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Österreich / Konsenskonferenz

Offener Brief an den Bundeskanzler der Republik Österreich Wolfgang Schüssel

Bozen, 8. März 2005

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
als Südtiroler Sektion der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) wenden wir uns anlässlich der geplanten - und offensichtlich gefährdeten - Konsenskonferenz am 13. März abermals an Sie. Eine Konferenz offenbar, die nicht dazu dient, berechtigte - durch den Staatsvertrag, Volksgruppengesetz und Verfassungsgerichtserkennissen gedeckten - Forderungen der slowenischen Sprachgruppe in Kärnten zu erfüllen, sondern unter dem Deckmantel des Konsenses ruhigzustellen und über den Tisch zu ziehen.

Sollte die Republik Österreich nicht endlich die entsprechenden Gesetze zugunsten der slowenischen Sprachminderheit in Kärnten, wie auch vom Verfassungsgericht eingefordert, umsetzen? Wann betreibt die Republik Österreich eine Minderheitenpolitik, die im Konsens mit den betroffenen Minderheit formuliert wird und nicht im Konsens mit dem Mitte-Rechts-Lager sowie den deutschnationalistischen Kräften in Kärnten.

Der Rat der Kärntner Slowenen / Narodni svet verwies bereits darauf hin, dass Sie mit der Konsenskonferenz letztendlich eine Einigung erpressen wollen - so sollen slowenische Organisationen vor den Verhandlungen erklären, dass der Art. 7 des Staatsvertrages erfüllt ist. Im Gegenzug erhalten die Slowenen einige zweisprachige Ortstafeln mehr.

Zurecht kritisierte der Rat auch die Zusammensetzung der Konsenskonferenz. So wird der Rat nicht als Organisation eingeladen. Der Vorsitzende erhielt nur eine persönliche Einladung. Absurderweise sitzen am Tisch dieser sogenannten Konsenskonferenz auch die Vertreter der sogenannten "Heimatverbände", Kärntner Heimatdienst und Kärntner Abwehrkämpferbund. Organisationen, die sich radikal gegen die Umsetzung von Minderheitenrechten wenden, die am äußersten rechten Rand angesiedelt sind. Die GfbV-Südtirol unterstützt die Forderung des Rates, seine Delegationsteilnehmer selbst auszuwählen.

Landeshauptmann Jörg Haider agiert wohl in Ihrem Sinn, wenn er sich gegen die Teilnahme bestimmter Slowenenvertreter ausspricht und deshalb nicht an der Konsenskonferenz teilnimmt. Laut ORF sagte Haider, "wir sind ja keine Lausbuben, die sich von irgendwelchen Hitzköpfen dirigieren lassen." Nach Konsens klingt das nicht. Wir erinnern Sie daran, dass Ihre Bundesregierung seit 2001 nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes für die Aufstellung weiterer zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten hätte sorgen müssen. Stattdessen verschleppen Sie mit den Konsenskonferenzen die Lösung der offenen Ortsnamengebung. Nicht von ungefähr mahnte der Präsident des Verfassungsgerichtshofes Korinek eine Umsetzung des Erkennisses an. Die österreichische Politik kümmert sich aber nicht darum. Ein Verfassungsurteil scheint in Österreich ist dürftiges Gewicht zu haben. Ihr Nationalratspräsident Khol Andreas Khol brach gezielt einen diplomatischen Streit mit Slowenien los und bezeichnete den Staatsvertrag als einen Vertrag aus der Zeit des Kalten Kriegens. Die Botschaft darin - sich davon zu verabschieden, auch von der Umsetzung konsequenter Minderheitenrechte.

Nur so kann Ihre Konsenskonferenz verstanden werden, Herr Bundeskanzler. Welchen Sinn macht es, mit Befürwortern und Gegnern von zweisprachigen Ortstafeln darüber zu diskutieren, ob die verfassungsmäßig vorgeschriebenen Ortstafeln aufgestellt werden sollen oder nicht. Die Zusammensetzung der Konsenskonferenz weist darauf hin, daß Ihnen gar nicht daran gelegen ist, die Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes umzusetzen. Sie suchen nach dem entsprechenden Konsens im Mitte-Rechts-Lager.

