntnis der indigenen Lebensart her, doch der Hauptgrund liegt wohl darin, daß die Territorien der Urbewohner reich an Erdöl, Erdgas und anderen Bodenschätzen sind. Dem Recht der Ureinwohner auf ihren angestammten Lebensraum steht der Standpunkt der Regierungen gegenüber, die befürchten, die Kontrolle über diese Territorien und über die natürlichen Ressourcen zu verlieren. Sie wollen dem Standpunkt dieser Völker deshalb nicht Rechnung tragen und sie unter ihrer Kontrolle halten. Es besteht die Gefahr, eine privilegierte soziale Schicht mit Sonderrechten entstehen zu lassen, die dann ihrerseits gegen andere oft ebenso notleidende (nicht indigene) Gruppen geschützt werden muß. Gleichzeitig ist dieses Grundproblem das Schlüsselproblem für die indigenen Völker, denn die Erde ist für sie die materielle und geistige Grundlage ihrer Existenz. Ohne sie sind die Ureinwohner dem physischen oder zumindest kulturellem Untergang geweiht.

Man darf nicht vergessen, daß die indigenen Völker an ihren Wohnorten die ersten Siedler waren. Sie der Möglichkeit zu berauben, auf diesen Gründen zu leben und zu wirtschaften, besonders, wenn so etwas nicht freiwillig und ohne rechtliche Prozeduren vor sich geht, steht einem Staat, der sich demokratisch und rechtsstaatlich nennen will, nicht an. Das Recht der Ureinwohner auf ihre Erde tritt in bedeutendem Ausmaß als systembildende Grundlage ihres staatsrechtlichen Status hervor. Mit diesem Recht verbindet sich die Verwirklichung der Rechte auf Selbstverwaltung, auf Teilnahme an der Nutznießung der Bodenschätze. Auf diese Weise Voraussetzungen zur Konsolidierung des Volkes, zur besseren Entwicklung der Sprache, der Kultur und der Lösung sozialer Fragen geschaffen. Der Niedergang dieser Völker ist oft mit dem Fehlen ihrer Rechte auf Lebensraum und andere Ressourcen verbunden.

Durch die Privatisierung und den Erhalt von Grund durch Pachtverträge gewinnt die Frage des Grundbesitzes heute eine besondere Bedeutung für die indigenen Völker. Ohne rechtliche Garantien könnten die Indigenen von den Nutzungsmöglichkeiten der natürlichen Ressourcen ausgeschlossen werden. Hin und wieder werden bereits wieder Bodenanteile ohne Zustimmung der Urbevölkerung an Leute oder ausländische Firmen gegeben, die mit der traditionellen Wirtschaft nichts zu tun haben. In Rußland gibt es vorerst weder ein Konzept für eine traditionellen Naturnutzung noch für eine ökologisch-ethnographische Gebietseinteilung des Nordens. Die geographische Ausdehnung der besonderen Formen des Wirtschaftens ist nicht festgelegt. Bisher gibt es kein Inventar der biologischen und natürlichen Ressourcen der Arktis. Die Aufgabe besteht darin, die Kultur und Werte der indigenen Völker unter den Voraussetzungen der sich wandelnden Gesellschaft der Arktis zu bewahren. Desen Völkern muß die Möglichkeit gesichert werden, gleichberechtigte Teilnehmer an der Wirtschaft und am gesellschaftlichem Leben zu sein, die arktische Natur, Umwelt und biologische Reproduktion zu schützen und zu erhalten.

Schwere Fehler von Seiten des Staates wurden bei der Erschließung des Nordens begangen: in den 50 und 60er Jahren herrschte auf diesen Territorien "das behördliche Interesse" vor, sodaß die Erfahrung der indigenen Bevölkerung im Bereiche der traditionellen Naturnutzung nicht zur Geltung kommen konnte. Sowohl die Regierungs- und Staatsorganisation als auch die Industrieverwaltungen und Unternehmen müssen den Wert der traditionellen Erfahrung der Ureinwohner und der im Laufe von Jahrhunderten im Bereich der Umwelterhaltung angesammelten Kenntnisse anerkennen. Wir begrüßen gewissenhafte wissenschaftliche Forschungsarbeit, die allen hilft, die Geheimnisse der Arktis besser zu verstehen. Doch die Bewohner der arktischen Bezirke verlangen verständlicherweise, daß ihre Meinung auch angehört und ihren Erfahrungen und Kenntnissen die gebührende Achtung entgegengebracht werde. Diese Völker besitzen eine große Kenntnis des ökologischen Systems der Arktis, des Eises und Schnees, der ozeanischen Strömungen, des Verhaltens der Tiere, der Fische usw. Die Vertreter der Industrieunternehmen, der Verwaltungen und der Organe der örtlichen Selbstverwaltung versuchen uns aber zu überzeugen, daß sie alles wissen und daß die traditionellen Kenntnisse der eingeborenen Völker derzeit kaum von jemandem benötigt werden.

Ein solches Verhalten ist nicht nur beleidigend, sondern auch falsch. Die Kenntnisse der indigenen Völker über die Umwelt und die wilde Natur sind das Ergebnis unmittelbarer Beobachtungen im Laufe vieler Generationen. Die traditionellen Kenntnisse sind wichtig sowohl für die indigenen Völker selbst in ihrem Alltagsleben, als auch für das Verständnis der Prozesse, die mit der Nutzung der natürlichen Ressourcen der Arktis verbunden sind. Es besteht die Möglichkeit zur Schaffung einer einzigen Datenbank der traditionellen Kenntnisse der indigenen Völker des Nordens. Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit, jene Arten der Produktion einzuschränken, die die ökologische Situation der Arktis verschlechtern. Der Staat muß das Risiko möglicher negativer Folgen auf ein vernünftiges Ausmaß verringern. Am Prozeß der Ausarbeitung einschränkender Maßnahmen muß auch die örtliche eingeborene Bevölkerung teilnehmen. Das ist nicht mehr als gerecht, denn im Falle einer Fehlentscheidung leidet sie am meisten.

Ein weiteres wichtiges Problem ist die systematische Information der indigenen Völker über den Zustand der ökologischen Lage in ihrem Lebensraum und besonders in der arktischen Umwelt. Im Grunde erfahren die indigenen Völker über den tatsächlichen ökologischen Zustand ihres Lebensraumes erst dann etwas, wenn ihre Vertreter an internationalen Konferenzen, Symposien oder Beratungen teilnehmen. Vor Ort wissen die Leute oft nichts über den Stand der Verschmutzung ihres Lebensraumes.

Ein weiteres Problem besteht im Anspruch auf einen gerechten Anteil am wirtschaftlichen Nutzen aus den natürlichen Ressourcen in ihrem angestammten Lebensraum. Derzeit sind in Rußland die Staatsbeamten bestrebt, das Problem zu verschweigen und sie entziehen sich auf jede Art und Weise der Lösung dieses Problems. Die Vertreterorganisationen der indigenen Völker bestehen auf der Ausarbeitung einer entsprechenden Ordnung zur Auszahlung von Schadenersatzleistungen für die Schäden an ihren Wohn- und Wirtschaftsgründen. Die Abgeordnetenversammlung der kleinen Völker erachtet es angesichts der kritischen Lage als notwendig, durch Verhandlungen zwischen der Regierung Rußlands und den indigenen kleinen Völkern des Nordens, vertreten durch ihre gesellschaftlichen Organisationen, einen für beide Seiten akzeptablen Ansatz zur Lösung folgender Probleme zu finden:

Solange es nicht zu spät ist, solange die Hoffnungen der Völker noch lebendig sind, rufen wir den Präsidenten Rußlands, den Vorsitzenden der Regierung, die Führer des Föderationsrates und der Staatsduma auf, die Forderungen der indigenen Völker sorgfältig zu überprüfen und ihr völliges Verschwinden nicht zuzulassen. Wir wenden uns an die Parteien, Bewegungen und an die Allgemeinheit Rußlands, an alle Menschen guten Willens, denen das Leben und die Rechte jeden Volkes teuer sind, das Streben der zahlenmäßig kleinen Völker des russischen Nordens nach Selbsterhaltung zu unterstützen.

