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Für einen anderen Irak

Dokumente aus dem Irak und über den Irak

Redaktion: Wolfgang Mayr, Hans Bogenreiter.

Bozen, Wien, Göttingen, 1. April 2003

Die irakische Opposition ist aufgesplittert. Innerhalb des irakischen Nationalkongresses gibt es Auseinandersetzungen. Mit der Ermordung shiitischer Persönlichkeiten, mit blutigen Strafaktionen nach dem ersten Irak-Krieg 1991 im shiitischen Süden des Landes und der Stationierung von Elitetruppen sorgte das Regime für eine politische Ghettoisierung der größten Bevölkerungsgruppe. Besonders hart ging das Regime gegen die sogenannten Marsch-Araber, Schiiten auch sie, im riesigen Deltagebiet von Eufrat und Tigris vor. Das Sumpfland wurde trockengelegt, die Menschen vertrieben. Trotz der Angriffe der anglo-amerikanischen Truppen auf die shiitschen Städte halten sich die Schiiten zurück. Sie misstrauen den Angreifern, ihren selbsternannten Befreiern. Diese ließen sie bereits nach dem ersten Golfkrieg im Stich. Die Schiiten warten ab.

Das Regime des Henkers von Badgad versuchte sich auch nach Einrichtung der von den USA und GB eingerichteten Flugverbotszone über den Nord-Irak in die autonome Kurden-Region einzumischen. Nach militärischen Auseinandersetzungen (Mitte der 90er Jahre) zwischen der Kurdischen Demokratischen Partei und der Patriotischen Union Kurdistans unterstützte das Regime die KDP-Truppen. Auf Druck der USA wurde der innerkurdische Konflikt beigelegt. Das autonome Kurdistan ist inzwischen Aufmarschgebiet amerikanischer Truppen.

Während im kurdischen Nord-Irak kurdische Parteien das Land verwalten, sind im Süden shiitische Parteien verboten. Im Ausland, in den Nachbarländern des Iraks und in Europa hingegen sind verschiedene shiitische Organisationen aktiv. Ebenfalls nur im Exil agiert die Kommunistische Partei. Sie war lange Zeit mit den Kurden verbündet. Beim ersten Putsch der Ba'ath-Partei 1963, mit kräftiger US-Hilfe, ermordete diese nationalistisch-sozialistische Bewegung mehr als 10.000 Kommunisten und Demokraten. Ba' ath gelang es, die starke kommunistische Bewegung zu zerschlagen.

Dieses Dossier zum Irak-Krieg beginnt mit einer Erklärung der Irakischen Kommunistischen Partei.

INDEX
Für einen föderalen Irak | Irakische Oppositionelle diskutieren über den Krieg in ihrer Heimat und die Zeit danach | The Battle for Basra | Die Kurden fürchten Rache | Thousands of women and children at the Refugee Camp of Makhmur in Northern Iraq are trapped in the turmoil's of war | Wie Saddam Husseins Baath-Partei von einem Großreich träumte | Beyond Iraq: Missile Proliferation in the Middle East

Für einen föderalen Irak

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Im Morgengrauen am 20. März 2003 nahm die Tragödie, die wir längst befürchtet und vor der wir im Laufe der letzten Monate ununterbrochen gewarnt haben, ihren Lauf. Die US-Streitkräfte starteten ihren ersten Raketenangriff auf Irak und lösten damit den Krieg aus, mit dem die USA in den vergangenen Monaten, mal unter dem Vorwand des Regimesturzes, mal mit der Rechtfertigung der Zerstörung von verbotenen Waffen Iraks oder auch durch Vorschieben weiterer Gründe, gedroht haben.

Es wäre möglich gewesen, die Durchsetzung dieser erklärten Ziele auch mit anderen, friedlichen Mitteln zu erreichen, durch die unserem Volk weitere Leiden und Schmerzen erspart gewesen wären. Diese Option hätte auch die angestrebte demokratische Umwälzung erlaubt. Dennoch beharrte die US-Regierung auf der Auswahl der schlechtesten aller Möglichkeiten, auf dem für die Menschen gefährlichsten Mittel des Krieges, das dem Land, sowie der Sicherheit und dem Frieden die enormsten Schäden zufügt.

Darüber hinaus, wurde die Option des Krieges im Alleingang, im Widerspruch zum Völkerrecht, ohne die Ausschöpfung unterschiedlichster diplomatischer Mittel durchgesetzt. Dadurch wurden Tür und Tor für eine neue enorme Katastrophe für den Irak und die Iraker, wo deren Wunden infolge vergangener Kriege des Regimes noch nicht verheilt sind, geöffnet.

Auch wenn der Krieg bereits am Laufen ist und die Aggressionstruppen sich auf dem Vormarsch in die irakischen Gebiete befinden, ist es möglich und dringend notwendig, den Krieg sofort zu stoppen und zu den politischen und diplomatischen Mitteln zurückzukehren, um die enormen Verluste für unser Volk und die verheerenden Schäden für unser Land und seine Infrastruktur zu vermeiden.

Wenn wir heute unsere Stimme für die Beendigung des Krieges an seinen Anfängen erheben, übersehen wir nicht für einen Moment den maßgeblichen Teil der Verantwortung, den die in unserem Land herrschende Diktatur für diesen neuen Krieg trägt. Das Regime ist nicht davon freizusprechen, unser Volk und unser Land in den Abgrund gestoßen und auch alle vergangenen Tragödien und Katastrophen, deren Folgen noch heute spürbar sind, verursacht zu haben.

Dieses Regime ließ die Forderung nach der Vernichtung verbotener Waffen über mehr als zwölf Jahre seit seiner Aggression gegen Kuwait unbeantwortet. Es sabotierte bzw. zögerte hinaus die Umsetzung aller Beschlüsse des UNO-Sicherheitsrates und lieferte die Argumente und Vorwände für den durch die USA-Administration entfachten Krieg.

Der Kopf des Regimes setzt die Repressionen gegen unser Volk mit Peitschen und Gewehrsalven bis zum heutigen Tag fort, statt den aus Sorge um das Wohl des Landes erteilten Empfehlungen, auf seine Macht zu verzichten und das Land zu verlassen, zu folgen, um damit das Land und das Volk vor dem Krieg und seinen Zerstörungen zu bewahren.

