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Schweizer Waffenexporte

Die Rüstungsindustrie atmet auf

Hanno Schedler

Bozen, Göttingen, 1. August 2014

Die Schweiz hat Besseres zu exportieren als Waffen. Foto: Gruppe für eine Schweiz ohne Armee. Die Schweiz hat Besseres zu exportieren als Waffen. Foto: Gruppe für eine Schweiz ohne Armee.

Am 6. März 2014 entschied das Schweizer Parlament mit einer Stimme Mehrheit, die für die Rüstungsexporte zuständige Kriegsmaterialverordnung (KMV) zu ändern. Hieß es vorher noch, dass Waffen nicht in Länder geliefert werden dürften, wenn "... das Bestimmungsland Menschenrechte schwerwiegend und systematisch verletzt ...", können jetzt auch in Länder Waffen geliefert werden, in denen zwar Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt werden - doch nur, wenn kein Risiko besteht, dass Menschenrechtsverletzungen mit exportierten Schweizer Waffen passieren. Das bedeutet, dass nun auch wieder Rüstungsgüter in Staaten wie Saudi-Arabien, wo Frauen diskriminiert und Lohnarbeiter ausgebeutet werden, ausgeführt werden können.

In den vergangenen Jahren hatte sich die Schweizer Rüstungsindustrie über die "momentan schwierige (...) wirtschaftliche (...) Situation" beklagt: Aufgrund der im Vergleich zu den europäischen Konkurrenten restriktiven Exportregeln seien die Waffenexporte eingebrochen. Um konkurrenzfähiger zu sein, wurden schließlich die Gesetze für Rüstungsexporte gelockert. Zehntausend Arbeitsplätze sind direkt oder indirekt [von der Entscheidung über die Änderung der Kriegsmaterialverordnung, d. A.] betroffen", sagte Raymond Clottu, Abgeordneter der rechtskonservativen Schweizer Volkspartei. Nichtregierungsorganisationen wie die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) kritisierten den neuen Beschluss als "skandalös". Die entwicklungspolitische Arbeitsgemeinschaft Alliance Sud bezeichnete die Rüstungsindustrie als "völlig unbedeutenden Industriezweig" und wies darauf hin, dass Waffenexporte im Jahr 2012 "gerademal 0,33 Prozent der gesamten Schweizer Exporte" ausgemacht hätten. "Statt einen nachhaltigen Beitrag zur Lösung weltweiter Krisen zu leisten, will man sich ein möglichst fettes Stück vom letzten großen Wachstumsmarkt für Kriegsmaterial in Saudi-Arabien sichern", hieß es in einer Pressemitteilung von Alliance Sud. Amnesty International zeigte sich ebenso schockiert und monierte, dass die Schweiz wirtschaftliche Interessen höher bewerten würde als Menschenrechte.

Erst 2009 hatte eine Bürgerinitiative ein Verbot von Rüstungsexporten gefordert. Um die Aussichten auf eine Annahme der Initiative zu verringern, verschärfte der Bundesrat damals das Kriegsmaterialgesetz um den Passus, dass Waffen nicht in Ländern geliefert werden dürften, in denen Menschenrechte "systematisch und schwerwiegend" verletzt werden. Das vollständige Verbot von Rüstungsexporten wurde in einer Volksabstimmung jedoch abgelehnt. Sogenannte DualUse-Güter indes, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, fallen nicht unter das Kriegsmaterialgesetz, sondern unter das laxere Güterkontrollgesetz. Ihr Export kann nur dann abgelehnt werden, wenn das Empfängerland mit einem internationalen Embargo belegt ist.

Die Wege in der Schweiz zwischen Politik und Rüstung sind kurz: In der Lobbyisten-Vereinigung Arbeitskreis Sicherheit und Wehrtechnik (Asuw) sitzen neben Vertretern der Rüstungsindustrie und Militärs auch Politiker: Die Schweizer Sonntagszeitung fand heraus, dass beinahe jeder sechste Parlamentarier des National- und Ständerates Mitglied dieses Gremiums ist.