In dieser für die indigenen Völker schwierigen Zeit richten wir den Blick auf die internationale Gemeinschaft und rufen die Generalversammlung und Kommission für Menschenrechte der Vereinten Nationen, die Regierungen und Parlamente, die staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen und Einrichtungen und alle ehrlichen und rechtschaffenen Bürger, die gesellschaftliche und andere Kontakte zu den höchsten Machtorganen in der Russischen Föderation haben, auf den Präsidenten, die Regierung und die Bundesversammlung Druck auszuüben zugunsten der Bewahrung der indigenen, unter den extremen klimatischen Bedingungen der Arktis lebenden Völker.

Genehmigt am 4. Dezember 1997 durch das Präsidium der Abgeordnetenversammlung der kleinen Völker des Nordens, Sibiriens und des Fernen Ostens der Russischen Federation.

Florian Stammler - Wo unser Gas herkommt: Kanten und Nenzen - Westsibirien [ top ]

Der Himmel ist in orangenes Licht getaucht, als sei gerade die Sonne untergegangen. Eine romantisch anmutende Atmosphäre. Doch der Anblick täuscht: Es ist Mitternacht, bei 20 Grad minus in der kleinen westsibirischen Siedlung Trom-Agan. Das Orange am Himmel flackert unruhig auf. Dies ist kein Sonnenuntergang, auch kein Wetterleuchten. Das Dorf ist umgeben von vier Erdöllagerstätten. Meterhohe Fackeln, Begleitgase des geförderten Öls, lodern 24 Stunden und 365 Tage im Jahr gen Himmel. Im Sommer vervielfachen sich dadurch die Waldbrände, und Tausende von Vögeln verenden in den Flammen. Ein nächtlicher Landeanflug auf Westsibiriens Ölhauptstadt Surgut offenbart, daß dies kein Einzelfall ist: Unzählige kleine orangerote Punkte, die verstreut sind, soweit das Auge blickt, sind die nächtlichen Zeichen für die Industrialisierung der arktischen Tundra und der subarktischen Taiga.

Im Tjumen-Gebiet in Westsibirien liegt der Schwerpunkt der russischen Öl- und Gasförderung. Im dortigen autonomen Bezirk der Chanten und Mansen wurden 1997 162 Mio. Tonnen Öl gefördert. Im nördlich daran anschließenden autonomen Bezirk der Jamal-Nenzen waren es 534,9 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr 1996. Die Wirtschafts- daten der beiden Bezirke sind heute an der Spitze der russischen Regionen. Trotz des kürzlichen Ölpreisverfalls steuern ihre Gewinne aus dem Öl- und Gassektor noch 40 Prozent der Einnahmen zum gesamtrussischen Haushalt bei. Die indigene Bevölkerung der Chanten, Mansen und Nenzen muß hart um ihr Überleben kämpfen, seit die Industrie in diese entlegenen Gegenden vorgedrungen ist. Seit Beginn der Ölförderung in den 60er Jahren ist der Anteil dieser Völker an der Gesamtbevölkerung auf 1,4 Prozent gesunken, denn für die Erschließung der Region wurde Hunderttausenden von Arbeitern aus südlicheren Gebieten des Sowjetreiches mit materiellen Privilegien das beschwerliche Leben im Norden schmackhaft gemacht.

Tatsächlich stellt das Klima in den Tundra- und Taigagebieten Westsibiriens an Mensch und Tier außergewöhnliche Anforderungen: Bis zu neun Monaten im Jahr liegt Schnee und Eis; vom Boden taut im kurzen Sommer nur die oberste Schicht auf, die sich dann vielfach in unwegsames Sumpfgebiet verwandelt, das sich zu beiden Seiten des großen Flusses Ob ausbreitet. Die kleinen Völker der Chanten und Nenzen haben sich mit ihrer traditionellen Lebens- und Wirtschaftsweise an diese Umwelt angepaßt. Sie betreiben Fischfang, Jagd und Rentierzucht. Um die Weiden nicht zu übernutzen, wechseln sie mehrmals jährlich den Wohn- und Weideplatz, denn die Pflanzen wachsen im kurzen Sommer zu wenig, um Weidegrund für ein ganzes Jahr abgeben zu können. Die Areale sind in der Taiga nach Gewohnheitsrecht seit jeher so geordnet, daß jeder Klan bestimmte Weide-, Jagd- und Fischgründe nutzt. Von besonderer Bedeutung sind die heiligen Plätze, wo sich die Gottheiten bestimmter Gewässer und Wälder aufhalten oder die Geister der Ahnen wohnen.

Bei einer solchen Verbindung zwischen Mensch und Land schmerzt es traditionelle Chanten, wenn ihre Erde angebohrt wird, wenn mit Dynamit unter- irdische Sprengungen vorgenommen werden, um zu bestimmen, wie viel Erdöl in einer Lagerstätte ruht, wenn Salzsäure in die Erde gepumpt wird, um den Druck des Öls an die Erdoberfläche zu erhöhen. Zahlreiche Flüsse, Seen und kleinere Gewässer sind bereits biologisch tot. Die indigenen Fischer müssen in die Oberläufe der kleineren Zuflüsse ausweichen. Doch auch dort werden die russischen Grenzwerte für Wasserverschmutzung um ein vielfach überschritten. Durch den Ausbau der Infrastruktur und die massive Zuwanderung sind die Bestände an wilden Rentieren im chantisch-mansischen Bezirk fast gänzlich ausgerottet. Die Administration mußte bereits eingestehen, daß die Jagd als traditionelle Erwerbsquelle der indigenen Völker fast bedeutungslos geworden ist. Dennoch blockiert die Verwaltung in einem der letzten Rückzugsgebiete des wilden Rentiers am Fluß Jugan, wo 900 Chanten bis heute ihre Kultur erhalten konnten, die Einrichtung eines Unesco-Biosphärenreservats.

Auch der dritte Erwerbszweig, die Rentierzucht, wird von der Industrialisierung schwer beeinträchtigt: Die Erschließung der Öl- und Gasfelder verschlingt jährlich 20.000 bis 30.000 Hektar Land. Dazu kommen die noch immer steigenden Verschmutzungen durch auslaufendes Öl: 1996 gelangten allein durch undichte Pipelines mehr als 7,5 Mio. Tonnen (5%) des geförderten Öls in den Boden, der damit für Generationen unbenutzbar wird. Dazu kommt noch der nicht minder schädliche Begleitschlamm der Förderung. Die Ölfirmen müssen für jeden registrierten Schaden zwar Strafen zahlen, doch die verursachte Zerstörung übersteigt die geleisteten Zahlungen um das achtfache, obgleich die Sanierung der Böden gesetzlich vorgeschrieben ist.