Damit bleibt der Sturz dieses despotischen und von verheerenden Abenteuern besessenen Regimes ein vorrangiges Ziel für die Massen unseres Volkes, seine Streitkräfte und für alle patriotischen Oppositionskräfte, die eine demokratische Alternative in einem föderativen vereinten Irak anstreben.

Wir fordern deshalb:
Mit allen Mitteln den Druck für eine Beendigung des Krieges, für Zurückweisen der Alleingänge der USA bezüglich des irakischen Problems und die Rückkehr zum Völkerrecht und zur UNO, mit ihrer Verantwortung für die internationalen Sicherheit und Frieden, auszuüben. Unverzüglich die notwendigen Schritte, zur Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Medikamenten und weiterer Lebensnotwendigkeiten für die irakische Bevölkerung, sowie für die Aufhebung der gegen das Volk verhängten Wirtschaftssanktionen einzuleiten.

Sicherstellung der Beachtung des Genfer Abkommens, des Schutzes irakischer Zivilisten, der Infrastruktur und der Menschenrechte im Irak im Einklang mit den relevanten internationalen Verträgen und Abkommen. Entsendung von UNO-Beobachtern zur Überwachung von Menschenrechten in den Irak, um die Ausschreitungen gegen irakische Zivilisten zu verhindern, sowie das Offenlegen des Schicksals Tausender politischer Gefangener im Irak zu erzwingen und sie vor der Gefahr der physischen Vernichtung durch das irakische Regime, unter dem Vorwand des Krieges, zu bewahren.

Ablehnung der Invasion, der Besatzung und der US-Militäradministration, sowie die Sicherstellung des Rechtes des irakischen Volks auf Selbstbestimmung und auf Auswahl der Alternative für das geächtete Regime entsprechend seinem freien Willen, ohne externe Bevormundung und Hegemonie.

Einberufung einer internationalen Konferenz unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen mit Beteiligung von Vertretern irakischer demokratischer Parteien und Kräfte, um das Irak-Problem umfassend zu behandeln, den Weg für die Zerstörungen und Tragödien eines Krieges zu versperren und die Perspektiven für eine Problemlösung, die eine grundlegende demokratische Wende in unserem Land sicherstellt, im Rahmen des Völkerrechtes zu eröffnen.

Schutz irakischer Bodenschätze und seiner nationalen Ressourcen, insbesondere des Erdöls, als rechtmäßiger Besitz des irakischen Volkes, das allein, über seine demokratisch gewählten und verfassungsmäßigen Institutionen, darüber verfügen darf, sowie der Schutz der Souveränität und Integrität Iraks.

Unterstützung der Bestrebungen des irakischen Volkes zur Bildung einer Übergangsregierung auf breiter Koalitionsbasis, die umfassende demokratische Rechte gewährt und die Bedingungen für freie Wahlen, als Grundvoraussetzung für einen demokratischen konstitutionellen Irak, unter Aufsicht der Vereinten Nationen schafft.

In dieser Zeit, wo sich die enormen Gefahren für unser Volk zuspitzen, das zwischen dem Hammer des entfachten Krieges und dem Amboß der rücksichtslosen, abenteuerlichen und terroristischen Politik des herrschenden Regimes zermahlen wird, rufen wir auf zur Solidarität mit dem Kampf unseres Volkes für die Beendigung des Krieges und die Erlösung von der herrschenden Diktatur, für die Errichtung eines Iraks des Friedens, der Freiheit und der Würde - eines demokratischen, föderativen und vereinten Iraks.

Zentralkomitee der Irakischen Kommunistischen Partei, Shaklawa - Irakischer Kurdistan

Der Irak-Krieg und die Friedensbewegung
"Warum sind die Deutschen eigentlich für Saddam Hussein?". Irakische Oppositionelle diskutieren über den Krieg in ihrer Heimat und die Zeit danach.
Von Tobias Miller

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Während sich am Donnerstagabend auf dem Alexanderplatz rund 70 000 Menschen versammeln, um gegen den Irak-Krieg zu demonstrieren, setzen sich einige Kilometer entfernt Vertreter der irakischen Opposition auf ein Podium und diskutieren. Drei Männer und eine Frau. Im nüchternen Mathematik-Hörsaal 001 der Technischen Universität suchen sie eine Antwort auf die Frage "Saddam - und dann?" Schon vor Wochen hatte die linke Wochenzeitschrift Jungle World zu der Debatte eingeladen.

Zunächst gab es viel Unbequemes für die deutschen Friedensbewegten zu hören. Diese Friedensbewegung lässt uns im Stich", sagt Aras Marouf. Sie sei zwar auch gegen Krieg, sagt sie. Warum aber äußerten sich die deutschen Demonstranten nicht zu Hussein? Er sei ein Verbrecher, ein Tyrann, ein Mörder, sagt sie. Die junge Kurdin erzählt von ihrer ermordeten Nichte, die eines Morgens tot vor der Haustür lag. Sie erzählt, wie sie mit ansehen musste, wie Husseins Polizisten den Vater ihrer Freundin bei lebendigem Leibe begruben und eine Nacht lang Wache hielten, damit ihm keiner helfen konnte. "Wir wollen endlich diesen Verbrecher nicht mehr im Irak haben", sagt sie. Sie sei überzeugt davon, dass das die irakische Opposition nicht allein schaffe. Man brauche Hilfe von außen. Sie werde die Friedensbewegung so lange kritisieren, solange sie dazu keine Stellung beziehe. Es ist eine leidenschaftliche Rede, die die junge Kurdin hält. Sie sei in Bagdad aufgewachsen, berichtet sie. "Ich liebe diese Stadt." Aras Marouf hat zwei Kinder und lebt im Saarland. In den Jahren im Exil hat sie perfektes Deutsch gelernt. Als sie spricht, wird es sehr, sehr ruhig im Saal. Etwa 80 Zuhörer sitzen in dem Hörsaal. Meist im Studentenalter, einige Kurden sind darunter. Publikum, das auch die Friedensdemonstration am Alexanderplatz prägt. Kaum einer geht in der späteren Diskussion auf den Vorwurf der Kurdin ein. Aras Marouf wird mit ihrer Kritik an den Demonstrationen an diesem Abend am deutlichsten von allen Diskutanten. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie als einzige keine Parteifunktionärin ist.

