Gesellschaft für bedrohte Völker LogoHOME | INFO | -> NEWS <- | DOSSIER | TERMINE / BACHECA | KIOSK / EDICOLA | LADIN

Minderheiten in Italien

Ein Zeichen für die Minderheiten setzten!

Offener Brief an Regionenministerin Linda Lanzillotta

Bozen, 20. September 2006

Sehr geehrte Frau Ministerin,

Sie haben rasch die Sechser- und Zwölferkommission für die beiden autonomen Provinzen Südtirol und Trentino neu ernannt. Es stehen einige offenen Fragen an, die der Bündnispartner der Mitte-Links-Regierung, die SVP (Südtiroler Volkspartei), in den beiden Kommissionen klären möchte. Die SVP drängt auf den Ausbau der Südtirol-Autonomie, die Prodi-Regierung steht diesem Wunsch positiv gegenüber. Die SVP kann sich auf die Zusagen Ihrer Regierung verlassen. Was ist aber mit den Anliegen der übrigen Sprachminderheiten? Die Vorgänger-Regierung des Berlusconi-Kabinetts, die Mitte-Links-Koalition, verabschiedete Ende der 90er Jahre mit 50jähriger Verspätung das Minderheitenschutzgesetz - wie laut Artikel 6 der Verfassung vorgesehen. Ein Gesetz, das erstmals zur Kenntnis nimmt, daß der italienische Staat eine mehrsprachige Republik ist. Das war ein Kompromiss, deshalb eher dürftig und wenig großzügig. Trotzdem bietet es die Möglichkeit, die Sprachen der minderheitlichen Bevölkerungsgruppen zu fördern. Für die Regierung Berlusconi war die Umsetzung dieses Gesetzes keine Priorität. Und für Sie?

Setzten Sie ein Zeichen für die Minderheiten, Frau Minister, berufen Sie rasch die "Ständige der Konferenz der Sprachminderheiten" ein, wie im entsprechenden Gesetz vorgesehen. Eine Wende tut not. Ihre Vorgänger-Regierung, die Mitte-Rechts-Regierung, konnte nur eine dünne Bilanz ihrer Minderheitenpolitik vorlegen, auch wenn sie für die kleinen Sprachgruppen die notwendigen Geldmittel gemäß dem Rahmengesetz zur Verfügung stellte.

Laut dem Minderheitengesetz erhalten die Sprachminderheiten für die Förderung ihrer Sprachen an den Schulen und für die Anwendung ihrer Sprache bei den Behörden entsprechende Finanzen. 2001 finanzierte die Regierung 47 minderheitensprachliche Schulprojekte in der Höhe von 5,5 Millionen Euro. Die Sprachminderheiten reichten insgesamt 180 Projekte ein. Im Schuljahr 2002/03 finanzierte der Staat 92 von insgesamt 112 eingereichten Projekten. Der Vorsitzende des Confemili (Comitato Nazionale Federativo minoranze linguistiche d'Italia), Domenico Morelli, kritisiert aber die teilweise späte Auszahlung.

Die Berlusconi-Regierung setzte letztendlich - und nicht aus eigenem Interesse heraus - Vorgaben der Mitte-Links-Vorgängerregierung um. Italien ist in der Minderheitenpolitik säumig. Es dauerte mehr als ein halbes Jahrhundert, bis eine Regierung endlich den Verfassungsauftrag laut Artikel 6 (Schutz der Minderheiten) umsetzte. Mit diesem Rahmengesetz als Durchführungsbestimmung zum Artikel 6 bekennt sich die Republik zu den Sprachminderheiten und damit auch zur autochthonen Mehrsprachigkeit.

Diese ist aber mehr als gefährdet. Das ergab die Studie Euromosaic der EU-Kommission von 1996. Von den 13 Sprachminderheiten Italiens sind weit mehr als die Hälfte in ihrer Substanz gefährdet und bedroht. Laut "euromosaic" gelten die albanische, griechische (Apulien und Kalabrien), die katalanische (Sardinien), die kroatische (Molise), die okzitanische Sprachminderheit (Piemont) und die sardische Sprache als "begrenzt" bzw. "nicht überlebensfähig". Als "bedroht" gelten Französisch (Aosta), Friulanisch und Slowenisch (Friaul).

Die Studie zeigt auch, dass dort, wo es Autonomie und Sprachenrechte gibt, die Minderheitensprachen gesichert sind. So gilt das Ladinisch als "relativ überlebensfähig", Deutsch in Südtirol als "vollkommen vital". "Euromosaic" stellt der Republik für ihre Minderheitenpolitik eine negative Note aus. Deshalb sprach sich Ihr Amts-Vorgänger, Regionenministers Enrico La Loggia, immerhin für die Verwendung der Minderheitensprachen bei Behörden und an den Schulen aus. Für den Regionenminister ist die Sprachenvielfalt ein Reichtum für Italien.