Als die ersten indigenen Vertretungen Ende der 80er Jahre zusammen mit Umweltschutzbewegungen industrielle Groß- projekte verhinderten, kam große Hoffnung auf. Zwischen 1990 und 1993 wurden einige wichtige Gesetzesvorlagen im chantisch-mansischen Bezirk eingebracht, so daß heute 454 Familienländereien als sog. "Sippenländer" registriert sind. Dort wird den Ureinwohnern ihr Land kostenlos und vererbbar zur Nutzung überlassen, doch es geht nicht in ihren Besitz über. Die Rechte an den Bodenschätzen bleiben unter staatlicher Verantwortung. Unter schwierigen Bedingungen versuchen engagierte, traditionsbewußte Chanten und Nenzen sich wieder in der Taiga niederzulassen, indem sie sich Rentiere kaufen und an die Wohnplätze ihrer Ahnen zurückkehren. Einige gründen lokale Genossenschaften mit traditioneller Wirtschaftsweise, die ein bedingtes Maß an Selbstverwaltung erhalten. All diesen Bemühungen ist das Ziel gemeinsam, nach Jahrzehnten der Entfremdung wieder die Tradition der Vorfahren aufzunehmen (vgl. Kasten).

Einen Kompromiß mit der Ölindustrie zu erzielen ist entscheidend für den Erfolg solcher Unternehmungen. Der russische Staat versucht, sich auf die Marktwirtschaft einzustellen, indem er die Ölindustrie privatisiert. Um diese wichtigste Devisenquelle des Staates am sprudeln zu halten, sind Investitionen in Milliardenhöhe erforderlich. Oft ist es für Konzerne aus dem Westen billiger, neue Ölfelder mit noch größeren Reserven anzuzapfen, als alte zu modernisieren, die schon zur Hälfte ausgebeutet sind. Der Staat gibt deshalb immer mehr Lagerstätten zur Förderung frei, die auf Ländereien der Indigenen liegen. Um Konflikte zu vermeiden, gibt es sog. ökonomische Vereinbarungen zwischen indigenen Bewohnern und Ölfirmen. Die ohnehin oft unzureichenden wirtschaftlichen und ökologischen Bestimmungen werden jedoch von den Ölfirmen nicht eingehalten. Das bringt eine zusätzliche Verhärtung der Fronten mit sich (vgl. Kasten). Im März dieses Jahres fand in der Bezirkshauptstadt Chanty-Mansijsk eine Konferenz zu diesen konfliktträchtigen Beziehungen statt. Hier einigte man sich auf einige allgemein gehaltene Mindestforderungen:

Diese Forderungen stehen schon länger im Raum. Neu daran ist, daß sie hier von einer Konferenz angenommen wurden, an der auch die Ölindustrie und die Regierung beteiligt waren. Es handelt sich juristisch aber lediglich um Empfehlungen, so daß es der Vertretung der Indigenen überlassen ist, diese im regionalen Parlament auch durchzusetzen. In der Vergangenheit war dem jedoch wenig Erfolg beschieden, was zum einen an der mangelnden Lobby der Vertretung liegt, zum anderen aber auch daran, daß sich diese "indigene Elite" zwangsläufig vom Leben der Taiga und Tundra entfernt hat. Bei den Betroffenen wird daher diskutiert, ob sie sich von dieser Vertretung angemessen repräsentiert fühlen.

Vertreter westlicher Firmen waren bei dieser Veranstaltung nicht zugegen. Sie verweisen bei Umwelt- und Menschenrechtsfragen gerne auf die Hauptverantwortung der russischen Firmen. Für diese spielt der deutsche Markt eine wichtige Rolle: 52 Prozent des Ölexports ging 1996 nach Deutschland. Mit ihren Investitionen tragen auch deutsche Firmen dazu bei, daß immer neue Fördergebiete erschlossen werden, sorgen dafür, daß den Indigenen weiter die Lebensgrundlage entzogen wird. Ruhrgas verlängerte im Mai 1998 Verträge mit Gasprom über 25 Milliarden DM bis 2020 und beteiligt sich mit vier Prozent an diesem größten russischen Unternehmen. Wintershall hat mit Gasprom die Wingas GmbH für das Rußlandgeschäft gegründet, Mannesmann liefert Pipelinerohre, die mit Bürgschaften der deutschen Bundesregierung gedeckt sind. Diese Aktivitäten bescheren Deutschland bereits seit 25 Jahren Gasimporte im Gesamtwert von 55 Milliarden US-Dollar. Heute kommt rund ein Drittel des deutschen Gasbedarfs aus Rußland, d.h. vorwiegend aus dem Gebiet der Jamal-Nenzen, und von den 20 Prozent des deutschen Erdöls, das aus Rußland kommt, stammt der Großteil aus dem Gebiet der Chanten und Mansen.

Mit unserem Verhalten haben wir Einfluß darauf, ob durch Umweltkatastrophen und Menschenrechtsverletzungen diese einzigartigen Kulturen ausgelöscht werden. Vielleicht denken wir an der nächsten Tankstelle daran, daß es Menschen in einem der größten Frischwasserreservoirs der Erde gibt, deren Trinkwasser mit einem Ölfilm überzogen ist, und deren Rentiere im Begleitschlamm unseres Benzins verenden. ?

Florian Stammler ist Magistrant der Ethnologie in Köln und hat zwei Reisen in die betroffenen Gebiete unternommen.

Larissa Vyntyna - Tschukotka [ top ]

Vielleicht kann jemand mit der Bezeichnung Tschukotka nichts anzufangen. Dann schaut auf die Karte Asiens und ihr seht in ihrem äußersten nordöstlichen Teil eine angebrochene, keilförmige, zwischen dem Stillen Ozean und dem Nördlichen Eismeer herausragende Halbinsel. Das ist die Tschukotka. Die enge Beringstraße trennt sie von der Schwester und Nachbarin Alaska. Vor rund 30.000 Jahren waren sie ein Ganzes, doch nachher haben Naturkräfte sie getrennt, aber auch jetzt scheint es, daß die Schwestern sich die Hand entgegenstrecken. Rauhe Meere bespülen die Tschukotka, rauh ist auch die Erde der Tschukotka. Tschukotka steht aber nicht nur für die Halbinsel, sondern auch für eine Verwaltungseinheit Russlands, deren volle Bezeichnung "Tschuktschischer autonomer Kreis" lautet.

1. Der Tschuktschische autonome Kreis [ top ]

Der "Tschuktschischen autonomen Kreises" besteht offiziell seit dem 10. Dezember 1930. Ursprünglich bildete er einen Teil der Region Chabarowsk, dann des Kamtschatkischen und nachher des Magadanischen Gebietes. 1992 ist der Tschuktschische Kreis aus dem Magadanischen Gebiet ausgeschieden und ein selbständiges Mitglied der Russischen Föderation geworden. Die Fläche der Tschukotka beträgt 737.000 km². Der Kreis umfasst 8 Rajone (Bezirke), 3 Städte, 18 Siedlungen städtischen Charakters und rund 50 Dörfer (1993) und andere kleinere Siedlungen. Das Verwaltungszentrum ist die Stadt Anadyr. Das Vertretungsorgan bildet die Kreisduma, das Exekutivorgan die Kreisverwaltung mit einem Gouverneur an der Spitze. Der Vorsitzende der Duma und der Gouverneur gehören der oberen Kammer der Föderalversammlung der Russischen Föderation an. Jeder der 8 Rajone bildet eine gemeindeähnliche Einrichtung mit dem Rajonssowjet und einem Haupt (Maire) an der Spitze.