Kadir Wahab von der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK), Shakh Sangna von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) sowie Roshid Ghewielib von der Kommunistischen Partei Iraks (KPI) beherrschen die ausgewogene Kommuniqué-Sprache. Doch auch sie teilen die Kritik Maroufs. Im irakischen Fernsehen werden die Bilder aus Deutschland gezeigt, erzählt etwa Shakh Sangna. "Wenn ich zu Hause anrufe, werde ich gefragt: Warum sind die Deutschen eigentlich für Saddam?" Die vereinzelten Lacher aus dem Publikum klingen verlegen. Für die Parteienvertreter ist die Zukunft des Iraks einigermaßen klar. Schließlich hätten sich erst vor einigen Monaten rund 350 Delegierte der irakischen Opposition in London auf ein Programm für die Zeit nach Saddam geeinigt. Demokratisch und föderal soll der künftige Irak sein. Alle Volksgruppen und Glaubensrichtungen sollen an der Macht beteiligt werden und künftig ohne Unterdrückung in dem Vielvölkerstaat leben können. Für die weltliche Gesetzgebung soll der Islam nur eine von mehreren Grundlagen sein, gibt Sangna die Beschlüsse der Opposition wieder. Die Einigkeit bei der Konferenz sei ein großer Erfolg gewesen.

Doch wie brüchig die ist, wird im TU-Hörsaal schnell spürbar. Die irakischen Kommunisten fehlten zum Beispiel bei der Konferenz in London. Es sei dort nicht diskutiert worden, wer eigentlich den Machtwechsel im Irak vollziehe, sagt Roshid Ghewielib als Begründung für das Fehlen seiner Partei. Bei ihm ist deutlich das Misstrauen gegenüber den USA herauszuhören, die Sorge, dass sie den Irak nach ihren Vorstellungen formen wollen. Ihm wäre lieber, wenn die Opposition von sich aus den Machtwechsel schaffen würde. Marouf hält das aber für eine Utopie. Sie stört sich mehr daran, dass dem Islam ein so starkes Gewicht eingeräumt werden soll. Für die Frauen bedeutete das keinen Fortschritt, sagte sie. Auch für die USA könnte die Zeit nach Saddam kompliziert werden. Solange es keine Wahlen gibt, sagt Kadir Wahab von der Demokratischen Partei, werden wir Kurden die Waffen nicht aus der Hand legen.

The Battle for Basra
The people of Basra oppose the regime but they will not rise up until they are certain Saddam Hussein is falling.
By Dr. Ali Hassani in London

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Saddam Hussein has ordered his forces in Basra to kill not just anyone who rises against the regime but everyone who refuses to fight against the Americans. This order has been transmitted openly over state television. The people of Basra want to get rid of the gang that has kidnapped the country and subjected them to decades of harassment. But this time, it is not so easy to rise up. There has been no uprising in Basra thus far. There has been fighting between some of the people and some Ba'athists, with about 30 people killed and wounded. But so far the environment for uprising is not right.

Saddam in 2003 is different from Saddam in 1991. He is weaker, but he has learned. Most importantly, he does not trust the people. In 1991, when the Allies went to war against him after he invaded Kuwait, Saddam armed forces in Basra. On this occasion he has sent outside forces into the city - and these forces have a plan to prevent any uprising. A week into the war, the Iraqi regime still has control, albeit weakened, in Basra. Forewarned of attack, the regime made the necessary preparations. The Ba'ath Party headquarters hit and destroyed by artillery had been evacuated some time earlier. Ba'ath Party fighters and commandos of the Fedayeen of Saddam have taken off their uniforms and are passing themselves off as civilians.

The ordinary people of Basra have mixed feelings. They have been waiting for 12 years to liberate themselves again, but they know that things are different now.

In 1991, Ba'athists were in their headquarters. They were in one area and could be attacked. Today they are in the street. In 1991, the Iraqi army had been driven in disarray from Kuwait and there were a lot of weapons in the hands of ordinary people conscripted into the army. There was hunger and thirst and degradation. Even the army was feeling humiliated. The war for Kuwait was not the army's war; it was Saddam's war. But this war was not started by Saddam; his forces have to know they cannot win before they will be willing to turn against him.

In 1991 the people rose up - and the United States watched as they were put down. The losses during the suppression of the uprising were much greater than the losses during the war. Because of this bad experience, the people of Basra say they will only rise up at the right moment. That moment will be when Saddam is gone or his regime has lost control. Basra was the first city to rise up in the South in 1991, in part because there was a rumour that Saddam had been killed or run away. It knows the price of failure - and not just because of what happened in 1991. In 1998, the regime staged a car accident that killed the man recognised as the supreme religious authority of Iraqi Shias: Sayyed Mohammed Sadr. Basra rebelled. The regime cracked down hard and in doing so razed the city's three mosques.

Basra today is a very degraded city. The cumulative effect of years of Ba'athist misrule is a shortage of water, electricity, schools and hospitals. Only one of three hospitals is working and even this lacks all sorts of equipment. The people don't mind being without all these things, but the British and the Americans have to create the same environment for uprising as there was in 1991. If they decide to storm Basra - a city of more than a million people - it is vital that they liaise beforehand with people inside. The people of Basra think they can liberate themselves if they have assistance. Even some of the Fedayeen of Saddam are said to be anxious and fearing for their lives. If the coalition contacts cities like Basra, they could collapse quickly. But there is no evidence, as far as I know, of any serious contacts by the Americans with the ordinary people inside. The Americans are not investing in the right people.

For the future, the most important thing is that the Americans and the British treat the people with respect. Some of Saddam's men have put on headbands with slogans saying: "God is great". The danger is that the Americans will blame the Shias of the South - and perceived Iranian influence on them - for any crimes committed by Saddam's men. America understands little about Iraqi Shias. Iraq is not Iran or Lebanon. Iraqis are a multi-cultured people. Even the most extreme Iraqi Shia is a moderate.

Ali Hassani, head of the Basra Association in London.

Die Kurden fürchten Rache
Im Autonomiegebiet im Nordirak fliehen die Menschen aus den Ortschaften, die in der Reichweite der militärischen Stellungen des Regimes liegen
Aus Suleimanija SALAR BASSIREH (taz vom 26.3.2003)

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In Irakisch-Kurdistan sind die Menschen wieder auf der Flucht. Diesmal ist es weniger die Angst vor einem irakischen Einmarsch im Autonomiegebiet als vielmehr die Furcht vor einem möglichen Einsatz chemischer Waffen. Eine Erfahrung, die die Kurden in Halabdscha im Jahre 1988 bereits schon einmal gemacht haben. Das Regime behauptet zwar, keine Massenvernichtungswaffen mehr zu besitzen. Doch die Menschen in dieser Region sind misstrauisch.