Erfolgreich hinausgezögert hat Alleanza Nazionale die Umsetzung des Slowenen-Gesetzes. Auf Druck der extrem-nationalistischen anti-slowenischen Triestiner Alleanza Nazionale ließ die Berlusconi-Regierung das Slowenen-Gesetz, vom Parlament bereits 2001 verabschiedet, unangetastet. Seit Jahrzehnten tragen italienische Nationalisten, allen voran die Lega Nazionale, auf dem Rücken der slowenischsprachigen Staatsbürger eine Revanchepolitik aus. Die Vertreibung der italienischen Bevölkerung aus Istrien und Dalmatien durch Tito-Partisanen, slowenische und kroatische Nationalisten kurz nach dem 2. Weltkrieg lastet die italienische Rechte der slowenischen Sprachminderheit an. Die Rechte wehrt sich vehement gegen die Umsetzung der Zweisprachigkeit, wie im Slowenen-Gesetz (Nr. 38) aber auch im Rahmengesetz (Nr. 482 vom 15. Dezember 1999) vorgesehen. In einigen Dörfern und Weilern in der Umgebung von Triest, Gorizia und Muggia und in weiteren 29 Gemeinden entlang der italienisch-slowenischen Grenze können zweisprachige Ortstafeln errichtet werden. Die beiden Gesetze sehe auch die Ausgabe von zweisprachigen Dokumenten vor. Einige Ämter sollen zur Zweisprachigkeit verpflichtet werden.

Bereits bei der Debatte um die beiden Gesetze versuchte das Mitte-Rechts-Bündnis die Verabschiedung zu verhindern. Seit dem Amtsantritt setzte die Mitte-Rechts-Regierung nur Teile des Rahmengesetzes um, das Slowenen-Gesetz wurde aus ethnisch-ideologischen Gründen erst gar nicht aus der Schulbade geholt. Beide Gesetze müssen in Kraft treten, wenn 15 Prozent der Bevölkerung oder ein Drittel der Gemeinderäte die Schutzartikel beanspruchen. In Triest beanspruchten 14 Gemeinderäte des Mitte-Links-Bündnisses für Triest die Zweisprachigkeits- und Minderheitenbestimmungen. Für die Beanspruchung der Rechte aus dem Slowenen-Gesetz (Nr. 8), konkret für die Schaffung einer zweisprachigen Zone in der näheren Umgebung von Triest, muß der Regionalrat seine Zustimmung geben.

Die Rechtsparteien sperren sich gerade deshalb gegen die restlose Umsetzung des Minderheiten- und des Slowenengesetzes. Die Zwei- und Mehrsprachigkeit wird als ein Anschlag auf die Einheit des Staates empfunden. Gerade das Slowenen-Gesetz weist eine Reihe von Mängel auf, betont beispielsweise der slowenische Intellektuelle Samo Pahor. Die Bevölkerungsmehrheiten können jederzeit das Gesetz aushebeln. Das ist in der Gemeinde Görz in der Provinz Udine mit dem Minderheitenschutzgesetz (482) passiert. Außerdem verweigert das Gesetz die amtliche Anerkennung für die slowenische Sprache. Das Gesetz verweigert auch die Verwendung der slowenischen Sprache mit den Behörden und deren Zentralstellen in Cividale, Gorizia und Triest. Das kommt einer totalen Verweigerung des minimalsten Schutzes gleich, der laut eines Verfassungsgerichtsurteils (28/1982) direkt aus dem Artikel 6 der Verfassung abzuleiten ist.

Pahor kommt zum Schluß, dass das Slowenengesetz nicht den Minderheitenschutzbestimmungen nachkommt, die im Vertrag von Osimo 1954 (Artikel 8) garantiert sind und die auch im regionalen Sonderstatut von 1954 enthalten sind. Das Gesetz Nr. 38 ist für Pahor ein Rückschritt und nimmt nicht zur Kenntnis, dass es bereits Schutzbestimmungen gibt, die - wie auch vom Verfassungsgericht 1966 (Nr. 15) gefordert - berücksichtigt werden müssen.

Ständige Konferenz der Sprachminderheiten
Es war löblicherweise Regionenminister La Loggia, der im Jänner 2006 die Konferenz - bestehend auch aus Vertretern der Sprachminderheiten - einberief. Am Ende der Legislatur. Eine Alibi-Handlung. Die Regierung erklärte die ratifizierte Rahmenkonvention zum Schutz für nationale Minderheiten des Europarates kurzerhand für erfüllt - weil die Schutzbestimmungen bereits im Minderheitenschutzgesetz enthalten sind. Die Haushaltskommission des Parlaments konnte sich in der Woche der Parlamentsauflösung nicht dazu durchringen, die Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates zur Ratifizierung zu empfehlen. Finanzgründe machte die Kommission geltend. Die Förderung der Minderheitensprachen darf nichts kosten.