Die Wahlen für die Vertretungsorgane der Rajone und für das Amt des Gouverneurs und der Maire erfolgen auf dem Wege direkter Wahl durch alle im autonomen Kreis lebenden Bürger, ohne Rücksichtnahme auf die Zeit ihrer Ansässigkeit (auch nur einen Tag) und auf ethnische Kriterien. Die Zahl der Ureinwohner in der Duma der Tschukotka beträgt weniger als 2%. Alle Ämter und munizipalen Machtorgane sind durch Vertreter nicht eingeborener Völker, die nur zeitweilig im Kreis leben, besetzt. Formen der Selbstverwaltung der Urbevölkerung sind nicht vorgesehen. Die Eingeborenen sind in der Vereinigung der eingeborenen kleinen Völker des Nordens, Sibiriens und des fernen Ostens (RAIPON) organisiert. Diese Vereinigung wurde 1990 durch die föderalen Machtorgane geschaffen. In den letzten Jahren wurde die tschukotskische Abteilung der internationalen Pol-Anrainer-Konferenz der Inuit (ICC) ins Leben gerufen.

2. Zusammensetzung und Verteilung der Bevölkerung [ top ]

Die Bevölkerung der Tschukotka bestand gemäß der Volkszählung von 1993 aus 124.000 Personen, derzeit sind es rund 90.000. Der Bevölkerungsrückgang läßt sich aufgrund der Abwanderung von Nichteingeborenen in zentrale Rajone des Landes erklären. Die nichttschuktschische Bevölkerung besteht aus Russen und Ukrainern. Zu den eingeborenen Völkern der Tschukotka zählen die Tschuktschen (11.000), die Eskimo (1.500), die Ewenen (1.200), die Tschuwaschen (rund 400), die Jukagiren (120), die Korjaken (rund 30) und die Kereken. Die Tschuktschen leben auf dem gesamten Territorium des Kreises, die Eskimo auf dem nordöstlichen Küstenteil, die Ewenen auf dem südlichen und westlichen Teil, die Tschuwanzen und Jukagiren in zentralen Regionen und im Süden, die Korjaken und Kereken im östlichen Teil der Tschukotka. Alle diese Völker haben eine unterschiedliche Herkunft und gehören verschiedenen Sprachgruppen an. Diese eingeborenen Stämme gehören zu den "eingeborenen kleinen Völker des Nordens, Sibiriens und des fernen Ostens der Russischen Föderation". Die Gesamtzahl der zu dieser Gruppe gehörenden Völker beläuft sich auf 30 und deren Bevölkerungszahl auf 150.000.

3. Siedlungs-, Transport und Kommunikationswesen [ top ]

Die Mehrheit der eingeborenen Bevölkerung lebt in Dörfern oder anderen kleinen Siedlungen. Ein Teil der Eingeborenen der kontinentalen Tschukotka kann aber nur formal als Dorfbewohner gelten, da er dort keine Wohnung hat und ständig oder nomadisierend in der Tundra lebt. Die Entfernung der nomadisierenden Tundrabewohner von ihren Dörfern beträgt bis zu 400 km Luftlinie (im Durchschnitt 50 km) und vom Rajonszentrum bis zu 250 km. Es gibt keine das ganze Jahr über begehbaren Wege. Transporte werden im Sommer hauptsächlich in der Luft durchgeführt (Flugzeuge und Hubschrauber), durch Geländefahrzeuge (Traktoren u.ä.) und zu Wasser (begrenzt wegen des kurzen Sommers). Im Winter werden durch den Schnee und über die zugefrorenen Flüsse Winterwege angelegt. Wegen des nur unzureichend ausgebildeten Transportwesens und der extremen Naturverhältnisse ist die Versorgung in der Tschukotka schwierig. Auch das radiotelefonische Verbindungswesen ist kaum entwickelt. Die Verbindung zwischen den Nomaden und den Dörfern wurde in den vergangenen Jahren mit Hilfe tragbarer Radiostationen hergestellt, heute ist sie in hohem Maße gefährdet, weil Radiostationen aufgelassen werden, Ersatzteile für die Speisung fehlen und jene Strukturen aufgelöst werden, welche die Radioverbindung verwirklicht haben.

4. Wirtschaftsformen: Rentierzucht [ top ]

Als grundlegende Formen des Wirtschaftstreibens der eingeborenen Bevölkerung gelten die Rentierzucht, der Fischfang, die Jagd auf dem Festland und im Meer. Als vorteilhafteste und zuverlässigste Einnahmequelle erweist sich die Rentierzucht in großen Herden. Diese stellt eine einzigartige Wirtschaftsform dar, die nur bei Wahrung der traditionellen Lebensformen aufrechterhalten werden kann. Die Rentierzüchter leben den größten Teil des Jahres als Nomaden: sie ziehen auf der Suche nach neuen Weidegründen von Ort zu Ort. Sie unterbrechen ihr Wanderleben, wenn es Jahreszeit, Qualität der Weide oder andere Umstände erfordern. Im Laufe des Jahres trennen sich die Herden einige Male und vereinigen sich dann wieder. In dieser Zeit trennen sich auch die Menschen und jede Gruppe bewegt sich auf einer eigenen Marschroute. Früher haben sich im Sommer die Frauen, alte Menschen und die Kleinkinder von den mit der Herde ziehenden Hirtengruppen getrennt und an einem malerischen Ort ein Sommerlager aufgebaut. In der Regel suchte man einen Standplatz in der Nähe eines fischreichen Flusses sowie von Gesträuchen oder Wald (für das Lagerfeuer).

Frauen und Kinder bearbeiteten Felle, nähten Kleider, besorgten Vorräte von Wurzelgemüse, dörrten Fische, die alten Männer verfertigten Rentierschlitten und Pferdegeschirr. Auf diese Weise bereitete man sich auf den Winter vor. In der Zwischenzeit folgten die Männer und Halbwüchsigen ohne Gepäck der Herde, weideten sie mit besonderen, von den Vorfahren übernommenen Methoden im Bemühen, die Rentiere fett zu machen. Dazu bedarf es geographischer Karten und Kenntnisse der volkstümlichen Pflanzenkunde, der Zuchtwahl und Verhaltensforschung. Da das Rentier ein halbwildes, furchtsames und sehr schnelles Tier ist, gestaltet sich die Weidung für die Hirten oft beschwerlich. Viele Kilometer müssen durchlaufen werden, kleine Vulkane, Sümpfe, Bäche und Schneewehen sind zu überwinden. Im Winter helfen Rentiergespanne und Skier. Im Sommer ist es mühevoller, da Mücken, Bremsen -die Geißel der Rentiere- und bald darauf Pilze -ein Leckerbissen für die Rentiere- eine große Gefahr für die Tiere darstellen. Eine weitere Bedrohung stellen die wilden Rentiere dar: sie sind größer und stärker; bei ihrem Anblick erinnern sich die Rentiere an ihre nicht ferne Vergangenheit und stürmen mit diesen davon. Man kann sie dann kaum aufzuhalten, der Hirte kann für einige Zeit ohne Herde bleiben. Abhilfe schaffen kann nur die Kenntnis der Rentiergewohnheiten und rund um die Herde ausgesandte Spähertrupps. Gutes Sehvermögen und scharfes Gehör sind für den Hirten untentbehrlich. Zahlreiche Raubtiere (Bären, Wölfe und Vielfraße) lauern auf ihren Marschrouten.

Früher haben sich die Hirten niemals den wilden Tieren entgegengestellt, sondern sie überzeugt, sich zu entfernen, im äußersten Fall warfen sie die Schlinge auf sie, kitzelten sie – und das half! Damals war es unzulässig, für die Weide Hunde zu benützen. Im Herbst vereinigt sich die geteilte Gruppe der Rentierzüchter wieder und zieht auf den herbstlich-winterlichen Marschrouten weiter, wo im August-September das Rentiertreiben vor sich geht. Im Frühling erfolgt das Kalben der Rentiere und vor dieser wichtigen Periode begegnen sich Züchter aus verschiedenen Gruppen, helfen einander bei der Absonderung der Muttertiere und veranstalten Feste aus Freude über die Geburt der ersten Kälber. Das ist die freudigste und lichteste Zeit im Jahr. Es werden Jagden auf Rentiere veranstaltet, Wettrennen, Sprünge, Ringkämpfe.