Besonders entlang der Demarkationslinie zwischen dem Autonomiegebiet und dem von Saddam Hussein kontrollierten Rest des Landes sind zahlreiche Kurden auf der Flucht. Ortschaften wie Kifri und Kalar liegen zudem in der Nähe irakischer Kasernen. Nach Angaben der unabhängigen kurdischen Wochenzeitung Hawlati haben rund neunzig Prozent der Einwohner Kifri und die Stadt Chamchamal verlassen. Einige von ihnen, die Verwandte im Iran haben, gehen illegal über die Grenze, denn die Islamische Republik lässt keine Flüchtlinge einreisen.

Auch in der Region um die Stadt Dohuk im Nordwesten, die nicht weit von Stellungen der irakischen Armee entfernt liegt, haben zahlreiche Menschen ihre Häuser verlassen. Ganze Familien waren in der vergangenen Woche auf Traktoren, offenen Geländewagen und Pkws unterwegs. In Arbil, der größten Stadt im Autonomiegebiet, hatten sich nach Angaben von Hawlati bis Mitte letzter Woche etwa 35 Prozent der Einwohner in sicherere Gebiete abgesetzt.

Auch in Suleimanija im Südosten Kurdistans haben zahlreiche Menschen die Stadt verlassen und sich in die bergige Region an der iranischen Grenze begeben. Die meisten suchen Schutz bei Verwandten in den Dörfern. Viele verbringen dort die Nacht, weil sie nicht im Schlaf von einem Angriff mit chemischen oder biologischen Waffen überrascht werden wollen und fahren tagsüber in die Stadt zurück - auch, um ihrer Arbeit nachzugehen. Nach den ersten Kriegstagen sind am Wochenende einige Flüchtlinge, vor allem Männer, in ihre Häuser zurückgekehrt. Auf Beschluss der kurdischen Regionalregierung wurde der Unterricht in der Provinz Suleimanija zunächst für eine Woche eingestellt und die Schulen geschlossen. Nur die Krankenhäuser und das Innenministerium arbeiten.

In der Erdölstadt Kirkuk, die außerhalb des Autonomiegebietes liegt und damit von der irakischen Armee kontrolliert wird, ist die Lage besonders dramatisch. Tausende Kurden wurden dort vertrieben. Sie retteten sich in das Autonomiegebiet. Obwohl die Regionalregierung von Suleimanija einige Zeltlager für diese Vertriebenen errichtet hat, schlüpfen die meisten von ihnen bei Verwandten in den Dörfern unter. "Sie haben weniger Angst vor den Kanonen des Regimes als vor einem Giftgaseinsatz", fasst ein Gesprächspartner die Stimmung seiner Landsleute zusammen. Je näher das Ende des Regimes von Saddam Hussein rückt, so ihre Befürchtung, desto härter könne seine Rache sein. Ein Szenario, das eine weitere Fluchtbewegung auslösen könnte, wäre ein Einmarsch der türkischen Armee im Norden des autonomen Kurdistan. Dann könnten zahlreiche Menschen zwischen die Fronten geraten. Im Gegensatz zum letzten Golfkrieg 1991, als zwei bis drei Millionen Kurden in die Nachbarländer flüchteten, möchten die meisten diesmal im Lande bleiben. Deshalb gibt es auch keine genauen Zahlen darüber, wie viele Menschen derzeit auf der Flucht sind.

In Kurdistan kursiert folgende Geschichte: 1991 habe Saddam Hussein mehrmals gesagt, wer ihn ablösen wolle, werde nur Schutt und Asche vorfinden. Daher befürchten viele, dass ihnen das Schlimmste noch bevorsteht.

Der irakische Journalist Salal Bassireh, der soeben aus dem Nord Irak nach Deutschland zurückkehrte, steht für Interviews und Pressegespräche zur Verfügung: Salah Bassireh E-Mail-Adresse(n): bassireh@aol.com

Iraq / Kurds / Refugees
Thousands of women and children at the Refugee Camp of Makhmur in Northern Iraq are trapped in the turmoil's of war
Nazli Çiftçi of the International Free Women's Foundation

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"The camp of Makhmur, home to about 10,000 Kurdish refugees from Turkey, is situated in the middle of the Mosul - Kirkuk - Irbil triangle where heavy fighting is taking place at this very moment. On the morning of the 25th of March 2003, we established a telephone connection with a representative of the refugees' self-run administration who informed us that the sounds of artillery shelling was clearly perceivable at the camp site and that they were trapped in an area where most intense armed confrontations are expected for the days to come. Most of the inhabitants of the camp are destitute women and children who lost their homes in Turkey's campaign of destroying Kurdish settlements in the nineties.

"Immediately before the outbreak of the war, USA officials made a statement prompting relief workers and members of supranational institutions to leave the country. The UN officials at Makhmur abandoned the camp at once without notifying the population. Prior to the outbreak of the war, the population of the camp had lodged a number of petitions asking the UN authorities to assure their safety but failed to receive any apply from the UN.

"The camp is now completely isolated from the outside world. Inhabitants cannot leave the camp, and no-one from outside comes to visit the camp. There is no person or body that the refugees, condemned to dwell in a state of uncertainty where there are no guarantees whatsoever as to their security, could address and voice their demands to.

"Whilst the UNHCR used to provide food aid on a regular basis before the outbreak of the war, the supply of food and medical services has broken down with the UN officials' abandoning the camp, including the medical officers appointed by the UNHCR. In the event of protracted fighting, the camp inhabitants will face a dramatic scarcity of food.

"A spokesperson of the refugees we contacted this morning pointed out that the people at the camp will have to be supplied with food and medication if the war should continue, and drew attention to the fact that the UN was obliged to obtain guarantees from the parties involved in the war to the effect that no harm will be done to the defenseless civilians at the camp.

"The spokesperson further stated that they had only two options in the given situation. Firstly, they could return to Turkey - the country they originally fled - in the event that the Turkish government clarify its position on the return and rehabilitation of refugees and take a stance for the solution of the Kurdish issue. Secondly, they could endure the atmosphere of warfare at the present site in the event that the security of life and the needs of the camp population are provided for. The representative added that they neither had the capacity to defend themselves nor could they look at any protective force if the fighting was to affect the camp site.

"It is now imperative that the UN and indeed any relevant humanitarian institutions take immediate action with a view on providing the material and moral support that the refugees trapped in the turmoil's of war in a country alien to them demand. We therefore urge everyone to act up to their responsibilities before it is too late to do so.

