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50 Jahre Volksaufstand in Tibet

Freiheit und Menschenrechte für Tibeter

Von Ulrich Delius

Bozen, Göttingen, 8. März 2009

Index

Zusammenfassung
| Empfehlungen der Gesellschaft für bedrohte Völker | Freiheit und Menschenrechte für Tibeter | Der Volksaufstand am 10. März 1959 | Das Vermächtnis des Volksaufstands | Anhaltende Proteste gegen Chinas Tibet-Politik | Proteste dauern auch im Jahr 2009 an | Touristen gelten als unerwünschte Augenzeugen | Willkürliche Verhaftungen | Repression hält 2009 weiter an | Trotz Verbot wird in der Haft gefoltert | Unfaire Gerichtsverfahren | Keine Religionsfreiheit für Tibets Buddhisten | Proteste gegen Umerziehungskampagne | Mönche werden kriminalisiert | Neue Regeln schränken Glaubensfreiheit ein | Schicksal des Panchen Lamas ist noch immer ungeklärt | Tibets Sprache wird missachtet | Tibets Nomaden in Gefahr | Tibeter fliehen vor Unterdrückung | Presse- und Meinungsfreiheit werden unterdrückt | Tibeter profitieren nicht von wirtschaftlicher Entwicklung | Bergbau und Energiewirtschaft werden bedeutende Wirtschaftszweige | Umstrittene Eisenbahnlinie fördert Wirtschaft und Zuwanderung | Sinisierung gefährdet Tibets Identität | Gescheiterter sino-tibetischer Dialog | Diffamierung des Dalai Lama

Tibetsche Kinder. Tibetsche Kinder.

Zusammenfassung [ oben ]

50 Jahre nach dem Volksaufstand und der Flucht des Dalai Lama steht Tibet an einem Scheideweg. Niemals zuvor war seit der Kulturrevolution in den 60er-Jahren der Druck Chinas zur Assimilation auf die Tibeter so groß wie heute. Zugleich wächst unter den Tibetern der Unmut über Diskriminierung und Missachtung, über Pekings Willkürherrschaft und den kulturellen Völkermord. Tibetische Sprache, Kultur und Lebensweise werden systematisch von China zerstört. Mit der Ansiedlung von 860.000 Nomaden und Halbnomaden wird eine Jahrtausende alte Kultur vernichtet.

Bislang ist der Widerstand der Tibeter gegen Chinas Willkürherrschaft fast ausschließlich friedlich. Doch wenn der Assimilierungsdruck noch stärker wird, könnten schon bald ethnische Spannungen zwischen Tibetern und chinesischen Migranten eskalieren. Mehr als 140 Demonstrationen seit März 2008 haben gezeigt, dass die Tibet-Frage noch immer ungelöst ist. Nie zuvor sind in den letzten 20 Jahren so viele Tibeter als politische Gefangene inhaftiert gewesen. Waren im Jahr 2007 noch 120 politische Gefangene in Tibet namentlich bekannt, so wurden seit dem 10.März 2008 mehr als 5.700 Tibeterinnen und Tibeter aus politischen Gründen verschleppt oder festgenommen. Protestierten in den letzten Jahrzehnten vor allem buddhistische Nonnen und Mönche gegen Chinas Herrschaft, so wird der Protest seit März 2008 mitgetragen von Schülern, Studenten, Bauern und Nomaden. Denn vielen Tibetern wird bewusst, dass ihrer Kultur und Identität der Untergang droht, wenn der Assimilationsdruck weiter anhält. Dann könnte tibetische Kultur schon bald nur noch in Museen anzutreffen sein und im Alltagsleben nur noch folkloristisch für die wachsende Zahl von Touristen präsentiert werden. Auch fünf Jahrzehnte nach dem Volksaufstand hat Chinas Führung nichts gelernt aus dem Volksaufstand der Tibeter.

Ohne jeden Respekt für die Kultur , Gesellschaft und Religion der Tibeter setzt Peking nur auf Kontrolle und auf Machtsicherung um jeden Preis. Die atheistische chinesische Führung mischt sich immer selbstbewusster in die inneren Angelegenheiten des tibetischen Buddhismus ein. Systematisch unterdrückt sie jede freie Religionsausübung, unterwirft Nonnen und Mönche der Gehirnwäsche und zwingt sie, sich schriftlich von ihrem religiösen Oberhaupt zu distanzieren. Bilder und Statuen des Dalai Lama lässt sie mutwillig zerstören, Nonnen und Mönche aus den Klöstern werfen. Mit immer perfideren religiösen Bestimmungen versuchen Chinas kommunistische Funktionäre den tibetischen Buddhismus gleichzuschalten. Derweil leeren sich die Klöster, weil die Insassen entweder als politische Gefangene langjährige Haftstrafen verbüßen müssen oder im Ausland Zuflucht suchten. Das Schicksal des von Sicherheitskräften vor 14 Jahren entführten Panchen Lama, des zweithöchsten Würdenträgers des tibetischen Buddhismus, ist bis heute ungeklärt. Systematisch versuchen Chinas ReligionsFunktionäre mit immer neuen Verordnungen, die Nachfolge des Dalai Lama in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Einmischung Pekings geht so weit, dass der Dalai Lama erwägt, mit einer Jahrhunderte alten Tradition zu brechen, und seinen Nachfolger selbst zu bestimmen.

Chinas staatlich kontrollierte Medien preisen den Wirtschaftsboom und das "wundervolle Leben" der Tibeter . Doch von der prosperierenden Wirtschaft profitieren vor allem die chinesischen Zuwanderer. Arbeitsstellen werden vor allem am Han-Chinesen und muslimische Hui vergeben. Nicht nur mangelnde Ausbildung, sondern auch Diskriminierung bei der Arbeitsplatzvergabe sowie die systematische Zerstörung ihrer traditionellen Wirtschaftsweise führen dazu, dass Tibeter zusehends verarmen. Chinas Wirtschaftsprogramme fördern vor allem den Ausbau der Infrastruktur und den Abbau von Bodenschätzen, die von der chinesischen Industrie begehrt sind. Gefördert wird die Sinisierung Tibets durch den Bau immer neuer Eisenbahnlinien, entlang derer sich hunderttausende Zuwanderer und Industriebetriebe ansiedeln. So verliert Tibet immer mehr sein typisches Gesicht und wird zu einer beliebigen chinesischen Provinz.

Nur eine tatsächliche Autonomie, in der die Tibeter weitgehende Entscheidungsbefugnisse in Sprache, Kultur, Bildung, Religion, Migration und Entwicklung der Wirtschaft hätten, könnte dem Ausverkauf Tibets Einhalt gebieten. Doch bislang ist Chinas Führung nicht dazu bereit, einer wahren Autonomie der Tibeter zuzustimmen. Acht Gesprächsrunden zwischen Vertretern des Dalai Lama und der chinesischen Führung seit dem Jahr 2002 blieben ergebnislos. Denn Chinas Führung ist nicht wirklich zu Gesprächen und Kompromissen bereit, sondern besteht auf einer absoluten Kontrolle Tibets. Wenn es der internationalen Staatengemeinschaft nicht gelingt, Peking zu einem glaubwürdigen und Ziel führenden Dialog mit dem Dalai Lama zu drängen, drohen Tibet schwere Zeiten. Denn die Proteste gegen die chinesische Willkürherrschaft werden nicht abreißen, so dass der Tibet-Konflikt schon bald auch die gesamte Volksrepublik China destabilisieren könnte.

Der Dalai Lama. Der Dalai Lama.

Empfehlungen der Gesellschaft für bedrohte Völker [ oben ]

50 Jahre nach dem Volksaufstand in Tibet ist die Tibet-Frage noch immer ungelöst. 140 Demonstrationen und 5.700 Verhaftete seit März 2008 sind ein deutliches Zeichen dafür, dass akuter Handlungsbedarf besteht, um eine weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern. Engagement für Tibet zu zeigen ist nicht eine Frage der romantischen Verklärung Tibets durch realitätsfremde "Gutmenschen", sondern Konfliktprävention. Denn eine Verschärfung des TibetKonflikts würde auch die Stabilität der Volksrepublik China und damit auch die Weltwirtschaft gefährden.

- Die Europäische Union (EU) sollte sich engagierter dafür einsetzen, dass Chinas Führung endlich einen glaubwürdigen und Ziel führenden Dialog mit dem Dalai Lama über eine friedliche und dauerhafte Lösung des Tibet-Konflikts beginnt. Bislang führt China zwar Gespräche mit Vertretern des Dalai Lama, um den Anschein eines Dialogs zu erwecken, zeigt aber keine Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft.
- China sollte gedrängt werden, eine unabhängige und umfassende Untersuchung der seit März 2008 ausgebrochenen Unruhen zu gestatten.
- China sollte aufgefordert werden, alle im Zusammenhang mit den Unruhen verhafteten Tibeterinnen und Tibeter unverzüglich freizulassen.
- Die Volksrepublik sollte unverzüglich den Zuzug neuer Migranten nach Tibet stoppen, um eine weitere Zunahme inter-ethnischer Spannungen zu verhindern.
- Die EU sollte eine angesehene und bekannte Persönlichkeit als Tibet-Koordinator ernennen, um die Koordination der Tibet- und China-Politik in Europa zu verbessern.
- Die EU-Staaten sollten in ihren Botschaften in Peking eine spezielle Tibet-Abteilung einrichten, um mehr Informationen über die Lage in Tibet zu recherchieren und um die gemeinsamen Aktivitäten besser abzustimmen.

Freiheit und Menschenrechte für Tibeter [ oben ]

50 Jahre nach der Flucht des Dalai Lama aus seiner Heimat ist die Zukunft Tibets ungewiss. Chinas Führung ist nicht zu glaubwürdigen Verhandlungen mit dem religiösen und weltlichen Oberhaupt der Tibeter bereit und will von einer tatsächlichen Autonomie der Region nichts wissen. Stattdessen verklären Pekings Propagandisten die Lage in Tibet in bizarrer Weise. Die "demokratische Reform" unter Leitung der Kommunistischen Partei Chinas habe seit 1959 das "Schicksal des tibetischen Volkes tief verändert", erklärte das Pressebüro des chinesischen Staatsrates in seinem am 2. März 2009 veröffentlichten Weißbuch "50 Jahre demokratische Reform in Tibet"(China Economic Net, 3.2.2009).

Auch der Vorsitzende der tibetischen Regionalregierung Qiangba Puncog bekräftigte, dass alle Menschen in Tibet von der Entwicklung der Region profitierten (Xinhua, 9.4.2008). Das Bruttoinlandsprodukt in der Region sei in den vergangenen sieben Jahren jährlich um zwölf Prozent gewachsen, schwärmt Chinas Statthalter in Lhasa. Während der Funktionär der Kommunistischen Partei im April 2008 das "wundervolle Leben" der Tibeter preist, protestieren Tausende seiner Landsleute in allen großen Städten ihres Siedlungsgebietes gegen die chinesische Herrschaft (Der Spiegel, 9.4.2008). Seither hat die Verfolgung der Tibeter noch weiter zugenommen, tibetische Exilorganisationen sprechen bereits von einem "schwarzen Jahr 2009", weil in den letzten zwei Jahrzehnten noch nie so viele Tibeterinnen und Tibeter aus politischen Gründen in Haft gewesen sind. Tibet steht 50 Jahre nach dem Volksaufstand in Lhasa an einem Scheideweg.

Die gezielte Zerstörung der tibetischen Sprache, Kultur und Religion hat ein Ausmaß erreicht, dass man von einem Ethnozid (kulturellen Genozid) sprechen muss. Zugleich droht der bislang friedliche Widerstand der Tibeter umzuschlagen in ein radikaleres Aufbäumen gegen Chinas Unrechtsherrschaft. Denn Ernüchterung und Hoffnungslosigkeit machen sich vor allem unter jüngeren Tibetern breit. Angesichts der fortschreitenden Sinisierung Tibets und der mangelnden Gesprächsbereitschaft Pekings glauben sie kaum mehr daran, dass die Tibet-Frage bald friedlich gelöst wird. Enttäuscht sind die Tibeter auch über das mangelnde Engagement der internationalen Gemeinschaft für Menschenrechte und die Freiheit Tibets. Zeigen doch die seit März 2008 andauernden öffentlichen Proteste, dass die Tibet-Frage noch immer ungelöst ist. Fünf Jahrzehnte nach der Flucht des Dalai Lama muss die internationale Gemeinschaft nun endlich konsequenter für Freiheit und grundlegende Menschenrechte der Tibeter eintreten.

Der Dalai Lama. Der Dalai Lama.

Der Volksaufstand am 10. März 1959 [ oben ]

Chinas Kommunistische Partei erhob nach ihrer Machtübernahme im Jahr 1949 auch den Anspruch, ihre Kontrolle über Tibet zu festigen und die Region von "imperialistischen Kräften" und dem "Feudalregime zu befreien". Bis Oktober 1950 rückte die Volksbefreiungsarmee in tibetische Siedlungsgebiete in der Provinz Kham ein und verhaftete den tibetischen Gouverneur Ngawang Jigme Ngabo. Auch in der Provinz Amdo weiteten die chinesischen Militärs ihre Kontrolle immer weiter aus. Dabei vermieden sie offene bewaffnete Auseinandersetzungen mit der tibetischen Armee, um die internationale Öffentlichkeit nicht auf die völkerrechtswidrige Besetzung aufmerksam zu machen. Angesichts des Vormarsches der Volksbefreiungsarmee zogen sich der damals 15 Jahre alte Dalai Lama und die bedeutendsten tibetischen Regierungsvertreter nach Yatung in der Nähe der indischen Grenze zurück, um von dort aus die Regierungsgeschäfte fortzuführen.

Im Juli 1951 überredeten chinesische Abgesandte den Dalai Lama, in die tibetische Hauptstadt Lhasa zurückzukehren. Nur zwei Monate später rückten 3.000 chinesische Soldaten nach Lhasa ein. 1954 waren bereits 220.000 chinesische Soldaten in Tibet. Es herrschte eine Hungersnot, da die landwirtschaftliche Produktion den vielen Veränderungen und dem Zuzug so vieler Menschen nicht gewachsen war. Der Widerstand der Tibeter gegen die chinesische Besetzung wuchs. Erste bewaffnete Aufstände brachen 1956 in den Provinzen Kham und Amdo aus, so dass weitere chinesische Truppen in diese Unruhegebiete verlegt wurden. Klöster wurden bombardiert und geplündert, führende Mönche wurden festgenommen, öffentlich gefoltert und hingerichtet. Doch die Repression schürte nur den Widerstand der Tibeter . Bürgergruppen organisierten gewaltfreie Proteste gegen die Besatzungsmacht. Schließlich wurden bis zu 30.000 chinesische Soldaten nach Lhasa verlegt, um jeden Widerstand im Keim zu ersticken. In verschiedenen Regionen Tibets brachen Kämpfe zwischen chinesischen Truppen und Tibetern aus. Rund 10.000 Flüchtlinge aus den umkämpften Gebieten suchten in den Außenbezirken der Hauptstadt Zuflucht. Schließlich drohten führende chinesische Militärs im Dezember 1958 mit der Bombardierung Lhasas und des Potala-Palastes. Auch in der Umgebung der tibetischen Hauptstadt kam es zu Kämpfen zwischen tibetischen Freiheitskämpfern und chinesischen Soldaten. Die Angst der Tibeter um die Sicherheit des Dalai Lama nahm zu. Als er Anfang März 1959 mehrfach von chinesischen Offizieren zum Besuch des chinesischen Hauptquartiers ohne seine Leibwache gedrängt wurde, schöpften viele Tibeter Verdacht.