Die Haltung von Rentieren gewährleistete dem Menschen Nahrung, Kleidung, Schuhwerk und Wohnung; vom Rentier hing für die materielle und geistige Kultur der eingeborenen Rentierzüchter vieles, wenn nicht alles, ab. Nicht weniger eigenartig war auch das Seetierfanggewerbe. Auf der gesamten Küste der Beringsee und dem östlichen Teil der Küste des Tschukotskischen Meeres wurde Jagd auf Walfische, Walrosse, Seehunde und Robben gemacht. Früher wurde mit aus Walrossstoßzähnen hergestellten Harpunen gejagt. Harpunen mit drehbaren Enden waren vollkommene Vorrichtungen und erwiesen sich für ihre Zeit als ein Muster von Konstruktionstalent. Die Jagd wurde zu verschiedenen Jahreszeiten durchgeführt – im Sommer mit Hilfe des Paddelbootes, im Winter auf dem Eise. Die Erzeugnisse der Jagd befriedigten alle Bedürfnisse der Küstenbewohner. Die Meeresjäger feiern viele eigene Feste, das bedeutendste davon ist das Walfischfest. In der sowjetischen und nachsowjetischen Zeit hat sich das Leben der Seetierfänger aber tiefgreifend gewandelt.

5. Geographie, Klima, Fauna und Flora [ top ]

Den größten Teil der Tschukotka nehmen Bergketten, Hochländer und Hochebenen ein. Die Niederungen bestehen aus sumpfiger (Wald-)Tundra. Der südliche und westliche Teil des Kreises wird durch den bekannten Fluss Kolyma begrenzt. Der größte Fluss der Tschukotka, der Anadyr, besitzt eine Vielzahl von Seen. Als bedeutendes Naturdenkmal gilt der mehr als 160 Meter tiefe See Elgygytgyn. Er soll sich aufgrund eines Meteoriteneinschlages gebildet haben. Es gibt auch einige erloschene Vulkane. Der Winter dauert acht Monate. Das Klima ist rauh: an der Küste herrscht Meeresklima mit starken Winden, die oft in Schneestürme übergehen, im Festlandteil hingegen scharf kontinentales Klima. Im Winter erreicht die Lufttemperatur im Bilibinsk-Rajon -60 Grad Celsius, die Jahresdurchschnittstemperatur liegt bei 12 Grad. Der Nordteil des Gebietes befindet sich jenseits des Polarkreises, fast überall trifft man auf Dauerfrostboden. Das Wachstum ist dürftig: in der Tundra findet man Moose, Flechten, Riedgras, Gesträuche und Zwergbäume, in den Flusstälern und in den südlichen Teilen der Tschukotka wachsen Laubbäume, Birken und Pappeln.

Die Tierwelt paßte sich der rauhen Natur an. In der Tschukotka leben überwiegend Nordrentiere, Elen, Schneeberghammel, Schnee-und Braunbären, Polarwölfe, Vielfraße, Füchse, Zobel, Adler, Polarhühner, Auerhähne und im Sommer Kraniche, Gänse und Enten. In den Gewässern tummeln sich Walrosse, Seehunde, Robben, Walfische, Äschen, der sibirische Lachs, der Omul und andere lachs-, schnäpel- und karpfenartige Fische. Die Tschukotka grenzt an Alaska und gehört paläographisch zur Beringzone. Der größte Teil dieser Zone befindet sich unter Wasser, während sie früher als Brücke Asien und Amerika verband. In der Tschukotka finden sich auch einige Naturschutzparke. In den letzen Jahren wurde die Frage der Schaffung eines internationalen Beringparks erörtert, eine Entscheidung steht wegen der vielen strittigen Momente zwischen Russland und den USA noch aus.

6. Erste Besiedelung [ top ]

Wann sich die ersten Menschen in der Tschukotka niederließen, ist nicht bekannt, doch wird aufgrund archäologischer Funde angenommen, dass die ersten Bewohner vom amerikanischen Kontinent aus über die noch bestehende Beringbrücke in diesen Gegenden eingewandert sind. Die Tschukotka ist daher auch mit Alaska verwandt, nicht nur hinsichtlich der geographischen Beschaffenheit, sondern auch hinsichtlich der Menschen. Dies wird durch eine Reihe von Gemeinsamkeiten der amerikanischen Eingeborenen und einiger eingeborener Völker der Tschukotka bestättigt. Die Besiedlung erfolgte unter rauhen Klimabedingungen. In Ostsibirien herrschte zu dieser Zeit die letzte sogenannte "sartanische Eiszeit".

Das Leben spielte sich vorwiegend in der Tundrazone vor den Gletschern und in den Tälern zwischen den Gletschern ab. Hier wohnten damals Manmmutherden, wollige Nashörner und Auerochsen, deren Überreste heute noch von den Bewohnern der Tschukotka gefunden werden. Die Hauptbeschäftigung der eingeborenen Stämme bestand aus Jagd, Fischfang und Sammeln. Allmählich begann ein Teil der Völker (besonders die kontinentalen Tschuktschen) als Hirten Rentierzucht zu betreiben, andere (Eskimos und Küstentschuktschen) versuchten sich im Seewildtierfang. Die neuen Wirtschaftsformen schufen die Bedingungen für den Übergang von der Stammesgemeinschaft zur patriarchalischen Familie und zum Auftreten der vermögensmäßigen Ungleichheit.

7. Die russische Kolonisation [ top ]

Im 17. Jahrhundert kamen russische Erdumwanderer in die Tschukotka und Kolyma und machten der Steinzeit und der Abgeschiedenheit der eingeborenen Stämme eine Ende. Die Entfernung vom Ural zu den Küsten des Stillen Ozeans überwanden die Russen in nur 60 Jahren! Der Drang, neues Land zu besetzen, hatte viele Beweggründe, man wollte v.a. einen großen Staat mit Zugang zu den Meeren schaffen. Alle neuen Ländereien wurden Russland eingegliedert. Dieser schmerzliche Prozess verlangte den Völkern einen hohen Blutzoll ab. Die Zarenmacht wollte jedoch die Eingeborenen nicht vernichten oder vertreiben, sondern "lediglich" unterwerfen. Zu diesem Zweck wurde der Jasak – eine besondere Art von Tribut – eingeführt, der in Russland von jeher einen zweifachen Zweck erfüllte. Zunächst diente er gewiß als Einnahmequelle für den Zarenfiskus, dann aber auch als sachliche Bestätigung für die Freiwilligkeit der Untertänigkeit.

Im weiteren eigneten sich die Russen auch Alaskas an. Erst 1867 verkaufte Russland unter Zar Alexander II. die Schwester der Tschukotka an die Vereinigten Staaten von Amerika. Damit war das Schicksal dieser Zwillinge endgültig entschieden. Die eine fiel in die Hände eines "zivilisierten", berechnenden Pragmatikers und erhielt von ihm entsprechende Zeichen in Gestalt eines schönen Gürtels von Erdölleitungen sowie von starren Korporationen Eingeborener und die Zwangsbeglückung mit der westlichen Kultur (AIDS), während die andere in die Hände eines aufrührerischen Wahnwitzigen fiel und sich von ihm die Kolchosen-Misswirtschaft und die Trunksucht aneignete.