URGENT DEMANDS:
- The UN have to promptly obtain guarantees from the parties at war to the effect that the security of the camp inhabitants is respected and the site taken under protection.
- If the hostilities should not come to a quick end, the UN and the ICRC will have to provide for the food and health care needs of the camp population.
- A medical doctor needs to be supplied to deal with the most urgent cases as soon as possible.

Die Araber-Macher
Wie Saddam Husseins Baath-Partei von einem Großreich träumte
Von Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer, aus: Die Zeit, 14/2003

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Ich habe jahrelang davor gewarnt, den Islam so mit Füßen zu treten und herauszufordern", schrieb der deutsche Staatsmann. Trotz seiner Mahnungen sei der Islam vom Westen "verachtet, misshandelt, beleidigt" worden, bis er es "endlich nicht mehr ausgehalten hat". Wenn er jetzt durch "Reformvorschläge" von außen noch mehr provoziert werde, müsse "der Sultan des Propheten grüne Fahnen entrollen, dann wird es ,Allah' in allen Ecken Asiens ertönen, und mit den Christen ist es dann zu Ende".

Dies trug einst, im September 1908, der deutsche Kaiser Wilhelm II. in sein Tagebuch ein. Er gilt nicht zu Unrecht als Begründer deutscher Nahostpolitik. Wilhelm hat jene eigentümliche Ambivalenz eingeführt, die deutsche Nahostpolitik immer wieder bestimmt hat. Araber und Muslime gelten bis heute als Verbündete und Feinde zugleich, sind Verheißung und Schrecken.

Fast genau sechzig Jahre nach des Kaisers Tagebucheintrag, im September 1969, wurde anlässlich einer öffentlichen Hinrichtung auf dem Liberation Square im Zentrum Bagdads folgende Rede verlesen: "Großes irakisches Volk! Der Irak von heute darf keine Verräter, Agenten, Spione oder fünfte Kolonnen mehr dulden. Hört mich an, Israel, imperialistisches Amerika und ihr Zionisten! Wir werden all eure schmutzigen Tricks aufdecken! Wir werden eure Agenten bestrafen! Wir werden all eure Spione aufhängen, auch wenn es Tausende sind! - Das ist erst der Anfang! Die großen und unsterblichen Plätze des Iraks werden gefüllt sein mit den Leichen der Verräter und Spione! Wartet ab." Die Baath-Partei hatte gerade die Macht im Staate übernommen und unverzüglich mit Schauprozessen gegen irakische Juden begonnen, die der "zionistischen Spionage" bezichtigt wurden. Nach der verheerenden Niederlage arabischer Staaten im Sechstagekrieg 1967 waren im Irak die Baathiste n mit dem Versprechen angetreten, die von Wilhelm einst beschriebene Drohung umzusetzen. Nicht mit dem grünen Banner Allahs, sondern unter dem Feldzeichen des Panarabismus sollte der Nahe Osten von vermeintlichen Feinden "befreit" werden, und nicht den Christen, sondern Israel und dem Zionismus wurde Vernichtung angedroht.

Die nationalistischen und konservativen Vorgängerregimes hatten das Feindbild Israel benutzt, um von inneren Widersprüchen abzulenken. Aus der Sicht der Baathisten hatten sie jedoch, als es zur direkten Konfrontation mit Israel kam, versagt und die arabische Sache an den zionistischen Feind verraten. Der "Trick" der Baath-Partei bestand darin, den alten Feind gewissermaßen zu verlagern. Denn von Beginn an konzentrierte sich die baathistische Propaganda darauf, den äußeren Feind im Inneren aufzuspüren, kenntlich zu machen und zu vernichten. Verantwortlich für diese Schmutzarbeit war Saddam Hussein, damals noch zweiter Mann im Staate. Unter seiner Regie entstand ein endloser Kreislauf aus behaupteten Konspirationen, Enthüllungen und dadurch angeblich notwendigen Säuberungen. Jede noch so grausame Handlung ist nach der Logik dieser hermetischen Welt die notwendige Reaktion auf eine allgegenwärtige äußere Bedrohung.

Es ist kein Zufall, wenn Kommentatoren und Politiker hierzulande angesichts des irakischen Diktators wieder in das Orakeln des deutschen Kaisers über die gedemütigte arabische und islamische Welt verfallen und vor einem Flächenbrand warnen, den der Sturz Husseins nach sich ziehen müsse. Denn es gibt eine weit zurückreichende historische Verbindung zwischen der deutschen Wahrnehmung des Nahen Ostens und der Entstehung der panarabischen Ideologie der Baath-Partei. Sie reicht bis weit vor die achtziger Jahre zurück, als deutsche Firmen durch Lieferung von technischem Gerät und Know-how zur Produktion von chemischen und biologischen Waffen durch das irakische Regime beitrugen. Schon viel früher lieferte Deutschland auch ideologisches Zubehör. Unverkennbar ist der Einfluss deutscher Ideen auf die Vordenker des Baathismus wie den panarabischen Theoretiker Saati Husri, der 1941 einen faschistischen Putsch im Irak unterstützte, oder den Mitbegründer der Baath-Partei, Michel Aflaq, dessen "Staatstheorie" sich aus Versatzstücken der Theorien deutscher Romantiker und völkischer Antisemiten zusammensetzte. Die deutsche "Kulturnation" gab das heimliche Vorbild panarabischer und baathistischer Träume ab. Der Ursprung dieses Traumes vom "Preußen Arabiens" liegt tatsächlich in Kaiser Wilhelms Vision einer "friedlichen Durchdringung" des Orients.