Daher umstellten 30.000 Tibeter zum vorgesehenen Zeitpunkt des Besuches am 10. März den Norbulingka-Palast, um ihr Oberhaupt vor Übergriffen chinesischer Soldaten zu schützen. Der Dalai Lama verließ daraufhin nicht den Palast und sagte seinen Besuch in dem chinesischen Militärlager ab. Am 12. März 1959 protestierten 5.000 Frauen in den Straßen Lhasas mit Spruchbändern "Tibet den Tibetern" gegen die chinesische Besatzungsmacht. Demonstranten errichteten erste Straßenbarrikaden, die chinesischen Truppen verstärkten ihre Bewaffnung. Bis zu 50.000 chinesische Soldaten und schwere Artillerie wurden in die Umgebung Lhasas verlegt, nachdem die Spannungen in der Stadt immer mehr zunahmen. Am 17. März feuerten sie zwei Mörsergranaten auf den Norbulingka-Palast ab, die schließlich den Dalai Lama zur Flucht bewegten. Verkleidet als chinesischer Soldat wagte er sich durch die chinesischen Linien. Nach 14 Tagen erreichte er das indische Exil. In Lhasa eskalierte währenddessen die Gewalt.

Am 19. März lieferten sich Tibeter Kämpfe mit chinesischen Soldaten. Die Besatzungsstreitkräfte schossen am 21. März 800 Granaten auf den Norbulingka-Palast ab. Dabei wurden tausende Frauen, Männer und Kinder getötet, die an der Palastmauer gezeltet hatten. 200 Angehörige der Leibwache des Dalai Lama wurden von chinesischen Soldaten entwaffnet und standrechtlich erschossen. Auch gerieten alle bedeutenderen Klöster in Lhasa unter Feuer der chinesischen Truppen. Die zwei Klöster Sera und Drepung wurden dabei zerstört. Tausende Mönche wurden bei den Angriffen getötet oder verschleppt, um Zwangsarbeit zu leisten. Die Kämpfe dauerten nur wenige Tage, da der tibetische Widerstand den chinesischen Truppen zahlenmäßig stark unterlegen und schlecht ausgerüstet war. Chinesische Soldaten durchkämmten alle Straßen und Häuser, beschlagnahmten Waffen und erschossen die Bewohner. Insgesamt fielen dem Terror chinesischer Soldaten in Zentraltibet 86.000 Menschen zum Opfer.

Das Vermächtnis des Volksaufstands [ oben ]

Die friedliche Erhebung gegen die Besatzungsmacht 1959 hat bis heute eine enorme Bedeutung für die Tibeter. Das Aufbäumen der Bevölkerung gegen Chinas Politik war ein deutliches Zeichen für den Freiheitswillen der Tibeter und für ihre Bemühungen um die Wahrung ihres Selbstbestimmungsrechts. Zugleich macht er deutlich, dass die von Peking so genannte "Befreiung" durch die Volksbefreiungsarmee von den Menschen als Joch empfunden wurde. Zum Gedenken an die Opfer des Aufstands organisieren Exil-Tibeter jedes Jahr in Dutzenden Staaten Demonstrationen und Mahnwachen.

Mit seiner umstrittenen Entscheidung, am 28. März 2009 offiziell der "Befreiung der Tibeter von der Leibeigenschaft" zu gedenken, verhöhnt der regionale Volkskongress der "Autonomen Region Tibet (TAR)" die Opfer des Volksaufstands und verletzt die Gefühle der Überlebenden der brutalen Repression. Auch der 28. März 1959 ist ein geschichtlich bedeutendes Datum für die Tibeter: An diesem Tag enthob der chinesische Ministerpräsident Zhou Enlai die tibetische Regionalregierung ihres Amtes und löste sie auf. Die Ausrufung des Gedenktages ist für die Tibeter eine verantwortungslose und zynische Provokation, die neue Gewalt in der Unruheregion schürt.

Die Entscheidung des Volkskongresses wirft aber auch ein schlechtes Licht auf die Gesprächsbereitschaft von Chinas Führung. Wer sich ernsthaft um einen Dialog mit den Tibetern bemüht, würde sie nicht so offensichtlich brüskieren. Insofern macht die Führung der Volksrepublik mit dieser Initiative des Volkskongresses auch deutlich, dass sie kein Interesse an einem Ziel führenden und glaubwürdigen Dialog mit der Exilregierung des Dalai Lama hat. Chinas Regierung will an dem Feiertag der Abschaffung von "Feudalherrschaft und Sklaverei" in Tibet gedenken. Kenner Tibets leugnen nicht, dass es Missstände und Feudalherrschaft im alten Tibet gegeben hat. Es gibt keinen Grund, Tibets Geschichte zu verklären. Doch auch in Tibet gab es eine Reformbewegung und nach der chinesischen Besetzung haben die Tibeter im Exil zahlreiche demokratische Reformen erfolgreich vorangetrieben. Der Vorwurf der Sklaverei ist hingegen unhaltbar , da kein zeitgenössischer Reisender über Sklaverei in Tibet berichtet hat.

Friedliche Demonstrationen im tibetischen Siedlungsgebiet 2008. Friedliche Demonstrationen im tibetischen Siedlungsgebiet 2008.

Anhaltende Proteste gegen Chinas Tibet-Politik [ oben ]

Seit dem 10. März 2008 wurden mehr als 140 Demonstrationen in mehr als 60 Bezirken des tibetischen Siedlungsgebiets in der Volksrepublik China registriert. Vergleichbar große Proteste hatte es in den Jahren 1987 und 1989 gegeben. Ihnen waren damals dutzende Tibeter zum Opfer gefallen.

Mindestens zwei Drittel der Proteste in den Jahren 2008/2009 ereigneten sich außerhalb der "Autonomen Region Tibet (TAR)" in tibetischen Siedlungsgebieten in den Provinzen Sichuan, Gansu und Qinghai. Im Vorfeld der Olympischen Spiele waren in der TAR die Sicherheitsvorkehrungen bereits vor dem Jahrestag des Volksaufstands deutlich verschärft worden, um eventuelle Proteste im Keime zu ersticken. Offensichtlich hatten chinesische Sicherheitsbehörden nicht mit der schnellen Ausbreitung der Proteste auch in anderen tibetischen Siedlungsgebieten gerechnet. Moderne Medien, wie Mobiltelefone und Internet, trugen maßgeblich dazu bei, dass sich Nachrichten über die Demonstrationen schnell nicht nur im Westen Chinas verbreiteten, sondern Fotos der Proteste auch internationale Medien im Ausland erreichten. Für die große Bedeutung der Mobiltelefone bei der Ausbreitung der Proteste spricht auch die Tatsache, dass im Westen der TAR, wo es noch kein Mobilfunknetz gibt, nur wenig demonstriert wurde. Auch ist diese Region nur relativ dünn besiedelt. Mit allen Mitteln haben die chinesischen Behörden versucht, die Weitergabe von Informationen über Demonstrationen über das Mobilfunknetz zu unterbinden. So wurden Tibeterinnen und Tibeter verhört und misshandelt, die mit im Ausland lebenden Familienangehörigen telefoniert hatten.

Wurden spontane Demonstrationen in den 80er- und 90er-Jahren vor allem von buddhistischen Nonnen und Mönchen getragen, so protestieren nun weite Bevölkerungsschichten: Nomaden, Bauern, Arbeiter, Schüler , Studenten und Intellektuelle. Auffallend ist auch, dass in den Regionen, in denen nun am meisten protestiert wurde, führende buddhistische Lamas nicht mehr mäßigend wirken konnten, da sie angesichts wachsenden chinesischen Drucks in den letzten Jahren im Ausland Zuflucht gesucht hatten. So erweist sich Chinas harsche Religionspolitik in diesen alten tibetischen Siedlungsgebieten nun als Bumerang.

Die meisten Proteste blieben friedlich. Nur in Lhasa kam es am 14. März 2008 zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Han-Chinesen und ihre Geschäfte. Chinas staatliche Medien nutzten diese Bilder der Gewalt, um die Protestbewegung pauschal als gewalttätig zu diffamieren. Die Unruhen in Lhasa waren aber auch in anderer Hinsicht außergewöhnlich. Während sich der Zorn der Tibeter in den anderen Städten und Regionen vor allem gegen Einrichtungen des Staates und der Kommunistischen Partei richtete, protestierten die Menschen in der tibetischen Hauptstadt auch gegen Han-Chinesen. Keine andere Stadt in der TAR ist so sehr wie Lhasa vom massiven Zuzug von Han-Chinesen betroffen.

Proteste dauern auch im Jahr 2009 an [ oben ]

Ungeachtet verstärkter Sicherheitsvorkehrungen und der Entsendung von mehr Sicherheitskräften in die tibetischen Siedlungsgebiete kam es nach dem März/April 2008 immer wieder zu Protesten. Auch im Jahr 2009 wurden erneut Proteste bekannt. So wurde am 5. Januar 2009 der 32 Jahre alte Ngawang Sonam in Kardze festgenommen, als er vor dem Polizeipräsidium für die Unabhängigkeit Tibets demonstrierte und mehrere tausend Flugblätter und Gebetsfähnchen in die Luft warf (Radio Free Asia, 10.1.2009). Polizisten schlugen den Vater von zwei Kindern schließlich nieder, betäubten ihn und transportierten ihn ab. Er war bereits im Jahr 2000 nach einem ähnlichen Protest verhaftet worden.

Nur wenige Tage zuvor, am 29. Dezember 2008, war die Tibeterin Kunchok Dolma am gleichen Ort festgenommen worden, weil sie für den Dalai Lama und die Unabhängigkeit Tibets demonstriert hatte. Polizisten und Soldaten sollen bei ihrer Festnahme Schüsse abgegeben haben, berichten Augenzeugen (Radio Free Asia, 9.1.2009). Noch während ihrer Festnahme warf die 29-Jährige Flugblätter in die Luft und rief Slogans, in denen sie dem Dalai Lama ein langes Leben wünschte.

Fünf buddhistische Mönche wurden am 27. Januar 2009 in dem Bezirk Dege der Ganzi Tibetischen Autonomen Präfektur in der Provinz Sichuan verhaftet, weil sie in der Nähe ihres Klosters für die Unabhängigkeit Tibets demonstrierten (Washington Post, 19.2.2009). In der Stadt Lithang in der Provinz Sichuan wurde am 15. Februar 2009 der Mönch Lobsang Lhundup festgenommen. Der 38 Jahre alte Mann protestierte mit einem Foto des Dalai Lama in der Hand für eine Rückkehr des religiösen Führers. Während die meisten Proteste nur wenige Minuten dauern, weil Sicherheitskräfte sofort intervenieren, blieb Lobsang Lhundup zwanzig Minuten lang unbehelligt, weil sich die chinesischen Sicherheitskräfte in der Mittagspause befanden. Dutzende Tibeter forderten am nächsten Tag mit einem zweistündigen Protestzug die Freilassung des Inhaftierten. Bewaffnete Bereitschaftspolizei löste die Demonstration schließlich mit Gewalt auf und nahm mindestens 24 Tibeter fest, berichteten Augenzeugen der in Dharamsala (Indien) ansässigen Menschenrechtsorganisation "Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD)" (Phayul / TCHRD, 17.2.2009 / Associated Press, 19.2.2009).

Viele der Verhafteten wurden durch Schläge verletzt und bluteten, als sie mit Militärfahrzeugen in Gewahrsam gebracht wurden. Die meisten Verhafteten sind ehemalige Nomaden. Während der folgenden Nacht durchsuchten Sicherheitskräfte zahlreiche Häuser. Auch ordneten die Behörden die Schließung von Geschäften und Hotels während der folgenden drei Tage an (International Herald Tribune, 19.2.2009). Ein Geschäftsmann berichtete, mehr als tausend Bereitschaftspolizisten und Soldaten seien in der Stadt zusammengezogen worden (Washington Post, 19.2.2009).

Weitere Sicherheitskräfte würden in der Stadt noch erwartet. Für Touristen soll Lithang bis Ende März gesperrt sein. Französische Fernsehjournalisten, die die Stadt vor der Demonstration Anfang Februar 2009 ohne behördliche Genehmigung insgeheim besucht hatten, berichteten über zahlreiche Straßensperren und eine hohe Präsenz der Sicherheitskräfte. Außerhalb Lithangs lebende Nomaden wurden in den Tagen nach der Festnahme der Demonstranten von Sicherheitskräften am Betreten der Stadt gehindert. Führende Mönche buddhistischer Klöster von Lithang wurden von den Behörden zu einem Treffen am 18. Februar einbestellt, auf dem ihnen unmissverständlich deutlich gemacht wurde, dass jeder Protest gegen die Regierungspolitik schwerwiegende Folgen nach sich ziehen würde (Phayul, 20.2.2009). In der Provinz Gansu wurde im Februar 2009 Ausländern der Besuch der Stadt Xiahe untersagt. Dort befindet sich das Labrang Kloster, von dem 2008 zahlreiche Proteste ausgegangen waren (International Herald Tribune, 19.2.2009).

In zahlreichen tibetischen Siedlungsgebieten, in denen 2008 besonders viele Tibeter demonstriert hatten, wurde von den Behörden eine verstärkte Überwachung durch Patrouillen angeordnet, die die Bevölkerung 24 Stunden am Tag kontrollieren sollen (The Times, 21.2.2009). Auch bei mehreren bedeutenden buddhistischen Tempeln in Lhasa wurden im Januar 2009 zusätzliche Polizeiposten eingerichtet, berichtet die regimekritische tibetische Schriftstellerin Woeser . Pilgern aus tibetischen Siedlungsgebieten in den Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan werde nicht mehr gestattet, in die tibetische Hauptstadt zu reisen. Gleiches gelte für Tibeter , die aus beruflichen Gründen Lhasa aufsuchen wollten (Al Dschazira, 10.1.2009).

Angesichts der massiven Sicherheitsvorkehrungen sprach die tibetische Exilregierung von einem "unerklärten Ausnahmezustand" (Reuters, 21.2.2009). Nachdrücklich forderte sie die chinesischen Behörden auf, die Bewegungsfreiheit der Tibeter nicht länger einzuschränken. Der Dalai Lama appellierte an die tibetische Bevölkerung, sich von dem massiven Druck der Sicherheitskräfte nicht provozieren zu lassen, da die Behörden jeden Protest nur wieder mit unvorstellbarer Gewalt niederschlagen würden (Reuters, 24.2.2009).

Staatliche chinesische Stellen wie auch die regierungsnahe "Buddhistische Vereinigung Tibets" forderten die Bevölkerung auf, nicht an "verbotenen Demonstrationen" teilzunehmen (The Times, 19.2.2009). Lobsang Gyaincain, ein führender Vertreter der Kommunistischen Partei in Tibet, appellierte in einem am 19. Februar 2009 in der offiziellen Tageszeitung "Tibet Daily" veröffentlichten Artikel an die Nonnen und Mönche, sich von allen politischen Aktivitäten fernzuhalten. Die Kommunistische Partei in Tibet rief bei einem Sondertreffen Partei, Regierung, Soldaten, Polizisten und die Öffentlichkeit dazu auf, Separatismus und Feinde der Stabilität mit allen Mitteln zu bekämpfen (AFP , 19.2.2009). Der stellvertretende Bürgermeister von Lhasa, Cao Bianjing, schloss neue Proteste nicht aus und machte dafür gegenüber ausländischen Journalisten den Dalai Lama verantwortlich (Reuters, 10.2.2009).