Die Tschuktschen, die Eingeborenen der Tschukotka, sind dafür berühmt, dass sie sich als einziges unter den nordischen Völkern Russlands nicht der zaristischen Jasak-Politik unterworfen haben. Der erfolgreiche bewaffnete Widerstand und Überfälle auf Siedlungen der russischen Kosaken zwangen den Zaren, auf die Gewaltpolitik zu verzichten. John Mur, der im vergangenen Jahrhundert eine Reise durch die Tschukotka gemacht hat, schrieb folgendes: "Die Tschuktschen sind ganz und gar nicht Wilde, sondern ausgeglichene und fleißige Arbeiter, die an ihre Zukunft denken und in der Lage sind, sie vorauszusehen, sowie durch ihre Arbeitsliebe und ihren Verstand unter beliebigen Bedingungen zu überleben, auch wenn Krankheiten, Hunger und andere Nöte über sie und über die Rentierherden hereinbrechen. Sie machen den Eindruck gutmütiger, gesprächiger, fröhlicher, leidenschaftlicher und, soviel ich bemerkte, gerechter Menschen in den Beziehungen zu anderen, unabhängig von deren Zugehörigkeit zu einem wilden oder zivilisierten Volk".

8. Religiöse Vorstellungen [ top ]

Ein Grundzug der zaristischen Politik gegenüber den eingeborenen Stämmen bestand in einer toleranten Haltung gegenüber ihrem materiellen und geistigen Leben. Als eine Besonderheit des geistigen Lebens erwiesen sich die religiösen Vorstellungen des Animismus und Schamanismus. Die Tschuktschen glauben, daß der Schöpfer den Menschen neben vielen anderen lebendigen Wesen erschaffen hat. Die in Würde verstorbenen Menschen (im Kampfe, während der Jagd etc.) gingen in die himmlische Sphäre ein, die in Unwürde Verstorbenen (durch eine Krankheit etc.) hingegen in unterirdische Sphären. Auf diese Weise bevölkert eine Menge von Geistern die Welt, die den Menschen helfen oder ihnen schaden. Man muss sehr vorsichtig sein und die Ausrichtung ihres Verhaltens gut kennen, um in der verwickelten und unbekannten Welt, wo sich in jedem Zeltpflock und unter jedem Erdhaufen ein unsichtbarer "Hausherr" verstecken kann, zu überleben. Im Alltag mussten die Menschen mit ihrer Erfahrung und der Kenntnis der Überlebensregeln auskommen. Außerdem schützen Handgriffe, "Gebete" und persönliche Amulette. Denoch ereigneten sich gelegentlich außergewöhnliche Fälle, z.B. ein böser starker Geist entführte die Seele eines Menschen: in diesem Fall war die Hilfe eines Heilers notwendig, der die Gabe besaß, sich in die Welt der Geister zu versenken und dort Handlungen zur Rettung der entführten Seelen auszuführen. Ein solcher Mensch war der Schamane. Für die Schamanen war diese Rolle kein Beruf, sondern eine Berufung oder auch eine Krankheit.

9. Unterdrückung und Ausbeutung des tschuktschischen Volkes [ top ]

Radikale Veränderungen im Leben der Eingeborenen des Nordens Russlands im allgemeinen und der Tschukotka im besonderen erfolgten nach der Revolution und der Machtübernahme der Sowjets. Den eigenen ideologischen Vorstellungen gehorchend setzte man gegen die eingeborenen Völker des Nordens radikale Maßnahmen. Das Ziel derselben bestand in der Überführung der Völker des Nordens vom Urzustand auf die Stufe des Sozialismus ohne die Zwischenstufe von Feudalismus und Kapitalismus. Man meinte, dass die diesen Völkern eigenen Gemeinschaftselemente es erlauben würden, den "Sprung" erfolgreich zu bestehen. Der Sprung war am Anfang auch erfolgreich und zeigte sowohl äußere als auch innere Wirkung. Die Tschuktschen lernten das Lesen und Schreiben, erhielten medizinische Betreuung und organisatorische Unterstützung. Bald aber begann der innere Verfall, da der Maßstab, die Radikalität und die Schnelligkeit der Maßnahmen und die Art ihrer Anwendung mit den Möglichkeiten der Eingeborenen nicht in Einklang stand. Rentierherden und Arbeitswerkzeuge wurden kollektiviert, der Glaube und die Gebräuche verboten, die Kinder von den Eltern und der natürlichen Umwelt isoliert und in Kindergärten und Internaten untergebracht. Damit haben die Sowjets in das Nomadenleben der Tschuktschen tiefgreifend eingegriffen. Dabei haben viele Organisatoren und Durchführende dieser "Reformen" aufrichtig geglaubt, dass sie Wilde retten, sie aus einer schmutzigen Grube herausholen, um sie auf die Ebene ihrer "hohen Kultur" zu heben.

In dieser Zeit wurden die Grenzen der Siedlungen und die Marschrouten der Wanderungen geändert, die Familiengemeinschaften in Produktionskollektive und Haushalte umgewandelt. Die Folge war eine schwere Krise. Die eingeborenen Gemeinschaften und die Formen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit brachen jedoch nicht zusammen. In der Zeit der sowjetischen Herrschaft wurde die gesamte Lebenszeit der Eingeborenen von der Geburt bis zum Tod verplant. Die Kontrolle übten russische Arbeiter aus der Partei, aus Komsomolzen, Gewerkschafen und aus dem Wirtschaftsbereich aus, die in den Dörfern den größten Teil der Bevölkerung bildeten (manchmal machten die Eingeborenen weniger als 10% aus). Die zugewanderten Arbeiter sicherten die Organisation der gesamten Lebenstätigkeit der Eingeborenen. In den Vor- und Nachkriegsjahren eigneten sich die Sowjets auch die Ressourcen des Gebietes an. Man startete geologische Untersuchungen, Gruben wurden ausgehoben, Gold, Wolfram, Zinn und Uran abgebaut. Bis Anfang der 50er-Jahre führten den größten Teil dieser Arbeiten die Internierten der Gulags aus. Danach begann der Bau von einer Vielzahl von Industriesiedlungen und die Umsiedlung der Bevölkerung der zentralen Rajons der UdSSR in dieses Gebiet.

Mit der industriellen Erschließung ging die skrupellose, rein auf Profitgier bedachte Aneignung fremden Bodens und die Vernachlässigung der Fragen des Rechtes der Eingeborenen auf die Erde, der Wichtigkeit der Erde in der traditionellen Naturnutzung Hand in Hand. In kurzer Zeit wurden große Territorien von Rentierweiden, Jagd- und Fischereigründen zerstört. Außerdem vernichteten die Vertreter der "hohen Kultur" mit allen Mitteln alles Leben. Mit Hilfe von Hubschraubern und Geländefahrzeugen machte man Jagd auf Elen, Bären, Hammel und Rentiere. Mit Metallnetzen wurden Flüsse abgezäunt und durch den Einsatz von Dynamit der Fischbestand verringert. Man brachte den Eingeborenen in der Tundra Schnaps und alkoholische Getränke. Dies erwies sich als fürchterliches Übel für die Eingeborenen. Die Eingeborenen haben sich im Laufe vieler Jahrhunderte an die narkotische Wirkung von Pilzen angepasst und eine eigenartige Kultur im Gebrauch dieses Naturproduktes entwickelt, die Alkoholisierung hat diese jedoch zerstört. In den Dörfern kam es zu Vergewaltigungen. Diese Periode könnte man als die Zeit des Triumphes der Scheinheiligkeit bezeichnen, ausgedrückt in der Formel: "Eines sagen, ein anderes tun und ein drittes denken". Die tiefe innere Krise äußerte sich auch in der hohen Anfälligkeit für Erkrankungen und in der hohen Sterblichkeitsrate.