Sinti und Roma - ausgegrenzt und diskriminiert
Das European Roma Rights Centre (ERRC) hat dem Berlusconi-Staat vorgeworfen, die Angehörigen der Sinti und Roma aus ethnischen Gründen zu diskriminieren. Allein deren "Unterbringung" in "campi nomadi" ist laut ERRC eine eklatante Verletzung der Menschenrechte, weil eine offensichtliche und totale Ausgrenzung. Die meisten "Camps" befinden sich an Mülldeponien, Autobahnen, auf Ödland. Drei Viertel dieser "Camps" sind ohne hygienische Einrichtungen. Die Bewohner sind laut ERRC behördliche und polizeilicher Willkür und Zwangsräumungen ausgesetzt. Immer wieder kommt es zu mutwilligen Zerstörungen der menschenunwürdigen Behausungen. Darunter leiden besonders die Kinder. Italien ist das einzige EU-Land mit einem öffentlich organisiertes Netz an Ghettos. Damit wird den Roma die Teilnahme an der Gesellschaft oder auch nur den Kontakt mit ihr oder die Integration unmöglich gemacht. Das ERRC (siehe: www.gfbv.it/3dossier/errc-dt.html, www.gfbv.it/3dossier/sinti-rom/20041026-de.html) richtete deshalb auch entsprechende Schreiben an internationale Gremien. In einem Brief an Innenminister Pisanu beklagte das ERRC die Lage der Sinti und Roma. Laut offiziellen Angaben leben 130.000 Sinti und Roma in Italien. Einige NGO's (siehe - "rapporto alternativo": www.december18.net/web/docpapers/doc2654.pdf, Seite 30 und 31) schätzen die Zahl der Roma mit italienischer Staatsbürgerschaft auf 90.000, die Zahl der im Ausland geborenen Roma (oder derer, die in Italien von eingewanderten Eltern geboren wurden), zwischen 45.000 und 70.000 (es handelt sich da bei besonders um Personen aus Ex-Jugoslawien). Roma mit ordentlichen Aufenthaltspapieren erhalten meist kurze Aufenthaltsgenehmigungen. Der weitaus größte Teil der an Roma vergebenen Genehmigungen hat die Dauer von einem bis zu sechs Monaten.

RAI und Minderheiten - die Ausgesperrten
Völlig enttäuscht reagiert Confemili-Vorsitzender Domenico Morelli auf die Aussperrung der Sprachminderheiten vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Morelli warf Telekommunikationsminister Gasparri und der RAI-Führung vor, die Medienbestimmungen aus dem Minderheitenschutzgesetz ignoriert und boykottiert zu haben. Nur die deutschsprachigen Südtiroler und die Angehörigen der slowenischen Sprachgruppe in Friaul-Julisch-Venetien verfügen über ein akzeptables, weil fast vollständiges, Radioprogramm in ihren Sprachen. Die große Mehrheit der Sprachminderheiten ist von der RAI ausgesperrt. Trotz anderslautender gesetzlicher Regelung.

Eine Umfrage der Europäischen Akademie Bozen ergab, dass der Großteil der kleinen Sprachgruppen bereits mit einem Minimalangebot der RAI zufrieden wäre. Laut Eurac-Umfrage soll die RAI im Fernsehen wöchentlich knappe sieben Minuten in den jeweiligen Minderheitensprachen ausstrahlen, im Radio eine knappe halbe Stunde. Keine Forderungen, die als überzogen zurückgewiesen werden können. Die Studie war auf der Tagung "armonizzare Babele" der RAI-Journalistengewerkschaft Usigrai, des Confemili, der Europäischen Akademie und des Südtiroler Volksgruppen-Instituts im März 1999 in Bozen vorgestellt worden.

An der Aktualität hat sich nichts geändert. Im Schlussdokument wurde die damalige Mitte-Links-Regierung aufgefordert, "Maßnahmen zu ergreifen, damit alle Sprachminderheiten eine angemessene Präsenz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhalten und zwar zur Sicherung des Rechts zu informieren und informiert zu werden". Die gesetzliche Grundlagen dafür sind gegeben, durch das Minderheitenschutzgesetzt (Nr. 482), durch die ratifizierte Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates und durch den EU-Vertrag von Maastricht, der in den Artikeln 126 und 128 im sprachlichen und kulturellen Pluralismus eine Grundlage für das gemeinsame europäische Haus sieht.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060316de.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/it-mayr.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060310bde.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050427de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050201de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040616de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040526ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040330de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040319ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040318de.html | www.gfbv.it/3dossier/rom-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/linkgfbv.html#rom

* www: www.affariregionali.it | www.who.int | www.eumap.org

Letzte Aktual.: 20.9.2006 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060920de.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign: M. di Vieste; E-mail: info@gfbv.it.

HOME | NEWS | NEWS ARCHIV | NEWS 2005 | NEWS 2006 | Versione italiana | Translate this page in English with Google >>