Der 1921 gegründete irakische Staat wurde von Beginn an von einer Staatsklasse getragen, deren Vertreter ihr Handwerk unter den Osmanen gelernt, an deutschen Universitäten oder bei deutschen Professoren in Konstantinopel studiert oder dort die preußische Militärschule besucht hatten. Deutschland galt den panarabisch Gesinnten unter ihnen ganz selbstverständlich als Vorbild, nicht zuletzt aufgrund der gemeinsamen Feindschaft gegen Frankreich und Großbritannien. Vor allem aber bei dem zentralen Problem, das sich den Panarabisten stellte, bot das deutsche Vorbild einen Ausweg an: Einen arabischen Staat, auf den sich ihr Nationalismus hätte beziehen können, gab es in der Wirklichkeit nie. Das bürgerlich-republikanische Nationsmodell, das die Existenz eines rechtlich verfassten Staates voraussetzt, schied somit von vornherein aus. Der deutsche Nationalismus, der zwischen Nation und Staat, kulturellem "Sein" und legalen Institutionen unterschied, wurd e deshalb zur Leitideologie des Panarabismus und seiner Vision von einer arabischen Nation ohne staatliche Grenzen. Deutschland, das nach der Niederlage des Ersten Weltkrieges erneut zur Großmacht geworden war, hatte in den Augen der Panarabisten auch das Problem beispielhaft gelöst, wie man aus einer Position der Niederlage heraus einen Nationalbegriff entwickeln kann. Die erklärungsbedürftige Tatsache, dass die Araber, obwohl sie doch angeblich eine einzige Nation bildeten, in zahlreiche Staaten geteilt waren, führten sie auf den Einfluss feindlicher Mächte zurück.

Dieser Panarabismus, den der Theoretiker Saati Husri in den dreißiger und vierziger Jahren entwarf, bildet die Grundlage des gesamten Wahnsystems heutiger baathistischer Herrschaft unter Saddam Hussein. Husri, zu dessen Vorbildern neben Herder, Fichte und Ernst Moritz Arndt auch der radikale Antisemit und Pangermane van Schönerer zählte, definierte eine mystische arabische Kulturnation, die auf einer gemeinsamen glorreichen Vergangenheit fuße und nur äußerlich durch nationale Grenzen voneinander getrennt sei. Die Rückkehr zur arabischen Nation begriff er als eine historische Mission, die nur durch die Überwindung jener Feinde erfüllt werden könne, die von der Spaltung der Araber profitierten. Neben Frankreich und Großbritannien sollten dies nichtarabische Minderheiten sein.

Seit Mitte der dreißiger Jahre wurden zunehmend auch die Juden zu diesen Feinden gezählt. 1941 ergriffen irakische Faschisten unter der Führung von Raschid Ali al-Gajlani mit deutscher Hilfe die Macht und verübten den ersten antisemitischen Pogrom in der irakischen Geschichte. Sie wollten, erklärten sie damals, "die Judenfrage" nach deutschem Vorbild lösen. Britischen Truppen gelang es, den Putsch niederzuschlagen, Gajlani floh nach Berlin, wo er gemeinsam mit dem berüchtigten Großmufti von Jerusalem für eine deutsch-panarabische Allianz gegen "Imperialisten und Juden" warb. Saddam Husseins Baath-Partei, die sich auf Gajlani beruft, hat die Vorstellung einer arabischen Mission im Kampf gegen diese Feinde als innenpolitisches Prinzip durchgesetzt.

In seinem Buch Republic of Fear beschreibt Kanan Makija, wie es der Baath-Partei seit 1968 innerhalb kürzester Zeit gelang, die paranoide Vorstellung, von Feinden umgeben und von Agenten durchsetzt zu sein, zum dominanten politischen Thema zu machen. Jeder Iraker wurde angehalten, Spione und Zionisten zu melden, immer neue Verhaftungswellen und Enthüllungen erschütterten das Land. Hinter jeder noch so unverdächtigen Handlung konnte sich ein geheimer Plan verbergen, jede noch so harmlose Nachricht konnte einen tieferen Sinn enthalten, nichts war so, wie es schien. Sukzessive wurde eine fiktive Welt geschaffen, in der die Regeln des gesunden Menschenverstandes außer Kraft gesetzt waren. Im Gegensatz zu Syrien, wo die Baath-Partei immer um die Einbindung militärischer Eliten bemüht war, machte sich der irakische Ableger der Partei daran, eine "reine" baathistische Gesellschaft zu erschaffen, die nicht durch Kompromisse mit bereits bestehenden Gesellschaft sstrukturen getrübt sein sollte. Bereits in den ersten Jahren ihrer Herrschaft tauschte die Baath-Partei praktisch die gesamte Nomenklatura des Staates aus, organisierte das Militär neu und ersetzte Interessensverbände und Gewerkschaften durch baathistische Organisationen. Selbst altgediente Parteifunktionäre konnten plötzlich als Zionisten enttarnt werden. "Wir schliefen mit der Pistole in der Hand", erklärte später Tarik Aziz, der langjährige Kampfgefährte Saddam Husseins, "jede Sekunde bereit, uns gegen eine neue Verschwörung zu verteidigen."

Oft wird darauf hingewiesen, dass die Säuberungswellen und Verfolgungsmaßnahmen Saddam Hussein zum Machterhalt dienten. Zudem wird häufig angeführt, dass die Diktatur die Säkularisierung und ökonomische Modernisierung betrieben hat. Das alles trifft zweifellos zu, reicht aber als Erklärung für die Vorgehensweise des irakischen Baath-Staates nicht aus. Es gab ein weiter reichendes Motiv: Die Baathisten schickten sich an, im Irak die Kernzelle eines künftigen arabischen Großreiches zu schaffen. Diese Vision mussten sie gegen eine Bevölkerung durchsetzen, die sich nur schwerlich in das Bild einer homogen arabischen Welt einfügen ließ. Von Beginn an richtete sich die Gewalt des stetig wachsenden Sicherheitsapparates gegen alle, die den ideologischen Prämissen des Regimes nicht entsprachen. Seit Mitte der siebziger Jahre waren dies vor allem die Kurden, dazu der schiitische Klerus des Landes sowie Gewerkschafter, Kommunisten - und nicht zuletzt das städtische Bürgertum.

Ihr "Verbrechen" bestand darin, Eigeninteressen zu vertreten und damit dem Alleinherrschaftsanspruch der Baathisten zu widersprechen, der die vollständige Unterwerfung aller Interessen unter die Erfordernisse der historischen arabischen Mission verlangte. Nach und nach wurde eine Neudefinition der irakischen Gesellschaft durchgesetzt, wie sie in den panarabischen Manifesten der dreißiger Jahre angelegt war. Mitte der siebziger Jahre existierte kein Schulbuch mehr, in dem nicht die neue Geschichtsschreibung gelehrt wurde: eine mythische Geschichtserzählung, die sich auf Nebukadnezar und Saladin berief. Gewerkschaften, Frauen-, Schüler- und Studentenverbände waren aufgelöst und durch baathistische Organisationen ersetzt, die Wirtschaft zentralisiert zu einem aus Ölgewinnen finanzierten Klientelsystem zusammengefasst worden. Jenseits der baathistischen Realität konnte nichts mehr existieren; wer außerhalb dieses Systems stand, fand sich außerhalb d er Gesellschaft selbst gestellt.