Schon in jenen Jahren erkannten sowohl die Gelehrten als auch die Einwohner, dass die physische und psychische Degradierung der Eingeborenen vonstatten geht, doch wurde darüber nicht geredet. Forschungsergebnisse über den Zustand der Eingeborenen wurden geheimgehalten. Unter den Einwohnern entstanden Anekdoten über die Tschuktschen als klassisches Muster von Stumpfsinn. (Es kam soweit, dass die Anekdoten veröffentlicht wurden und 1998 erklärt sogar das große russische Wörterbuch das Wort "Tschuktscha" nicht nur als Nationalität, sondern auch als "naiven, beschränkten Menschen"!). So haben sich dank der väterlichen Sorge "des guten russischen Menschen" die Tschuktschen auch in der Vorstellung der gelehrten Linguisten von einem freiheitsliebenden Stamm allmählich in eine Herde unsauberer, unzüchtiger und trunksüchtiger Unmenschen verwandelt. Es ist schwer zu sagen, wen die den Ureinwohnern aufgezwungenen Veränderungen und groben Anekdoten, die davon erzählen, mehr entehren: uns, die Tschuktschen, oder Russland.

10. Die Entwicklung in den letzten 10 Jahren [ top ]

Das gesamte Ausmaß der Krise der Völker des Nordens enthüllte sich erst nach dem Ende der Sowjetperiode. Glasnost und demokratische Reformen wandelten die Sowjetunion. Dies bedeutete für die Völker des Nordens den Übergang von einem Extrem ins andere. Die Periode der Reglementierungspolitik wurde durch eine Periode des gänzlichen Fehlens von Politik abgelöst. Man stahl sich damit aus der Verantwortung für die Fehler und Verbrechen aus der Vergangenheit und verzichtete auf wirksame Hilfsmaßnahmen für die Völker des Nordens. Stattdessen werden für die Völker des Nordens "als ob"-aktive (eine Wortverbindung, die sehr genau die täuschende Wirksamkeit in den verschiedenen Lebensbereichen Russlands charakterisiert) und "als ob"-zeitgemäße Maßnahmen getroffen. Im SMI wird oft und eingehend, fast mit Genuss über die unglücklichen Eingeborenen erzählt. Es werden Konferenzen, Kongresse veranstaltet, auf denen abstrakte Ideen der "Reintegrierung, Partnerschaft" und ähnliches erörtert werden. Zahlreiche Fonds werden geschaffen, Bücher herausgegeben, Vorstellungen, Galakonzerte und Abschiedsparties veranstaltet. Die (nicht eingeborene) Leader verschiedener Regionen verlangen zum Schutz der Interessen der Eingeborenen für ihre Region oder Verwaltung verschiedene Wohltaten und ergänzende Vollmachten und ähnliches. Das heißt, dass das Unglück des halblebendigen oder halbtoten Volkes als Vorwand und Bedingung mißbraucht wird für die Fortsetzung der "Sorge" und des Gedeihens derjenigen, die oft auch Urheber der Krise sind.

Einer breiten Öffentlichkeit wurde bekannt, dass in einigen Regionen die durchschnittliche Lebenserwartung der Eingeborenen 37 Jahre betrug. Die Zahl der Selbstmorde stieg beträchtlich. In einigen Rajonen wüteten wie in den vergangenen Jahrhunderten Epidemien (Tuberkulose, Echinokokkose und anderer parasitärer Erkrankungen). Trotz der besorgniserregenden Zahlen im Gesundheitsbereich und trotz des heuchlerischen Gestöhnes baut die Regierung die medizinische Hilfe in den Wohnorten der Völker des Nordens ab. Im Zusammenhang mit der marktwirtschaftlichen Umgestaltung des Landes wurden die Sowchosen aufgelöst, in Teile zerlegt und für alle Arbeiter (einschließlich der zugewanderten) privatisiert. Die Eingeborenen erhielten ihr Vermögen nicht in vollem Ausmaß und konnten das Empfangene nicht nutzen und bewahren. Die Rentiere, die Jagdgründe und andere Werte gingen in die Hände anderer über. Die staatlichen Programme zur Unterstützung der eingeborenen Völker bieten Schlupflöcher für viele Entstellungen und Missbräuche.

Die Gelehrten, die öffentlich Wirkenden, die Leader der Völker des Nordens, welche bestrebt sind, die Interessen der Völker des Nordens zu verteidigen, halten es für notwendig, möglichst rasch Gesetze über den besonderen rechtlichen Status der Eingeborenen, über die Gewährung ihrer Rechte auf die Erde, die Ressourcen, die Selbstverwaltung zu erlassen. Russland müsse die Politik des Paternalismus aufgeben und zu partnerschaftlichen Beziehungen übergehen. Offensichtlich gehen die Verteidiger der eingeborenen Völker von Grundsätzen des Völkerrechtes, der Erfahrung ausländischer Staaten sowie von humanitären und romantischen Idealen aus. Dabei wird aber nicht genügend bedacht, dass der russische staatliche Paternalismus gegenüber den nördlichen Eingeborenen als solcher nur angenommen wird aus Unwissen oder zum Zwecke der Fälschung der Wirklichkeit. Bis heute hat man nicht verstanden, dass der sowjetische Pseudopaternalismus die Eingeborenen des russischen Nordens in einen Zustand versetzt hat, der wenig gemein hat mit dem Zustand der Eingeborenen der westlichen vorarktischen Länder.

Die Schmälerung ihrer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte hat sich nicht als Hauptfolge des sowjetischen Pseudopaternalismus erwiesen, sondern des unglücklichen Zusammenspiels innerer ethnischer Faktoren, ohne deren Überwindung jede Maßnahme ohne Ergebnis bleibt. Die Eingeborenen der Tschukotka wurden nicht der offenenen und absichtlichen Vernichtung unterworfen, im Gegenteil, man hat sich um sie gekümmert, jedoch mit Zwangsmethoden und so intensiv und unwissend, dass man unwillkürlich ausrufen möchte: Besser das offene Böse als eine solch täuschende Vorspiegelung des Guten!

11. Ausblicke auf die Kunst der Tschuktschen [ top ]

Trotz allem sind in den Seelen der noch in der Tschukotka lebenden Eingeborenen kleine Inseln ethnischer Erinnerung übriggeblieben, die sich ab und zu im Verhalten, in der Weltanschauung, in Splittern von Gebräuchen, Traditionen oder in künstlerischer Werken offenbaren. Hier muss aber zwischen Erzeugnissen echter Kultur und von oben, vornehmlich für die Demonstration des "Triumphes der Kultur und Kunst aller Nationen in der brüderlichen Familie der sowjetischen Völker" organisierter Formen unterschieden werden. Man muß anerkennen, dass sich einige Beispiele dieser künstlerischen Formen durch Klarheit und Wirksamkeit auszeichnen, jedoch handelt es sich dabei nur um kunstfertige Ausführungen dessen, was unter der Aufsicht russischer Professioneller ausgedacht und als Fließbandarbeit ausgeliefert wurde. Es handelt sich aber nicht um Widerhalle und Widerscheine der Volksseele, sondern vielmehr um Entstellungen.

Die Begegnung mit urwüchsigen Künstlern aus der Tundra und Taiga, die bestrebt sind, ihre Weltgefühl durch Materialien und Instrumente mitzuteilen, erfüllt daher mit Freude. Einer dieser Künstler schafft in der Tundra, indem er sich beim Lagerfeuer neben der Herde einrichtet, ein anderer bei Kerzenlicht in einem Jagdhäuschen oder in einer geräumigen, rauchigen Jaranga an der Küste. Bei einer genaueren Betrachtung der von den Händen dieser Meisterinnen und Meister geschaffenen Gegenstände gerät man unwillkürlich ins Nachdenken über die Quellen der Schöpfung und des Gegenstandes. Denn diese Menschen, besonders die jungen, stützen sich bei ihrer schöpferischen Tätigkeit nicht auf handwerkliche Kenntnisse, sondern auf ein vererbtes Gefühl für das Schöne und Wichtige.