Export außer Kontrolle

Politiker und Rüstungslobbyisten verweisen gerne darauf, dass die Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr strenge Auflagen für Rüstungsexporte habe. Aber auch in der Schweiz kann nicht sichergestellt werden, wo die exportierten Waffen eines Tages auftauchen: 2011 strahlte das Schweizer Fernsehen einen Bericht aus, wie Munition aus Schweizer Produktion in den Händen libyscher Rebellen gelangt war, die gegen Diktator Gaddhafi kämpften. Die Munition war ursprünglich nach Katar geliefert worden, nachdem das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) 2009 die Lieferung von Munition der Firma Ruag in das Land am Persischen Golf bewilligt hatte. Katar sicherte der Schweiz zu, dass Kriegsmaterial nicht an Dritte weiterzugeben. Nachdem die Munition im 3.500 Kilometer entfernten Libyen aufgetaucht war, verhängte das SECO einen Exportstopp für Kriegsmaterial nach Katar und kündigte eine Untersuchung vor Ort an.

Im Dezember 2011 wurde der Exportstopp nach Katar wieder aufgehoben: Es habe auf der katarischen Seite einen Logistikfehler gegeben, der dazu geführt habe, dass die Munition in Libyen gelangt sei. Worin dieser Logistikfehler bestand und wie die Untersuchung vor Ort ablief, erläuterte das SECO nicht. Alexander Spring von der Schweizer Denkfabrik und Graswurzel-Bewegung Foraus kritisierte die fehlende Transparenz: "Bei diesem ‚militärischen Logistik-Fehler' wissen wir nicht, ob ein Angestellter der Schweizer Botschaft in Katar ins Munitionsdepot ging und einige Schachteln anschaute, oder ob es Experten aus dem Verteidigungsministerium waren, die wirklich die Kompetenz haben, eine Nachlieferungs-Inspektion durchzuführen."

2012 tauchten Schweizer Handgranaten vom Typ "Offensive OHG92", die 2003/2004 in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) geliefert worden waren, in den Händen syrischer Rebellen auf: Auch in diesem Fall war der Schweiz vertraglich mittels einer Nichtwiederausfuhrerklärung zugesichert worden, dass die Waffen nicht weiter exportiert würden. Die VAE verschenkten knapp 65.000 der 225.000 von der Schweiz erhaltenen Handgranaten an Jordanien. Von dort aus gelangten sie nach Syrien, ohne dass geklärt werden konnte, wer sie von Jordanien nach Syrien brachte, wie Erwin Bollinger, Leiter der Abteilung Exportkontrolle im SECO, einräumen musste. Bereits 2005 hatten die VAE Schweizer Panzerhaubitzen nach Marokko verschenkt und so gegen die Nichtwiederausfuhrerklärung verstoßen.

Mit der Änderung der Kriegsmaterialverordnung ist abzusehen, dass in Zukunft noch mehr Schweizer Waffen für Menschenrechtsverletzungen genutzt werden. Zum Beispiel von der saudischen Armee: In den 1990er Jahren hatte die Schweiz Piranha-Radschützenpanzer aus heimischer Produktion nach Saudi-Arabien geliefert. 2011 nutzte die saudische Armee diese Panzer, um die Demokratiebewegung im Nachbarland Bahrain niederzuschlagen, nachdem die dortige Regierung sie um Hilfe gebeten hatte. Nach der Verschärfung der Rüstungsexporte im Jahr 2008 hat die aktuelle Entscheidung der Schweizer Politik dafür gesorgt, dass die einheimische Rüstungsindustrie künftig wieder mitmischt, wenn das saudische Königshaus auf Einkaufstour geht.

Aus pogrom-bedrohte Völker 280 (1/2014)