Touristen gelten als unerwünschte Augenzeugen [ oben ]

Um unerwünschte Augenzeugen fernzuhalten, wird auch der Tourismus von den Behörden eingeschränkt. Auf Tibet spezialisierte Reisebüros wurden am 18.Februar 2009 von chinesischen Behörden angewiesen, bis auf weiteres alle Reisen in die TAR sowie in angrenzende tibetische Siedlungsgebiete abzusagen (Telegraph, 18.2.2009). Vier offizielle Reisebüros in China und Tourismus-Mitarbeiter in Lhasa bestätigten das Reiseverbot, das von einer Sprecherin des chinesischen Außenministeriums jedoch dementiert wurde (AFP , 26.2.2009). Tibets Tourismus-Industrie hatte gehofft, 2009 drei Millionen Urlauber beherbergen zu können. Hatten 2007 noch vier Millionen Touristen die TAR besucht, so fiel aufgrund der Reisebeschränkungen und der Unruhen ihre Zahl im Jahr 2008 auf nur noch 2,2 Millionen Menschen. In der ersten Jahreshälfte 2008 waren die Einnahmen aus dem Tourismus nach offiziellen Angaben um 72 Prozent rückläufig (China Daily, 5.1.2009).

Angesichts der hohen Zahl der Opfer und der Verhafteten bei den Unruhen im Jahr 2008 sowie in Anbetracht der anhaltenden Verfolgung rief die tibetische Exilregierung im Februar 2009 dazu auf, zum Beginn des traditionellen tibetischen Neujahrs am 25. Februar keine Feiern abzuhalten. Traditionelle Feuerwerke, Tanzveranstaltungen und andere Feierlichkeiten sollten abgesagt werden, und tibetische Würdenträger sollten auch nicht an entsprechenden Veranstaltungen teilnehmen, empfahl die Exilregierung (Phayul, 7.2.2009). Um den Anschein von Normalität zu erwecken und um dem Boykottaufruf zu begegnen, hatten lokale Beamte Tibetern Geld im Wert von hunderten US-Dollars ausgehändigt, um Feuerwerkskörper für das Neujahrsfest zu kaufen. Doch in den meisten tibetischen Städten kam keine Feierstimmung auf. Stattdessen gedachten viele Tibeter in aller Stille der Opfer der Unruhen. Vergeblich hatten die chinesischen Behörden mit der Verleihung von Preisen an 36 Mönche und zehn Klöster für "vorbildliches patriotisches Engagement" versucht, in den Klöstern eine positive Stimmung zu erzeugen (Phayul, 19.2.2009). Mehr als 100 Mönche aus dem Kloster Mutsang (Tsolho Autonome Tibetische Präfektur, Provinz Qinghai) haben in der Stadt Mangra am 25. Februar 2009, dem ersten Tag des 15 Tage dauernden tibetischen Neujahrsfestes, mit einem friedlichen Fackelzug gegen die chinesische Politik in Tibet protestiert (Phayul, 27.2.2009). Die Sicherheitsbehörden forderten die Mönche ultimativ auf, die Demonstration aufzulösen und sich zu ergeben. Das Kloster wurde hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt.

Der tibetische Mönch Tabey aus dem Kloster Kirti Trunkhor (Bezirk Ngaba) übergoss sich am 27. Februar 2009 aus Protest gegen die chinesische Politik mit Benzin und versuchte sich selbst zu verbrennen. In den Händen hielt er ein Foto des Dalai Lama, als er das Benzin in Brand setzte. So wollte Tabey vermutlich gegen die behördliche Beschränkung eines traditionell alljährlich in seinem Kloster stattfindenden Gebetsfestes protestieren (Phayul, 27.2.2009). Es ist nicht bekannt, ob der Mönch den Selbstmordversuch überlebt hat.

Willkürliche Verhaftungen [ oben ]

Anlässlich des tibetischen Neujahrsfestes zog die tibetische Exilregierung in einem am 7. Februar 2009 veröffentlichten Report noch einmal eine Bilanz der tragischen Ereignisse des Jahres 2008. Bei der blutigen Niederschlagung der am 10. März 2008 ausgebrochenen Unruhen seien 219 Tibeter getötet und 1294 verletzt worden, wird in dem Bericht festgestellt (Phayul, 7.2.2009). Rund 5.600 Menschen seien noch immer in Haft und 1.000 Personen würden noch vermisst. Offiziellen chinesischen Angaben zufolge sollen bei den Unruhen nur 22 Menschen zu Tode gekommen sein.

Chinas Führung zweifelt nicht an der Rechtmäßigkeit der gewaltsamen Niederschlagung der Unruhen im Frühjahr 2008. "Wir unterstützen uneingeschränkt die Partei und die Regierung in ihrer Behandlung der destruktiven, zerstörerischen, gewaltsamen und illegalen Zwischenfälle in Lhasa", erklärte am 3. März 2009 Jia Qinglin, der Vorsitzende der "Politischen Beratungskonferenz des Chinesischen Volkes"(Associated Press, 3.3.2009). Das Gremium erarbeitet regelmäßig Gesetzesinitiativen für das chinesische Parlament, den Nationalen Volkskongress. Bedenkt man, dass in den Jahren zuvor nur das Schicksal von rund 140 Tibeterinnen und Tibetern bekannt war, die als politische Gefangene in chinesischem Gewahrsam festgehalten wurden, so hat sich die Menschenrechtslage dramatisch verschlechtert. Innerhalb von einem Jahr ist die Zahl der politischen Gefangenen um mehr als das Dreißigfache gestiegen, die Zahl der Verschwundenen hat sich verfünffacht.

Chinas staatliche Medien räumten am 9. April 2008 die Verhaftung von fast 4.000 Tibeterinnen und Tibetern ein (Xinhua, 9.4.2008). In der TAR seien 953 Personen festgenommen worden, die der Verwicklung in die Unruhen verdächtigt würden, erklärte Qiangba Puncog, der Vorsitzende der Autonomen Region Tibet (Reuters, 8.4.2008). Gegen 403 Personen sei Haftbefehl erlassen worden und 93 weitere Personen würden steckbrieflich gesucht, sagte der KP-Funktionär. Sein Stellvertreter Palma Trily wird im Juni 2008 von der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua mit den Worten zitiert, die meisten der Verhafteten seien wieder freigelassen worden. Gegen 1.157 Tibeterinnen und Tibeter sei wegen minderer Delikte ermittelt worden (BBC, 20.6.2008). Nur noch 116 Personen verblieben in Haft und müssten sich vor Gericht verantworten. Wenige Tage vor der Ankunft der Olympischen Flamme in Tibet sollte diese Aussage offensichtlich die Tibeter beschwichtigen und den ungestörten Verlauf des Fackellaufes sichern helfen.

Allein den Tibetern fehlte der Glaube an eine umfassende und zügige Freilassung der meisten Festgenommenen. Zu viele Menschen wurden und werden noch immer in ihren Familien und Klöstern vermisst. Amnesty International beklagt das "Verschwinden" von mehr als 1.000 Tibeterinnen und Tibetern (BBC, 18.6.2008). So war auch sechs Monate nach dem Ausbruch der Unruhen das Schicksal von 80 Mönchen aus dem Kloster Drepung am Stadtrand von Lhasa noch immer ungeklärt. Nur wenige Fälle von Verschwundenen konnten bislang aufgeklärt werden. Fast wöchentlich finden Gerichtsverhandlungen gegen Tibeter statt, die der Beteiligung an den Unruhen beschuldigt werden. Auch Parteikader werden nicht verschont. So wurde das etwa 30 Jahre alte Parteimitglied Walza Norzin Wangmo zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie Nachrichten über die Lage in Tibet über Internet und Telefon ins Ausland gegeben hatte (Phayul, 19.11.2008).

Die chinesischen Behörden hatten im April 2008 eine "harte und schnelle Bestrafung" der Beschuldigten angekündigt (International Herald Tribune, 4.4.2008). Mehr als 200 Tibeterinnen und Tibeter wurden bis Ende Februar 2009 wegen Beteiligung an den Unruhen zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und lebenslänglich verurteilt.

Ende Dezember 2008 wurden 59 Tibeter verhaftet, weil sie verbotene tibetische Lieder verbreitet hatten (New York Times, 26.12.2008). Ihnen wird vorgeworfen, ethnische Konflikte und Unruhen zu schüren. Seit dem 4. Dezember 2008 hatten Sicherheitsbeamte systematisch auf allen Märkten in Tibet nach Compact Disks mit verbotenen "reaktionären Liedern" gesucht. Weitere zwei Tibeter wurden im Januar 2009 festgenommen, weil ihre Mobiltelefone Klingeltöne mit "reaktionärer Musik" hatten (Associated Press, 28.1.2009 / npr, 26.1.2009).

Chinas Behörden haben im Januar 2009 nicht nur die Überwachung buddhistischer Klöster weiter verschärft, sondern auch angeordnet, dass Nonnen und Mönchen religiöse Feiertage vor dem traditionellen Kalendertermin feiern. So soll jeder öffentliche Protest unterbunden werden. Mit der willkürlichen Verlegung religiöser Feste verletzt China massiv die Religionsfreiheit der Tibeter . Wer sich dagegen wendet, riskiert inhaftiert zu werden. So ist der 27 Jahre alte Mönch Lobsang Kirti aus dem Kloster Ngaba Kirti am 15. Januar 2009 in einem Copyshop verhaftet worden.

Ihm wird vorgeworfen, illegal Plakate verbreitet zu haben, auf denen dazu aufgerufen wird, die Anordnungen der chinesischen Behörden zu ignorieren und religiöse Feste zu den traditionell vorgesehenen Terminen zu feiern. Anfang Januar 2009 sind zwei weitere Mönche seines Klosters zu jeweils zwei Jahren Haft verurteilt worden. Die Mönche Kunga und Dorjee waren bereits im Mai 2008 festgenommen worden, weil sie die Einmischung der chinesischen Behörden in Fragen des buddhistischen Glaubens in Tibet kritisiert hatten. Ihrem Kloster Kirti ist in den letzten Monaten mehrfach verboten worden, die alljährlich stattfindende religiöse Janggun-Choe-Chemno-Debatte abzuhalten. Dazu kamen in den Vorjahren rund 4000 Mönche aus ganz Tibet in dem Kloster zusammen. Ebenfalls im Januar 2009 wurde der 33 Jahre alte Mönch Lobsang Choephel verurteilt. Er soll vier Jahre Haft verbüßen. Er ist gefoltert worden und in schlechter gesundheitlicher Verfassung, berichteten Angehörige nach einem Besuch in seinem Gefängnis. Sein linkes Auge ist aufgrund von Schlägen geschwollen.

Weitere sieben politische Gefangene wurden im Januar/Februar 2009 wegen ihrer Teilnahme an öffentlichen Protesten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. So müssen drei Nonnen aus dem Kloster Yarteng (Lhamo (29), Yangzom (31), Poewang (27)) zweieinhalb Jahre Haft verbüßen. Die 28 Jahre alte Nonne Yankey aus dem Kloster Drakkar wurde zu einer Gefängnisstrafe von 21 Monaten verurteilt. Der 32-jährige Ngawang Phuntsok und Lunglung Sonam müssen für drei Jahre ins Gefängnis. Der 22 Jahre alte Mönch Ngawang Lhundup aus dem Kloster Kardze ist zu vier Jahren Haft verurteilt worden.

Repression hält 2009 weiter an [ oben ]

Jeden Monat werden weitere Tibeterinnen und Tibeter in Haft genommen, denen regierungskritische Aktivitäten vorgeworfen werden. So wurden mehrere Dutzend Tibeter Anfang Februar 2009 festgenommen, weil sie die Bevölkerung aufgefordert hatten, nicht an Feierlichkeiten zum Beginn des Tibetischen Neujahrs am 25. Februar teilzunehmen (Phayul, 4.2.2009). Stattdessen sollten die Tibeter drei Tage lang um die Opfer der Unruhen trauern, empfahlen die Kritiker der Pekinger Tibet-Politik. China ordnete daraufhin für seine Regierungsangestellten für die fraglichen Tage eine absolute Präsenzpflicht in den Behörden an und forderte seine Mitarbeiter auf sicher zu stellen, dass auch alle Familienangehörigen die offiziellen Weisungen beachten und sich von jedem Protest fernhalten (Phayul, 4.2.2009). Jeder Verstoß gegen diese Anweisung werde streng geahndet, kündigte die chinesische Verwaltung an.

Systematisch schürt China mit einer neuen "Schlag hart zu"-Kampagne ein Klima der Furcht und Einschüchterung in Tibet. Im Rahmen dieser am 18. Januar 2009 begonnenen Aktion zur Bekämpfung der Kriminalität, die 42 Tage andauern soll, wurden bis Ende Januar 2009 bereits 3.000 Wohnungen und mehr als 5.700 Personen überprüft (TCHRD, 23.1.2009). Die "Schlag hart zu"-Kampagne wurde erstmals 1983 initiiert, um Korruption und Verbrechen in der Volksrepublik zu bekämpfen. Doch sowohl in Tibet als auch in Xinjiang/Ostturkestan wird die Kampagne regelmäßig von den Behörden benutzt, um Kritiker der chinesischen Herrschaft einzuschüchtern und mundtot zu machen. Im Rahmen der neuen Kampagne im Januar 2009 wurden auch Tibeter aus politischen Gründen festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, "reaktionäre" Texte und Lieder auf ihren Handys gespeichert zu haben.

Trotz Verbot wird in der Haft gefoltert [ oben ]

Obwohl das UN-Komitee gegen Folter der Volksrepublik empfohlen hat "sicher zu stellen, dass alle Foltervorwürfe schnell, umfassend, effektiv und von neutraler Seite untersucht werden", gab es nach der Niederschlagung der Unruhen im Jahr 2008 erneut Indizien für einen systematischen Einsatz von Folter . So starb die 38 Jahre alte Tibeterin Nechung Ende März 2008, nachdem sie während ihrer neuntägigen Haft gefoltert worden war (TCHRD, 5.5.2008). Die Mutter von vier minderjährigen Kindern war in einem kritischen Gesundheitszustand am 26. März 2008 aus dem Gefängnis entlassen worden und erlag ihren schweren Verletzungen am 17. April 2008. Sie wurde von den Behörden beschuldigt, an Protesten im Bezirk Ngapa (Provinz Sichuan) am 16./17. März mitgewirkt zu haben.

Der 31 Jahre alte Bauer Dawa aus dem Bezirk Phenpo Lhundup (TAR) wurde am 15. März 2008 während eines friedlichen Protests in seinem Heimatbezirk festgenommen. Mehrfach wurde er von seinen Gefängniswärtern gefoltert. Als sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, wurde er am 27. März aus der Haft entlassen. Nach vier Tagen Krankenhaus-Aufenthalt starb er am 1. April 2008. Seine Familie musste auf Anordnung der Behörden 125 US-Dollars Schadensersatz für die Zerstörung öffentlichen Eigentums und für die Beeinträchtigung der Wirtschaft zahlen (TCHRD, Jahresbericht 2008, S. 24).