Diese Arbeiten könnten als Untersuchungsgegenstände nicht nur Kunstkennern, sondern auch Anthropologen, Ethnopsychologen und Philosophen dienen. Die dem Betrachter vorgestellten Arbeiten wurden durch Eingeborene der Tschukotka (hauptsächlich aus dem Bilinskischen Rajon) ausgeführt. Die Muster und Details traditioneller Kleidung, des mit Perlen verzierten Schuhwerks, sind von Tundrabewohnern nicht für die Ausstellung, sondern für den alltäglichen Gebrauch zusammengenäht worden. Die Modelle der Fellzelte, der Rentierschlitten, der Puppen in Nationaltracht sind auch in der Tundra durch das traditionelle Kunsthandwerk hergestellt worden.

Die Bilder und Bildhauerarbeiten sind von Eingeborenen ausgeführt, die in der Tundra als Rentierzüchter, Hirten und Jäger gearbeitet haben oder arbeiten und dieses Handwerk nicht gelernt haben. Sie vermeiden, irgendwelche Hilfsmittel und Bücher über das künstlerische Schaffen kennenzulernen, aus Angst, in Abhängigkeit zu fallen bloße Nachahmer zu werden. Sie ziehen es vor, Muster und Ausdrucksmittel in der Tundra zu suchen, zumal sie nicht auf einer unbewohnten Insel aufgewachsen sind, und die importierte Kultur sich auch auf die Thematik und den Stil ihrer Arbeit ausgewirkt hat. Jeder dieser Meister hat seine klare Weltsicht. Diese besondere Welt zu verstehen helfen die in der Tschukotka gemachten Fotographien.

TEXT: Larissa Vyntyna. ÜBERSETZUNG AUS DEM RUSSISCHEN: Dr. Alfons Benedikter. REDAKTIONELLE BEARBEITUNG: Mag. Wolfgang Strobl.

Übersicht über die kleinen Völker des hohen Nordens und Fernen Ostens Rußlands [ top ]

Bezeichnung Bevölkerung laut Volkszählungen Benutzer der Muttersprache in %
- 1926 1959 1989 1959 1979
Finnische Volksgruppen
Samen, Lappen 1.720 1.792 1.890 70 53
Finnen - - 77.000 - -
Karelier - 167.000 138.000 71 56
Komi Syrijäner - 287.000 344.500 - -
Ugrische Volksgruppen
Chanten, Ostijaken 17.334 19.410 22.521 77 68
Mansen, Wogulen 6.095 6.449 8.461 59 50
Samojedische (nienzische) Volksgruppen
Nenzen, Jurak-Samojeden 16.217 23.007 34.665 85 80
Selkupen, Ostjak-Samojeden 1.630 3.768 3.621 51 57
Enzen, Jenisej-Samojeden 482 350 209 - -
Nganasanen, Tawgi-Samojeden 867 748 1.278 - -
Tungusische Volksgruppen
Evenken, Tungusen 18.805 24.710 30.163 56 43
Evenen, Lamuten 2.044 8.121 17.199 81 57
Negidalzen 683 350 622 - 44
Nanaien, Golden, Chotso 5.860 8.026 12.023 - -
Orotschen 647 782 915 - -
Ultschen 723 2.055 3.233 68 41
Oroken 162 450 190 - -
Udegen 1.357 1.444 2.011 74 31
Turkische Volksgruppen
Jakuten - 230.000 382.000 98 95
Dolgaden 656 3.934 6.932 94 90
Kargassen, Tofalaren 415 731 - - -
Paläo-asiatische Volksgruppen
Tschuktschen 2.332 11.727 15.184 94 78
Koriaken 7.439 6.287 9.242 91 69
Italmenen 859 1.109 2.481 36 24
Jakgiren 443 442 1.142 53 38
Tschuwanen 705 - 1.511 - -
Nivchen, Giljaken 4.076 3.717 4.673 76 31
Keten, Jenisej-Ostiaken 1.428 1.019 1.113 76 31
Ainu 32 - - - -
Eskimoisch-aleutische Volksgruppen
Inuit, Eskimo 1.293 1.118 1.719 84 61
Aleuten 3.534 421 702 22 18

* Bei der Volkszählung 1979

Anmerkung: 26 dieser Völker gehören der "Vereinigung der kleinen Völker des Nordens" an und werden im offiziellen Verzeichnis der russischen Regierung, genannt "zahlenmäßig kleine Völker des Nordens" aufgeführt: Dolganen, Nganasanen, Nenzen, Samen, Chanten, Tschuktschen, Ewenken, Ewenen, Enzen, Inuit, Jukagiren, Korjaken, Keten, Mansen, Selkupen, Tschuwanen, Aleuten, Itelmenen, Nanaier, Negidalzen, Nivchen, Oroken, Orotschen, Udegen, Ultschen, Tofalaren (Karagassen).

Die Gesamtzahl der Angehörigen dieser Völker beträgt laut Volkszählung von 1989 183.700. Die Gesamtzahl der hier aufgeführten indigenen Völker 1.048.200. Ihr Siedlungsgebiet umfaßt rund 10 Millionen km2, was rund 60% des Territorium der Russischen Föderation entspricht.

Zu den südsibirischen Völkern werden die Kumanden, die Teleuten und die Schorzen gezählt. 1993 wurde das Verzeichnis der kleinen Völker des Nordens durch Verordnung des Obersten Sowjets Rußlands um diese Völker ergänzt. Folgende Völker oder ethnische Gruppen scheinen in der Volkszählung wegen der geringen Zahl ihrer Angehörigen oder wegen völligen Verschwindens nicht mehr auf: die Aliutorzen, die Kereken, die Tasi, die Woten, die Kamtschadalen, die Tschulmymzen. Die Aliutorzen wurden in der Zahl der Korjaken eingeschlossen, die Kereken bei den Korjaken, die Tasi bei den Udegen, die Tschulmymzen bei den Tataren und Chakassen. Die Kamtschadalen wurden nicht mehr getrennt aufgeführt, wohl weil sie Russisch sprechen. Die Wepsen sind ein Volk, das offiziell nicht zu den Ureinwohnervölkern des Nordens gezählt wird.

Quelle: Sowjetisches Enzyklopädisches Wörterbuch (Ausgabe Sowjetenzyklopädie Moskau 1987) und Materialien der Unionsvolkszählung 1989 (Sammelwerk "Nationaler Bestand der Bevölkerung der Sowjetunion", Republikanisches Informationsverlagszentrum, Moskau 1990); sowie Winfried Dallmann.

Literaturauswahl [ top ]

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GfbV-Sudtirol, "Indianer Russlands", von Jeremej D. Ajpin, Bozen, 1996 (vergriffen). Weitere Beiträge erscheinen laufend in: POGROM, Zeitschrift für bedrohte Völker, herausgeg. von der Gesellschaft für bedrohte Völker Deutschland, Postfach 2024, 37010 Göttingen.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/siberia/sibirien-yb.html | www.gfbv.it/3dossier/siberia/sibirien-tr.html | www.gfbv.it/3dossier/siberia/sakhal-de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060322de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050808de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050120de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040601de.html

* www: www.pacificenvironment.org | www.globalresponse.org | www.npolar.no/ansipra/english/index.html | www.ilo.org/ilolex/english/newratframeE.htm | www.infoe.de | www.raipon.org/english/ | www.indigenous.ru

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