Die Lösung der Ortstafelfrage im zweisprachigen Kärnten liegt bei Ihnen. Setzen Sie doch mit einer Verordnung die Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes um. Folgen Sie dem engagierten Beispiel Ihres Vorgängers Bruno Kreisky, der trotz radikalen Widerstandes aus Kärnten die Aufträge zum Minderheitenschutz aus dem Artikel 7 des Staatsvertrages - wenn auch jahrzehnte verspätete - umzusetzen begann. Die Volksgruppengesetze tragen die Handschrift Kreiskys und Ihres verstorbenen Parteifreundes Felix Ermarcora.

Sie setzten - gemeinsam mit anderen mutigen Politikern - minderheitenpolitische Akzente. Das heutige Österreich scheint in dieser Frage mutlos geworden zu sein. Der Entwurf der neuen österreichischen Verfassung ist ein Rückschritt. Im Vergleich zur italienischen Verfassungsreform, in der sich die Südtiroler Volkspartei trotz gespannten Verhältnisses zur Mitte-Rechts-Regierung mit ihren Abänderungen einbringen konnte, zielt der österreichische Verfassungsentwurf auf eine "Domestizierung" der sechs Sprachminderheiten ab.

Ihr Kärntner Club-Obmann Grilc trägt mit seiner Wortmeldung auch nicht zur Klärung bei. Laut Grilc ist der Wille für eine Lösung der Ortstafelfrage in Kärnten vorhanden. Doch sind Ortstafeln alleine nicht ausschlaggebend für eine zukunftsorientierte Minderheitenpolitik. Eine gemeinsame Vertretung der slowenischen Sprachgruppe im Kärntner Landtag hat laut Grilc mehrere Vorteile. Ein Vertreter der Minderheit, der durch Wahlen sein Mandat im Kärntner Landtag erhält, wäre damit der legitimierte Ansprechpartner für Fragen in Zusammenhang mit der Minderheitenpolitik des Landes.

Voraussetzung ist aber ist die Abschaffung der Wahlhürde, die von den großen Parteien im Kärntner Landtag bisher strikt verteidigt wurde. Kärnten wusste bisher erfolgreich eine eigenständige politische Vertretung der slowenischen Minderheit zu verhindern. Grilc bringt zweifelsohne ein wichtiges Thema zur Diskussion. Aber er fordert dazu auf, "die Ortstafel-Frage aussetzen, um eine neue Sachlichkeit in der Minderheitenfrage zu erreichen. Grilc will einen kompetenten, von der Bevölkerung gewählten Mandatar. Die derzeitigen Funktionäre fahren schnell, um abgestraft zu werden. Das ist laut Grilc der falsche Weg, eine faire, offene und sachliche Volksgruppen-Politik zu betreiben.

Das klingt so, als ob nur Grilc weiß, was eine faire, offene und sachliche Minderheitenpolitik ist. Warum hat er diese bisher nicht umgesetzt? Verantwortung an dieser Entwicklung hat letztendlich die Kärntner Politik, die deutschnationale Koalition aus FPÖ, ÖVP und SPÖ. Herr Bundeskanzler, machen Sie diesem Trauerspiel ein Ende. Einigen Sie sich mit den Vertretern der Kärntner Slowenen, entsprechende Vorschläge liegen bereits vor.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050124ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050112ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040705de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040701de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040220de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/031110de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/031110de.html | www.gfbv.it/3dossier/oevz/2005/050112.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/oe-klestil.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/oe-konvent.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/regenbogen.html

* www: www.nsks.at/aktualno.php | www.magnifique.at/gradivo/050303_nsks_kancler.pdf | www.magnifique.at/gradivo/050303_nsks_stufenplan.pdf

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