Fünf Wochen nach seiner Festnahme starb der ca. 45 Jahre alte Paltsal Kyab aus der Provinz Sichuan an den Folgen der in der Haft erlittenen Folter . Sein Leichnam habe zahlreiche Blutergüsse aufgewiesen, berichteten Augenzeugen. Der 24 Jahre alte Maler Pema Tsepak (Chamdo, TAR) ist aufgrund von Misshandlungen am 23. Januar 2009 in der Haft verstorben. Er hatte am 20. Januar friedlich mit anderen jungen Demonstranten die tibetische Fahne geschwenkt, als er mit vier anderen Tibetern festgenommen wurde. Weitere fünf Personen starben während des Jahres 2008 aufgrund von Folter: Die 45 Jahre alte Jampa Lhamo aus Chamdo (TAR), Tenzin Norbu aus Lhasa (TAR), Ngawang Tsering aus Markham (TAR) sowie Sonam Phuntsok und seine Frau aus Lhasa (TAR).

Neben diesen neun Todesfällen gibt es zahlreiche Zeugnisse von im Jahr 2008 Verhafteten, die glaubwürdig berichten, gefoltert worden zu sein. So wurde die 27 Jahre alte Nonne Tsering Tsomo aus dem Watak Kloster (Provinz Sichuan) bei ihrer Festnahme am 8. Juni 2008 geschlagen und getreten. Der 30 Jahre alte Mönch Lobsang Thabkhey aus dem Kloster Labrang (Provinz Gansu) wurde am 1. April 2008 gemeinsam mit sechs Mönchen verhaftet. Als er nach mehreren Tagen wieder freigelassen wurde, war sein Körper von Blutergüssen gezeichnet und psychisch wirkte der Mönch verwirrt. Die betagte Tibeterin Ama Tsanglo wurde vom Parteisekretär der Stadt Getse (Bezirk Drango) brutal geschlagen, als sie sich weigerte, auf einer Versammlung am 26. März 2008 den Dalai Lama zu denunzieren. Der 80 Jahre alte ehemalige Abt des Klosters Rong Gonchen (Provinz Qinghai), Alak Khasutsang, erlitt schwere Kopfverletzungen durch Schläge von Polizisten, als er am 17. April 2008 in Rebkong zwischen tibetischen Demonstranten und Polizisten vermitteln wollte (TCHRD, 18.4.2008).

Ein im März 2008 festgenommener Jugendlicher schildert in einem bewegenden Bericht seine Begegnung mit Gefolterten in einem Gefängnis in Lhasa. So erzählt er von einem 65 Jahre alten Mann, dem zwei Rippen gebrochen worden waren und der sich nicht mehr aufrecht halten konnte. Erschütternd ist auch seine Erzählung von einem Geschwisterpaar . Die beiden übernachteten in einem Raum, als Soldaten eindrangen und sie aus einem höheren Stockwerk auf die Erde vor dem Gebäude warfen. Der Bruder war sofort tot. Die Schwester starb nicht, erlitt aber schwere Verletzungen. Bis heute kann sie nicht mehr liegen. Die Behörden verboten ihr , über das Schicksal ihres Bruders oder über ihre Verletzung zu sprechen (TCHRD, 23.5.2008). Die häufigsten Foltermethoden in Tibet sind Fußtritte, Schläge, Aufhängen an den Armen, Fesselung in schmerzhaften Positionen, Stromstöße, Isolationshaft und der Entzug von Schlaf oder Nahrung. Das "UN-Komitee gegen Folter" hat am 21. November 2008 seine tiefe Besorgnis über die zahlreichen Berichte über Folter in Tibet ausgedrückt und die chinesische Regierung aufgefordert, innerhalb eines Jahres Antworten auf die Vorwürfe vorzulegen. Mindestens 97 Tibeterinnen und Tibeter sind seit Chinas Unterzeichnung der Anti-Folter- Konvention am 12. Dezember 1986 an den Folgen von Misshandlungen in Gewahrsam gestorben. Die Konvention, die Folter streng untersagt und als Verbrechen klassifiziert, wurde 4. Oktober 1988 von der Volksrepublik ratifiziert. Auch nationale chinesische Gesetze, wie das Strafgesetzbuch, verbieten den Einsatz von Folter, um "Geständnisse" zu erpressen.

Unfaire Gerichtsverfahren [ oben ]

Obwohl die Volksrepublik China behauptet, keine "politischen Gefangenen" in Gewahrsam zu halten, werden Tibeter strafrechtlich für "Verbrechen" zur Rechenschaft gezogen, die ihr Engagement für die tibetische Identität mit politischen Begriffen bewerten. So werden sie als "Spalter" verfolgt, weil sie angeblich die Einheit der Volksrepublik China gefährden. Die "Arbeitsgruppe willkürliche Verhaftungen des UN-Menschenrechtsrates" hat vor einem Missbrauch des Strafrechts zu politischen Zwecken gewarnt. Chinesische Strafrechtsbestimmungen wie die "Gefährdung der nationalen Sicherheit und die Unterstützung separatistischer Aktivitäten" seien so vage gefasst, dass ein Missbrauch nicht auszuschließen sei, wenn die Anwendung dieser Strafbestimmungen nicht ganz klar umschrieben sei.

Am 29. April 2008 erließ der Mittlere Volksgerichtshof in Lhasa Urteile gegen 30 Tibeter, die der Beteiligung an den Unruhen im März 2008 beschuldigt wurden. Die Angeklagten wurden in unfairen Gerichtsverfahren zu Haftstrafen zwischen drei Jahren und lebenslänglich verurteilt. 21 Rechtsanwälte aus der Volksrepublik China, die sich freiwillig gemeldet hatten, um die Angeklagten zu vertreten, wurden abgewiesen und eingeschüchtert. Explizit wurden sie von den Behörden gewarnt, die Vertretung der Interessen der Tibeter zu übernehmen. Einige der Anwälte wurden sogar polizeilich überwacht, anderen wurde mit Bestrafung gedroht. Dem am Gericht in Peking registrierten Anwalt Teng Biao wurde seine alljährlich zu erneuernde Anwaltslizenz verweigert. In Schnellverfahren, die für eine angemessene Vertretung ihrer Interessen keinen Platz ließen, wurden die Angeklagten am 29. April verurteilt. In dem Verfahren wurden auch Bestimmungen des chinesischen Strafprozessrechts verletzt. So erhielten die Angeklagten nicht die Möglichkeit, einen Vertreter ihrer Interessen für den Strafprozess zu nennen, wie es gemäß Artikel 32 des Strafprozessrechts normalerweise vorgesehen ist.

Auch Artikel 12 und 163 dieses Gesetzes wurden missachtet, da ihre Anklage einer Vorverurteilung gleichkam und das Urteil nicht öffentlich gesprochen wurde, sondern vor einer handverlesenen Gruppe von Regierungsmitarbeitern. Dem gesamten Gerichtsverfahren mangelte es an Transparenz. Acht Mönche des Klosters Thangkya (Bezirk Gonjo, TAR) wurden am 23. September 2008 in einem Geheimverfahren zu Haftstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslänglich verurteilt. Die im April verhafteten Tibeter wurden beschuldigt, am 23. März 2008 angeblich einen Bombenanschlag auf eine Einrichtung der Behörden in der Stadt Kyabe verübt zu haben. Der Vorwurf hatte weltweit Aufmerksamkeit erzeugt, weil buddhistische Mönche selten solcher Gewaltverbrechen bezichtigt werden. Alle Angeklagten hätten die ihnen zur Last gelegten Verbrechen gestanden, berichtet eine chinesische Zeitung (People's Daily, 14.4.2008).

Sowohl den Angehörigen der Angeklagten als auch ihren Rechtsvertretern wurde jeder Zugang zum Gericht verweigert (Free Tibet Campaign, 13.10.2008). Der Tibeter Ra-Tsedak wurde wegen seiner Teilnahme an öffentlichen Protesten am 5. November 2008 vom Mittleren Volksgericht des Bezirks Ngaba (Provinz Sichuan) zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Als er sich im Prozess zu Wort meldete und an die hohe Zahl der tibetischen Opfer bei der Niederschlagung der Unruhen erinnerte, wurde seine Haftstrafe um zwei Jahre auf sechs Jahre erhöht (Tibetisches Solidaritätskomitee, 11.11.2008).

Nach mehr als 18 Jahren Haft wurde im Oktober 2007 der politische Gefangene Ngawang Phulchung freigelassen. Ihm war unter anderem vorgeworfen worden, eine tibetische Übersetzung der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" unter anderen Mönchen verbreitet zu haben. Problematisch ist auch der Fall eines tibetischen Lehrers, der ein noch unveröffentlichtes Buchmanuskript "Die unruhigen Himalayas" geschrieben hatte. In dem Text analysiert er politische, soziale, religiöse, geographische und geschichtliche Hintergründe Tibets. Im September 2005 wurde der Autor wegen "Gefährdung der Staatssicherheit" zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Keine Religionsfreiheit für Tibets Buddhisten [ oben ]

Schenkt man der chinesischen Regierung Glauben, so können alle Tibeterinnen und Tibeter frei ihre Religion praktizieren. Zum Beleg dieser Behauptung verweist Peking auf die Existenz von 17.000 Klöstern und Tempeln in Tibet, in denen 46.000 Nonnen und Mönche ihre buddhistischen Glauben ausüben (People's Daily, 22.4.2008).

Diese offiziellen Schätzungen beziehen sich nur auf die TAR. Das staatliche "Chinesische Zentrum für Tibetische Studien" geht davon aus, dass weitere 1.535 Klöster in tibetischen Siedlungsgebieten außerhalb der TAR bestehen. Beobachter schätzen, dass bis zu 60.000 buddhistische Nonnen und Mönche in diesen Gebieten leben. Die Zahl der Nonnen und Mönche werde nicht von staatlicher Seite begrenzt und jedes Leitungskomitee eines Klosters könne frei darüber entscheiden, wie viele Menschen die Einrichtung aufnehme, behauptet die chinesische Regierung. In der Praxis ist die Zahl der Mönche in den bedeutenderen Klöstern vor allem in der TAR und in der Ganzi Tibetischen Autonomen Präfektur in der Provinz Sichuan jedoch strikt von den Behörden begrenzt.

Nachdem ein Kloster in der Präfektur Ganzi einem Mönch Zuflucht gewährt hatte, der aus politischen Gründen aus einem anderen Kloster ausgeschlossen worden war , beschloss die Regionalverwaltung von Ganzi am 28. Juni 2008, zur Strafe die Zahl der zugelassenen Mönche in der Einrichtung zu reduzieren. Aufgrund der massiven Verfolgung seit März 2008 ist die Zahl der Mönche in vielen Klöstern deutlich zurückgegangen. So leben im Kloster Drepung in Lhasa heute nur noch 400 Mönche, vor mehr als einem Jahr waren dort noch mehr als 600 registriert (International Herald Tribune, 19.2.2009). In seinen Blütezeiten in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts lebten dort 7.700 Mönche.

Auch verlieren die eindrucksvollen offiziellen chinesischen Zahlen schnell an Glanz, wenn man sich den Alltag in Tibets Klöstern anschaut, der von Zwang, Bevormundung, Gleichschaltung und Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Buddhismus durch kommunistische Kader gekennzeichnet ist. Zwar sind die Zeiten heute nicht so schlimm wie in den 60er-Jahren,als 80 Prozent der Klöster zerstört wurden. Mehr als 6.000 Klöster und Gebetsstätten wurden damals von Maos Schergen entweiht und zerstört. Schon vor Beginn der Kulturrevolution (1966-1970) war das Zerstörungswerk fast vollendet. Nach dem Tode Maos durften die Tibeter in den 80er-Jahren einige der zerstörten Klöster wieder aufbauen. Auf "Tibet Arbeits-Foren", die im April 1980 und im März 1984 in Peking stattfanden und breiten Raum zur Diskussion der Tibet-Politik boten, wurden Reformen beschlossen. Sie waren gekennzeichnet von einem pragmatischeren Umgang mit dem tibetischen Buddhismus.

Seit 1987 nahmen die Proteste gegen die chinesische Herrschaft in Tibet deutlich zu. Getragen wurde diese öffentliche Kritik vor allem von Nonnen und Mönchen, die das Risiko eingingen, für nur einige Minuten dauernde Proteste jahrelang inhaftiert zu werden. Mit dem "Dritten Tibet Arbeits-Forum" im Jahr 1994 endete die Zeit der Öffnung und Reform. Fortan setzte China in Tibet auf Stabilität, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung. Für die Klöster, die von Peking als Hort des tibetischen Widerstands angesehen wurden, bedeutete dies mehr Kontrolle und Repression. Im November 1994 ordnete die Propaganda-Abteilung der Kommunistischen Partei an, dass der Bau neuer Klöster und Tempel gestoppt werden müsse.

Außerdem sollte die Zahl der Nonnen und Mönche strikt begrenzt werden. Perfektioniert wurde dieses Überwachungssystem mit der "Patriotischen Erziehung", die erstmals im Jahr 1996 eingesetzt wurde, um die Klöster wirksam zu kontrollieren und gleichzuschalten. Das Ziel der Kampagne war aber vor allem, "den Einfluss der spalterischen Kräfte des Dalai auszumerzen" (Tibet Daily, 5.4.1996). So wurde im Rahmen dieser Kampagne auch ein allgemeines Verbot erlassen, Fotos des Dalai Lama auszustellen. Zuvor war es nur verboten gewesen, Fotos des religiösen Führers der Tibeter in Verwaltungs- und Regierungsbüros zu zeigen. Auf der Vierten Vollversammlung des Regionalen Komitees der Kommunistischen Partei in Tibet warf Parteisekretär Chen Kuiyan am 14. Mai 1996 der "Dalai Lama-Clique Sabotage und Missbrauch der Religion zur Spaltung des Landes" vor Heute herrscht in Tibets Klöstern ein Klima der Angst. Die massive Einschränkung der Religionsfreiheit erfolgt sehr viel subtiler als in den 60er-Jahren. Chinas Sicherheitsbehörden haben in Jahrzehnten der Repression ihre Verfolgungstechniken perfektioniert, so dass ungeachtet der weit reichenden Übergriffe auf Nonnen und Mönche äußerlich für uninformierte Besucher ein Eindruck von Normalität und ungestörter Religionsausübung entsteht.

Proteste gegen Umerziehungskampagne [ oben ]

Im Rahmen der Kampagne zur "Patriotischen Erziehung" mussten seit 1996 mehr als 10.000 Nonnen und Mönche ihre Klöster verlassen. Regelmäßig müssen alle Nonnen und Mönche an Umerziehungskursen der staatlichen Religionsbehörde teilnehmen, um ihre Treue zur Kommunistischen Partei unter Beweis zu stellen. Wer nicht bereit ist, sich schriftlich vom religiösen Oberhaupt der Tibeter , dem Dalai Lama, zu distanzieren, muss das Kloster verlassen und kann nicht weiter als Nonne oder Mönch in Tibet leben. Angesichts der anhaltenden Proteste in Tibet wurde seit Jahresbeginn 2008 die Kampagne der "Patriotischen Erziehung" in Tibets Klöstern nochmals ausgeweitet. So umzingelten Polizisten und Mitarbeiter der staatlichen Religionsbehörde am 10. März 2008 das Kloster Thangkya (Bezirk Gonjo, TAR). Systematisch wurden alle Personen, die das Kloster verließen, durchsucht. Anlass dafür war ein Beschluss der Mönche des Klosters, aus Respekt vor dem Dalai Lama kein Schweinefleisch mehr zu essen. Gemäß dem tibetischen Kalender ist der Dalai Lama im Jahr des Schweins geboren. Immer wieder hatte es Widerstand der Mönche dieses Klosters gegen die Umerziehungskampagne gegeben. Im Winter 2007 hatten sie ein Team der Religionsbehörde mit Schneebällen beworfen. Bei anderer Gelegenheit weigerten sie sich, an der "Gehirnwäsche" teilzunehmen und protestierten mit Transparenten für ein "freies Tibet".