Der irakische Baath-Staat war also immer weit mehr als nur ein um Machterhalt ringender Repressionsapparat. Alle Bereiche sozialen Lebens wurden der panarabischen Mission unterworfen. Jegliches dissidente Verhalten wurde als Verrat und feindlicher Angriff verstanden. Noch Mitte der neunziger Jahre wurden in Bagdad Händler hingerichtet, weil sie die Einheit von Volk und Staat angegriffen hätten. Ihr reales Vergehen bestand im illegalen Handel mit Devisen - ein Markt, den die Hussein-Familie für sich monopolisiert hatte. Irakischen Kurden wurden seit Mitte der siebziger Jahre nicht mehr nur, wie zuvor, als nationale Minderheit bekämpft, sondern en bloc zu feindlichen Agenten erklärt - zur fünften Kolonne mal Israels, mal der USA, mal des Irans. Einzig die Spitze der Partei durchschaute die unzähligen Konspirationen noch. Völlig unschuldige Menschen - Hannah Arendt hat dieses Phänomen sehr eindringlich in ihrer Totalitarismusanalyse beschrieben - könne n auf diese Weise über Nacht zu objektiven Feinden erklärt und vernichtet werden.

Diese beständigen "Säuberungsprozesse" sind bereits in der frühen panarabischen Idee angelegt. Die ersehnte Einheit setzt danach einen beständigen Läuterungsprozess voraus, in dessen Verlauf die "arabische Nation" neu erschaffen wird. Kein Land eignete sich freilich de facto schlechter für derartige Experimente als der Irak: Sunnitische Araber, die eigentlichen Träger panarabischen Gedankengutes, machten in den zwanziger Jahren gerade einmal ein Fünftel der Bevölkerung aus. Kurz nach der Machtübernahme begann das Regime folgerichtig, die demografische Zusammensetzung des Landes gewaltsam zu verändern. Hunderttausende von Fayli-Kurden, deren Vorfahren aus dem Iran in die großen Städte des Iraks eingewandert waren, wurden als "persischstämmig" deportiert. Nordirakische Kurden, Schiiten und Assyrer wurden als innere Feinde verfolgt. Insgesamt sind bislang rund eine Million Iraker dem Baath-Regime zum Opfer gefallen - d ie meisten von ihnen waren keineswegs erklärte Gegner des Regimes, sondern gehörten einfach einer "objektiv" feindlichen Gruppe an. "Die Revolution", lautet einer der bekanntesten Sinnsprüche Saddam Husseins, "bestimmt selbst, wer ihre Feinde sind."

Dieser Logik folgt auch der Antisemitismus des irakischen Regimes. Er beschränkt sich keineswegs auf vollmundige Drohungen gegen Israel und dient auch nicht nur dazu, von inneren Konflikten abzulenken. Unter dem Druck der Baathisten hatte bereits das Vorgängerregime Arifs Maßnahmen eingeführt, die von den Nürnberger Rassegesetzen inspiriert waren. Wie der israelische Wissenschaftler Amatzia Baram berichtet, wurde den irakischen Juden unter anderem verboten, "nichtjüdisches" Eigentum zu erwerben; jüdische Ärzte durften keine Nichtjuden mehr behandeln. Seit 1968 wurde dann der "Krieg gegen Israel" gegen die eigene Bevölkerung gerichtet: indem sie unter den Generalverdacht gestellt wurde, "zionistischen" Einflüssen zu unterliegen. Dafür, dass es bislang nicht gelang, das "zionistische Krebsgeschwür aus dem arabischen Körper herauszuoperieren", musste nun die eigene Gesellschaft büßen.

Das Misstrauen der Baathisten hat sich 1991 bestätigt. Damals rebellierten Iraker im ganzen Land gegen das Regime. Seitdem gilt potenziell das gesamte Volk als Verräter, der für seine in den Aufständen bewiesene Dissidenz bestraft werden müsse. Wenn Saddam Hussein ankündigt, lieber untergehen zu wollen als freiwillig abzutreten, so ist dies der letzte Schritt in seinem Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Sein Wille, die Gesellschaft umzuformen, endete in der Drohung, sein Volk in einem apokalyptischen Endkampf zu opfern.

Thomas von der Osten-Sacken veröffentlichte mit Arras Fatah das konkret-Buch "Saddam Husseins letztes Gefecht? Der lange Weg in den 3. Golfkrieg"

Beyond Iraq: Missile Proliferation in the Middle East
Die Waffen des Henkers von Bagdad. Ein Report des Jerusalem Center for Public Affairs
Uzi Rubin

..: oben :..

Beyond the Iraqi missile threat to Israel in the 1990s, missile threats to Israel have emerged from Iran, Lebanon, Syria, and Libya. Yet many of the New Middle East missile powers are determined to project their power toward Europe.

Missile suppliers in the Middle East include North Korea, China, and Russian and Indian companies. Suppliers have found ways of evading the Missile Technology Control Regime!!
Iran's 2,000 km range Shihab-4 will reach targets beyond Israel. Iran's missile program is a matter of national pride that will be unaffected by regime change. The Iranians are determined to develop missiles of even longer range. In about ten years, Libya will have 50-100 missiles that can threaten Israel.

Who are the Suppliers?
Who are the suppliers of missiles in the Middle East? North Korea continues to view the selling of missiles as an export commodity. Missiles are their only dollar-earning export item. Russian companies - not the Russian government - continue to support Iran with missile technology. Although the Russian government tries to curb this trade, the proliferation goes on.

China continues to sell missile technology. China is not a member of the Missile Technology Control Regime (MTCR), but says it adheres to it. Chinese policy is not to sell complete missile systems, but some technologies sold by China are also considered MTCR-sensitive. The Chinese allow themselves more leeway in the export of what is called "banned technology" in the West. China lately issued its own missile export laws which are somewhat different from the MTCR.

Indian companies - not the Indian government - exported missile-related technology to Iraq and, currently, the Pakistanis are also becoming active in proliferation to the Middle East.