Allein im Bezirk Ngaba (Tibetische Autonome Präfektur , Provinz Sichuan) wurden im März 2008 fünf Klöster (Ngaba Kirti, Ngatoe Adue, Ngamey Dongri, Taktsang Lhamo Kirti, Gomang) von Umerziehungsteams und Polizisten heimgesucht. Dabei wurden im Kloster Ngaba Kirti 572 Mönche festgenommen (TCHRD, 1.4.2008). Polizisten stürmten in das Kloster, durchsuchten alle Räume, beschimpften Mönche und zerstörten Bilder des Dalai Lama in einem Gebetssaal. Auch in neun Klöstern im Bezirk Machu (Tibetische Autonome Präfektur , Provinz Sichuan) wurde die Umerziehungskampagne verstärkt vorangetrieben. Mehr als 100 tibetische und chinesische Behördenvertreter suchten die Klöster auf und zwangen alle Mönche, an politischen Trainingskursen teilzunehmen. Die Leitungskomitees der Klöster forderten sie auf, die Umerziehung zu verstärken und künftig die Mönche drei Mal pro Woche für ein bis zwei Stunden zum politischen Unterricht einzubestellen. Die Teilnahme aller Bewohnerinnen und Bewohner des Klosters an der Umerziehung müsse strikt überprüft werden.

Mehrfach suchten Pekings Kontrolleure mit Polizisten das Kloster Ratoe in Lhasa (TAR) auf. Nachdem 32 Mönche des Klosters bei einem Protest am 14. März 2008 verhaftet worden waren (unter ihnen auch der 38-jährige Thupchok, ein Mitglied des von China eingesetzten "Demokratischen Leitungskomitees" des Klosters), wurde noch am gleichen Tag ein Umerziehungsteam zu den Mönchen gesandt. Gemeinsam mit Polizisten riegelten Mitarbeiter der Religionsbehörde das Kloster am 16. April 2008 von der Außenwelt ab und durchsuchten alle Räume nach "Waffen" und "belastendem Material". Vier Mönche, die sich beim Besuch eines Umerziehungsteams im Kloster Ba-Chodae (Bezirk Bathang, Kardze Tibetische Autonome Präfektur, Provinz Sichuan) am 2. April 2008 weigerten, sich schriftlich vom Dalai Lama zu distanzieren, wurden von Polizisten als "Konterrevolutionäre" bezeichnet und festgenommen. Am gleichen Tag stürmten 3000 Polizisten das von 370 Mönchen bewohnte Kloster Tongkhor und durchsuchten alle Räume. Die beiden Mönche Geshe Sonam Tenzing und Tsultrim Phuntsok wurden verhaftet, weil man bei ihnen Fotos des Dalai Lama fand. Auch in den Klöstern Woeser und Khenpa Lungpa (Bezirk Markham, TAR) wurden 16 Mönche am 12./13.Mai 2008 festgenommen, weil sie sich weigerten, sich schriftlich vom Dalai Lama loszusagen.

Rund 70 Mönche des Ramoche Tempels in Lhasa wurden am 7. April 2008 im Rahmen einer Razzia der Polizei und der Religionsbehörde festgenommen. Der Mönch Thokmey hatte nach einer gewaltsamen Durchsuchung des Tempels durch die Polizei am 22. März 2008 Selbstmord verübt. Auch zwei Mönche im Bezirk nahmen sich aufgrund des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte das Leben. So suchte Lobsang Jinpa aus dem Kloster Kirti am 27. März 2008 den Freitod. Der 75-jährige Legtsok nahm sich das Leben, nachdem er von einer Polizeipatrouille verhaftet und im Gewahrsam der Polizei geschlagen worden war (TCHRD, 4.4.2008).

Im bekannten tibetischen Kloster Drepung in Lhasa protestierten Mönche am 12. April 2008 gegen die Umerziehungskurse. Zahlreiche Mönche sollen verhaftet worden sein, genaue Angaben sind bis heute aber nicht verfügbar. Seit den Unruhen im Frühjahr 2008 wurden 42 Mönche des Klosters Drepung zu Haftstrafen zwischen zwei und fünfzehn Jahren verurteilt. Bei ähnlichen Protesten im Kloster Pang-ri (Kardze Tibetische Autonome Präfektur , Provinz Sichuan) wurden 55 Nonnen am 14. Mai 2008 festgenommen. Weitere zwölf Nonnen aus den Klöstern Drakar und Ganden Choeling (Bezirk Kardze, Kardze Autonome Tibetische Präfektur, Provinz Sichuan) wurden bei ähnlichen Protesten am 11./12. Mai 2008 verhaftet. Auch im Kloster Dingri Shelkar Choedhe (Bezirk Tingri, TAR) wurden zwölf Mönche bei Protesten gegen die Umerziehungspolitik verhaftet (TCHRD, 31.5.2008).

Nachdem Mönche aus dem Kloster Labrang (Bezirk Sanchu, Provinz Gansu) gegenüber westlichen Journalisten öffentlich über den Mangel an Glaubensfreiheit geklagt hatten, wurde ihr Kloster am 15. April 2008 von bewaffneten Sicherheitskräften gestürmt und geplündert. Zahlreiche buddhistische Statuen wurden mutwillig zerstört, Bilder des Dalai Lama vernichtet. Mehr als 160 Mönche wurden festgenommen. Allen Insassen des Klosters wurde ein Fragebogen vorgelegt, in dem sie sich unter anderem zu ihren Kontakten zur Außenwelt äußern mussten. Die Mönche wurden strikt angewiesen, keine Reden und Lehrveranstaltungen des Dalai Lama auf Kassetten anzuhören. Bei einem weiteren Besuch eines Umerziehungsteams wurden Mönche im Kloster Labrang am 7. Juli 2008 dazu gezwungen, ein kleines Büchlein über die Kommunistische Partei, Tibet, die Religionsfreiheit und die Olympiade durchzuarbeiten und vor einem Ausschuss zu rezitieren.

Chinas Behörden schrecken auch nicht davor zurück, leitende Persönlichkeiten von Klöstern zu verhaften. So wurden am 18. Juni 2008 der Abt des Klosters Tarmo (Bezirk Driru, TAR) Ngawang Gyaltsen und die drei Mönche Ngawang Sangye, Ngawang Jampa und Kalsang Lochok festgenommen, weil sie sich nicht schriftlich vom Dalai Lama lossagen wollten (Tibetisches Solidaritätskomitee, 1.7.2008). Im Kloster Ngaba Kirti (Bezirk Ngaba, Provinz Sichuan) werden Mönche am 2. Juni 2008 von Polizisten gezwungen, die chinesische Fahne zu hissen (Tibetisches Solidaritätskomitee, 19.6.2008).

Nachdem die Mönche die Fahne in der folgenden Nacht ohne Erlaubnis der Behörden eingeholt hatten, verstärkten die Sicherheitskräfte ihre Übergriffe auf das Kloster . Trotz eines formellen Verbots der Behörden versammeln sich Mönche und tibetische Laien am 5. April 2008 im Kloster Nyitso (Bezirk Tawu, Kardze Tibetische Autonome Präfektur, Provinz Sichuan) für eine buddhistische Gebetszeremonie. Als die 400 Personen das Gelände des Klosters verlassen wollen, hindern Sicherheitskräfte alle Laien daran, die Mönche bei einem Fackelzug zu begleiten. Als Rufe für mehr Religionsfreiheit und eine Rückkehr des Dalai Lama laut werden, eröffnen die Sicherheitskräfte das Feuer auf die Demonstranten. Zehn Tibeter sterben, fünf verletzte Demonstranten werden in Gewahrsam genommen. Während der Olympiade in Peking wurden viele Mönche und Nonnen von ihren Klöstern angewiesen, das Grundstück nicht zu verlassen. Um viele Klöster hatten Sicherheitskräfte einen Überwachungsring gebildet und die Mönche und Nonnen so hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt (Radio Free Asia, 13.8.2003).

Mönche werden kriminalisiert [ oben ]

In dem Kloster Geerdeng (Bezirk Aba, Provinz Sichuan) will die chinesische Polizei 30 Gewehre, 498 Schuss Munition und vier Kilogramm Sprengstoff sowie zahlreiche Messer im März 2008 sichergestellt haben (Xinhua, 30.3.2008). Auch seien Satellitentelefone, Empfänger für Fernsehsender aus dem Ausland, Fax-Geräte und Computer beschlagnahmt worden, erklärte die Polizei. In einigen Zimmern von Mönchen habe man tibetische Flaggen und Transparente mit der Aufschrift "Freiheit für Tibet" gefunden. 26 Tibeter , die nach einem Protest in Aba am 16. März 2008 verhaftet wurden, hätten gestanden, dass die Unruhen von der "Dalai-Clique gesteuert" seien, um "die öffentliche Ordnung zu gefährden, die internationale Öffentlichkeit zu täuschen und um die Olympischen Spiele zu sabotieren und die ethnische Einheit zu gefährden". Mit ähnlichen Meldungen versuchten die chinesischen Behörden vor allem im Vorfeld der Olympiade den überwiegend friedlichen Widerstand der Tibeter zu diskreditieren und Tibeter zu kriminalisieren.

Ungeachtet des in der Verfassung festgeschriebenen Schutzes der Glaubensfreiheit zeigen die chinesischen Behörden nicht den mindesten Respekt gegenüber dem tibetischen Buddhismus, seinen Einrichtungen und Würdenträgern. So kam es im Kloster Dege Gonchen am 27. Januar 2009 zu Zusammenstößen zwischen tibetischen Mönchen und chinesischen Regierungsangestellten, nachdem diese beim chinesischen Neujahrsfest in dem Kloster in Mönchsroben getanzt und sich mit Frauen amüsiert hatten. Nach dem Handgemenge wurden mehrere Mönche festgenommen (Phayul, 4.2.2009). 200 Mönche demonstrierten daraufhin vor den Behörden und setzten am 31. Januar 2009 die Freilassung der Verhafteten durch. 30 der Festgenommenen litten unter Verletzungen, weil sie in der Haft geschlagen oder gefoltert worden waren.

Ausdruck des mangelnden Respekts Chinas gegenüber dem tibetischen Buddhismus war auch die mutwillige Zerstörung einer mehr als zehn Meter hohen Buddha-Statue des Guru Rinpoche im Kloster Samye (Bezirk Dranang, TAR) durch chinesische Bereitschaftspolizei im Mai 2007 (TCHRD, 4.6.2007). Das Kloster Samye gilt als das älteste Kloster Tibets. Die fast fertig gestellte Statue, die mit Gold und Silber überzogen war , war von chinesischen Gläubigen aus Guangzhou gespendet worden. Polizisten zerstörten die Statue innerhalb weniger Stunden, weil keine offizielle Genehmigung für ihren Bau erteilt worden sei.

Neue Regeln schränken Glaubensfreiheit ein [ oben ]

Neue "Regeln für den strikten Umgang mit rebellischen Klöstern sowie Mönchen und Nonnen" wurden am 18. Juli 2008 in der Präfektur Kardze (Provinz Sichuan) von den Behörden verkündet. In der Anordnung wird nochmals bekräftigt, dass alle Nonnen und Mönche, die nicht zur Linie der Kommunistischen Partei stehen, aus den Klöstern ausgewiesen oder verhaftet werden müssen (International Campaign for Tibet, 20.7.2008). Äbte müssten abgesetzt werden, wenn sie nicht die offizielle Sichtweise vertreten würden. Klöstern, in denen 10 bis 30 Prozent der Bewohner kritisch eingestellt seien, müssten von der Außenwelt abgeriegelt und durchsucht werden.

Alle religiösen Aktivitäten müssten dort sofort gestoppt werden, niemand dürfe währenddessen das Kloster verlassen. Wer sich ohne Erlaubnis von dem Kloster entferne, müsse des Hauses verwiesen werden. Führende religiöse Persönlichkeiten des tibetischen Buddhismus müssten sich bei Fehlverhalten öffentlich vor allen Mönchen und Nonnen des Klosters rechtfertigen und entschuldigen. Schriftlich müssten sie ihre Loyalität versichern und sich damit einverstanden erklären, dass ihre Selbstkritik in Zeitungen und im Fernsehen veröffentlicht werde. Die chinesische Regierung hat im Jahr 2005 neue "Nationale Regeln für religiöse Angelegenheiten" beschlossen. Zum 1. Januar 2007 sind die für die Autonome Region Tibet gültigen Ausführungsbestimmungen dieses Regelwerks in Kraft getreten. Sie umfassen 56 Bestimmungen und bekräftigen die Vormachtstellung der Kommunistischen Partei. Auch wird die massive staatliche Kontrolle aller religiösen Angelegenheiten nochmals festgeschrieben. Zwar wird der Dalai Lama nicht ausdrücklich erwähnt, aber zahlreiche Bestimmungen sind unmittelbar auf ihn ausgerichtet. So heißt es in Artikel 3, dass alle religiösen Organisationen die Einheit der Nation und der Nationalitäten schützen müssten. Gemäß Artikel 34 dürfen religiöse Würdenträger keine Bücher , Bilder oder anderes Material verbreiten, das die Einheit der Nationalitäten und die Staatssicherheit gefährden könnte. Damit soll vor allem eine juristische Grundlage für das Verbot der Verbreitung von Fotos des Dalai Lama geschaffen werden.

Am 1. September 2007 traten neue staatliche Regeln für die Anerkennung von Reinkarnationen in Kraft, mit denen die Kontrolle des Staates über die Auswahl von führenden religiösen Würdenträgern gesichert werden soll. So soll der Staatsrat Chinas bei führenden religiösen Persönlichkeiten ermächtigt sein, eine Reinkarnation abzulehnen. Keine ausländische Einrichtung oder Person habe das Recht, in den Prozess der Auswahl einer reinkarnierten Persönlichkeit einzugreifen, auch müsse jeder reinkarnierte Lama auf dem Staatsgebiet der Volksrepublik China geboren sein, heißt es in den Bestimmungen. Der Dalai Lama hat auf diesen massiven Eingriff eines atheistischen Staatsapparates in die inneren Angelegenheiten des tibetischen Buddhismus unverzüglich reagiert.

Zur Verärgerung der chinesischen Regierung erklärte der Dalai Lama am 20. November 2007, er erwäge, seinen Nachfolger noch zu Lebzeiten persönlich auszuwählen und es nicht einem Kreis von tibetischen Würdenträgern nach seinem Tod zu überlassen, unter massivem chinesischen Druck über die Nachfolge zu entscheiden (BBC, 20.11.2007). Möglich sei auch ein Referendum, um noch zu seinen Lebzeiten über seine Nachfolge zu entscheiden, erklärte der bedeutendste religiöse Würdenträger Tibets (Associated Press, 27.11.2007). Beide Wege bedeuteten eine Abkehr von Jahrhunderten der Tradition im tibetischen Buddhismus. Ein enormer Schritt, mit dem Tibets Buddhisten auf die ständig wachsende Einmischung des chinesischen Staates in ihre inneren Angelegenheiten reagieren (Time, 21.11.2007 / Los Angeles Times, 19.2.2009).

Schicksal des Panchen Lamas ist noch immer ungeklärt [ oben ]

Auch fast 14 Jahre nach seiner mutmaßlichen Entführung durch chinesische Sicherheitskräfte 1995 ist das Schicksal des 11. Panchen Lama Gedhun Choekyi Nyima noch immer ungeklärt. Der Panchen Lama gilt nach dem Dalai Lama als der bedeutendste Würdenträger des tibetischen Buddhismus. Nachdem der damals sechsjährige Junge am 14. Mai 1995 vom Dalai Lama als 11.Panchen Lama "erkannt" worden war , war das Kind drei Tage später entführt worden. Erst Monate später behauptete die chinesische Führung, Gedhun Choekyi Nyima auf Bitten seiner Eltern in ihre Obhut genommen zu haben. Bis heute verweigern die chinesischen Behörden ausländischen Regierungen, Diplomaten und Menschenrechtlern jeden Kontakt mit dem Entführten und halten den Aufenthaltsort des inzwischen 19-Jährigen geheim. Der UN-Sonderberichterstatterin für religiöse Fragen, Asma Jahangir , teilten die Behörden im Jahr 2005 mit, der Jugendliche besuche eine weiterführende Schule und führe ein normales und glückliches Leben.

An Stelle des Entführten ließ Chinas Regierung ein anderes tibetisches Kind (Gyaltsen Norbu) aus einem Elternhaus, das Chinas Kommunistischer Partei nahe steht, zum Panchen Lama erklären. Die meisten Tibeter lehnen diesen von China eingesetzten Würdenträger ab, der regelmäßig für politische Zwecke missbraucht wird. Als Norbu im Jahr 2004 ein Kloster in Tibet besuchte, musste er schnell erkennen, dass die ihm gegenüberstehenden vermeintlichen Mönche verkleidete Sicherheitskräfte waren. Doch zwanghaft halten Chinas Behörden an ihrem nicht anerkannten Panchen Lama fest, um ihren Führungsanspruch bei der Auswahl von bedeutenden religiösen Würdenträgern zu unterstreichen.

Tibets Sprache wird missachtet [ oben ]

Chinas Regierung habe große Anstrengungen unternommen, um das Erlernen, den Gebrauch und die Entwicklung der tibetischen Sprache zu fördern, erklärt das Pressebüro des Chinesischen Staatsrates in seinem am 2. März 2009 veröffentlichten Weißbuch "50 Jahre Demokratische Reform in Tibet" (China Economic Net, 3.2.2009). Sowohl die chinesische als auch die tibetische Sprache würde in allen ländlichen Regionen in den Schulen unterrichtet. Auch in den meisten Städten würde in den Schulen Tibetisch gelehrt, alle öffentlichen Einrichtungen seien zweisprachig ausgeschildert. Als der 10. Panchen Lama im Jahr 1985 die Tibetische Universität in Lhasa einweihte, war er noch optimistisch und äußerte die Hoffnung, dass bald schon die unterschiedlichsten Lehrinhalte in Tibetisch vermittelt würden. Doch 24 Jahre später ist Ernüchterung eingekehrt. Denn an der Universität in Lhasa wird bis heute nur Tibetisch in tibetischer Sprache unterrichtet.

In den 80er-Jahren hatte China auch im Bildungsbereich in Tibet zahlreiche Reformen auf den Weg gebracht, die Hoffnung machten, dass Sprachen von Nationalitäten in China gezielt gefördert würden. Doch viele dieser Reformen und neuen Gesetze wurden letztlich nicht umgesetzt und der Assimilation der Tibeter wurde seit den 90er-Jahren von den Behörden deutlich Vorrang vor der Förderung ihrer Kultur gegeben. 1987 verabschiedete der Volkskongress in Tibet "Vorläufige Regeln zum Erlernen, Gebrauch und zur Entwicklung der tibetischen Sprache". Die Regeln sahen vor , dass bis 1993 in allen Unteren Mittelschulen in Tibetisch unterrichtet werden sollte und ab 1997 dies auch für alle Oberen Mittelschulen gelten sollte. Angesichts der Unruhen in den Jahren 1987 und 1989 wurde das Regelwerk zunächst nicht umgesetzt. Als es schließlich im Jahr 2002 in Kraft trat, war von einer spezifischen Förderung der tibetischen Sprache kaum mehr die Rede. Seit Mitte der 90er-Jahre hatte die Kommunistische Partei die Parole der "Patriotischen Erziehung" ausgegeben.

Ganz gezielt sollte auch der Bildungsapparat genutzt werden, um die Tibeter zu loyalen chinesischen Staatsbürgern zu erzielen. Für eine gezielte Förderung der tibetischen Sprache blieb da wenig Spielraum, obwohl Modellprojekte in den 80er- und 90er-Jahren erfolgreich waren. Dabei wurden tibetische Kinder in ihrer Muttersprache unterrichtet wurden. Sie waren deutlich erfolgreicher in der Schule als tibetische Mitschüler, die nur in Chinesisch gelehrt wurden. (Tibet Information Network, 6.5.1997). Langfristiges Ziel dieser Projekte war die Eindämmung der wachsenden Jugendarbeitslosigkeit. Denn mit dem erzwungenen Wechsel zur Ausbildung nur in Mandarin ab dem 13. Lebensjahr ging ein starker Leistungsabfall der tibetischen Schüler im Vergleich zu chinesischen Mitschülern einher, der ihnen den Zugang zur Universität erschwert und letztlich das Fortbestehen der tibetischen Sprache bedroht.

Die Marginalisierung des Tibetischen erreichte einen Höhepunkt, als im Jahr 2001 beschlossen wurde, Mandarin bereits in den ersten Schulklassen zu unterrichten. Ein breiter Unterricht in Tibetisch sei nicht praktikabel und mit der Realität Tibets nicht zu vereinbaren, hieß es zur Begründung des Politikwechsels. Heute entscheiden sich die meisten tibetischen Eltern dazu, ihre Kinder nur in chinesischer Sprache unterrichten zu lassen, um ihre Chancen auf eine Anstellung zu erhöhen. Der Kurswechsel verursacht eine wachsende Arbeitslosigkeit unter tibetischen Lehrern. Auch werden immer weniger Bücher ins Tibetische übersetzt und die Nationalitäten- Sprache wird als Amtssprache immer seltener benutzt.

In den meisten Städten werden junge Tibeter nur noch in den drei Grundschulklassen in allen Fächern in Tibetisch unterrichtet. In den weiterführenden Klassen wird regelmäßig nur noch Tibetisch in ihrer Muttersprache gelehrt, in allen anderen Fächern erfolgt der Unterricht in Chinesisch. Der frühe Wechsel vom Tibetischen zum Chinesischern hat oft zur Folge, dass die Kinder noch keine ausreichenden Grundkenntnisse im Tibetischen haben, um diese Sprache dauerhaft zu praktizieren. Da es ihnen an Basiswissen fehlt, schaffen die tibetischen Schülerinnen und Schüler meist nicht, ein ähnliches Niveau wie ihre chinesischen Mitschüler zu erreichen. Angesichts des geringen Lernerfolgs bleiben viele junge Tibeter der Schule fern, was ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt weiter verringert. So schaffen viele Tibeter noch nicht einmal nicht die ersten sechs Jahre grundlegender Schulausbildung von insgesamt neun Jahren Schulpflicht. Während in chinesischen Provinzen regelmäßig 95 Prozent der schulpflichtigen Kinder die Schule besuchen, sind es in der Autonomen Region Tibet (TAR) gemäß Zahlen des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen nur 70 Prozent.

Die UN-Sonderberichterstatterin zum Recht auf Bildung, Katarina Tomasevski, zeigte sich in einem Bericht an die UN-Menschenrechtskommission besorgt über die hohe Zahl der Analphabeten in Tibet. Mit 39,5 Prozent sei die Analphabetenquote unvergleichlich hoch. Auch beklagte die UN-Sonderberichterstatterin die Assimilationspolitik der chinesischen Behörden in Tibet. In ländlichen Gebieten wird auch heute noch vor allem Tibetisch gesprochen. Doch unter den jungen Tibetern in den Städten breitet sich das Chinesische immer mehr aus. Chinesische Pop- Musik wird immer beliebter und junge Tibeter, die beruflich Erfolg haben wollen, lernen Chinesisch. Immer mehr junge Tibeter haben Probleme, ältere Verwandte aus ländlichen Gebieten zu verstehen. So werden Tibeter zu Fremden unter ihren eigenen Leuten und die Assimilation in die chinesische Mehrheitsgesellschaft schreitet mit Riesenschritten voran. Langfristig geht von dieser Assimilationspolitik eine viel größere Gefahr für das Fortbestehen der tibetischen Kultur und Identität aus als von einzelnen Verhaftungen von Demonstranten.

So senden tibetische Eltern, die eine gute tibetische Ausbildung ihrer Kinder wünschen, ihren Nachwuchs auf Schulen im Nachbarland Indien. Die chinesischen Behörden sehen diese Entwicklung mit großer Besorgnis. Am 14. Juli 2008 forderten die chinesischen Behörden alle tibetischen Parteimitglieder und Regierungsangestellten ultimativ auf, Innerhalb von zwei Monaten ihre Kinder aus Schulen im indischen Exil zurückzuholen. Die "Dalai-Clique hat den Kindern und Jugendlichen jahrelang freien Unterricht, Unterkunft und Verpflegung angeboten, um sie dazu zu verleiten, Tibet zu verlassen und Schulen und Klöster im Exil zu besuchen", heißt es in der neuen Verordnung (TCHRD, 15.7.2008).

Nomadenkind in Tibet. Nomadenkind in Tibet.

Tibets Nomaden in Gefahr [ oben ]

Der Jahrtausende alten Nomaden-Kultur in Tibet droht der Untergang. Denn weitere 312.000 tibetische Nomaden und Kleinbauern wurden im Jahr 2008 von den chinesischen Behörden zwangsweise in neue "sozialistische Dörfer" umgesiedelt. Auch wurden Nomaden dazu gezwungen, ihre Yak-, Ziegen- und Schafherden aufzugeben. So wird Tibets Nomaden nicht nur gezielt ihre traditionelle Lebens- und Wirtschaftsweise genommen, sondern auch ihre Kultur und Identität zerstört.

Die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtet im Dezember 2008, dass 57.800 Nomaden- und Bauernfamilien im Jahr 2008 in Tibet im Rahmen des Programms "Komfortables Wohnen" in neuen Häusern angesiedelt worden seien (Phayul, 27.12.2008). Das Programm war im Jahr 2006 gestartet worden und sieht vor, dass 220.000 Familien bis zum Jahr 2010 in neuen sozialistischen Dörfern sesshaft gemacht werden. So sollen 80 Prozent der in der Autonomen Region Tibet lebenden Nomaden, Halbnomaden und Bauern in den neuen Siedlungen zusammengefasst werden. 860.000 Nomaden und Bauern (170.000 Familien) wurden seit 2006 bereits in diesen Dörfern angesiedelt.

Während die chinesischen Behörden von einer Verbesserung des Lebensstandards der Bewohner der neuen Siedlungen sprechen, regt sich unter den Betroffenen viel Widerspruch. Viele Nomaden und Bauern kritisieren, dass sie ihre alten, oft isoliert liegenden Häuser aufgeben mussten und ihnen nicht gestattet wurde, die Umsiedlung abzulehnen. In den neuen Siedlungen könnten sie ihre Viehherden nicht länger aufrechterhalten, die Häuser seien oft mangelhaft gebaut und Arbeit gebe es auch nicht ausreichend. Viele Tibeterinnen und Tibeter kritisieren, sie hätten durch die Zwangsumsiedlung ihre Unabhängigkeit verloren und seien zu Lohnarbeitern oder Almosen-Empfängern gemacht worden.

Chinas Behörden bemühen sich bereits seit dem Jahr 2000 im Rahmen verschiedener Programme gezielt um die Ansiedlung der tibetischen Nomaden in neuen staatlich besser zu kontrollierenden Dörfern. So soll nicht nur die traditionelle tibetische Gesellschaft zerstört, sondern auch neuer Raum für Industrie-, Bergbau-, Landwirtschafts- und Infrastrukturprojekte gewonnen werden. Als Vorwand für die Ansiedlung der Nomaden wird auf die fortschreitende Umweltzerstörung verwiesen, für die die Hirten angeblich verantwortlich sein sollen. Dass die Ursachen für die Umweltprobleme tatsächlich sehr viel komplexer sind, wird von den Behörden ignoriert.

Tibeter fliehen vor Unterdrückung [ oben ]

Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche wurden am 26. Februar 2009 tibetische Flüchtlinge aus China von nepalesischen Grenzpolizisten aufgegriffen und verhaftet, als sie versuchten, die Grenze zwischen China und Nepal zu überqueren. Die sieben Flüchtlinge wurden den Behörden in der nepalesischen Hauptstadt übergeben. Wenige Tage zuvor waren fünf Tibeter auf der Flucht über die Grenze gestellt worden. Jedes Jahr fliehen 2500 bis 3500 illegal über die Grenze in das benachbarte Nepal. Eine legale Ausreise ist ihnen meist nicht möglich, so dass viele als einzigen Möglichkeit den gefährlichen Weg über den Himalaya sehen. Viele der Flüchtlinge sterben in Schnee oder Unwettern, andere werden von Grenzsoldaten erschossen oder unverzüglich nach China abgeschoben, wo ihnen langjährige Haftstrafen und andere Verfolgungen drohen. Am 30. September 2006 wurde die 17 Jahre alte Nonne Kelsang Namtso nahe der Grenze von chinesischen Soldaten erschossen, sieben weitere der 30 Flüchtlinge in ihrer Gruppe wurden von chinesischen Grenzsoldaten gefangen genommen Die tödlichen Schüsse erregten weltweit Aufsehen, weil ausländische Bergsteiger von Nepal aus Augenzeugen der Ereignisse wurden.

Im Jahr 2008 flohen nur 627 Tibeterinnen und Tibeter nach Nepal (Phayul, 26.2.2009). Die Zahl der Flüchtlinge ist nicht gesunken, weil sich die Lage in Tibet gebessert hat, sondern weil sowohl China als auch Nepal im Zuge der Unruhen die Sicherheitsvorkehrungen entlang der Grenze deutlich verschärft hatten. Nachdem am 31. Mai 2003 eine Gruppe von 18 tibetischen Flüchtlingen (unter ihnen zehn Minderjährige) von den nepalesischen Behörden zwangsweise nach China abgeschoben worden waren, wurden massive internationale Proteste laut. Angesichts des Drucks vieler Staaten musste Nepal schließlich einwilligen, keine tibetischen Flüchtlinge mehr in die Volksrepublik abzuschieben. Trotzdem kommt das immer wieder vor . So wurde Mitte Dezember 2006 eine Gruppe von sieben Flüchtlingen den chinesischen Behörden übergeben.

Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und die Regierung Nepals verständigten sich zumindest darauf, dass alle tibetischen Flüchtlinge, die vor dem 31. Dezember 1989 nach Nepal kamen, dort nun auch legal bleiben dürfen. Zurzeit leben rund 20.000 tibetische Flüchtlinge in Nepal. 85.000 Flüchtlinge haben im Nachbarland Indien Zuflucht gefunden. Bei allen neu eintreffenden Flüchtlingen gewähren die nepalesischen Behörden normalerweise ein Transitvisum von 15 Tagen. Innerhalb dieser Zeit müssen die Flüchtlinge weiter nach Indien reisen oder in einem anderen Drittland Aufnahme finden.

Im Zuge der Olympiade in Peking hat die chinesische Führung ihren Druck auf Nepal deutlich verschärft. Nach dem Willen Chinas müssten alle Flüchtlinge in die Volksrepublik zurückgeschoben werden, um dort mit aller Härte bestraft zu werden. So gingen die nepalesischen Sicherheitskräfte im Sommer 2008 auch brutal und willkürlich gegen tibetische Demonstranten vor und verhafteten hunderte protestierende Tibeter . Meist wurden die Demonstranten nach einigen Stunden oder Tagen in Haft wieder freigelassen. Doch im Sommer 2008 ging Nepal dazu über, tibetische Demonstranten auch längerfristig festzuhalten (CNN, 12.9.2008).

Presse- und Meinungsfreiheit werden unterdrückt [ oben ]

Sowohl tibetische und chinesische Journalisten, als auch ausländische Reporter leiden unter massiven Einschränkungen ihrer Arbeitsmöglichkeiten in Tibet durch die chinesischen Behörden. Für die Olympischen Spiele in Peking hatten die chinesischen Behörden ab Januar 2008 zeitweise eine Lockerung ihrer harschen Zensurbestimmungen für ausländische Journalisten angekündigt. So sollten ausländische Journalisten auch freier in der Volksrepublik reisen und Interviews führen können. Ausdrücklich ausgenommen wurde von diesen erleichterten Arbeitsbedingungen wurde Tibet. So mussten auch im Jahr der Olympiade ausländische Medienvertreter offizielle Genehmigungen für ihre Besuche in Tibet beantragen. Mindestens 25 ausländische Journalisten hielten sich beim Ausbruch der Unruhen in der TAR auf.

Unverzüglich ordneten die Behörden ihre Ausreise aus der Region an und kündigten für den Fall der Zuwiderhandlung den Entzug der Arbeitserlaubnis und die Ausweisung aus der Volksrepublik an. Unter den betroffenen Journalisten befand sich auch Georg Blume, der Korrespondent der "taz" und der Wochenzeitung "Die Zeit". Nur ein Journalist des britischen Wirtschaftsmagazins "The Economist", der sich auf Einladung der Behörden in Tibet befand und kritisch über gewaltsame Übergriffe auf Han-Chinesen berichtete, durfte noch einige Tage länger in Tibet bleiben. Insgesamt wurden in den ersten neun Tagen nach Ausbruch der Unruhen 30 Fälle von Übergriffen chinesischer Sicherheitskräfte auf Journalisten registriert.

Erst zwei Wochen nach Beginn der Unruhen luden die Behörden eine handverlesene Gruppe von zwei Dutzend Journalisten zu einem dreitägigen Besuch in die TAR. Den Medienvertretern sollte ein Bild der Normalität vermittelt werden, um jeden Eindruck zu zerstreuen, dass die Protestbewegung länger anhalten werde. Als die aufwändig überwachte Gruppe Tibets heiligste Stätte, den Jokhang Tempel besuchte, kam es zum Eklat. Eine Gruppe von 30 Mönchen verschaffte sich Zugang zu den Journalisten und beklagte öffentlich den Mangel an Meinungs- und Glaubensfreiheit (Associated Press, 27.3.2008). Die Regierung sage nicht die Wahrheit über die Unruhen, kritisierte ein Mönch. Andere riefen "Sie haben viele getötet", "Die tatsächliche Zahl der Opfer ist viel höher als von der Regierung zugegeben wird", "Wir sind wie Gefangene hier" oder "Freiheit für Tibet". Die offiziellen Begleiter der Medienvertreter drängten daraufhin zum Aufbruch aus dem Palast. Anfangs reagierten die Behörden gelassen und versicherten, die für den Zwischenfall verantwortlichen Mönche würden nicht bestraft (Reuters, 27.3.2008).

Offensichtlich fürchtete China einen weiteren Imageverlust im Falle eines Prozesses gegen die Demonstranten. Doch als zwei Tage später ausländische Diplomaten Lhasa besuchten, erklärten Behördenvertreter, wer "separatistische Tendenzen" offenbart habe, müsse sich "nach dem Gesetz" verantworten (Der Spiegel online, 30.3.2008). Repressalien fürchtet auch der Mönch Jigme Guri aus dem Kloster Labrang (Bezirk Sangchu, Provinz Gansu). In einem Telefoninterview mit der Nachrichtenagentur Associated Press hatte er am 12. September 2008 ausführlich über Folter und unmenschliche Behandlung im Polizeigewahrsam berichtet. Der Mönch war am 21. März 2008 festgenommen worden und verbrachte mehrere Monate in Haft. Kurz nach dem Interview tauchte er unter , weil er befürchtete, aufgrund dieses Zeugnisses erneut verhaftet zu werden. Tatsächlich wurde er im Rahmen einer gezielten Razzia, an der rund 50 Polizisten teilnahmen, am 3. November 2008 aufgespürt und festgenommen (TCHRD, 3.11.2008).

Wie begründet Jigmes Ängste waren, zeigt der Fall von zwei weiteren Mönchen aus dem Kloster Labrang. Sie verschwanden spurlos, kurz nachdem Mönche aus dem Kloster am 9. April 2008 einen von den Behörden organisierten Besuch einer ausländischen Journalistengruppe unterbrochen hatten, um über Menschenrechtsverletzungen in Tibet zu informieren (TCHRD, 4.11.2008). Journalisten internationaler Medien berichteten, sie hätten Drohungen per Brief, E-Mail und SMS erhalten (Associated Press, 7.4.2008). Die Berichterstattung ausländischer Medien über die Unruhen war von den staatlich kontrollierten Medien in China gezielt und vehement kritisiert worden, um die chinesische Öffentlichkeit gegen ausländische Medien zu mobilisieren (New York Times / Xinhua, 25.3.2008).

Die tibetische Schriftstellerin und Bloggerin Tsering Woeser wurde am 21. August 2008 für acht Stunden verhaftet. Die populäre tibetische Fernsehmoderatorin Jamyang Kyi von Qinghai TV wurde am 1. April 2008 festgenommen und vier Wochen lang in Haft festgehalten. Schließlich wurde sie unter Hausarrest gestellt. Ihr wird vorgeworfen, sich zu sehr für den Schutz der tibetischen Kultur einzusetzen. Am 11. September 2008 wurde der tibetische Fernsehsprecher Washu Rangjong festgenommen. Der 25-Jährige vom Fernsehsender in Sertha verschwand spurlos (Phayul, 17.9.2009). Regelmäßig blockieren die chinesischen Behörden mit Störsendern die Sendungen in tibetischer Sprache von Radio Free Asia, Voice of America und Voice of Tibet. Auch wird der Zugang zu den Webseiten von Nachrichtensendern wie der BBC und CNN immer wieder blockiert. Blockiert werden auch die Homepages von Organisationen, die sich für Menschenrechte in Tibet einsetzen wie die Webseite der Gesellschaft für bedrohte Völker und von vielen tibetischen Organisationen in China. So nehmen die Behörden der breiten Han-Bevölkerung auch die Möglichkeit, sich unabhängig von staatlicher Gängelung ein Bild von den Hintergründen des Aufbegehrens der Tibeter zu machen. Auf dem Höhepunkt der Unruhen in Tibet ging China mit Virenangriffen gegen pro-tibetische Organisationen vor (UPI, 24.3.09). Ähnliche Angriffe werden auch im Jahr 2009 erwartet (Phayul, 18.2.2009).

Tibeter profitieren nicht von wirtschaftlicher Entwicklung [ oben ]

Die chinesische Regierung präsentiert Tibet als wirtschaftliches Erfolgsmodell. Tatsächlich wurde in der TAR in den letzten Jahren ein jährliches Wirtschaftswachstum von zehn bis 15 Prozent registriert, ein außerordentlich hoher Wert, der deutlich über den Zuwachsraten anderer Provinzen in der Volksrepublik lag. Während Chinas Führung behauptet, alle Menschen in Tibet profitierten von dieser Entwicklung, regt sich unter Tibetern Widerspruch. Der Wirtschaftsboom komme vor allem Han-Chinesen und muslimischen Hui zugute, die nach Tibet einwanderten, kritisieren Tibeter. Rund 60 Prozent der Tibeter leben noch immer als Nomaden oder Halbnomaden, 15 Prozent sind als Bauern tätig. Ihre Chancen auf eine angemessene und ihrer Kultur entsprechende Schulbildung sind gering. 55 Prozent der Tibeter sind noch immer Analphabeten, in anderen Provinzen der Volksrepublik liegt der Prozentsatz der Analphabeten bei 20 Prozent. Doch mangelnde Ausbildung ist nicht der entscheidende Grund für das verbreitete berufliche Scheitern der Tibeter . So protestierten im Oktober 2006 mehrere hundert sehr gut ausgebildete und um eine berufliche Karriere bemühte Tibeter vor Regierungsgebäuden in Lhasa gegen die Bevorzugung von Han- Chinesen und anderen nach Tibet eingewanderten Bevölkerungsgruppen bei der Vergabe von Arbeitsstellen (Washington Post, 23.3.2008).

Nach Beginn der Unruhen im Frühjahr 2008 und der damit einsetzenden Wirtschaftskrise nahm diese Diskriminierung bei der Arbeitsplatzvergabe weiter zu. Viele chinesische Geschäftsleute, Händler und Unternehmer entließen ihre tibetischen Mitarbeiter und stellten an ihrer Stelle Han-Chinesen ein (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.2.2009). Die Arbeitslosenquote unter Tibetern steige weiter stark an, berichten Beobachter . Schon heute soll die Arbeitslosenrate unter Tibetern rund 20 Prozent betragen. Aufgrund des Zuzugs von immer mehr chinesischen Migranten und der tief greifenden Veränderungen in der tibetischen Wirtschaft und Gesellschaft ist die Inflation in Lhasa stark angestiegen. Sie belief sich 2008 auf 5,8 Prozent (NDTV, 11.2.2009).

Da zugleich die Verarmung unter den noch in Lhasa lebenden Tibetern weiter zunimmt, wachsen auch die Spannungen zwischen Tibetern und eingewanderten Han-Chinesen und Hui. Schätzungen zufolgen stellen die Tibeter heute nur noch 20 Prozent der Bewohner der ehemaligen Hauptstadt ihres Landes. So war es kein Wunder , dass gerade in Lhasa die Proteste im Frühjahr 2008 nicht nur friedlich blieben. Teure Luxusautos chinesischer Migranten wurden ein Raub der Flammen, ein beunruhigendes Indiz dafür , dass die Kluft zwischen Arm und Reich vor allem in Lhasa immer größer wird und die Diskriminierung der Tibeter im Wirtschaftsleben schon bald auch massive Folgen für die Sicherheitslage mit sich bringen könnte.

Auch in anderen Gebieten der Autonomen Region Tibet hat der Lebensstandard der Tibeter im Vergleich zu anderen Bürgern Chinas nicht zugenommen, sondern der ohnehin bestehende Abstand vergrößerte sich weiter. Rund 35 Prozent der Tibeter leben noch immer von weniger als einem US-Dollar am Tag. Es ist kaum zu erwarten, dass ihr Lebensstandard in nächster Zeit deutlich wachsen wird. Denn viele dieser tibetischen Nomaden oder Halbnomaden haben in den letzten drei Jahren aufgrund der chinesischen Siedlungspolitik ihre Viehherden und damit ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage verloren. Mit dem Umsiedlungsprogramm wurden sie vom chinesischen Staat zu Almosenempfängern gemacht und in weitere Abhängigkeit getrieben.

Selbst tibetische Unternehmer bekommen immer mehr Probleme mit den chinesischen Behörden, die auch von erfolgreichen Geschäftsleuten erwarten, dass sie regelmäßig Prüfungen in der chinesischen Sprache ablegen und ihren Unternehmen chinesische Namen geben. So wird auch im Wirtschaftsleben die tibetische Identität immer mehr vom Chinesischen verdrängt. Die chinesische Regierung kündigte für den Zeitraum zwischen 2006 und 2010 eigene Investitionen in Höhe von 10,23 Milliarden US-Dollars in 180 Projekte in der TAR an (Xinhua, 2.7.2007). Wirtschaftsexperten geben denn auch zu bedenken, dass der so genannte Wirtschaftsboom in Tibet mit außergewöhnlich hohen jährlichen Wachstumsraten vor allem durch staatliche Investitionen getragen wird und nicht die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung widerspiegelt. Im Rahmen der im Juni 1999 vom damaligen Staatspräsidenten Jiang Zemin verkündeten "Entwicklungsstrategie für den Westen" sollen die im Vergleich zu den prosperierenden Provinzen an der Ostküste Chinas wirtschaftlich weniger entwickelten Gebiete im Westen der Volksrepublik besonders gefördert werden. Diese Regionen machen rund 70 Prozent der Fläche Chinas aus. Die chinesische Regierung versprach, im Rahmen der Strategie gezielt den Ausbau der Infrastruktur voranzutreiben und in- sowie ausländische Investoren zu einem Engagement im Westen Chinas zu gewinnen.

Bergbau und Energiewirtschaft werden bedeutende Wirtschaftszweige [ oben ]

Tibeter und Uiguren in der benachbarten Region Xinjiang/Ostturkestan äußerten hingegen Bedenken gegenüber dem Projekt, das offensichtlich vor allem dazu beitragen solle, den enormen Rohstoffbedarf der boomenden chinesischen Industrie zu decken. Tatsächlich sind beide Regionen für ihren Rohstoffreichtum bekannt. Schon der chinesische Name Tibets "Xizang" (Schatzkammer des Westens) weist auf den Reichtum Tibets an Bodenschätzen hin. Mehr als 115 Lagerstätten von Bodenschätzen (Kupfer, Gold, Uran, Eisen etc.) wurden inzwischen ermittelt. Bergbau ist zu einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige Tibets geworden, erklärte das staatliche Investitionsbüro für die Region (PTI, 24.7.2007).

Von den 200 Großprojekten, die China zurzeit in Tibet betreibt, kommen nach Einschätzung der tibetischen Exilregierung nur sehr wenige den Tibetern tatsächlich zu gute. Viele der Projekte umfassen die Erschließung von Bodenschätzen und Energievorkommen, von der vor allem die Volkrepublik profitieren wird. Dies gilt besonders für die zahlreichen Staudammprojekte, die ohne Rücksicht auf die lokale Bevölkerung und katastrophale ökologischen Folgen vorangetrieben werden. So gibt es allein auf dem tibetischen Hochland rund 500 Staudämme, die auch Städte und Industrie-Unternehmen außerhalb der TAR mit Energie versorgen. Am Oberlauf des Gelben Flusses wurden im tibetischen Hochland in der Provinz Qinghai (Amdo) alleine 13 neue Dämme erbaut, da die am Unterlauf des Flusses erzeugte Energie nicht ausreichte, um chinesische Städte mit Elektrizität zu versorgen. Ohne Rücksicht auf die religiösen Gefühle der Tibeter ließ China auch ein Kraftwerk am Yamdrok-See errichten, der den Tibetern heilig ist. Umweltschützer befürchten nun eine Austrocknung des Sees, dessen Wasserspiegel immer weiter sinkt (Klemens Ludwig, Welt- Sichten, 5/2008).