Who are the Users?
Iran is continuing to develop the 1,200 km-range Shihab-3 missile, which is adapted from the North Korean Nodong. Iran says it is operational, and there have been tests from time to time, sometimes successful and sometimes not. Less known is the fact that the Iranians continue firing the Shihab-1 into Iraq from time to time. The Shihab-4, 2,000 km-range missile program was unveiled in a recent interview by Gen. Ahmed Wahid, head of the Iranian missile program. At the time he made three important statements: 1. The Shihab program is aimed to balance the alleged Israeli Jericho missile threat.
2. Iran will continue to develop missiles of longer ranges.
3. Iran is going into space. This may sound innocent, but it is important to understand that any space launcher is a potential intercontinental ballistic missile (ICBM) that could reach anywhere on earth.

Another ominous development is the deployment of missiles in Lebanon. These are not Category 1- weapons of mass destruction missiles, but Category 2 missiles of shorter range, deployed by Iran in southern Lebanon. Iraq is developing a 150 km-range missile that has all the current technologies of long-range ballistic missiles. We now know of at least six instances when these missiles reached over 150 km "by mistake."

Syria has the largest stockpile of ballistic missiles in the region today; in fact, Syria is investing most of its military budget in its missile arsenal at the expense of its air force and its ground forces. Syria has established production lines and is producing the Scud C, a 550 km-range missile. The Syrians have also acquired a 700 km-range missile that we call the Scud D. When Syria fired such a missile two years ago, Israel was able to observe the enemy missile launch for the first time with its own Green Pine radar, part of the Arrow system. The Syrians have also improved their Scud B warheads and have tested them. Israel tracked a test of an improved warhead for the Scud B, probably with chemical agents.

Egypt is very quiet. It has a small arsenal of Scud B and Scud C missiles. Lately, however, there have been reports in the media of Egyptians buying - or trying to buy - Nodong technology from North Korea.

Libya is very active now in acquiring long-range missiles and weapons of mass destruction. Apparently, Libya is buying Nodong missiles from North Korea with a range of 1,200-1,300 km, which can strike Israel.

There are also signs of secondary proliferation: Iran is now an exporter. This is very natural once a nation has established an industrial infrastructure. The Iranians are reported to be trying to sell missiles to African countries. They are selling technologies and missile components to Syria, and they are deploying missiles in Lebanon.

The Threat of Long-Range Missiles
In the future we will see a trend toward longer-range missiles, driven by a number of motivations:
1. Projecting power toward Israel.
2. Projecting power toward Europe. A hypothetical Iranian Shihab-4 missile with a 2,000 km range could reach parts of Eastern Europe. The motivation of power projection becomes obvious since Iran does not need a missile with such a range in order to reach Israel.
3. Fear of Israel's preemptive capabilities.

Libya cannot hit Israel now; they only have Scud-B missiles with a 300 km range. The Egyptians have the Scud-C and can hit Israel from south of the Nile Delta. The Syrians can hit Israel from mid-Syria with the Scud-C. The Iranians have a 1,300 km missile that can reach Israel from western Iran. Everyone is buying longer-range missiles. The Syrians went for the Scud D, the Libyans and Egyptians opted for the Nodong, and the Iranians went for the 2,000 km Shihab-4. There is a clear trend toward extending the ranges of missiles so that they can be deployed beyond Israel's preemptive range.

Russian aid to Iran might decrease because the Russian government is attempting to reduce this trade, but Iran could be compensated by North Korea. Now North Korea is going into the nuclear business and might start selling nuclear weapons. Iran has passed the point of no return. The Iranians cannot be stopped anymore. They have their indigenous capability now and they will continue with their programs regardless of what the international community thinks. Iran will continue to develop missiles because their missile industry has nothing to do with the degree of radicalism of the regime. For Iran it is a matter of pride. Iran's missile program has become a national program that will be unaffected by any regime change.

Order of Battle
Syria has the largest stockpile, with about 500 missiles altogether, including Scud-B (300 km) and Scud-C (550 km). The SS-21 missile is a very accurate, Russian-made, solid propellant, battlefield weapon with a range of about 100 km. In Israeli terms this is a strategic weapon because, if deployed north of the Golan Heights, it can hit most of northern Israel. In about ten years, Libya will have 50-100 missiles that can threaten Israel. Iraq will remain a big question mark, even if Saddam falls. Iraq has the infrastructure and the experts who know how to make missiles. They may now have a stockpile of perhaps fifty missiles, but in the future, Iraq could produce hundreds of missiles and not just because they have Israel in mind. Iran remains Iraq's historical enemy - these two enemies have been fighting each other in the Mesopotamian Valley for the past three thousand years under different names, such as the Persians and the Babylonians.

Launch Capability the Key Measure
The number of missiles stockpiled is not the key measure of enemy threat. Rather, it is the number the enemy can actually fire in war. In 1988, in what was known as the war of the cities, the Iraqis fired about 190 missiles into four Iranian cities - Teheran, Shiraz, Qom, and Isfehan - over four months. In the Gulf War, Iraq managed to fire about 80 missiles in four weeks. Thus, actual firepower is defined not by the number of missiles but by launch capability, which depends on a whole supply structure including launchers and manpower.

Uzi Rubin is former head of Israel's Arrow-Homa Anti-Missile Defense Program. Institute for Contemporary Affairs www.jcpa.org/brief/brief2-19.htm.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/iraq/iraq-os.html | www.gfbv.it/3dossier/iraq/iraq-majid.html | www.gfbv.it/3dossier/iraq/iraq.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030204de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030131ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030128de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030128de-dok.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-3/021031ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-1/020221de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-1/020315de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/1-01/15-3-dt.html

* www: Kurdistan Regional Government: http://www.krg.org/
Iraq Research and Documentation Project (IRDP): www.fas.harvard.edu/~irdp/
Assyrische Demokratische Organisation: www.ado-world.org
Kurdische Yeziden: www.yezidi.net
Internationale Assyrische Nachrichtenagentur: www.aina.org
Assyrer in der Welt: www.nineveh.com
Irakische Kommunistische Partei: www.iraqcp.org
Kurdische Demokratische Partei: www.kdp.pp.se
Patriotische Union Kurdistan: www.puk.org
Irakischer Nationalkongreß: www.inciraq.com
International Alliance for Justice: www.i-a-j.org
Entwicklungspolitische Organisation wadi e.V und Koalition Demokratischer Irak: www.wadinet.de
Medico International: www.medico.de
Marsch Araber: www.amarappeal.com
Shia News: www.shianews.com

Letzte Aktual.: 8.8.2003 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/iraq/iraq-ander.html | XHTML 1.0 / CSS | WEBdesign, Info: M. di Vieste
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