Umstrittene Eisenbahnlinie fördert Wirtschaft und Zuwanderung [ oben ]

Der Bergbau wird gefördert durch die im Juli 2006 fertig gestellte Eisenbahnlinie zwischen Golmud (Provinz Qinghai) und Lhasa. Entlang der Strecke haben Geologen bereits 16 Rohstoffvorkommen ermittelt. Deren Abbau wird durch die nahe Bahnstrecke deutlich attraktiver (BBC, 30.7.2007). Auch lassen Erdölunternehmen auf der Bahnlinie Ausrüstungsgegenstände für die Erforschung neuer Öl-Lagerstätten transportieren (Interfax, 7.8.2007). 75 Prozent aller Güter Tibets, die in anderen Provinzen Chinas veräußert wurden, werden über diese Eisenbahnlinie befördert (Xinhua, 8.2.2008).

Auf der über 1956 Kilometer langen Strecke wurden im ersten Betriebsjahr 1,5 Millionen Menschen befördert (Xinhua, 2.7.2007). Bis Ende 2007 steigerte sich diese Zahl sogar auf 5,95 Millionen Passagiere. 43 Prozent aller Touristen, die Tibet besuchen, sollen nach offiziellen Angaben auf dieser Eisenbahnstrecke an- und abreisen (Xinhua, 8.2.2008). Doch nicht nur für die Tourismusindustrie ist die neue Eisenbahnlinie von größter Bedeutung. Chinas Behörden sprechen nicht gerne darüber , dass mit der Eisenbahn auch Soldaten und hunderttausende chinesische Einwanderer nach Tibet gekommen sind. Nach einem Grenzzwischenfall mit Indien waren im November 2007 erstmals Soldaten mit der Eisenbahn transportiert worden, berichteten offizielle chinesische Medien (The Times of India, 1.12.2007). In den ersten 17 Monaten nach ihrer Eröffnung war die Eisenbahn nicht für Truppentransporte genutzt worden, um nicht international Kritik zu provozieren. Kritiker des umstrittenen Bahnprojekts hatten schon vor langer Zeit die Befürchtung geäußert, China könnte die Bahnlinie auch für militärische Zwecke einsetzen. Ein nicht genannter Vertreter der Chinesischen Volksbefreiungsarmee erklärte denn auch gegenüber der Nachrichtenagentur Xinhua, dass die "Eisenbahn eine wichtige Option werden wird" für den Transport von Truppen nach Tibet.

Doch auch ohne den regelmäßigen Transport von Soldaten schafft die Eisenbahn viele Probleme für Tibet. Denn immer mehr Zuwanderer kommen auf der Schiene in das tibetische Hochland. Vor allem nach den großen Flutkatastrophen im chinesischen Tiefland im Frühjahr 2007 hat der Zuzug von Migranten stark zugenommen. In den Straßen Lhasas waren tausende Zuwanderer auf der Suche nach Arbeit und Wohnung zu finden. Die Preise für Grundnahrungsmittel und alltägliche Gebrauchsgegenstände seien daraufhin stark gestiegen, was wiederum die Inflationsrate in die Höhe getrieben habe, berichteten Tibeter (TCHRD, 3.8.2007). Und immer neue Bahnlinien sollen gebaut werden. Bis zum Jahr 2020 sind sechs weitere Bahnstrecken und mehrere Stichstrecken von einzelnen Punkten der Bahnlinie geplant. (Xinhua, 3.12.2008). Der Bau einer zweiten Linie von Xining nach Golmud neben der bereits bestehenden Strecke ist bereits begonnen und soll im Jahr 2012 fertig gestellt werden. Auch ist im April 2008 mit dem Bau einer Bahnlinie von Lhasa nach Nepal begonnen worden (AFP , 26.4.2008). Im Jahr 2010 soll eine Bahnlinie von Lhasa nach Shigatse ihren Betrieb aufnehmen.

Erstmals räumten die Behörden im September 2008 offiziell ein, dass es vor allem nach der Eröffnung der neuen Eisenbahnlinie ein Problem mit der unkontrollierten Zuwanderung von Migranten gibt. Die Behörden in Tibet sollten unbedingt die Bedeutung einer angemessenen Betreuung und Steuerung des Zuzugs nach Tibet erkennen, forderte der stellvertretende Parteisekretär in der TAR, Zhang Yijiong, auf einer Pressekonferenz am 2. September (ICT, 16.9.2008).

Rund 20 Prozent der Bevölkerung der Volksrepublik gelten als Wanderarbeiter . Aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise haben Millionen ihre Arbeitsplätze verloren. So könnte auch der Einwanderungsdruck in Tibet noch weiter zunehmen in den nächsten Monaten. Doch gleichzeitig ist in Tibet die wirtschaftliche Lage besonders kritisch geworden, weil mit dem Zusammenbruch des Tourismus im Frühjahr 2008 auch sehr viele Arbeitsplätze wegfielen. So überlegen nun auch in Tibet viele eingewanderte Han-Chinesen, ob sie die Region nicht wieder verlassen sollen. Ein neuerlicher Ausbruch von Unruhen würde diesen Abwanderungsprozess sicherlich verstärken.

Sinisierung gefährdet Tibets Identität [ oben ]

In der Autonomen Region Tibet und in den angrenzenden tibetischen Siedlungsgebieten in chinesischen Provinzen ist die Einwanderung von immer mehr Han-Chinesen und muslimischen Hui zur größten Gefahr für den Fortbestand der Identität Tibets geworden. In Lhasa werden immer neue Stadtviertel errichtet, um die Zuwanderer ansässig zu machen. So entsteht zurzeit der Liuwu New District, in dem 110.000 Menschen neue Wohnungen finden sollen. Nicht nur in Lhasa geht der Anteil der tibetischen Bevölkerung deutlich zurück, auch in tibetischen Siedlungsgebieten in chinesischen Provinzen, die an die TAR angrenzen, wird eine ähnliche Entwicklung beobachtet. So sind die Tibeter inzwischen auch in fünf von zehn Tibetischen Autonomen Präfekturen in der Minderzahl. So stellen die Tibeter inzwischen in den tibetischen Siedlungsgebieten in der Provinz Qinghai nur noch 20 Prozent der Bevölkerung. Chinas Behörden bezweifeln regelmäßig diese alarmierenden Zahlen und legen geschönte Bevölkerungsstatistiken vor, die den Eindruck erwecken sollen, dass die chinesische Zuwanderung nach Tibet nur minimal ist. So sollen 92,6 Prozent der Bewohner Tibets noch immer Tibeter und nur sechs Prozent Han-Chinesen sein (Xinhua, 11.4.2008). Jeder Augenschein lehrt auch den Reisenden eines Besseren: Chinas wirksamste Waffe in seinen Bemühungen um eine Assimilation Tibets ist die gezielte Förderung der Einwanderung von Han-Chinesen und Angehörigen anderer Nationalitäten in die tibetischen Siedlungsgebiete.

Selbst wenn viele Han-Chinesen das ungewohnte Klima im tibetischen Hochland fürchten, so sind die in Aussicht gestellten Vergünstigungen doch so interessant, dass viele chinesische Migranten sich auf den Weg nach Tibet machen. Denn dort erwarten die Zuwanderer zwei- bis dreimal höhere Löhne, steuerliche Vergünstigungen und die zügige Vermittlung von Wohnungen. Nirgendwo sonst als in Tibet und Xinjiang / Ostturkestan werden chinesische Zuwanderer so umfassend von den Behörden unterstützt.

Für die Tibeter ist diese Politik nicht nur ein Ärgernis, sondern wird immer mehr zur Überlebensfrage. Sie fürchten, China werde mit seiner Bevölkerungspolitik gezielt Fakten schaffen und die Sinisierung Tibets vorantreiben. Dank der neuen Eisenbahnlinien und eines breitflächigen Ausbaus der Infrastruktur könnte die Volksrepublik schon bald ihr Ziel in Tibet erreichen und die Tibeter nicht nur in Lhasa, sondern in allen tibetischen Siedlungsgebieten zur Minderheit im eigenen Land gemacht haben. Mit der fortschreitenden Assimilation der tibetischen Gesellschaft und Kultur sowie mit der massiven Einmischung der Kommunistischen Partei in die inneren Angelegenheiten des tibetischen Buddhismus drohen die Tibeter ihre Identität zu verlieren. Nur glaubwürdige Gespräche zwischen der chinesischen Führung und der Exilregierung des Dalai Lama könnten eine dauerhafte und friedliche Lösung der Tibet-Frage ermöglichen.

Gescheiterter sino-tibetischer Dialog [ oben ]

Wenn ein Dialog Erfolge zeigen soll, dann müssen beide Gesprächspartner verhandlungs- und kompromissbereit sein. Vertrauen ist eine der Grundvoraussetzungen für jeden erfolgreichen Dialog. Wenn eine Konfliktpartei nicht bereit ist, die Gegenseite respektvoll zu behandeln und ihr zuzuhören, steht es schlecht um die Chancen einer Kompromisslösung. Im Falle Tibets, mangelt es nicht nur am respektvollen Umgang der chinesischen Regierung mit den Tibetern, sondern es fehlt auch grundsätzlich am politischen Willen, Ziel führende Gespräche zu beginnen. Seit Jahrzehnten bemüht sich der Dalai Lama ernsthaft um einen Dialog mit der chinesischen Regierung über die Zukunft Tibets. Im August 1979 entsandte er eine erste Fact-Finding-Mission nach Tibet, um Wege für einen Dialog mit China zu suchen. Zwei weitere Tibet-Besuche von Vertrauten des Dalai Lama folgten im Jahr 1980.

Im April 1982 besucht erstmals eine Delegation der tibetischen Exilregierung Peking und bemüht sich um ernsthafte Gespräche. Doch die tibetischen Unterhändler scheitern mit ihren Bemühungen um einen nennenswerten Dialog. Eine weitere Gesprächsrunde im Oktober 1984 führt ebenfalls zu keinen Ergebnissen. Nachdem der Dalai Lama in einem Aufruf vor dem Europaparlament am 15. Juni 1988 sein Interesse an einer Verhandlungslösung bekräftigt, begrüßt China im September 1988 die Gesprächsbereitschaft der Tibeter . Als Vorbedingung nennt Peking, zur Diskussion könne nur eine Lösung stehen, gemäß der Tibet ein Teil der Volksrepublik China bleibe. Im Januar 1989 zieht Chinas Führung ihr Verhandlungsangebot zurück. Im Oktober 2001 bemüht sich der ältere Bruder des Dalai Lama in Peking um die Aufnahme glaubwürdiger Gespräche. Doch die chinesische Führung behandelt ihn nicht als Abgesandten des Dalai Lama.

Im September 2002 ist es dann endlich soweit. Eine vierköpfige tibetische Delegation unter Führung des Sondergesandten Lodi Gyari besucht Peking und Lhasa und führt erste Gespräche mit Vertretern der chinesischen Regierung. Weitere Gespräche finden in den folgenden Jahren statt. Zuletzt trafen beide Seiten am 4./5. November 2008 in Peking zu ihrer achten Gesprächsrunde zusammen. Die tibetische Delegation bereitet sich regelmäßig umfassend auf die Gespräche vor . Im Jahr 1999 hatte die tibetische Exilregierung eine Task Force gebildet, die vor allem diesen Gesprächsprozess mit China vorbereiten und begleiten soll. Die Task Force unter Tibets Premierminister Professor Samdhong Rinpoche tagte bereits 18 Mal, auch ein Indiz dafür, wie ernst die tibetische Seite den Gesprächsprozess nimmt.

Während der achten und bislang letzten Gesprächsrunde übergab die tibetische Delegation in Peking ein Memorandum, in dem die Eckpunkte einer tatsächlichen Autonomie für Tibet aufgelistet sind. In dem Schriftstück bekräftigt die Exilregierung ihr Festhalten an einer Autonomie Tibets innerhalb des chinesischen Staatsverbandes und widerspricht somit den Vorwürfen Pekings, tatsächlich für einen unabhängigen Staat Tibet zu kämpfen. Betont wird in dem Memorandum die Bedeutung eines besseren Schutzes des Sprache, Kultur und Religion. Die Entwicklung und Förderung der Wirtschaft sei wichtig, solle aber darauf abzielen, dass Tibet sich selbst versorgen kann und nicht von anderen Provinzen abhängig wird, heißt es in dem Memorandum. Besondere Bedeutung wird einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit für Nicht-Tibeter in Tibet beigemessen. Auch vier Monate nach der Überreichung des Memorandums hat Chinas Führung noch nicht offiziell gegenüber der tibetischen Exilregierung auf das Memorandum reagiert. Gegenüber Drittländern hat Peking aber bereits die Ablehnung des Memorandum signalisiert und dabei der tibetischen Exilregierung vorgeworfen, mit der Präsentation des Memorandums Pekings Autorität in der Region zu schwächen zu wollen (Associated Press, 18.1.2009). Sowohl Chinas Regierung als auch die Unterhändler des Dalai Lama zeigten sich enttäuscht vom Ausgang der Verhandlungen im November 2008 und erklärten die Gespräche für gescheitert. Gegenseitig wies man sich die Schuld dafür zu (NZZ / BBC, 10.11.2008). Schon bei der vorangegangenen Gesprächsrunde im Juli 2008 hatten viele Beobachter Zweifel an der Gesprächsbereitschaft Pekings geäußert und der chinesischen Regierung vorgeworfen, die Unterredung nur zu führen, um die Olympiade in Peking nicht zu gefährden (Washington Post, 6.7.2008).

Diffamierung des Dalai Lama [ oben ]

Als "Demagogen", "Saboteur","Manipulator der Weltöffentlichkeit", "Drahtzieher der Unruhen" und "Wolf im Schafpelz" bezeichneten offizielle chinesische Medien den Dalai Lama im Jahr 2008 (Reuters, 28.4.2008 / BBC, 3.5.2008 / Phayul, 16.1.2009 / FAZ, 6.5.2008). Mehrfach wurde ihm unterstellt, in Tibet eine Theokratie und den Feudalismus wieder herstellen zu wollen (Associated Press, 12.12.2007 / UPI, 4.12.2008).

Mit so absurden Vorwürfen, die zum Teil nur wenige Stunden vor neuen Gesprächsrunden in offiziellen chinesischen Medien verbreitet wurden, schafft man keine vertrauensvolle Atmosphäre für einen glaubwürdigen Dialog. So mangelt es bei der Pekinger Führung an Gesprächsbereitschaft und politischem Willen, mit diesem Dalai Lama eine dauerhafte und für alle Seiten befriedigende Lösung des Tibet-Problems zu finden. Peking verspielt dabei eine Chance, denn mit keinem Nachfolger dieses Dalai Lama dürfte es leichter werden einen vertretbaren Kompromiss in der Tibet-Frage zu erzielen. Alle potentiellen Nachfolger werden nicht über die Integrationskraft dieses Dalai Lama verfügen und mehr Schwierigkeiten haben, die Zustimmung der Tibeterinnen und Tibeter für Zugeständnisse gegenüber der chinesischen Regierungsseite zu erhalten, um eine dauerhafte Lösung der Tibet-Frage zu erzielen.